Pulsare und Gravitationswellen – was kommt da gerade auf uns zu?

Links die Erde mit Radioteleskop, rechts ein Pulsar.

Bald wissen wir mehr, genauer gesagt: für morgen, Donnerstag den 29. Juni ist eine koordinierte Bekanntmachung vom European Pulsar Timing Array, vom nanoGRAV-Konsortium, vom Indian Pulsar Timing Array und vom australischen OzGrav angesetzt.  Gerüchteweise, wie es ich für die Astronomie gehört, um 0 Uhr UTC (das wäre 2 Uhr nachts am Donnerstag unserer Zeit), andererseits ist die nanoGrav-Livesendung auf YouTube um 19 Uhr unserer Zeit.

Gravitationswellen mit laaaaangen Wellenlängen

Die Kombination von Institutionen, die sich da dann zu Wort melden (oder deren gemeinsamer Fachartikel dann freigeschaltet wird, oder…) legt nahe, dass es um den Nachweis von Gravitationswellen mit extrem langen Schwingungszeiten und entsprechend langen Wellenlängen geht. Die “Pulsar Timing Arrays”, zu deutsch etwa “Pulsar-Zeitbestimmungs-Netzwerke”, sind nämlich ein Versuch, genau solche Gravitationswellen mit Schwingungszeiten zwischen einigen Wochen und einigen Jahrzehnten nachzuweisen – das ist ein ganz anderer Frequenzbereich als bei den irdischen Gravitationswellendetektoren mit ihren Hundertstel- bis Zehntausendstelsekunden an Schwingungszeiten.

Was da gefunden wurde? Das wissen wir erst morgen. Einige Möglichkeiten: Ein paar supermassereiche Schwarze Löcher, die sich umkreisen und dabei ein schön reguläres Gravitationswellensignal produzieren. Oder aber gar kein Signal von einem bestimmten System, sondern der “Gravitationswellenhintergrund” in jenem Frequenzbereich – die Summe von allem, was da im Universum bei jenen Frequenzen passiert, ohne dass man da einzelne Ereignisse bzw. Quellen auseinanderhalten könnte. Auch das wäre astronomisch durchaus interessant. Wie stark der Hintergrund ist hängt insbesondere auch davon ab, wie viele supermassereiche Schwarze Löcher es da draußen (typischerweise in den Zentren von Galaxien) es gibt, und wie häufig es vorkommt, dass zwei davon aufeinander zu spiralen und miteinander verschmelzen (wenn jene Galaxien miteinander verschmelzen). Das wäre ein hochinteressanter Datenpunkt für all diejenigen, die versuchen, die Geschichte unseres Universums zu rekonstruieren.

Aber wie gesagt, das werden wir dann morgen erfahren. Sinnvoller als da weiter zu spekulieren finde ich, vorbereitend noch einmal zu erklären, worum es bei solchen Pulsar Timing Arrays überhaupt geht. Zufälligerweise habe ich am Montag gerade bei einer Lehrerfortbildung einen Vortrag gehalten, wo es um genau solche Grundlagen geht.

Gravitationswellen und Licht

Wenn die Wirkung von Gravitationswellen illustriert wird, dann typischerweise mit einer Animation wie dieser hier:

Gezeigt sind da frei fallende Teilchen, die z.B. irgendwo fernab aller nennenswerten Gravitationsquellen im Weltraum schweben. Das charakteristische Muster, was da zu sehen ist, ergibt sich, wenn eine einfache (“linear polarisierte, sinusförmige”) Gravitationswelle senkrecht durch die Bildebene läuft, also z.B. aus ihrem Bildschirm heraus direkt auf Sie zu. Das sogenannte “Quadrupolmuster”, also dass Streckung in einer Richtung mit Stauchung in der Richtung senkrecht dazu einhergeht, ist charakteristisch für Gravitationswellen.

Stellen wir uns jetzt vor, das Teilchen ganz rechts sei eine Lichtquelle, die streng periodisch (also in immer demselben zeitlichen Abstand) Lichtpulse aussendet, und das Teilchen ganz links wäre ein Photodetektor. Was dann passiert, zeigt diese Animation hier:

Wie man an der Animation recht gut sieht, werden die Abstände zwischen aufeinanderfolgenden Lichtpulsen genau so gestreckt und gestaucht wie der Abstand zwischen dem ganz linken und dem ganz rechten Teilchen. Was das am Fotodetektor bedeutet, kann man am besten sehen, wenn man jedesmal “Bipp!” sagt, wenn ein Lichtpuls am linken Teilchen ankommt. Mal liegen die “Bipp”s länger auseinander, mal folgen sie schneller aufeinander. An dieser Änderung der Lichtpuls-Empfangs-Abstände kann ein*e Beobachter*in auf dem linken Teilchen feststellen, dass da eine Gravitationswelle durchgelaufen ist. Allerdings natürlich nur, wenn die Pulse vom rechten Teilchen wirklich sehr regelmäßig abgesendet wurden.

Pulsare

Pulsare sind Neutronensterne, die (a) in entgegengesetzte Richtungen stark gebündeltes Licht bzw. Radiostrahlung aussenden, die (b) rotieren und (c) deren Radiostrahl auf diese Weise wie der Scheinwerferstrahl eines Leuchtturms den Weltraum durchstreicht und (d) die so orientiert sind, dass jener Leuchtturm-Strahl auch die Erde erreicht und aus Sicht irdischer Radioteleskope dann als höchst regelmäßige “Blips” zu sehen ist. Diese einfache Animation hier von Michael Kramer vom Max-Planck-Institut für Radioastronomie (das sich am Donnerstag dann auch melden wird) zeigt das recht schön:

Jedes Mal, wenn der Pulsar-Strahl (dargestellt als Kegel) auf uns zeigt, sehen wir einen Helligkeitspuls.

Insbesondere die sogenannten Millisekunden-Pulsare (die sich einige Hundert Mal pro Sekunde um ihre eigene Achse drehen) sind also genau das, was wir für unseren Gravitationswellen-Nachweis als regelmäßige Pulsgeber nutzen könnten. Da haben wir also schon unsere grundlegende Situation: rechts ein Pulsar, von dem wir regelmäßig Pulse empfangen, links ein Radioteleskop auf der Erde.

Links die Erde mit Radioteleskop, rechts ein Pulsar.
Und wenn eine Gravitationswelle (im einfachsten Falle senkrecht zum Bildschirm) durch den Raum läuft, dann können genaueste Messungen der Änderungen der zeitlichen Abstände aufeinanderfolgender Pulse das nachweisen.

Ein paar Komplikationen

Na gut, nicht ganz. Bzw. noch nicht einmal “nicht ganz” sondern: gar nicht. Denn so genaue Uhren, dass wir die winzigen Puls-Abstands-Änderungen einzeln nachweisen können, haben wir nicht. Stattdessen misst man die Ankunftszeiten der Pulse. Vereinfacht gesagt: Wenn jetzt plötzlich alle Pulsabstände um dasselbe winzige Zeitintervall ΔP kürzer würden, dann würde das ja bedeuten, dass der zweite Puls ΔP zu früh kommt, der dritte Puls um 2 ΔP, der vierte um 3 ΔP und so weiter. Angenommen, das ganze wiederholt sich für die nächsten tausend Pulse. Der 1001. Puls wäre dann schon 1000 ΔP zu früh. Diese Ankunftszeit-Verschiebung ist 1000 Mal größer als ein einziges ΔP, und entsprechend einfacher zu messen.

In Wirklichkeit wird eine Gravitationswelle natürlich nicht einfach alle Pulse in derselben Weise verkürzen. Aber wenn die Frequenz der Welle sehr gering ist, beispielsweise eine Sinuswelle mit einer Schwingungsdauer von 2 Jahren, dann hätte die Pulsänderung ΔP ein Jahr lang zumindest dasselbe Vorzeichen, und ihre Auswirkungen würden sich aufsummieren. Bei einem anfänglichen Pulsintervall von, sagen wir, 5 Millisekunden (Millisekundenpulsar!) summieren sich die Verkürzungen (oder Verlängerungen, je nach Vorzeichen) von Milliarden von Pulsänderungen auf. Das macht schon etwas aus.

Die zweite Komplikation: Der Effekt, den man beim Messen von ΔP erhält, hängt tatsächlich von zwei Größen ab. Einmal dem Einfluss der Gravitationswelle hier auf der Erde zur Zeit des Empfangs des jeweiligen Pulses, aber auch vom Einfluss der Gravitationswelle direkt am Pulsar, zum Zeitpunkt als der Puls in Richtung Erde losflog. Diese beiden Größen kann man nicht so recht auseinanderhalten. Was dann hilft: nicht einen einzigen Pulsar zu betrachten, sondern ganz viele. Die werden sich naturgemäß in unterschiedlichen Abständen von der Erde befinden, und in ganz unterschiedlichen Richtungen. Wenn man für alle diese Pulsare das jeweils aktuelle ΔP aufsummiert, dann passiert salopp gesagt das Folgende: Der erste Term ist für alle jene Pulsare derselbe, nämlich er Einfluss der Gravitationswelle hier bei der Erde, und zwar zu ein und demselben Zeitpunkt. Wenn ich die Beiträge von 100 Pulsaren aufsummiere, wird dieser Term um den Faktor 100 verstärkt. Der zweite Term dagegen ist pulsarspezifisch. Bei einigen Pulsaren wird er positiv sein, bei anderen negativ. Im Mittel hebt sich dieser zweite Term weg, wenn wir die Beiträge unserer 100 Pulsare aufsummieren. Das zeigt gleichzeitig eine vielleicht etwas unerwartete Eigenschaft dieser Art des Gravitationswellennachweises: Die Pulsare selbst mögen zum Teil sehr weit weg von der Erde sein. Was man damit misst sind allerdings Gravitationswellen direkt hier bei uns in der Nachbarschaft der Erde!

Die dritte Komplikation: In meiner einfachen Situation mit dem einen Pulsar mussten wir nur eine Dimension betrachten, die von der senkrecht dazu laufenden Gravitationswelle gestreckt und gestaucht wurde. In Wirklichkeit findet das alles natürlich dreidimensional statt. Dann hängt der Einfluss der Gravitationswelle davon ab, in welchem Winkel zur Verbindungslinie Pulsar-Erde sich die Welle ausbreitet, und auch das Aufsummieren der Pulsarbeiträge wird aufgrund dieses variierenden Welleneinflusses etwas komplizierter.

Die Hauptbotschaften bleiben aber auch in dieser komplizierteren, realistischen Situation erhalten: Man muss die Ankunftszeiten und nicht nur die einzelnen Pulsabstände messen, um eine Chance zu haben, und man muss die Beiträge möglichst vieler Pulsare aufsummieren, damit sich der Term “Gravitationswelle nahe der Erde” verstärkt und sich die pulsarspezifischen Terme wegmitteln. Das Ergebnis, das morgen verkündet werden soll, in einer Beschreibung hieß es dass “eine Messung und eine zugehörige Interpretation” vorgestellt werden würde, basiert bei NANOGrav entsprechend auf den gesammelten Beobachtungsdaten von 15 Jahren.

Dann bis morgen!

Auch mit diesen Tricks ist es alles andere als einfache, die winzigen Gravitationswellensignale in den Pulsardaten zu finden. Bislang gab es von den entsprechenden “Pulsar Timing Array”-Konsortien in diese Richtung im wesentlichen eine der vorsichtigsten wissenschaftlichen Schlagzeilen, die ich je gelesen habe, ich zitiere: “World-wide Radio Telescope Network Strengthens Evidence for Signal that May Hint at Ultra-Low Frequency Gravitational Waves”, zu deutsch also etwa: Weltweites Teleskop-Netzwerk stärkt die Belege für ein Signal das auf Gravitationswellen mit ultraniedriger Frequenz hindeuten könnte. Ich zähle da vier abschwächende Elemente, das ist schon eine ganze Menge.

Aber damals haben die soweit ich erinnere auch nicht so eine Vorankündigung gehabt:

Und auch das European Pulsar Timing Array hat ein kurzes Media Advisory (“watch this space”). Schauen wir mal, was da kommt. Die Grundlagen des betreffenden Nachweisverfahrens kennen Sie jetzt immerhin.

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Markus Pössel hatte bereits während des Physikstudiums an der Universität Hamburg gemerkt: Die Herausforderung, physikalische Themen so aufzuarbeiten und darzustellen, dass sie auch für Nichtphysiker verständlich werden, war für ihn mindestens ebenso interessant wie die eigentliche Forschungsarbeit. Nach seiner Promotion am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut) in Potsdam blieb er dem Institut als "Outreach scientist" erhalten, war während des Einsteinjahres 2005 an verschiedenen Ausstellungsprojekten beteiligt und schuf das Webportal Einstein Online. Ende 2007 wechselte er für ein Jahr zum World Science Festival in New York. Seit Anfang 2009 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg, wo er das Haus der Astronomie leitet, ein Zentrum für astronomische Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit, seit 2010 zudem Leiter der Öffentlichkeitsarbeit am Max-Planck-Institut für Astronomie und seit 2019 Direktor des am Haus der Astronomie ansässigen Office of Astronomy for Education der Internationalen Astronomischen Union. Jenseits seines "Day jobs" ist Pössel als Wissenschaftsautor sowie wissenschaftsjournalistisch unterwegs: hier auf den SciLogs, als Autor/Koautor mehrerer Bücher und vereinzelter Zeitungsartikel (zuletzt FAZ, Tagesspiegel) sowie mit Beiträgen für die Zeitschrift Sterne und Weltraum.

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