Warum gibt es noch Atheisten?
BLOG: Natur des Glaubens
Mit Wolfgang Achtner, Eckart Voland und Ulrich Frey finden sich an der Universität Gießen gleich drei Wissenschaftler, die bereits spannende Beiträge zur Evolutionsforschung der Religion veröffentlicht und auch Tagungen dazu (mit-)organisiert haben. Hinzu kommen noch viele interessierte Kolleginnen und Kollegen sowie Studentinnen und Studenten, die sich mit den Themen schon intensiver befasst haben – und so haben die Diskussionen dort längst besondere Qualität und ich freue ich mich jedes Mal besonders, wenn eine Einladung nach Gießen (diesmal zur ESG von Wolfgang Achtner) erfolgt. Im Rahmen eines Vortrags- und Diskussionsabends sollte ich vor einigen Monaten die (z.B. in Gott, Gene und Gehirn ausführlich dargestellten) empirischen Befunde noch einmal kurz zusammenfassen und etwas Stoff zu weiterführenden Debatten liefern.
Der ausführliche Vortrag ist gerade im neuen GHH-Band “Trotz allem Wachstum?” erschienen und als pdf auch hier abrufbar:
Der (r)evolutionäre Erfolg von Religion –
Folgen für Säkularisierungstheorien und Theologie(n)
Einen Schwerpunkt legte ich dabei auf die biokulturelle Evolution in der Frequenz kurzfristiger Wellenbewegung von Religions- und Säkularisierungsphasen im Unterschied zur längerfristigen Evolution von Religiosität (der Veranlagung zu Verhalten ggü. übernatürlichen Akteuren).
Warum gibt es noch Atheisten?
In der anschließenden, Gießen-typisch hervorragenden!- Diskussion ging es auch diesmal v.a. um die Frage, warum es – trotz des deutlich höheren Fortpflanzungserfolges religiös vergemeinschafteter Menschen – überhaupt noch nichtreligiöse Menschen gibt.
Ich stellte die vorherrschenden Hypothesen dazu dar, die wir auch schon in GGG angerissen hatten, und auch meine (noch etwas unsichere) Präferenz für den Ansatz einer zwar aufsteigenden, dabei aber balancierten Evolution des Merkmals Religiosität. Da brachte die Genetikerin Ulrike Gamerdinger einen m.E. brillanten Vorschlag ein, der mich so begeisterte, dass ich ihn in den kommenden Wochen ausarbeitete und im GHH-Band extra einreichte (hier ebenfalls als pdf abrufbar):
Warum gibt es noch Atheisten?
Evolutionsforschung zum Phänomen des Nichtglaubens
Knapp geschrieben geht es bei der balancierten Evolution von Merkmalen darum, dass sich diese nicht einfach linear entfalten (a la umso mehr, umso besser), sondern durch Nutzen und Kosten in Glockenform ausbalanciert werden – wie beispielsweise das Schlafbedürfnis oder ggf. auch Musikalität. Sowohl die empirischen Beobachtungen wie auch der Umstand, dass Religiosität aus einem Bündel anderer Merkmale heraus evolviert(e), hatten mich für diese Annahme auch im Bezug auf die Evolution von Religion eingenommen. Das hieße: Wenn auch Religiosität insgesamt reproduktiv erfolgreich vererbt wird, so doch nicht einfach linear aufsteigend, sondern in kulturellen Wellenbewegungen (siehe oben) und je in glaubensfesten, pragmatischen und skeptischen Verteilungen innerhalb der Populationen.
Der Vorschlag von Dr. Gamerdinger, dies doch einmal am Beispiel des Vogelzuges zu diskutieren, überzeugte mich dabei sofort: Denn auch hier liegt eine oft glockenförmige Verteilung des Merkmals “Zugzeitpunkt” vor, manche Tiere (z.B. Rauchschwalben) fliegen früher oder später als ihre Artgenossen, einige sogar gar nicht. Da das Zugverhalten unstreitig adaptiv ist, gab es durchaus Rätselraten um den evolutionären Hintergrund dieser erstaunlichen Variationsbreite. Inzwischen ist jedoch klar: Klimaschwankungen, aber auch Veränderungen der Gefahrenlage, des Nahrungsangebots etc. durch Konkurrenz, Räuber etc. können den “optimalen” Zeitpunkt für den Vogelzug, die optimale Route etc. immer wieder verschieben, so dass “abweichendes” Verhalten -z.B. früher, später, gar nicht ziehen- zwar risikoreich ist, unter Umständen aber auch größere Chancen mit sich bringen kann. Tatsächlich ist es gerade diese Vielfalt an Strategien, die den einzelnen Vogelarten auch die Anpassung an längerfristige Veränderungen beispielsweise des Klimas erlaubt – frühere Abweichler-Minderheiten prägen durch Erfolg den neuen Schwerpunkt aus, das Zugverhalten pendelt sich zum neuen Optimum. Die Variationsbreite und Risikoverteilung des Vogelzuges entspräche damit genau dem Bedürfnis nach den richtigen Dosen an “Rigidität und Flexibilität”, die Friedrich August von Hayek als evolutionäres Erfolgsmerkmal religiöser Traditionen erkannte!
So prägt z.B. “jede” erfolgreiche, religiöse Gemeinschaft bald liberale, konservative und orthodoxe Flügel aus, die miteinander um die Deutungshoheit ringen, Abspaltungen hervorrufen etc. Auch passt das Modell im Hinblick auf die Risikoverteilung sehr gut zum unterschiedlichen Geschlechterverhalten: Während Frauen stärker (und klug!) im Bereich des religiösen Pragmatismus auftreten prägen Männer heftigere Flügel je religionsskeptischen oder glaubensstrengen Verhaltens aus. Sowohl atheistische wie religiöse Extremismen sind regelmäßig männlich dominiert. Mich hat der Vogelzug-Vorschlag im Hinblick gerade auf die Evolution von Religiosität unter Jägern und Sammlern auf jeden Fall überzeugt und bin gespannt, ob und wie er kommende Diskussionen und weitere Studien besteht!
Nachtrag 10/2010: Auch eine experimentelle Studie an sozial lebenden Kugelspinnen hat inzwischen den Befund ergeben, dass sich Populationen ggf. erfolgreicher entfalten und fortpflanzen können, wenn Individuen verschiedene Mentalitäten (z.B. hier aggressiv vs. sozial) ausprägen. Gruppen mit nur einer dominanten Verhaltensausprägung erwiesen sich als weniger erfolgreich als gemischte Gruppen. Literatur: Pruitt, J.N., Riechert, S.E.: How within-group behavioural variation and task efficiency enhance fitness in a social group. In: Proceedings of the Royal Society B 10.1098/rspb.2010.1700, 2010.
Korrelation ist nicht gleich Implikation
Hallo,
sowohl im Blogeintrag, als auch in den Artikeln, wird der Zusammenhang zwischen Religion und Kindern hergestellt.
Ich kann zwar nicht bewerten, wie gut diese Untersuchungen gemacht wurden, aber ich möchte ein paar Fragen zum Nachdenken aufwerfen:
Ist eine hohe Kinderzahl erstrebenswert in einer Welt, die an ihre Grenzen stößt, was die Versorgung so vieler Menschen angeht?
Außerdem, nur weil es eine Korrelation zwischen Kinderanzahl und Religiösität gibt, heißt das nicht, dass Religiösität der Grund dafür ist… (elementare Logik… :-)).
Zum zweiten wollte ich anmerken, dass ich dem zustimme, dass Religion einer Evolution unterworfen ist.
Die Frage ist nur auf welcher Ebene diese Evolution stattfindet.
Meiner Meinung nach (ich kenne mich da zwar nicht aus, aber es erscheint mir einfach plausibel und logisch) ist dies eher eine kulturelle Evolution (Meme).
Schon aus zeitlichen Gründen kommt eine biologische Evolution nicht in Frage…
Deswegen ist die Frage: Warum gibt es noch Atheisten trotz höherer Kinderzahl bei religiösen Menschen, einfach sinnlos.
Meine Eltern haben auch 3 Kinder und sind (leicht) religiös. Alle Kinder sind allerdings atheistisch. Vielleicht beantwortet das ihre Frage ;-).
Ich persönlich frage mich immer wieder, warum es immer noch “Theisten” gibt :-).
Gibt es nicht genug andere Sorgen, die wir haben, als uns damit zu beschäftigen?
Hmm, gutes Stichwort. Ich sollte auch etwas sinnvolleres tun, als in einem Blog zum Thema “Glauben” zu lesen…
Bis bald (warte schon gespannt auf dem Artikel zum Thema “Meme”),
naturemath
Lieber Michael,
da haben Sie ja wieder mal eine wirklich lustige Überschrift gefunden – vor allem das “noch” finde ich zu schön 🙂
Von Ihrer ursprünglichen These ausgehend (Atheisten sind langfristig zum Aussterben verurteilt) ist die Frage, warum es noch Atheisten gibt, ja durchaus folgerichtig, und die Antwort, die Sie geben, weist auch in die richtige Richtung.
Allerdings würde ich nicht unbedingt von einer “balancierten Evolution” sprechen. So, als sei die (Un-)Fähigkeit, an übernatürliche Mächte zu glauben, so etwas wie die Sichelzell-Anämie. Schon von daher finde ich den Vergleich mit der zeitlichen Variabilität beim Vogelzug nicht sehr überzeugend.
Denn das würde auch bedeuten, dass es schon von Beginn an (also mindestens ab 200 000 b.c. in der Gründerpopulation von H. sapiens) Menschen gegeben haben muss, die die Existenz einer Geisterwelt in Frage stellten. Und das erscheint mir sehr unwahrscheinlich.
Es erscheint mir logisch, anzunehmen, dass der Glaube an eine Geisterwelt eine notwendige Begleiterscheinung des neu erwachten Bewusstseins der ersten Menschen war (und zwar praktisch aller Menschen; diese Ur-Religiosität ist es auch, die man noch heute bei Kindern feststellen kann – was man als indirekten Beweis für die Richtigkeit meiner These nehmen kann :). Menschen, die die Geisterwelt hinterfragen konnten (also die ersten Skeptiker), sind wohl erst sehr viel später aufgetreten, als die Entwicklung des Gehirns weiter fortgeschritten war (vergleichbar mit der religionskritischen Phase bei Heranwachsenden). Erhalten blieben allerdings die allgemeine Fähigkeit zur Spiritualität und eine Neigung zu religionsähnlichen Verhaltensweisen und Ritualen (auch die liberale oder “pragmatische” Religiosität dürfte hier einzuordnen sein).
Die außerordentliche Variabilität menschlicher Verhaltensmerkmale und Befähigungen hat zweifellos entscheidend zum evolutionären Erfolg dieses Sozialwesens beigetragen. Diese Variabilität dürfte sowohl auf seiner genetischen Ausstattung als auch auf der (genetisch bedingten) Plastizität seines Gehirns beruhen. Da stimme ich voll mit Ihnen überein.
Langer Rede kurzer Sinn: Die eigentliche spannende Frage wäre also: Wo kommen all die Agnostiker her? Und: Seit wann gibt es sie?
(Und dann könnte man fragen, ob sich die Population der Agnostiker mangels Reproduktion in einer evolutionären Sackgasse befindet – wobei die Antwort natürlich lauten würde: Nein! Denn schätzungsweise die Hälfte der Kinder religiöser Paare sind zukünftige Agnostiker.)
@ Blume: Buchtipp
aus: FOCUS 43/2009 Seite 128: ´Vorsicht – ansteckend!´
Nicholas Christakis und James Fowler verweisen in ihrem Buch ´Connected´ (in Englisch) darauf, dass viele soziale Phänomene/Trends auf Grund von Gruppenzwang bzw. sozialer Normierung ansteckend sind: z.B. Kinderkriegen, Nicht-/Rauchen, Fettleibigkeit, Rückenschmerzen, …)
Dies würde Ihre Forschungen zum Zusammenhang Religion:Geburtenrate bestätigen
@ naturemath
Herzlichen Dank für Ihren engagierten Kommentar, auf den ich gerne eingehe!
Ist eine hohe Kinderzahl erstrebenswert in einer Welt, die an ihre Grenzen stößt, was die Versorgung so vieler Menschen angeht?
Das ist eine philosophische, keine empirische Frage. Es soll ja z.B. auch Leute geben, die die Existenz der Menschheit insgesamt ablehnen. Aus der Perspektive der Evolutionsforschung interessiert mich, das real existierende Leben wissenschaftlich (besser) zu verstehen. Was Philosophen und Theologen dazu sagen, nehme ich dabei sehr interessiert zur Kenntnis, habe mich aber bewusst für die (empirische) Religionswissenschaft entschieden.
Außerdem, nur weil es eine Korrelation zwischen Kinderanzahl und Religiösität gibt, heißt das nicht, dass Religiösität der Grund dafür ist… (elementare Logik… :-)).
Nun arbeite ich an diesen Themen mit immer mehr Kolleginnen und Kollegen schon seit einigen Jahren – und wir stellen selbstverständlich nicht nur Korrelationen fest, sondern erkunden z.B. auch Fallstudien wie die Amischen, Hutterer, orthodoxe Juden, Mormonen etc. Dagegen haben wir bisher keine einzige säkulare Population gefunden, die sich über mehrere Generationen hinweg vergleichbar erfolgreich fortgepflanzt hätte.
Gerade auch um Interessierten die informierte, wissenschaftliche Debatte zu ermöglichen, mache ich möglichst viele Texte auch online und kostenfrei zugänglich, lege extra Blogbeiträge dazu an etc.
Zum zweiten wollte ich anmerken, dass ich dem zustimme, dass Religion einer Evolution unterworfen ist.
Die Frage ist nur auf welcher Ebene diese Evolution stattfindet.
Meiner Meinung nach (ich kenne mich da zwar nicht aus, aber es erscheint mir einfach plausibel und logisch) ist dies eher eine kulturelle Evolution (Meme).
Schon aus zeitlichen Gründen kommt eine biologische Evolution nicht in Frage…
Abgesehen davon, dass es für “Meme” bis heute weder eine klare Definition noch eine einzige ernsthafte Beobachtung in Experimenten, Studien o.ä. gibt – m.E. ist die Trennung “biologischer” und “kultureller” Evolution längst überholt. Wir sprechen von Gen-Kultur-Koevolution oder biokultureller Evolution, wenn es darum geht, die Wechselwirkungen zwischen biologischer Evolution (z.B. Fähigkeiten des Gehirns zur Musikalität, Sprache, Religiosität oder Handwerk) und kultureller Evolution (z.B. Musikstile, Sprachen, Religionen oder Werkzeugen) zu beschreiben. Ein prominentes Beispiel ist z.B. die Laktosetoleranz (genetisch), die sich in jenen Populationen ausbreitete, die Milchvieh hielten (kulturell).
Deswegen ist die Frage: Warum gibt es noch Atheisten trotz höherer Kinderzahl bei religiösen Menschen, einfach sinnlos.
Nein, sie wird mir oft und zu Recht gestellt – gerade auch von überzeugten Atheisten! Denn der Reproduktionserfolg religiös vergemeinschafteter Menschen ist in Fachkreisen längst unstrittig und so stellt sich die Frage, warum zwar religioides Verhalten (wie Bestattungen oder die Verehrung von Stifterfiguren) nahezu universell ist, es aber auch in allen Populationen erhebliche Anteile an Skeptikern gibt. Das ist doch eine empirische Frage!
Meine Eltern haben auch 3 Kinder und sind (leicht) religiös. Alle Kinder sind allerdings atheistisch. Vielleicht beantwortet das ihre Frage ;-).
Es passt in der Tat ganz wundervoll zur Annahme häufigen pragmatischen Verhaltens: Die Eltern behielten noch etwas religiöse Bindung bei (und waren prompt überdurchschnittlich reproduktiv 😉 ), die ggf. ebenfalls pragmatischen Kinder schlossen sich bereits dem säkularen Mainstream ihrer Peers an. Und statistisch gesehen dürften aus den dreien dann auch eher kaum neun Enkel werden – was z.B. für Amische völlig normal bzw. eher wenig wäre! Es besteht also ein sehr deutlicher Zusammenhang zwischen dem Erfolg bei der Weitergabe kultureller und biologischer Traditionen gerade auch im Bereich der Religionen, wie es z.B. schon FA von Hayek (Nobelpreisträger) vermutet hat! Sie haben Recht, das ist interessant und ermutigend, ja! 😉
Ich persönlich frage mich immer wieder, warum es immer noch “Theisten” gibt :-).
Das ist auch genau die richtige Frage! Zumal unsere Vorfahren ja nicht religiös gestartet sind, sondern Religiosität erst in der Altsteinzeit – sehr schnell! – evolvierte! Lassen Sie sich diese Neugier auch nicht nehmen! 🙂
http://www.chronologs.de/…auch-der-neandertaler.
Gibt es nicht genug andere Sorgen, die wir haben, als uns damit zu beschäftigen?
Wissenschaftler sind nun einmal neugierig! Manchen Leuten reicht es, sich über unverstandene Phänomene lustig zu machen. Die anderen wollen aber vor dem Bewerten forschen & verstehen!
http://www.chronologs.de/…tt-der-neuen-atheisten
Hmm, gutes Stichwort. Ich sollte auch etwas sinnvolleres tun, als in einem Blog zum Thema “Glauben” zu lesen…
Oha, Sie glauben also auch an “Sinn”!? Wenn er (auch) in der Wissenschaft liegen sollte – haben Sie Mut zur Neugier! Und kümmern Sie sich einfach nicht nur um die Fragen, die in Ihrem Milieu gerade “angesagt” sind, sondern um die, die Sie selbst faszinieren! 🙂
Bis bald (warte schon gespannt auf dem Artikel zum Thema “Meme”),
naturemath
Vielen Dank, ich freue mich auch! Sollte, wenn nix dazwischen kommt, der übernächste Beitrag werden. Und natürlich würde ich mich für Ihre Überlegungen dazu gerne wieder interessieren! Herzliche Grüße!
@ Balanus
Lieber Balanus,
da haben Sie ja wieder mal eine wirklich lustige Überschrift gefunden – vor allem das “noch” finde ich zu schön 🙂
Danke für das Lob – Sie waren und sind am Gesamtgeschehen ja konstruktiv mitbeteiligt! 🙂
Von Ihrer ursprünglichen These ausgehend (Atheisten sind langfristig zum Aussterben verurteilt) ist die Frage, warum es noch Atheisten gibt, ja durchaus folgerichtig, und die Antwort, die Sie geben, weist auch in die richtige Richtung.
Vielen Dank! Wobei ich die Gelegenheit nutzen möchte zu betonen, dass nach dem vorliegenden Szenario religiöse Skepsis auch weiterhin unverzichtbar bleibt, um Innovationen und Reformen anzutreiben!
Allerdings würde ich nicht unbedingt von einer “balancierten Evolution” sprechen. So, als sei die (Un-)Fähigkeit, an übernatürliche Mächte zu glauben, so etwas wie die Sichelzell-Anämie. Schon von daher finde ich den Vergleich mit der zeitlichen Variabilität beim Vogelzug nicht sehr überzeugend.
Naja, die “balancierte Evolution” bezieht sich ja auf das Gesamtgeschehen der Evolution von Religiosität. Wir alle sind Teil davon, wie ja auch jeder von uns unterschiedliche Anlagen von Musikalität, Intelligenz etc. aufweist. Da ist m.E. also keine Wertung impliziert.
Andreas Müller fragte damals provokant, ob er denn dann – wenn Religiosität doch insgesamt adaptiv sei – ein “Mutant” sei. Und ich finde, nein, das ist er (und sind andere Atheisten) nicht – sie (überwiegend alleinstehende Männer) befinden sich innerhalb der Verteilung einer Population.
Denn das würde auch bedeuten, dass es schon von Beginn an (also mindestens ab 200 000 b.c. in der Gründerpopulation von H. sapiens) Menschen gegeben haben muss, die die Existenz einer Geisterwelt in Frage stellten. Und das erscheint mir sehr unwahrscheinlich.
Da stimme ich Ihnen zu! Allerdings gab (und gibt!) es auch unter Jägern und Sammlern solche, die den konkreten (!) mythologischen Erzählungen, Darstellungen von Schamanen etc. skeptischer gegenüber stehen als andere. Pascal Boyer und andere haben dazu spannende Beobachtungen formuliert.
Es erscheint mir logisch, anzunehmen, dass der Glaube an eine Geisterwelt eine notwendige Begleiterscheinung des neu erwachten Bewusstseins der ersten Menschen war (und zwar praktisch aller Menschen; diese Ur-Religiosität ist es auch, die man noch heute bei Kindern feststellen kann – was man als indirekten Beweis für die Richtigkeit meiner These nehmen kann :).
Ja, auch da sind wir einer Meinung. Den Grundgedanken teilte übrigens schon Charles Darwin – und der hatte ihn von Hume, der dies 1757 (!) in seiner “Natural History of Religion” vermutete und formulierte!
Menschen, die die Geisterwelt hinterfragen konnten (also die ersten Skeptiker), sind wohl erst sehr viel später aufgetreten, als die Entwicklung des Gehirns weiter fortgeschritten war (vergleichbar mit der religionskritischen Phase bei Heranwachsenden).
Damit eine Mythologie hinterfragt werden kann, muss sie einen Grad an Systematisierung aufweisen, den wir tatsächlich erst sehr viel später voraussetzen können. Erörterungen über “die Geisterwelt” setzen z.B. bereits eine Unterscheidung von Natur und Transzendenz voraus, die in Europa erwuchs und auch bei heutigen Jägern und Sammlern so nicht vollzogen wird.
Erhalten blieben allerdings die allgemeine Fähigkeit zur Spiritualität und eine Neigung zu religionsähnlichen Verhaltensweisen und Ritualen (auch die liberale oder “pragmatische” Religiosität dürfte hier einzuordnen sein).
Nein, hier bin ich anderer Auffassung. Nach der Befundlage trat ja religiöses Verhalten erst sehr schwach und vereinzelt auf, bevor es sich ausbreitete. Und auch heute ist es mit messbaren Reproduktionsvorteilen verbunden – also erfolgreich. Hinweise auf einen früheren, generellen Selektionsdruck liegen m.E. nicht vor.
Die außerordentliche Variabilität menschlicher Verhaltensmerkmale und Befähigungen hat zweifellos entscheidend zum evolutionären Erfolg dieses Sozialwesens beigetragen. Diese Variabilität dürfte sowohl auf seiner genetischen Ausstattung als auch auf der (genetisch bedingten) Plastizität seines Gehirns beruhen. Da stimme ich voll mit Ihnen überein.
Und ich mit Ihnen! 🙂
Langer Rede kurzer Sinn: Die eigentliche spannende Frage wäre also: Wo kommen all die Agnostiker her? Und: Seit wann gibt es sie?
Wie von Boyer et al. beobachtet, gibt es auch unter heutigen Jägern und Sammlern sowohl tief religiöse wie skeptische und pragmatisch balancierende Menschen. Sehr schön ist das m.E. auch am Vergleich von Ost- und Westdeutschen zu sehen, wo sich Mehrheiten je an den Mainstream anpassten, wogegen kleinere Gruppen aus Skeptikern bzw. Gläubigen aktiv wurden und blieben.
(Und dann könnte man fragen, ob sich die Population der Agnostiker mangels Reproduktion in einer evolutionären Sackgasse befindet – wobei die Antwort natürlich lauten würde: Nein! Denn schätzungsweise die Hälfte der Kinder religiöser Paare sind zukünftige Agnostiker.)
Und werden also – so zumindest der jetzige Stand – damit ihrerseits durchschnittlich weniger Kinder haben als jene Hälfte der Geschwister, die sich für ein auch religiös geprägtes Leben entschied. Kultur wirkt stets auf ihre biologischen Grundlagen zurück!
Nochmal danke für den sehr, sehr spannenden und informierten Kommentar!
@KRichard
Oh, ja, in der Tat – danke! Ich hatte den Artikel damals gelesen, aber die Verbindung nicht hergestellt. Aber Sie haben m.E. Recht, das passt wunderbar zueinander. Danke für den Hinweis und Tip!
PS: Focus hatte im Frühjahr ja auch über unsere Forschungen berichtet, hier:
http://www.focus.de/…arer-glaube_aid_388876.html
Schön
Lieber Herr Blume,
eine insgesamt erfreuliche Arbeit mit einem erfreulichen Zitat von mir (allerdings bin ich kein “Funktionär” – niemand schreibt mir vor, was ich zu sagen habe).
Hier also der Hinweis auf meine (trotzdem skeptische) Antwort:
http://feuerbringer.com/…-gibt-es-noch-glaubige/
Ich tippe die Anlage zu religiösem Verhalten steckt in allen Menschen und kommt in geeigneter Umwelt zur Entwicklung, wie die Fähigkeiten zur Sprache, zur Musik, zum Lesen oder zur Mathematik. Den wenigsten Atheisten wird die Fähigkeit zum Glauben völlig fehlen, das wären ja eine Art religiöser Legastheniker, dafür müsste man das entsprechende Fachwort noch finden.
@ Andreas Müller
Lieber Herr Müller,
vielen Dank für Ihre ausführliche Besprechung auf Ihrem Link.
Lassen Sie mich nur auf einen Punkt eingehen, der für Sie interessant sein könnte.
Sie trennen immer noch (zu) scharf zwischen biologischen und kulturellen Phänomenen. Dieser Dualismus ist aber schon lange nicht mehr Stand der Wissenschaft.
So sind wir uns wahrscheinlich sofort einig, dass es sich beim von Ihnen zitierten Lied einer Punk-Band oder einer Sprache (z.B. Französisch) um kulturelle Artefakte handelt, die nicht genetisch weitergegeben werden. Allerdings dürfe es ebenso unstrittig sein, dass die Fähigkeiten, Lieder zu verstehen und selbst hervorzubringen ebenso wie die Fähigkeit, bestimmte Sprachen zu erlernen und zu benutzen, selbstverständlich (teilweise) genetisch veranlagt sind. (Übrigens gibt es – für Sie als Literaturwissenschaftler vielleicht interessant – längst auch eine Evolutionsforschung zu Ausprägungen von Erzählungen & Literatur!)
Für Religiosität und Religionen gilt schlichtweg das Gleiche. Sie sind kulturelle Phänomene auf der Basis biologischer Anlagen. Und wie Musiken oder Sprachen haben sie sich als adaptiv erwiesen – und tun dies weiterhin. Auch erklärt nichtreligiöse Biologen wie David Sloan Wilson, Eckart Voland usw. erkennen das längst an. Und auch schon Darwin selbst widmete dem Thema eigene Kapitel in seiner “Abstammung des Menschen”. Es ist doch auch völlig unlogisch, einerseits zu behaupten, “alles” am Menschen sei evolutionär entstanden – dann aber die Religiosität und Religionen auszuklammern. Von was genau soll denn Religiosität das Nebenprodukt sein? Und wo sind die säkularen Gemeinschaften, die es reproduktiv mit Religionsgemeinschaften aufnehmen können?
PS: Zu Ihrem “Argument”, Sie seien wohl “zu dumm” für Religiosität. Nein, das sehe ich nicht so. Zum einen zeigen Sie eine starke missionarische Ader ;-), aber vor allem sind m.E. Veranlagungsunterschiede völlig normal. Wenn wir uns z.B. einig sind, dass doch Musikalität adaptiv evolviert ist – so bin ich doch sehr unmusikalisch. Macht mich das “dumm”? Zum “Mutanten”? Selbstverständlich nicht. In je unterschiedlichem Maße sind wir alle musikalisch, religiös, sprachbegabt, intelligent, fremdenfeindlich usw. veranlagt. Und die Evolution geht weiter! 🙂
Beste Grüße!
Biokulturelle Evolution
Hallo Herr Blume,
vielleicht haben Sie das Folgende nicht
so verstanden, wie ich das meinte:
“Meine Eltern haben auch 3 Kinder und sind (leicht) religiös. Alle Kinder sind allerdings atheistisch. Vielleicht beantwortet das ihre Frage ;-).”
Selbst wenn alle Menschen auf der Welt gläubig wären und alle dieselbe Religion hätten, würden sich in der Nachfolgegeneration Atheisten befinden.
Wenn die Eltern es gut mit ihren Kindern meinen, dann werden sie versuchen ihnen beibringen selbstständig und vernünftig zu denken. (Meiner Meinung nach hilft das nämlich dabei sich in der Umwelt zurechtzufinden.)
Und es gibt mehr als genug Argumente Religionen aus Vernunftgründen abzulehnen.
Dann noch was zum Thema “biokulturelle Evolution”:
Natürlich hat sich das Gehirn in Laufe der Zeit so verändert, dass es dem Menschen immer besser ermöglichte Religionen auszuüben. Allerdings ist nicht davon auszugehen, dass das der wirkliche Zweck der Veränderungen war.
Die Fähigkeit Muster in der Natur zu erkennen führt zwangsläufig dazu, dass man auch Muster erkennt, die gar nicht da sind (Gespenster…). Auch das finden von Ursachen und Wirkungen gehört dazu.
Deswegen führt die Beantwortung von solchen Fragen (Was ist die Sonne?, Warum regnet es?, Gab es einen ersten Menschen?,…) in früheren Zeiten zu Antworten, über die wir heute lächeln können (es ist natürlich nachvollziehbar, warum die Antworten damals so ausfallen mussten).
Wenn Theologen heute “Gott” als “erste Ursache” des Universums beschreiben, zeigen sie, dass sie das einfache Ursache-Wirkungs-Denken der Steinzeit noch nicht überwunden haben.
Es gibt auch schöne Untersuchungen zum Thema “Religionserziehung” bei Kindern.
Kinder haben im Laufe der Evolution “gelernt”, dass es vorteilhaft ist ihren Eltern alles nachzuahmen, da man dann höhere Überlebenschancen hat (Das ist der biologische Teil). Die Religion nutzt das nun aus, indem Verhaltensweisen weitergegeben werden, die bestenfalls nur Balast sind und schlimmstenfalls zu einer schweren Manie führen können. (meiner Meinung nach eine rein kulturelle Evolution)
Zum Glück gab es in der Evolution auch einen gegenteiligen Effekt. Die Kinder, die alles von ihren Eltern übernahmen, waren nicht so erfolgreich, wie die, die später im Leben neue Dinge ausprobierten (“Skeptiker”). Diese sind dann natürlich eher bereit Atheisten zu werden, wenn sie mit Tatsachen konfrotiert werden, die ihrer Religion widersprechen.
So, das war lang genug…
Viele Grüße,
naturemath
@ naturemath
Lieber naturemath,
danke für Ihren engagierten Beitrag, auf den ich gerne wieder eingehe.
Selbst wenn alle Menschen auf der Welt gläubig wären und alle dieselbe Religion hätten, würden sich in der Nachfolgegeneration Atheisten befinden.
Ja, selbstverständlich. Und wenn alle Menschen auf der Welt nichtgläubig wären, so würden unter den (wenigen) Kindern doch wieder religiöse Überlieferungen und Gemeinschaften entstehen. Und deren Anhänger würden sich in Folgegenerationen durchschnittlich erfolgreicher vermehren. Das Gleiche gälte für andere biokulturelle Veranlagungen z.B. Sprachfähigkeit oder Musikalität. Wir brauchen für Religiosität also keine Zusatzannahmen und ich wundere mich doch sehr, warum so viele Leute – im Gegensatz z.B. zu Darwin selbst – ausgerechnet sie aus dem natürlichen, evolutionären Prozess unbedingt ausklammern wollen…
Wenn die Eltern es gut mit ihren Kindern meinen, dann werden sie versuchen ihnen beibringen selbstständig und vernünftig zu denken. (Meiner Meinung nach hilft das nämlich dabei sich in der Umwelt zurechtzufinden.)
Das sehe ich ganz genau so. Und erziehe meine Kinder auch so. Ob bei Musikalität, Intelligenz oder Religiosität – erzwingen lassen sich Begabungen m.E. ohnehin nicht. Man kann bestenfalls Angebote machen.
Und es gibt mehr als genug Argumente Religionen aus Vernunftgründen abzulehnen.
Das mag sein – und genau das Gleiche könnte z.B. für die Liebe oder Musik gelten. Sich zu verlieben oder musikalisch zu betätigen ist ja auch oft eine sehr irrationale Angelegenheit, die sich kaum logisch begründen lässt. Aber die Evolution scheint ein Faible für liebende, musikalische und glaubende Menschen zu haben – diese vermehren sich nämlich erfolgreicher. Warum auch sollte sich die Evolution entlang von Rationalität entfalten?
Dann noch was zum Thema “biokulturelle Evolution”:
Natürlich hat sich das Gehirn in Laufe der Zeit so verändert, dass es dem Menschen immer besser ermöglichte Religionen auszuüben.
Danke, da sind wir einer Meinung,
Allerdings ist nicht davon auszugehen, dass das der wirkliche Zweck der Veränderungen war.
Evolutionsforschung ist eine historische Disziplin – wir erkunden, wie sich erfolgreiche Merkmale durchgesetzt haben. Ob es überhaupt einen letzten Zweck in der Evolution gibt, entzieht sich der empirischen Perspektive. Vogelfedern haben ihre Karriere nach heutigem Kenntnisstand als Balzschmuck begonnen, wurden dann zu Wärmespeichern und dienen heute auch dem Fliegen. Es wäre etwas gewagt zu spekulieren, zu welchem “Zweck” sie evolviert sind…
Die Fähigkeit Muster in der Natur zu erkennen führt zwangsläufig dazu, dass man auch Muster erkennt, die gar nicht da sind (Gespenster…). Auch das finden von Ursachen und Wirkungen gehört dazu.
Deswegen führt die Beantwortung von solchen Fragen (Was ist die Sonne?, Warum regnet es?, Gab es einen ersten Menschen?,…) in früheren Zeiten zu Antworten, über die wir heute lächeln können (es ist natürlich nachvollziehbar, warum die Antworten damals so ausfallen mussten).
Ja, Religiosität dürfte aus ganz normalen Gehirnfunktionen erwachsen sein, die wir (bzw. die Kolleginnen und Kollegen aus der Evolutions- und Kognitionspsychologie) auch erforschen. Das Gleiche gilt freilich für unser Sehen, Schmecken, Ihre mathematischen und wissenschaftlichen Fähigkeiten. Waren oder sind diese Veranlagungen Ihres Gehirns deswegen “lächerlich”? Nein, sie sind natürlich – und wahrscheinlich respektieren Sie Newtons mathematische Arbeiten, obwohl wir seit ihm weitere Erkenntnisse gewonnen und die meisten seiner Annahmen hinter uns gelassen haben. Mit einiger Wahrscheinlichkeit dürfen kommende Generationen auch über unseren (wissenschaftlichen, philosophischen, religiösen etc.) Erkenntnisstand hinaus wachsen. So what?
Wenn Theologen heute “Gott” als “erste Ursache” des Universums beschreiben, zeigen sie, dass sie das einfache Ursache-Wirkungs-Denken der Steinzeit noch nicht überwunden haben.
Das mag sein. Und wir alle tragen dieses biologische Erbe in uns, das in der Vergangenheit erfolgreich war – und einige von uns geben es weiter. Wir beide sind uns wahrscheinlich sofort einig, dass z.B. die Weltanschauung der Amischen völlig überholt und wissenschaftlich-rational unhaltbar ist. Allerdings sollten wir doch anerkennen, dass sich diese lange als “dumb Germans” verlachten Menschen außerordentlich erfolgreich reproduzieren, während die deutsche Gesellschaft inmitten von Wohlstand, Bildung etc. implodiert…
http://www.chronologs.de/…n-16-jahren-verdoppelt
Das mag uns ärgern. Vielleicht finden wir es ungerecht, meinen, die Evolution solle gefälligst säkulare Bildung und Erziehung favorisieren und die “Brights” zur Speerspitze des Naturgeschehens krönen. Aber wenn wir wirklich wissenschaftlich die Welt erfassen wollen, sollten wir Fakten nicht ausblenden – und die zeigen eben ein ganz anderes Bild. Wenn wir das einfach abstreiten – zeigen wir dann auch, dass wir eben in der Steinzeit stecken geblieben sind!? 😉
Es gibt auch schöne Untersuchungen zum Thema “Religionserziehung” bei Kindern.
Kinder haben im Laufe der Evolution “gelernt”, dass es vorteilhaft ist ihren Eltern alles nachzuahmen, da man dann höhere Überlebenschancen hat (Das ist der biologische Teil).
Nein, das ist schon biokulturell. Denn die imitierten Verhaltensweisen (z.B. Werkzeuge herstellen, Regeln beachten, Benedikt oder Dawkins lesen etc.) sind ja schon nicht mehr nur genetisch fixiert, wobei wir zu allen genannten Kulturleistungen unterschiedlich veranlagt sind.
Die Religion nutzt das nun aus, indem Verhaltensweisen weitergegeben werden, die bestenfalls nur Balast sind und schlimmstenfalls zu einer schweren Manie führen können. (meiner Meinung nach eine rein kulturelle Evolution)
Wer ist denn “die Religion” und wen nutzt sie aus? Wo kommt sie her? Weiter oben haben Sie doch selbst anerkannt, dass sie unseren natürlichen Gehirnfunktionen entspringt. Auch z.B. die Liebe belastet viele Menschen und kann zu schweren Manien führen – nutzt uns deswegen die Liebe aus? Auch sie wird stets kulturell ausgeprägt – und ist dennoch selbstverständlich Teil unseres biologischen Erbes. Denn sie war (und ist) insgesamt reproduktiv erfolgreich. Wie die Musik oder die Religion. Und anders als durch Nachkommen geben wir unsere Gene (und Teile unserer Kultur) nun einmal nicht weiter…
Zum Glück gab es in der Evolution auch einen gegenteiligen Effekt. Die Kinder, die alles von ihren Eltern übernahmen, waren nicht so erfolgreich, wie die, die später im Leben neue Dinge ausprobierten (“Skeptiker”). Diese sind dann natürlich eher bereit Atheisten zu werden, wenn sie mit Tatsachen konfrotiert werden, die ihrer Religion widersprechen.
Ja, deswegen haben sich viele Merkmale (auch die Religiosität) wohl balanciert evolviert – zwar insgesamt aufsteigend, aber sowohl mit Frommen wie Skeptikern in jeder Population. Nicht einmal atheistische Regime wie China, SU oder Nordkorea haben alle Glaubensgemeinschaften auslöschen können, umgekehrt auch “Gottesstaaten” nie alle Skeptiker überwunden. Und wir scheinen uns einig zu sein, dass jeder Mensch die Freiheit haben sollte, seinen jeweiligen Level an Musikalität, Intelligenz, Religiosität und anderen Anlagen ohne Zwang auszuprägen. Der evolutionäre Prozess geht so munter und beobachtbar weiter, und wir sind mittendrin. 🙂
So, das war lang genug…
So möchte auch ich Ihnen weitere Sentenzen ersparen. Und einfach darauf hinweisen, was sowohl Statistik wie Ethnologie inzwischen Dutzendfach belegen: Dass sich religiös vergemeinschaftete Menschen erfolgreicher fortpflanzen. Da sich Ihr Kommentarname auf die Natur und Mathematik bezieht, wissen Sie sicherlich selbst, was dies für die Ausbreitung religiöser Veranlagungen bedeutet – Generation für Generation.
Danke für Ihr Interesse, beste Grüße!
Vielfalt auch im Glauben
@ naturemath
Eine zufriedene Gemeinschaft bekommt mehr Kinder. Das ist zwar für eine starke Religionsgemeinschaft gut – aber weltbevölkerungspolitisch eher kontraproduktiv.
Dass sich Religion entwickelt, ja – aber nur in einem kleinen Rahmen. In einigen Staaten werden andere Religionsgemeinschaften klein gehalten, da gilt die Hauptreligion. Als ich vor einigen Jahren in der Türkei war, war unser Reiseführer nicht gut auf die Aggressivität der Religionsoberen zu sprechen. Und was war nach der Wiederentdeckung Amerikas? Das war keine Evolution!
Ich habe immer wieder Menschen gesprochen: Religion ja – Kirche nein.
Eine bayrische Religionspädagogin war hier in der katholischen Kirche und hielt einen interessanten Vortrag. Sie berichtete aber auch, dass manche Pfarrer versuchten, Menschen „näher“ an den Glauben zu führen, so dass sie im Endergebnis zwischen Leben und Glauben verzweifelten.
Bei der Christianisierung einiger Völker in Afrika kam die katholische Kirche nur zum Zug, wenn sie einen Teil des alten Glaubens der Menschen mit akzeptierte.
Atheisten – Theisten, ich bin begeistert über die vielen High-Tech-Themen in den Heiligen Schriften, das wollen die Theisten so nicht anerkennen. Ein beliebtes Thema ist immer wieder das Fluggerät, das Ezechiel in der Ich-Form beschrieben hat, s. a. UFO-Glauben: Die Apokalypse-Prophezeiung zum 14.10.2008. http://www.chronologs.de/…ezeiung-zum-14.10.2008
Aber Ezechiel sagte auch Ez 12,2: „Diese Leute haben Augen und wollen nicht sehen, haben Ohren und wollen nicht hören!“ Henoch setzt in „Die HH Gottes“ 2, 161.1 noch eins drauf: „Also, an der Wahrheit ist euch wenig gelegen, sondern daran nur, dass ihr in aller Ruhe und voller Behaglichkeit dahinleben könnet, ohne euch im innersten Ernste weiter zu kümmern und zu forschen…“ Die Heiligen Schriften sind eben mehr als nur diese! Und von der Schulwissenschaft zur Realität ist manchmal ein Stück unbegangener Weg.
@ Michael Blume
„Warum gibt es noch Atheisten?“ – Sind denn die Theisten bessere Menschen? Dazu vgl. a. obigen Kommentar.
„Der (r)evolutionäre Erfolg von Religion“ – warum werden dann Kinder von gläubigen Eltern Atheisten?
Die Religionen wurden mehr als weniger immer „von oben“ ausgedehnt. Die Reinheit der Religion (1 Stichwort Hexenverbrennung) – es ging immer um den Machterhalt der religiösen Führer. Dazu gab es mehrere Filme im ZDF – auch über den Kampf der Päpste. Das ist u. a. ein Punkt, warum ein Teil der Leute der Kirche – nicht unbedingt dem Glauben – den Rücken drehen!
Und die Ökumäne in Berlin? Kein gemeinsames Abendmahl! – Auch eine Machtfrage!
@ Klaus Deistung
Lieber Herr Deistung,
herzlichen Dank für Ihren Kommentar! Auf die an mich gerichteten Fragen gehe ich gerne ein.
„Warum gibt es noch Atheisten?“ – Sind denn die Theisten bessere Menschen?
Nein, das habe ich auch nirgendwo behauptet. Sie pflanzen sich jedoch durchschnittlich deutlich erfolgreicher fort. Also stellt sich die Frage, warum es dennoch (noch) nichtreligiöse Menschen gibt – ganz analog dazu, dass ja auch Musikwissenschaftler fragen, warum es Menschen gibt, die weniger musikalisch veranlagt sind, obwohl doch Musikalität allgemein als adaptiv anerkannt ist. Also schlicht berechtigte Fragen, auf die Wissenschaftler Antworten zu suchen haben.
„Der (r)evolutionäre Erfolg von Religion“ – warum werden dann Kinder von gläubigen Eltern Atheisten?
Aus dem gleichen Grund, aus dem auch Kinder von Musikern unmusikalisch sein oder völlig andere Musikstile bevorzugen können. Auch spielen natürlich stets Peers eine Rolle – z.B. dann, wenn Musik bzw. Religion gerade nicht “angesagt” sind. Genetische Vererbung erfolgt immer in weiten Bandbreiten und mit Zwang (“Du lernst jetzt dieses Instrument!” etc.) erreichen Eltern nicht selten das Gegenteil.
Dennoch zweifelt selbstverständlich kein Mensch daran, dass musikalische und religiöse Talente und Prägungen vor allem über das Elternhaus weitergegeben werden. Und wo sie in der Weitergabe religiöser Traditionen versagten, mangelte es bald auch an Enkeln, Urenkeln etc. Zumindest kennen wir keine einzige säkulare Population, die über mehrere Generationen hinweg reproduktiv stabil geblieben wäre.
Die Religionen wurden mehr als weniger immer „von oben“ ausgedehnt. Die Reinheit der Religion (1 Stichwort Hexenverbrennung) – es ging immer um den Machterhalt der religiösen Führer.
Das stimmt einfach nicht. Bei Jägern und Sammlern (und damit dem Umfeld, in dem die Veranlagung überhaupt evolvierte) gibt es keine Führer- und Priesterschichten – dennoch hatten und haben sie komplexe, religiöse Systeme. Der Buddha verzichtete auf Macht und Herrschaft, um seine Lehre zu verkünden. UFO-Gemeinschaften beschuldigen Regierungen regelmäßig der Verschwörung. Voodoo-Kultgemeinschaften entfalteten sich unter Sklaven und waren oft gegen die Unterdrücker gerichtet. Und sowohl Judentum, Christentum und Islam setzten sich aus Randpositionen heraus durch, das Christentum ausdrücklich “gegen” mehrere Jahrhunderte staatlicher Verfolgung:
http://www.chronologs.de/…te-und-siegte-der-eine
Wenn ein Vorurteil populär geworden ist, muss es deswegen nicht stimmen.
Dazu gab es mehrere Filme im ZDF – auch über den Kampf der Päpste. Das ist u. a. ein Punkt, warum ein Teil der Leute der Kirche – nicht unbedingt dem Glauben – den Rücken drehen!
Und die Ökumäne in Berlin? Kein gemeinsames Abendmahl! – Auch eine Machtfrage!
Nun ja, in Ihrer Schilderung scheint “Religiosität” gleichbedeutend mit “katholischer Kirche” zu sein… Erlauben Sie mir dagegen den Hinweis darauf, dass wir im Hinblick auf die (evolutionäre) Religionswissenschaft über weit mehr als die letzten 2.000 Jahre und von abertausenden religiöser Mythologien und Gemeinschaften sprechen, die sich in einem ständigen Wettbewerb befinden. In Brasilien können Sie z.B. derzeit beobachten, wie evangelische Freikirchen das katholische Monopol ablösen – “von unten”, den Entscheidungen vieler Millionen Menschen her:
http://www.welt.de/…_automatisch_katholisch.html
Und hier im Blog finden Sie u.a. Texte zu Judentum, Islam, Amischen, Shaker, UFO-Glaubenden etc. In o.g. Artikel schließlich finden Sie auch einige Seiten über den schnellen Aufstieg und Verfall des US-amerikanischen Methodismus:
http://www.blume-religionswissenschaft.de/…9.pdf
Die religiöse Welt ist viel bunter und dynamischer, als es unsere Eurozentrik sich bisweilen träumen lässt.
Danke für Ihr Interesse, herzliche Grüße!
Religion, Musik, Liebe
Hallo Herr Blume,
an den meisten Stellen in Ihrer Antwort haben Sie sich natürlich genauer und besser ausgedrückt als ich es könnte 🙂 und da kann ich Ihnen meistens auch zustimmen.
Aber ein Punkt ist mir dann doch aufgefallen.
Sie vergleichen Religionen mit Musik und Liebe.
Ist so ein Vergleich denn angebracht?
Auf welcher Ebene führen Sie diesen Vergleich?
Wenn Sie das ganze rein biologisch sehen, dann haben wohl alle drei dazu geführt, dass die Inhaber dieser “Fähigkeiten” erfolgreicher waren als andere (und führen vielleicht heute immer noch dazu).
Allerdings scheint mir Ihre Sicht viel zu sehr auf “Reproduktionserfolg” ausgerichtet zu sein.
Ich bestreite gar nicht, dass Religion zu mehr Kindern führen kann, aber das sagt trotzdem nichts über den Wert von Religionen in der heutigen Gesellschaft aus.
Eine fleischlastige Ernährung mag für unsere Vorfahren gut gewesen sein, aber führt heute eher zu Übergewicht, Herzinfarkten,…
Religion mag früher ein wichtiger Faktor für funktionierende Gruppenzugehörigkeit, Vertrauen, … gewesen sein,
heute sollten wir aber alle gemeinsam daran arbeiten, dass niemand, der es nicht ausdrücklich will (also insbesondere Kinder) dazu “gezwungen” wird.
Schönen Gruß,
naturemath
Balancierte Evolution
Lieber Michael,
ich beschränke mich zunächst auf diesen Punkt:
Ich: Allerdings würde ich nicht unbedingt von einer “balancierten Evolution” sprechen. So, als sei die (Un-)Fähigkeit, an übernatürliche Mächte zu glauben, so etwas wie die Sichelzell-Anämie. Schon von daher finde ich den Vergleich mit der zeitlichen Variabilität beim Vogelzug nicht sehr überzeugend.
Sie: Naja, die “balancierte Evolution” bezieht sich ja auf das Gesamtgeschehen der Evolution von Religiosität. Wir alle sind Teil davon, wie ja auch jeder von uns unterschiedliche Anlagen von Musikalität, Intelligenz etc. aufweist. Da ist m.E. also keine Wertung impliziert.
Um eine Wertung geht es mir auch nicht. Unter einer ‘balancierten Evolution’ verstehe ich das Phänomen, dass ein an sich evolutiv nachteiliges Merkmal (Selektionskoeffizient
…Fortsetzung
…(Selektionskoeffizient kleiner 0; aus Ihrer Sicht der Atheismus) sich infolge bestimmter Umweltbedingungen mit einer bestimmten Frequenz in einer gegebenen Population verbreiten kann. So wie es beispielsweise bei der Sichelzell-Anämie der Fall ist.
Die natürliche Variabilität eines bestimmten Merkmals (Startzeitpunkt beim Vogelzug, Körpergröße, Beginn der Menopause, Musikalität, Intelligenz, Fähigkeit zur Religiosität/Spiritualität, etc) ist m. E. etwas anderes, weil hier jeweils nur ein Merkmal in verschieden starker Ausprägung vorliegt.
Wenn Sie von einer ‘balancierten Evolution” sprechen, erwecken Sie den Eindruck, als handele es bei Atheismus und Theismus um zwei verschiedene Merkmale mit unterschiedlichen Selektionskoeffizienten, die sich eben balanciert in einer gegebenen Population und Umwelt verbreiten können. Dabei sagen Sie doch immer, dass Sie die Fähigkeit zur Religiosität als EIN Merkmal begreifen, welches – vereinfacht gesagt – von Atheismus bis Theismus reicht.
@ naturemath
Lieber naturemath,
danke, dass Sie sich noch einmal Zeit genommen haben! Das tue ich dann natürlich auch gerne.
Sie vergleichen Religionen mit Musik und Liebe.
Ist so ein Vergleich denn angebracht?
Auf welcher Ebene führen Sie diesen Vergleich?
Die Evolution je von Musikalität und Religiosität beim Menschen scheinen sehr große Ähnlichkeit zu besitzen und dürften sich auch historisch verschränkt haben. In GGG sprachen wir das an und ich hoffe, dazu in Zukunft auch noch mehr forschen zu können. Siehe auch hier:
http://www.chronologs.de/…ie-soziale-perspektive
Die Liebe (bzw. genauer: die Fähigkeiten zu lieben) wählte ich schlicht als Hinweis darauf, dass selbst grundlegende Erfolgsmodelle der Evolution (vielleicht erfreulicherweise!?) außerhalb reduktionistischer Rationalität funktionieren.
Wenn Sie das ganze rein biologisch sehen, dann haben wohl alle drei dazu geführt, dass die Inhaber dieser “Fähigkeiten” erfolgreicher waren als andere (und führen vielleicht heute immer noch dazu).
Ja, genau. Und es fasziniert mich immer wieder, dass so viele kein Problem damit hatten, die Evolution von Musikalität oder Liebe über Reproduktionsvorteile anzuerkennen; die Religiosität aber (im Gegensatz zu Darwin selbst!) aus dem Gesamtgeschehen ausklammern wollen. Deswegen hat mich Ihr fairer Diskussions- und Fragestil ehrlich beeindruckt, da habe ich oft anderes erlebt…
Allerdings scheint mir Ihre Sicht viel zu sehr auf “Reproduktionserfolg” ausgerichtet zu sein.
Eine ganze Reihe von Kolleginnen und Kollegen erforscht z.B. inwiefern religiöse Menschen durchschnittlich glücklicher oder langlebiger sind. Das verfolge ich durchaus mit Interesse, aber strikt evolutionär gesehen entscheidet über den Erfolg einer genetischen Veranlagung nur, wie oft sie an kommende Generationen weiter gegeben wird. An ein Kind würden Sie ca. 50% Ihrer Gene weitergeben, an einen Neffen bzw. Nichte oder Enkel(in) ca. 25%. Da ist die Natur tatsächlich sehr mathematisch, @naturemath! 🙂
Und aus diesem Grunde habe ich nach der Diss über Religion & Hirnforschung den Zusammenhang von Religion und Demografie zu meinem Forschungsschwerpunkt gemacht.
Ich bestreite gar nicht, dass Religion zu mehr Kindern führen kann, aber das sagt trotzdem nichts über den Wert von Religionen in der heutigen Gesellschaft aus.
Das sehe ich auch so und habe ich auch selbst so wieder und wieder geschrieben, z.B. im ganzen Schlussabsatz hier:
http://www.chronologs.de/…eist.de/artikel/982255
Ich bin der Auffassung, dass es stets Sinn macht, die empirische Beschreibung und philosophische bzw. theologische Bewertung von Phänomenen zu unterscheiden. Religiosität und Religionen waren und sind insgesamt biologisch erfolgreich – das ist aber noch lange kein Wert- oder Wahrheitsurteil!
Eine fleischlastige Ernährung mag für unsere Vorfahren gut gewesen sein, aber führt heute eher zu Übergewicht, Herzinfarkten,…
…und also niedrigerem Reproduktionserfolg, sprich: Selektionsdruck! Für die Religiosität gilt das nicht, sie wird auch heute noch evolutionär “belohnt”. 😉
Religion mag früher ein wichtiger Faktor für funktionierende Gruppenzugehörigkeit, Vertrauen, … gewesen sein, heute sollten wir aber alle gemeinsam daran arbeiten, dass niemand, der es nicht ausdrücklich will (also insbesondere Kinder) dazu “gezwungen” wird.
Ja, das sehe ich auch so. Religionsfreiheit ist m.E. zu Recht ein unaufgebbares Grund- und Menschenrecht. Eltern können ihren Kindern Angebote musikalischer oder religiöser Frühförderung machen oder nicht, religiöse oder atheistische Verkünder für ihre jeweiligen Weltanschauungen werben etc. Aber niemand sollte zu Religion gezwungen und ebenso niemand für seine Religiosität diskriminiert werden, wie letzteres z.B. in den beiden deutschen Diktaturen des 20. Jahrhunderts der Fall war. Ich trete da ganz klar für unsere freiheitliche (eher: noch freiheitlichere) Gesellschaft auf der Basis unseres Grundgesetzes und der Menschenrechte ein – und sehe auch keinen Grund, warum sich religiöse oder atheistische Menschen vor Freiheit, Wettbewerb und Evolution fürchten müssten.
Schönen Gruß, naturemath
Den Gruß erwidere ich gerne!
@ Balanus: Balancierte Evolution
Lieber Balanus,
danke für den Hinweis – jetzt verstehe ich, was Sie meinen. Ich habe oben noch das Wort “Merkmal Religiosität” ergänzt, um klar zu stellen, dass es selbstverständlich nicht um zwei Merkmale Atheismus vs. Theismus geht, sondern um die unterschiedlich starke Ausprägung des einen Merkmals Religiosität. (Analog stehen ja auch nicht Musikalität und Unmusikalität nebeneinander, sondern es wird Musikalität variabel veranlagt.)
Entsprechend bezieht sich auch der Begriff “balancierte Evolution” auf jede Merkmalsausprägung, in der Kosten und Nutzen abgewogen werden. Das trifft nicht nur auf die Sichelzellen-Anämie vs. Malaria zu, sondern z.B. auch auf die Größe von Hirschgeweihen, wo sich Nutzen v.a. im Rahmen der Revierabgrenzung und sexuellen Selektion mit den Kosten für Wachstum, Gewicht, erschwerte Bewegung etc. ausbalancieren.
Danke für das aufmerksame Lesen und hinweisen, @Balanus!
@ Michael Blume
„Auf die an mich gerichteten Fragen gehe ich gerne ein.“ – Das ist aber gar nicht so selbstverständlich!
So direkt können wir aber Religiösität nicht mit Musikalität vergleichen. Jeder Musiker könnte religiös sein – aber die wenigsten religiösen Menschen werden Musiker. Oder dürfen wir nur Berufsmusiker mit Pfarrer vergleichen? Der Pfarrer hat seit Jahrhunderten die Bibel als Arbeitsgrundlage, der Musiker die Noten – die sich seit Jahrhunderten nicht verändert haben…
(“Du lernst jetzt dieses Instrument!” etc.) Oft wollen Eltern, dass ihre Kinder das erreichen, was sie nicht erreicht haben!
„…setzten sich aus Randpositionen heraus durch, das Christentum “gegen” mehrere Jahrhunderte staatlicher Verfolgung.“ Als sie dann selbst an der Macht waren, praktizierten sie, was gegen sie praktiziert worden war.
Eine schwache moralisch abgesackte katholische Kirche „ließ“ schnell die Protestanten hoch kommen. Und als sie wieder ein gefestigtes System hatten, entfachten sie den 30-jährigen Krieg, um alte Machtpositionen möglichst wieder herzustellen.
„Wenn ein Vorurteil populär geworden ist, muss es deswegen nicht stimmen.“ – Da stimme ich Ihnen natürlich zu. Ihr Beispiel: „Der Glaube aber, dass solche Außerirdischen bereits die Erde besucht und verifizierbare Spuren hinterlassen hätten, widerspricht in der Tat dem wissenschaftlichen Konsens…“ Hier möchte ich auf Ez 12,2 und „Die HH Gottes“ 2, 161.1 verweisen, s. o.
Wenn die Wissenschaft die Religion erklärt – dann bleibt von der Bibel nicht mehr viel übrig, von der Wissenschaft aber auch nicht! Unglaublich, was man da an „Wissenschaftlichkeit“ zu lesen, hören und sehen bekommt – Beitrag möglich.
„Die religiöse Welt ist viel bunter und dynamischer…“ Ich habe mehrfach Beiträge in RF und FS registriert, wo – wie in Madagaskar – die verschiedenen Religionen ohne Probleme nebeneinander leben.
In der ARD gab es auch einen Beitrag, wo von über 300 christlichen Richtungen in Europa gesprochen wurde, die von Genf aus verwaltet werden. Dazu fällt mir ein: Viele Köche verderben den Brei.
Musikalität – Religiosität
Lieber Herr Deistung,
danke für Ihren Beitrag, den ich mit Interesse gelesen habe.
Lassen Sie mich im Hinblick auf den Vergleich von Musikalität und Religiosität ergänzen, dass die von Ihnen angeführte Herausbildung unterschiedlicher “Berufsbilder” den evolutionären Prozess m.E. sehr gut beschreibt.
Erst für die letzten Jahrtausende und im Zusammenhang mit dem Aufkommen von Agrarwirtschaft können wir überhaupt eine entsprechende Differenzierung “beruflicher” Rollen (Musiker, Priester) annehmen, die es als eigenständige Gewerbe so auch bei heutigen Jägern und Sammlern nicht gab und gibt. Dafür wurden musikalische und religiöse Rollen von den verschiedensten bis allen Akteuren innerhalb der überschaubaren Gruppen ausgeübt und waren engstens miteinander verwoben.
Und auch noch lange danach (und z.T. bis heute) wirkten “Musiker” fast ausschließlich in religiösen Kontexten, und bedienten sich umgekehrt “Priester” auch musikalischer Formen.
Erst für die letzten Jahrhunderte haben wir eine wirkliche Ausdifferenzierung der Rollen, wonach jemand “säkularer” Musiker sein und davon leben kann oder umgekehrt z.B. Theologe sein kann, ohne selbst mindestens Chorgesang, Rezitation usw. auszuüben.
Jeder Musiker könnte religiös sein – aber die wenigsten religiösen Menschen werden Musiker. Oder dürfen wir nur Berufsmusiker mit Pfarrer vergleichen?
Nein – aber fast universal schließt religiöse Tätigkeit auch weiterhin das Ausüben von Musik ein. Hörner werden geblasen, Gebete und Mantren rezitiert, Glocken geläutet, Orgeln gespielt etc. Die Gemeinde singt (alle und z.B. ehrenamtliche Chöre), der Koran wird rezitiert (durch alle im Gebet, durch besonders Begabte darüber hinaus), im Buddhismus kann Musik sowohl der Verehrung wie der Meditation dienen usw. Mir ist keine Religionsgemeinschaft bekannt, die ihren Anhängern musikalische Ausdrucksformen nicht wenigstens empfehlen würde. Selbst heute noch, in einer hoch ausdifferenzierten Gesellschaft, bestehen also die Verbindungen fort, die wir für die längsten Phasen der Evolutionsgeschichte annehmen dürfen. Auch dies scheint mir für die hohe Vergleichbarkeit zu sprechen.
Die modernen Musik-Notensysteme gehen übrigens auf klösterliche Ursprünge (so ab dem 9. Jahrhundert n. Chr.) zurück. Auch Ägypter, Griechen etc. hatten bereits erste Notensysteme entwickelt, die meist in religiösen Kontexten Anwendung fanden…
Herzliche Grüße!
@ Michael Blume
In der Grund-Schule hatte ich noch Religionsunterricht. Wir hatte 2 Pfarrer – aber verstanden hatte ich kaum etwas – kindergerecht? Gut, gesungen haben wir auch in der Kirche. Vor um 100 Jahren war das Singen noch verbreitet, weil bei gemeinsamen Hausarbeiten, aber auch durch häufigeren Kirchgang sowieso gesungen wurde. Wer kann heute noch „Volkslieder“? Wir beschäftigen uns nicht mehr selbst – wir werden unterhalten! Da bleibt für die meisten keine Zeit mehr für Gott. Und was sagt die Wissenschaft dazu? Einfach: unwissenschaftlich. Beispiele habe ich schon angeführt.
Dass sich einige ältere Wissenschaftler zu Gott bekennen – wenn sie tot sind, kann man das ja mal erwähnen.
Und wenn jetzt noch etwas von High-Tech in den Heiligen Schriften erzählt wird – das passt weder der Wissenschaft noch der Religion. Da wird lieber die Wissenschaft – aber auch die Bibel – „verbogen“, als der Wahrheit zum Durchbruch zu verhelfen! Und so wächst die Zahl der Atheisten… wobei wir wieder beim Thema sind!
Jetzt kommen noch die 6000 Jahre-Demagogen und finden – mal „neue“ Gedanken – (noch) immer mehr Anhänger. Gut, hier ist die Wissenschaft eindeutig dagegen – wirkt sie aber überzeugend?
Für den Folgenden Abschnitt möchten sich möglichst alle wieder raushalten:
http://grenzwissenschaft-aktuell.blogspot.com/…l
Im Srimad-Bhagavatam, im Zehnten Canto wird ein metallenes Flugobjekt beschrieben. Diese Beschreibung der Flugeigenschaften von Salvas Flugzeug (Baujahr 3200 v. Chr., made in Talatala) stimmt bis in die Details mit heutigen UFO-Augenzeugenberichten aus aller Welt überein: das plötzliche Auftauchen und Verschwinden, das Schweben, die Zickzack-Kurse, das Verdoppeln des Objektes oder das Hervortreten neuer Objekte aus dem ersten. Blog: „Ufo´s finden im Hirn statt!“
Offiziell tun wir so, als ob es so etwas nicht gegeben haben kann! Und so sehen wir die konkreten Beschreibungen bei Moses Berg Sinai, Henoch und Hesechiel auch. Wer fordert das von den Offiziellen in Politik, Wissenschaft, Medien und Religion, die konkreten Überlieferungen zu negieren? Alle machen (noch) mit – und besonders in Deutschland! Die Situation hat sich eindeutig in den letzten 10 Jahren verschlechtert!
Merkmalsausprägungen
Lieber Michael
@Balancierte Evolution: Einverstanden, die Fähigkeit zur Religiosität/Spiritualität ist ein erbliches Merkmal, das beim Erwachsenen in gegensätzlichen Ausprägungen auftritt (Atheismus/Theismus). Das kann man, wenn man so will, als “balancierte Evolution” bezeichnen.
Die Besonderheit der konträren Ausprägungen unterscheidet das Verhaltensmerkmal Religiosität/Spiritualität allerdings von jenen Eigenschaften, die wir Begabungen nennen (Musikalität etc.). Allenfalls die Spiritualität könnte als eine Begabung aufgefasst werden. Religiosität im engeren Sinne (Verhalten gegenüber übernatürlichen Akteuren) (*) ist wohl eher als ein spezifisches Verhalten aufzufassen, das auf dieser allgemeinen Begabung basiert.
Der Begriff Religion bzw. Religiosität ist ohnehin einigermaßen problematisch, da er nur im abendländischen Kulturkreis Sinn macht. Die meisten anderen Sprachen kennen den Begriff gar nicht, weil es dort keine Trennung von Religion und Kultur gibt. ‘Spiritualität’ trifft es aber auch nicht ganz, da dieser Begriff nicht das spezifische Verhalten gegenüber übernatürlichen Akteuren impliziert. Und dieses Verhalten bzw. Vermögen ist bei Kindern, soweit ich weiß, fast ausnahmslos vorhanden – weil es eben genetisch verankert ist.
Die interessante Frage ist ja nun, wieso dieses Verhalten oder diese Fähigkeit, obwohl zunächst vorhanden, bei manchen Menschen verschwindet, bei anderen hingegen modifiziert (rationalisiert) wird. Nach langem Nachdenken 😉 bin ich zu der Überzeugung gelangt, dass dies biologische Ursachen haben muss und nur indirekt mit individuellen Erfahrungen wie etwa erworbenes Wissen oder gar Intelligenz zu tun hat:
Nach meinen Vorstellungen ist die kindliche Religiosität/Spiritualität auf ein spezielles, genetisch bedingtes neuronales Verschaltungsmuster zurückzuführen, das in enger Beziehung zum höheren Bewusstsein steht (Homunculus im Kopf). Mit Beginn des Erwachsenwerdens und im Zuge neu erworbenen Wissens kommt es bei manchen zu einem funktionalen Synapsenverlust hinsichtlich der Glaubensfähigkeit im engeren Sinne. Die allgemeine Spiritualität ist hiervon weniger betroffen. Bei anderen hingegen tritt das neu erworbene Wissen jedoch nicht in Konkurrenz zu jenen Schaltkreisen, die die Religiosität (im engeren Sinne) ermöglichen, die entsprechenden Synapsen bleiben funktional erhalten.
Im Ergebnis haben wir in beiden Fällen ziemlich fest programmierte Strukturen für die individuelle Glaubensfähigkeit, die nicht einfach willentlich gelöst werden können und eine freie Entscheidung für oder gegen den Glauben praktisch unmöglich machen.
Was sagt die empirische Religionswissenschaft dazu?
(*) Ich frage mich, ob eine solche Definition verhaltens- und evolutionsbiologisch wirklich sinnvoll ist. Wenn wir die Heritabilität bestimmter biologischer Eigenschaften und den dadurch bedingten differenziellen Reproduktionserfolg untersuchen, wirken “übernatürliche Akteure” bei der Definition des untersuchten Merkmals leicht unpassend.
Reproduktionserfolg
Religiös orientierte Paare kriegen im Schnitt mehr Kinder. Damit ist aber noch nichts über den Kausalzusammenhang von Religiosität und Kinderzahl gesagt. Offenbar gibt es einen Zusammenhang von Familiensinn und Gemeinschaftssinn mit religiösen Einstellungen. Das heißt, Menschen, die sehr familienorientiert und sozial eingestellt sind, neigen häufig auch zu religiösen Verhaltensweisen. Religiosität wäre demnach lediglich ein Aspekt des ausgeprägten Gemeinsinns und würde dem menschlichen Urbedürfnis nach sozialen Bindungen dienen(*). Die weltweit zu beobachtende höhere Kinderzahl religiöser Paare (im Vergleich zu konfessionsfreien Paaren) wäre demnach nur eine Scheinkorrelation und hätte nichts mit der Religiosität als positivem Selektionsfaktor zu tun.
Ein übliches statistisches Verfahren, mögliche Einflussfaktoren zu identifizieren, ist die logistische Regression. Diese Statistik setzt natürlich voraus, dass alle möglichen Einflussvariablen auch tatsächlich erfasst wurden. Wurde so etwas schon einmal gemacht?
Was klar ist: Auch wenn die Variable Religiosität nicht die erste und wichtigste Ursache für höhere Geburtenraten ist, so kann das Verhaltensmerkmal Religiosität doch davon profitieren (sozusagen als “Trittbrettfahrer”). Ob die Menschheit als Ganzes davon profitiert, steht auf einem anderen Blatt.
Es gibt da eine Schätzung (Population Reference Bureau), wie viele Menschen jemals gelebt haben (rund 106 Milliarden). Bei dieser Schätzung wurden auch die Geburtenraten geschätzt. Die Schätzung beginnt willkürlich mit dem Jahr 50.000 B.C. (Adam and Eve):
Bis zum Jahr 1 A.D. (300.000.000 Menschen) gab es demnach jährlich 80 Geburten pro 1000 Menschen. Eine stolze Zahl, entspricht auch der These, dass damals noch fast alle Menschen an übernatürliche Akteure glaubten.
Um 1850 sieht die Sache schon anders aus. Mittlerweile ist die Weltbevölkerung auf 1.265.000.000 angewachsen, aber es gibt nur noch 40 Geburten auf 1000. Das weist auf eine deutliche Zunahme religionsferner Schichten hin.
Im Jahr 2002 hat sich Zahl der Geburten pro 1000 abermals fast halbiert (auf 23), während sich die Bevölkerungszahl fast verfünffacht hat (auf 6.215.000.000).
Die Schätzungen für die Zukunft sind dramatisch. Der “evolutionäre Erfolg der Religiosität” – wenn es ihn denn gibt – könnte der Spezies Mensch noch schwer zu schaffen machen. Wäre die Religiosität tatsächlich die Ursache für diese Bevölkerungsexplosion der letzten 100 Jahre, dann müsste man eigentlich unbedingt etwas gegen die weitere Verbreitung der Religiosität tun.
Oder? 😉
(*) Nicht zu vergessen: Sozialverhalten und Brutpflege sind stammesgeschichtlich sehr viel älter als die Spiritualität (Geisterglaube), wobei das Religionsverhalten noch jüngeren Datums ist.
@ Balanus
Lieber Balanus,
wow, das Thema scheint Sie ja zu faszinieren! Das sind ja schon Gedanken einiger Tiefe & Qualität..! Gerne gehe ich auch auf Ihre neuen Fragen ein – und wage fast zu hoffen, in Zukunft einmal eigene Forschungsbeiträge von Ihnen zum Thema lesen zu dürfen! Die Motivation und, ja, auch Begabung sehe ich auf jeden Fall, wenn Sie sich auch bisher immer noch fast dogmatisch auf Versuche einer “Widerlegung” von Religiosität festgelegt haben. Aber ich bin zuversichtlich, dass die wissenschaftliche Perspektive überwiegen wird und möchte Sie auf jeden Fall schon einmal ermuntern!!!
So, zu Ihren Fragen: Religiosität ist hier als beobachtbares und (annähernd) quantifizierbares Verhalten klar definiert. Ob die Phänotypen eigene Begrifflichkeiten für ihre Verhaltensmerkmale haben, ist aus der Sicht der Evolutionsforschung nicht vorrangig – die meisten erforschten Arten haben gar keine Sprache.
Zu “Spiritualität” ist mir dagegen noch keine völlig überzeugende Definition begegnet, die entsprechenden Debatten und Forschungen von Kolleginnen und Kollegen verfolge ich gleichwohl natürlich mit Interesse.
Sehr spannend finde ich Ihre Überlegungen zur (genetisch veranlagten und kulturell vermittelten) Ausprägung des Merkmals Religiosität im Lebenslauf. Da gibt es in der Tat einiges, beginnend von einer Hypothese Darwins, über einen neuen Artikel von Alcorta bis hin zu einigen empirischen Daten in den World Value Surveys und den Zwillingsstudien, siehe z.B. bei Bouchard et al. hier (pdf), S. 47: http://www.blume-religionswissenschaft.de/…6.pdf
Für die nahe Zukunft wäre das also sicher ein spannender Forschungsaspekt! Ich könnte mir gut vorstellen, dazu mal etwas zu machen – insofern sich nicht andere finden (denn mein Tag hat auch nur 24h, und die Evolution-Religion-Themen expandieren derzeit…).
Danke für die anregenden Gedanken – forschen Sie doch in Zukunft auch mal zu dem Thema! *Ermutig*
@ Balanus II
So, und jetzt auch zu Ihren Fragen zu Religion – Reproduktion.
Das heißt, Menschen, die sehr familienorientiert und sozial eingestellt sind, neigen häufig auch zu religiösen Verhaltensweisen. Religiosität wäre demnach lediglich ein Aspekt des ausgeprägten Gemeinsinns und würde dem menschlichen Urbedürfnis nach sozialen Bindungen dienen(*). Die weltweit zu beobachtende höhere Kinderzahl religiöser Paare (im Vergleich zu konfessionsfreien Paaren) wäre demnach nur eine Scheinkorrelation und hätte nichts mit der Religiosität als positivem Selektionsfaktor zu tun.
Nein, lieber Balanus. Wir haben ja nicht nur (inzwischen Dutzendfach überprüfte) Korrelationen, sondern auch Fallstudien wie die Amischen, Hutterer, Shaker, orthodoxen Juden, Mormonen usw., deren spezifische Geburtenraten ohne den Einfluss religiöser Faktoren überhaupt nicht erklärt werden können. Umgekehrt gab und gibt es keine säkularen Gemeinschaften, die auch nur über zwei, drei Generationen hinweg vergleichbar erfolgreich gewesen wären. Es kann also kein begründeter Zweifel mehr daran bestehen, dass Religiosität natürlich nicht die einzige Variable ist, aber das Reproduktionsverhalten auch unabhängig von anderen Variablen tiefgreifend beeinflussen kann.
Ein übliches statistisches Verfahren, mögliche Einflussfaktoren zu identifizieren, ist die logistische Regression. Diese Statistik setzt natürlich voraus, dass alle möglichen Einflussvariablen auch tatsächlich erfasst wurden. Wurde so etwas schon einmal gemacht?
Ja, zum Beispiel durch Nicole Brose, Berlin. Siehe hier, in der Zeitschrift für Bevölkerungswissenschaft des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung:
http://www.bib-demographie.de/…6/heft2brose.html
Auch nach ihrer spezifischen Analyse verblieb eine unabhänige, pronatale Wirkung ausgeprägter Religiosität.
Zum Bereich “Reproduktionsvorteil durch Religiosität und die (befürchtete) Überbevölkerung” darf ich auf den Post verweisen, der genau diese Thematik bereits diskutiert(e):
http://www.chronologs.de/…vorteil-durch-religion
Herzlichen Dank für Ihr Interesse, viele Grüße!
Antwort Blume an Balanus 24.10. 12:15 Uh
Hallo Herr Blume,
Kompliment für Ihren sehr anregenden und lebendig geführten blog.
Ich verstehe neben vielem Informativen an einer Stelle etwas nicht.
Balanus fragte nach den Agnostikern – und ich verstehe Ihre Antwort so, als seien diese mit den Atheisten deckungsgleich (der entsprechende Abschnitt folgt am Ende).
Ich empfinde da aber schon einen deutlichen Unterschied. Bisher hatte ich es so verstanden, dass Agnostiker die Frage nach absichtsvoller höherer Macht / höheren Mächten als nicht beantwortbar sehen. Atheisten aber eine solche Macht, solche Mächte als nicht existent betrachten.
Hier der etwas kommentierte Abschnitt aus Ihrer Diskussion:
Balanus: Langer Rede kurzer Sinn: Die eigentliche spannende Frage wäre also: Wo kommen all die Agnostiker her? Und: Seit wann gibt es sie?
Blume: Wie von Boyer et al. beobachtet, gibt es auch unter heutigen Jägern und Sammlern sowohl tief religiöse wie skeptische und pragmatisch balancierende Menschen. Sehr schön ist das m.E. auch am Vergleich von Ost- und Westdeutschen zu sehen, wo sich Mehrheiten je an den Mainstream anpassten, wogegen kleinere Gruppen aus Skeptikern bzw. Gläubigen aktiv wurden und blieben. – Kommentar: dieses Argument benutzen Sie in Ihrem Artikel genauso auch für Atheisten.
Balanus:(Und dann könnte man fragen, ob sich die Population der Agnostiker mangels Reproduktion in einer evolutionären Sackgasse befindet – wobei die Antwort natürlich lauten würde: Nein! Denn schätzungsweise die Hälfte der Kinder religiöser Paare sind zukünftige Agnostiker.) – Frage/Kommentar: Worauf bezieht sich Balanus bei seiner Einschätzung? Wovon lässt sich ableiten, wieviele Agnostiker und wieviele Atheisten werden?
Blume: Und werden also – so zumindest der jetzige Stand – damit ihrerseits durchschnittlich weniger Kinder haben als jene Hälfte der Geschwister, die sich für ein auch religiös geprägtes Leben entschied. Kultur wirkt stets auf ihre biologischen Grundlagen zurück! – Frage/Kommentar: Agnostiker können soweit ich es verstehe sich nicht für oder gegen eine höhere Macht respektive höhere Mächte entscheiden. Ob sie sich für ein religös geprägtes Leben entscheiden können hinge vielleicht u.a. davon ab, ob es nur phänomenologisch und nicht intrinsisch wäre.
Interessierte Grüße einer Frau
Neue Argumente zum “Reproduktionserfolg”
Der “evolutionäre Erfolg der Religiosität” hängt m.E. auch von der jeweiligen Religion ab. Anhänger theistischer Religionen bekommen mehr Kinder als solche, die einer atheistischen Religion nahestehen, wie dem Buddhismus, Janismus, Taoismus oder Konfuzianismus. Welche ihren Blick – anstatt auf übernatürliche Akteure – auf sich selber oder ihre Mitmenschen richten. Mitgefühl mit anderen Menschen zu haben, wirkt sich zwar auch auf „Familienstrukturen“ positiv aus. Allerdings setzen viele dieser Religionen eine bestimmte Lebenserfahrung voraus und sind deshalb für Kinder (noch) nicht verständlich. Die oben genannten Religionen wollen für die Menschen Wege aufzeigen, wie sie gut leben und gut sterben können. Hier ist jedoch Eigeninitiative gefragt, der Mensch wird nicht erlöst, sondern muss sich selbst erlösen. Ist „Reproduktionserfolg“ demnach abhängig, inwieweit sich das Individuum selber organisieren muss?
Dazu habe ich im Internet ein interessantes Buch gefunden (Link unten). Darin wird davon ausgegangen, „daß es zwischen den statistisch zu beobachtbaren „Bevölkerungsvorgängen“, den gesellschaftlichen Ordnungsformen und den individuellen Charaktertypen kausale Zusammenhänge gibt, die sich im Rahmen einer empirisch fundierten „Theorie der Bevölkerungskurve“ erklären ließen“.
Jeder Gesellschaftsform würden bestimmte Kontrollpraktiken entsprechen. In Agrargesellschaften herrsche „Traditionslenkung“ vor, in Industriegesellschaften die „Innenlenkung“ und in Dienstleistungsgesellschaften die „Außenlenkung“. Entsprechend dieser Einteilung nimmt auch die Geburtenrate immer mehr ab.
Wenn man dieses Modell nun übertragen würde und davon ausginge, dass in gewachsenen theistischen Religionsgemeinschaften „Traditionslenkung“ vorherrsche, in Selbsterlösungs-Religionen, wie dem Buddhismus etc., „Innenlenkung“ und in der modernen atheistischen Gesellschaft „Außenlenkung“, käme man dem „Reproduktionserfolg“ von Religiösen wahrscheinlich etwas näher, oder?
http://books.google.com/…page&q=&f=false
@ Frau
Sehr geehrte @Frau,
vielen Dank für Ihre präzise Frage!
Sie schrieben: Bisher hatte ich es so verstanden, dass Agnostiker die Frage nach absichtsvoller höherer Macht / höheren Mächten als nicht beantwortbar sehen. Atheisten aber eine solche Macht, solche Mächte als nicht existent betrachten.
Und da haben Sie auch in der Definition völlig Recht! So findet beispielsweise die Evolutionsforschung (inkl. der Religionswissenschaft) vor der Perspektive des methodologischen Agnostizismus statt – die Existenz übernatürlicher Akteure (wie Ahnen, Gott etc.) kann weder bewiesen noch widerlegt werden, als gemeinsame Arbeitsgrundlage für Atheisten, Agnostiker und Theisten beobachtbar ist also lediglich das Verhalten der natürlichen Akteure.
Insofern sind Atheisten und Agnostiker philosophisch klar zu unterscheiden, da stimme ich Ihnen zu! Sie haben aus empirischer Hinsicht freilich gemeinsam, dass sowohl Atheisten wie Agnostiker seltener eindeutig religiöses Verhalten ggü. übernatürlichen Akteuren (z.B. Gottesdienstbesuch) aufweisen. Und nach allen bisherigen Studien korreliert die Frequenz religiösen Verhaltens sehr viel deutlicher mit der durchschnittlichen Kinderzahl als die religiöse Selbsteinschätzung.
Und ganz streng genommen handelt es sich ja auch bei Selbstaussagen zur Religiosität nur um beobachtbares Verhalten (Was “sagt” jemand in der bestimmten Interviewsituation über den eigenen Glauben.)
Zur Weitergabe religiöser Veranlagungen und Überlieferungen lässt sich ganz klar sagen, dass die Weitergabe genetischer Traditionen ausschließlich über die Fortpflanzung erfolgt, wogegen die Weitergabe kultureller Traditionen sehr viel komplexer ist. (Man vergleiche die Folgen langjähriger, atheistischer Diktatur in Ost- mit der Situation in Westdeutschland!) Nicht zufällig konzentrieren sich zentrale Anliegen religiös verbindlicher Gemeinschaften um Bildungsfragen wie z.B. eigene Kindergärten, Schulen, Homeschooling etc., um neben der biologischen auch die kulturelle Überlieferung möglichst zu sichern.
Vergleichbares gilt aber natürlich für alle biokulturellen Veranlagungen: Beispielsweise Werkzeuge, Sprachen, Musikstile etc., deren Verbreitung ja auch auf biologisch erfolgreichen Grundlagen erfolgt, aber kulturell gestaltet werden kann und muss. Der oben verlinkte Artikel zu Säkularisierungstheorien geht vertieft auf verschiedene Aspekte des Themas ein.
Herzlichen Dank für Ihr Interesse und Ihre präzisen Fragen!
@ Mona: Buddhismus
Vielen Dank für die interessanten Gedanken und den Link!
Und, ja, es gibt in der Tat entsprechende Anzeichen, an einigen werkele ich gerade. Aber die Datenlage ist m.E. noch zu unsicher für abschließende Aussagen, weil sich die real existierenden, religiösen Überlieferungen nicht so einfach an die Schemata halten.
Ein schönes Beispiel ist der Buddhismus, der von Bildungseliten und westlichen Rezipienten häufig sehr philosophisch und a-theistisch rezipiert wird (die prompt entsprechend kinderarm zu sein scheinen). Das Gleiche könnte übrigens umgekehrt für Spitzen christlicher Mystik gelten.
Wo der Buddhismus aber intergenerationale Verbreitung erfahren hat (Thailand, Birma, Tibet etc.), hat er dagegen meist übernatürliche Akteure (wie Ahnen, Götter, Bodhisatvas etc.) in reicher Zahl entwickelt oder adoptiert und prägt praktisch ein quasi- oder polytheistisches Glaubensleben aus.
Das spricht ganz klar für Deine Überlegungen, zeigt aber, dass sich die Abgrenzungen im realen Lebensfluss auch verwischen.
Zum 1. November werden wir ja von Dir einen sehr schönen Beitrag zum Zen-Buddhismus lesen, da lässt sich ja weiter diskutieren! *Freu*
@Frau
Folgende Frage wurde Ihnen noch nicht beantwortet:
Balanus:(Und dann könnte man fragen, ob sich die Population der Agnostiker mangels Reproduktion in einer evolutionären Sackgasse befindet – wobei die Antwort natürlich lauten würde: Nein! Denn schätzungsweise die Hälfte der Kinder religiöser Paare sind zukünftige Agnostiker.) – Frage/Kommentar: Worauf bezieht sich Balanus bei seiner Einschätzung? Wovon lässt sich ableiten, wieviele Agnostiker und wieviele Atheisten werden?
Meine Aussage bezieht sich auf eine britische Studie von Voas und Crockett (Religion in Britain: Neither Believing nor Belonging. Sociology 39, 2005: 11-28). Dort heißt es im Abstract:
“In relation to the rates at which religion is transmitted from parents to children, the results suggest that only about half of parental religiosity is successfully transmitted, while absence of religion is almost always passed on.”
So wie in Britannien dürfte es sich in den meisten westlichen Ländern verhalten (mit Ausnahme der USA vielleicht, dort ticken die Uhren anders).
@ Balanus
Vielen Dank für die konkrete Zitation!
So wie in Britannien dürfte es sich in den meisten westlichen Ländern verhalten (mit Ausnahme der USA vielleicht, dort ticken die Uhren anders).
Die Säkularisierungsraten unterscheiden sich in der Tat nicht nur zwischen Gesellschaften (und dort stark im geschichtlichen Verlauf), sondern auch innerhalb von Populationen und Religionsgemeinschaften. So bröckeln tendenziell liberale Gemeinschaften schneller als konservativ-verbindliche (vgl. Sosis):
http://www.chronologs.de/…kostet-ist-nichts-wert
Vgl. auch @naturemaths entsprechende Beobachtung, wonach die “leicht” religiösen Eltern zwar drei Kinder hatten, diese sich aber (zumindest derzeit) alle der Religion(en) entfremdeten.
Ganz entschiedene Gemeinschaften wie die Old Order Amischen übertragen ihre Religionszugehörigkeit (hier im Sinne der Erwachsenentaufe) in über 80% der Fälle.
http://www.chronologs.de/…n-16-jahren-verdoppelt
Tendenziell scheint auch ein starker Zusammenhang zur Gemeindegröße zu bestehen: In zu großen “anonymen” Strukturen scheinen Mitglieder seltener aktiv zu bleiben als in vertrauten Kleingruppen. Aber (auch) dazu sind die Forschungen eher am Anfang denn am Ende, es gibt noch viel zu erkunden!
Erblichkeit der Religiosität
Ich denke, dieser Wert von rund 50% könnte ganz gut passen, wenn es um die tatsächliche Erblichkeit geht, die ja von den sozialen Randbedingungen unabhängig sein sollte. Alles, was in spezifischen Gemeinschaften oder Gesellschaften darüber oder darunter liegt, dürfte auf das Konto sozialer Drücke gehen.
(das ist gewissermaßen meine Arbeitshypothese 😉
@ Balanus
Interessanter Gedanke – und ja, Bouchard & Kollegen kamen ja bei der Analyse von Zwillingsstudien etwa in den gleichen Bereich:
http://www.chronologs.de/…-der-verhaltensgenetik
Das spräche also in der Tat für Ihre Arbeitshypothese. (Und würde für freiheitliche Gesellschaften ein derzeit geradezu beängstigend schnelles Evolutionstempo nahelegen! Gleichzeitig aber auch erklären, warum wir für historische Gesellschaften, für die wir solche “kostengünstigen” individuellen Wahlmöglichkeiten nicht voraussetzen können, von “Drücken” und also langsameren Tempo ausgehen könnten… *Weitergrübel* Sie sehen, Ihre Idee arbeitet schon! 🙂 )
Übrigens, auch an @naturemath, wir hatten jetzt wiederholt über die Bedeutung des Generationen übergreifenden Reproduktionserfolges debattiert, ich hatte dabei jedoch völlig vergessen, auf ein nettes Video der Biologen der Uni Tübingen hinzweisen:
http://www.chronologs.de/…erleben-oder-berlieben
Allen Lesern und Kommentatoren wünsche ich einen heiteren Moment der informativen Entspannung & Unterhaltung! 🙂
@ Michael Blume am 29.10.09
Lieber Michael, hier noch ein paar Anmerkungen zu Ihren Antworten weiter oben:
»… das Thema scheint Sie ja zu faszinieren!«
Hier kommen eben zwei Themen zusammen, über die ich mir gerne Gedanken mache (Evolution und die Frage, was Menschen – biologisch – zu Atheisten oder Theisten macht). Da habe ich mich natürlich gefreut, als ich vor kurzem Ihren Blog hier entdeckte.
»Das sind ja schon Gedanken einiger Tiefe & Qualität..!«
Ich strenge mich eben an und versuche, auch mal was Neues zum Thema zu schreiben – was leider nicht immer gelingt (habe auch nicht alle Ihre rund 80 Beiträge inklusive Diskussionen durchgelesen – sorry!)
»…wenn Sie sich auch bisher immer noch fast dogmatisch auf Versuche einer “Widerlegung” von Religiosität festgelegt haben.«
Betonung auf “fast”… Mir ist es halt noch nicht gelungen, dem Begriff “Religiosität” einen konsistenten biologischen Inhalt zu geben – wenn man mal davon absieht, dass sowieso alles, was Lebewesen anbelangt, natürlich (auch) mit deren Biologie zu tun hat.
»… – die meisten erforschten Arten haben gar keine Sprache.«
Der Punkt geht an Sie 😉
Was mich aber auf den Gedanken bringt: Was käme dabei heraus, wenn außerirdische Intelligenzen seit Jahrtausenden das Evolutionsgeschehen auf der Erde beobachten würden und dabei vor allem die weit verbreitete Spezies Mensch im Auge hätten, aber nicht imstande wären, deren Sprachen zu entschlüsseln. Würden sie anhand der vielfältigen sozialen Verhaltensmerkmalen und Verhaltensweisen erkennen können, dass für einen Teil der Menschen die Existenz übernatürlicher Akteure real ist? Und dass dieses Merkmal ursächlich für den evolutionären Reproduktionserfolg dieser Menschen ist? Würden sie tatsächlich feststellen, dass – global betrachtet – bestimmte asexuelle Verhaltensweisen und Rituale die Fertilität positiv beeinflussen?
Kurz: Ich frage mich, ob wir den nötigen Abstand haben, die Religiositäts-Reproduktions-Frage unvoreingenommen zu untersuchen. Bekommen wir falsche Antworten, weil wir die falschen Fragen stellen?
Zum Reproduktionserfolg
Nicole Brose (2006) schreibt: »Im Ergebnis dieser Untersuchung wird gezeigt, dass Protestanten und Katholiken auch unter Kontrolle von sozioökonomischen Merkmalen im Schnitt um 0,25 Kinder reicher sind als Personen ohne religiöse Zugehörigkeit.«
Dieses geringe Plus von 0,25 Kinder erklärt, warum der rund 50%ige “Verlust” (jedes zweite Kind religiöser Paare wird später agnostisch/atheistisch) nicht ausgeglichen werden kann und Deutschland unaufhaltsam in eine agnostisch/atheistisch dominierte Zukunft schlittert. Traurige Aussichten 😉
Nun weiß ich aber nicht, inwieweit psychosoziale Faktoren, die das “Religionsverhalten” sehr wahrscheinlich auch beeinflussen, berücksichtigt worden sind.
Wir haben ja nicht nur (inzwischen Dutzendfach überprüfte) Korrelationen, sondern auch Fallstudien wie die Amischen, Hutterer, Shaker, orthodoxen Juden, Mormonen usw., deren spezifische Geburtenraten ohne den Einfluss religiöser Faktoren überhaupt nicht erklärt werden können.
Nun gut, lassen wir das mal so stehen. So richtig überzeugt bin ich allerdings nicht, was die kausalen Zusammenhänge angeht. So lange ich keine umfassende und sauber durchgeführte Statistik zu den Einflussfaktoren gesehen habe, habe ich meine Zweifel. Und gerade diese ganz speziellen Religionsgemeinschaften scheinen mir wenig geeignet zu sein, weil hier ja eine Menge weiterer Faktoren ins Spiel kommen, die den Faktor ‘genetisch bedingte Glaubenfähigkeit’ maskieren können. Würde es sich nicht um Menschen, sondern um Tiere handeln, wäre der Nachweis eines Einflusses genetisch bedingter Verhaltensmerkmale auf die Fortpflanzungsrate sicher einfacher zu führen. Aber, letzter Satz: denkbar ist es durchaus, dass die erbliche Fähigkeit zur Religiosität auf irgend eine Weise mit einem Hang zu größeren Familien assoziiert ist (vielleicht liegen die zuständigen, verhaltenssteuernden Allele auf dem gleichen Chromosom? ;-). Und schlussendlich trägt auch die sexuelle Selektion das ihrige dazu bei (siehe Ihre “Gretchenfrage”).
Zum Bereich “Reproduktionsvorteil durch Religiosität und die (befürchtete) Überbevölkerung” darf ich auf den Post verweisen, der genau diese Thematik bereits diskutiert(e):…
Ich teile Ihre Hoffnung nicht, dass die Überbevölkerung “erfreulicherweise” ausfällt.
Würde sich der Bevölkerungszuwachs global gleichmäßig verteilen, wäre er vielleicht weniger dramatisch. Aber die Bevölkerung wächst praktisch nur in den weniger entwickelten Ländern, also dort, wo die “reproduktive Fitness” der zumeist religiösen Menschen besonders hoch ist. Insgesamt wird die Menschheit wohl auf 10 Milliarden anwachsen, und zwar noch in diesem Jahrhundert. Dann werden 9 Milliarden Menschen die gleichen Lebensstandard anstreben wie die übrige eine Milliarde in den besser entwickelten Ländern. Das wird noch lustig.
Schaut man sich die Fertilitätsraten der Ärmsten der Armen an, so stellt man fest, dass diese zum Teil vergleichbar sind mit denen aus prähistorischen Zeiten (8,0 bis 8,5 in Eritrea, Madagaskar, Niger und Uganda, in dieser Reihenfolge). Ist Armut etwa evolutionär von Vorteil?
(An dieser Stelle sollte ich vielleicht noch einmal erwähnen, dass mir die Rede von reproduktiven Vorteilen bei Vorliegen bestimmter Merkmale innerhalb der Menschenpopulation wenig sympathisch ist. Mir behagt eher die Vorstellung, dass die Menschen sehr verschieden sind und darum auch unterschiedlich viele Nachkommen in die Welt setzen. Natürlich darf und soll man erkunden, welche Faktoren und Einflüsse dabei eine Rolle spielen. Aber mit Aussagen zum evolutionären Vorteil gewisser Merkmale allein aufgrund aktueller Fertilitätsraten sollte man doch vorsichtig sein).
Aber wir kommen vom Thema ab. Warum gibt es immer noch Atheisten? Weil nicht nur Atheisten, sondern auch Theisten für atheistischen Nachwuchs sorgen – in unseren Breiten mehr, auf der Südhalbkugel weniger.
Biologistisches Glatteis? @Michael B.
Begibst Du Dich mit dem Vergleich von unterschiedlichem Vogelflugverhalten und der Intensität von religiösem verhalten auf ein biologistisches Glatteis? Ähnlich, vergleichbar aber nicht gleichzusetzen, zu der Analogie von Genen und Memen (bei Dawkins), die zu biologistischen Interpretationen, Kurzschlüssen verführt.
Die Regeln natürlicher und die der kulturellen Evolution sind sicher zu unterschiedlich. Unterschiedliches Vogelflugverhalten evolviert sicher natürlicher und deshalb gleichmäßiger als die unterschiedliche Intensität von Religiosität. Letzteres kann sehr sprunghaft wechseln, ist also weniger naturhaft, eher kulturell vermittelt – wie z.B. die Geschichte des letzten Jahrhunderts zeigt: Es kann auch einmal ein Abbruch von Religiosität in wenigen Generationen erfolgen. Wenn auch in diesem Abbruch bei manchen anti-religiösen Äußerungen sehr starke religiöse Inbrunst festzustellen ist (oder der sich als antireligiös verstehende Marxismus starke Züge hat von religiöser Gläubigkeit), so ist doch sicher *feststellbare* Religiosität sehr starken Wandlungen unterworfen. Da bringt der Vergleich mit Beobachtungen aus dem Bereich der Biologie doch nicht mehr so viel.
Die allgemeine soziale Lage (siehe irgendwo ein Aufsatz von Boyer, auf den wohl Du hingewiesen hast), der Anpassungsdruck in einer Gesellschaft ff dürften stärker sein als Wirkungsweisen in Analogie zur biologischen Evolution.
Bin mal wieder hier 😉 (und im November sicher weitgehend wieder weg). Mitgelesen habe ich öfters; aber immer öfters nicht “zeitnah”. Und auch diese Diskussion etwas lückenhaft, mit intensiver Beachtung von Balanus! Aber diesen Zwischeneinwurf und die beiden anderen, englischen, wollte ich denn doch schnell, na ja zu mitternächtlicher Stunde, machen.
Bis dann wieder.
Basty
@ Basty
Hallo Basty,
schön, dass Du mal wieder da bist! 🙂
Du hättest Recht, wenn ich behaupten würde, der jeweilige, religiöse Level wäre biologisch determiniert – was ich aber ja gerade nicht tue.
Vielmehr beobachten wir quer durch alle Populationen unterschiedlich starke Veranlagungen, sich religiös zu vergemeinschaften oder skeptisch zu verhalten – denke beispielsweise an jene Skeptiker, die sich in der Bundesrepublik früh von den Kirchen absetzten oder umgekehrt jene Ostdeutschen, die trotz massiver staatlicher Diskriminierung in ihren Kirchen blieben etc. DIe Menschen sind ganz offenkundig unterschiedlich “religiös musikalisch” – was die einen mitreißt, lässt andere (noch) kalt etc.
Und auch die Zwillingsstudien verweisen ja auf eine teilweise Erblichkeit, aber gerade nicht eine gleichmäßige Verteilung von Religiosität (auf die dann kulturelle Überlieferungen aufsetzen können).
Die Grundfrage war und ist also einfach: Warum ist Religiosität (wie z.B. auch Musikalität) bei Menschen in so einer Bandbreite veranlagt? Und nicht, wie etwa das Sprachvermögen, sehr dicht beeinander? Und da war der Hinweis von Dr. Gamerdinger m.E. sehr überzeugend, weil das Vogelflug-Beispiel die gleiche Frage als Risikoverteilung beantworten kann. Und das passt nicht nur zu allgemeinen Beobachtungen, sondern auch z.B. zur Situation unter Jägern und Sammlern und der unterschiedlichen Verteilung religiöser Veranlagungen je unter Frauen und Männern.
Ganz klar: Wir sprechen hier noch von Hypothesen, die haben noch viele Feuerproben vor sich. Aber mich überzeugt die Hypothese balancierter Evolution stärker als z.B. (ebenfalls denkbare) Modelle, wonach Nichtreligiöse einfach “zurückgeblieben” wären. Heute mag der Reproduktionsvorteil der Religiösen massiv sein, unter Jägern und Sammlern kam es sicher auch auf die stets richtige Balance aus Glauben und Skepsis an.
Beste Grüße!
@Blume und @Balanus
Hallo Herr Blume und hallo Balanus,
Leider sehr spät noch eine Anmerkung zum Thema Agnostizismus.
Danke für die Quelle, Balanus – leider finde ich darin keinen Hinweis auf Agnostizismus sondern auf elterliche Religiosität und ob die tradiert wird oder nicht.
Warum ich so darauf herumreite? Ich habe das Gefühl, echter Agnostizismus wirklich nicht glauben zu können und eben auch keine Sicherheit (vielleicht Glauben?) der Ablehnung – also nicht etwa der politisch korrekte wissenschaftliche Standpunkt als Ausgangspunkt für sauberes Forschen ist etwas sehr anderes als Atheismus.
Und ist, wenn es so wäre für mich ein ein wichtiger Ausgangspunkt den es zu beforschen gälte.
Ach so und eine Anregung – ich fände es toll, wenn die neuesten Beiträge in der Reihenfolge oben stünden.
Herzlichen Dank und Grüße in die Runde
eine Frau
Natürliche vs. kulturelle Evolution
Ad Basty Castellio
»Die Regeln natürlicher und die der kulturellen Evolution sind sicher zu unterschiedlich.«
Das sehe ich auch so. Für die biologische Evolution gelten klar definierte Mechanismen, die sich nicht 1:1 auf andere Entwicklungsprozesse übertragen lassen. Kultur ist zwar an Organismen und somit auch an die Evolution gebunden, aber die Weitergabe von Kulturleistungen an Zeitgenossen oder an die nächste Generation erfolgt nach völlig anderen Gesetzmäßigkeiten. Für den Menschen haben sich – kulturbedingt – einige Selektionsfaktoren drastisch geändert. Das ändert aber nichts daran, dass auch unter den vom Menschen geschaffenen Bedingungen weiterhin biologische Evolution stattfindet.
Man kann den Begriff Evolution natürlich auf alle möglichen Entwicklungsprozesse anwenden. Man sollte sich nur klar darüber sein, dass es nur hier und da gewisse Ähnlichkeiten zum biologischen Evolutionsgeschehen gibt.
»Unterschiedliches Vogelflugverhalten evolviert sicher natürlicher und deshalb gleichmäßiger als die unterschiedliche Intensität von Religiosität.«
Mein Hauptkritikpunkt an dieser Stelle ist, dass die Religiosität das Phänomen Atheismus nicht mit einschließt. Die gängige Definition von Religiosität lautet ja: “Verhalten gegenüber übernatürlichen Akteuren”. Wer kein Verhalten gegenüber übernatürlichen Akteuren zeigt, gehört per Definition demnach nicht zur Gruppe der Religiösen.
Der Unterschied zwischen Agnostiker/Atheisten und Religiösen/Theisten ist vielleicht vergleichbar mit dem Unterschied zwischen Zugvögeln und Standvögeln. Und zwar genau in dieser Reihenfolge!(1)
Die Variabilität der Abflugzeit der Zugvögel kann demzufolge nur als Analogie für die Variabilität der Religiosität innerhalb der Gruppe der Religiösen dienen, die Atheisten sind da nicht mit eingeschlossen.
Um es auf den Punkt zu bringen: Es gibt m.E. keinen fließenden Übergang vom Atheismus zum Theismus. Die Nahtstelle zwischen beiden Lagern ist besetzt von Menschen, die keine klare Haltung in dieser Frage haben. Formal könnte man die Hälfte davon zu den Atheisten, die andere Hälfte zu den Theisten rechnen.
—
(1) Man weiß nicht genau, was zuerst da war, der Zugvogel oder der Standvogel, vermutlich gab es den Standvogel etwas früher. Auf jeden Fall aber beruht das Zug- oder Standvogelverhalten auf unterschiedlichen Genkombinationen. Und das gibt es sogar innerhalb ein und derselben Art (z.B. bei verschiedenen Populationen der Mönchsgrasmücke). Und es gibt Zwischenstufen (Teilzugverhalten). Alles in allem also eine schöne Analogie zu den genetisch unterschiedlichen Menschentypen Homo religiosus und H. areligiosus und denen dazwischen. Und das ist absolut kein “biologistisches Glatteis”, meiner Meinung nach 🙂
Agnostizismus
Sehr geehrte @Frau,
ich würde Ihnen soweit zustimmen, dass es so etwas wie eine völlige Neutralität in religiösen Fragen nicht gibt: Wir alle tragen implizite Vorannahmen mit uns herum und schwanken auch in unseren Haltungen (welcher Glaubende hat nie gezweifelt, welcher Agnostiker nicht ein Stoßgebet gehaucht etc.). Ich stimme Ihnen auch zu, dass es dazu mehr Forschung geben sollte – es gibt noch unendlich viel zu tun und zu erkunden!
Wegen der Blogkommentar-Reihenfolge hatten wir beim letzten Bloggertreffen in Deidesheim abgestimmt, da es unterschiedliche Regeln gab und viele Leser verwirrt waren. Die Mehrheit war der Auffassung, dass Diskussionen von oben nach unten gelesen würden, ich bin diesem Beschluss im Hinblick gefolgt.
Zum Thema Religion – Atheismus – Demographie hat sich dieser Tage übrigens auch der englische Oberrabbi Sacks geäußert:
http://www.telegraph.co.uk/…ays-Chief-Rabbi.html
Herzlichen Dank für Ihr Interesse, viele Grüße!
@ Balanus: Danke!
Lieber @Balanus,
ja, variables Zugverhalten innerhalb der Population, aber auch nicht ziehende Vögel gibt es z.B. bei den Rauchschwalben.
Aber Sie haben meine Antwort vorweg genommen und, ehrlich gesagt, besser formuliert, als ich selbst vermocht hätte.
Danke.
Und (weiter wachsende) Hochachtung! Sie haben das Thema nach doch recht kurzer Zeit wirklich durchdrungen!!!
Agnostizismus und Vogelflug
@ Frau
Oh, da hatte ich doch glatt übersehen, dass es Ihnen speziell auf den Unterschied zwischen Agnostizismus und Atheismus ankam.
»Ich habe das Gefühl, echter Agnostizismus wirklich nicht glauben zu können und eben auch keine Sicherheit (vielleicht Glauben?) der Ablehnung […] ist etwas sehr anderes als Atheismus.«
Wie Sie sicherlich gemerkt haben, gebrauche ich die beiden Begriffe ziemlich undifferenziert. Das kommt daher, weil ich eine genetische Disposition zur Religiosität bzw. zur Nicht-Religiosität vermute (Religiosität im Sinne von Glauben an das Wirken übernatürlicher Akteure). Nicht-Religiöse können Agnostiker oder Atheisten sein. Für meine Überlegungen brauche ich keine Unterscheidung zwischen diese beiden Formen. Wenngleich es logischerweise auch genetisch bedingte “Zwischenstufen” geben muss.
Das heißt, aus dem Gen-Ensemble, das für die Religiosität bzw. Nicht-Religiosität verantwortlich ist, ergibt sich keine eindeutige Zuordnung. “Mischformen” sind bei Organismen ja nichts Ungewöhnliches. Das Ergebnis sind Menschen, die entweder zwischen beiden Lagern hin und her schwanken oder etwa eine eher agnostische Position einnehmen. Oder mehr zur religiösen Seite hinneigen. Dann befolgt man vielleicht religiöse Rituale, glaubt aber nicht wirklich an ein Leben nach dem Tod. Auf jeden Fall fällt die dichotome Einordnung in diesen Fällen schwer.
Vielleicht können bei diesen eher Unentschiedenen auch kulturelle Einflüsse (stärker) zum Tragen kommen. Dann hängt es auch von der Erziehung oder dem sozio-religiösen Umfeld ab, ob man ein religiöser Ungläubiger oder ein ungläubiger Religiöser wird. Wie auch immer, eine wirklich freie Willensentscheidung scheint es bei der (Nicht-)Religiosität nicht zu geben.
(Mir ist klar, dass Ihnen meine Spekulationen nicht viel weiter helfen werden, aber wie Herr Blume schon andeutete: die Dinge sind komplex und wie alles Subjektiv-Geistige nur schwer zu erforschen).
—
@ Michael
Ich habe zu danken, lieber Michael!
Dank Ihres Blogs habe ich einige meiner diffusen Gedanken mal ordnen und klarer durchdenken können. Und außerdem habe ich was über das Verhalten von Zugvögeln gelernt 😉
Skeptiker vs andere Religion
Hallo,
ich les jetzt schon ne Weile af Ihrem Blog und bin immer noch ganz fasziniert, allein schon vom Forschungsgebiet.
Jetzt hat sich mir eine Frage gestellt (vielleicht haben Sie auch schon nen anderen Artikel dazu geschreiben, dann bitte ich um den Link):
Sie stellen die Verteilung der Anlage der Religiosität dar vom Orthodoxen über den Pragmatiker zum Skeptiker. Mir leuchtet sofort ein, warum es von Vorteil ist, wenn die Masse pragmatisch bleibt und kleine Grppen an den Rändern sozusagen neues Terrain auf Lebbarkeit testen. Wie wäre dann in diesem System die Entwicklung neuer Religionen abzubilden? Welchen Vorteil hat es, wenn plötzlich eine Anzahl von Individuen einen eigenen Kult startet? Heute kann man in solchen Fällen ja oft Aggressivitäten beobachten.
Ich kam auf den edanken beim Nachdenken über den Unterschied zwischen den Atheisten und den Skeptikern in Ihrem Artikel, mir scheinen die “Brights” nicht so recht in die Sparte Skeptiker aus dem Bereich des Christentums zu passen, ich schätze es wäre eher eine eigene Religion (auch wenn sie den Terminus ablehnen dürften) mit pragmatisch, orthodox und skeptisch ausgeprägten Vertretern.
@Bundesbedenkenträger
Vielen Dank für Ihr Interesse! Und Sie sehen das m.E. schon ganz richtig: Die kulturelle Evolution – die dann auch auf Demografie etc. rückwirkt – entfaltet sich über Vielfalt. So entstehen ständig abertausendfach neue religiöse Varianten innerhalb etablierter Religionsgemeinschaften (z.B. neue Lesarten, Laienbewegungen, Orden) wie auch außerhalb (Abspaltungen, aber auch externe Neugründungen). Die “Brights” würde ich daher auch nicht als skeptischer Flügel des Christentums betrachten, sondern als eine Neugründung im Bereich der atheistisch-humanistischen Weltanschauungen (und entsprechend kinderarm 😉 ).
Diese Vielfalt entsteht also ständig, es scheitern jedoch die allermeisten Varianten früh und meist unbemerkt auch wieder. Einige aber setzen sich (meist auch demografisch) durch und wachsen zu neuen, religiösen Angeboten und Traditionen.
Übrigens: Ganz neu ist diese Beobachtung gar nicht. Man beachte, wie Rabbiner Gamaliel laut Apostelgeschichte Religionsfreiheit im 1. Jht. n.Chr. begründet! (Apg. 5, 27 ff.)
http://alt.bibelwerk.de/bibel/nt/apos005.htm
@Michael Blume
Danke für die Antwort. Ich hätte jedoch noch eine Rückfrage: Sie sagen, die Brights würden eine geringe Zahl an Nachkommen haben, also wie die Skeptiker innerhalb der einzelnen Religionen.
Nun stellen die Brights aber eine eigene “Religion” dar. Demnach müßte es Kriterien geben, nach denen man die einzelnen Religionen einteilen kann in Bezug auf die Nachkommenanzahl. Denn sonst müßte man ja sagen: Liberale Christen haben wenige Kinder, konservative Christen haben viele Kinder. Ebenso beim Islam etc. Und bei den Brights? Sicher hat es irgendwo was mit Konservativität zu tun. Ich frage mich, ob man das genauer fassen kann. Bzw ist es nicht möglich, daß die Brights einen konservativen Flügel entwickeln, der sich ähnlich erfolgreich fortpflanzt wie die Amish?
@Bundesbedenkenträger
Im Rahmen der Evolutionsforschung wird Religiosität definiert als Glauben an (bzw. Verhalten zu) überempirischen Akteuren. Weltanschauliche Systeme ohne solche überempirischen Akteure sind entsprechend keine Religion – und die Brights würden das auch von sich weisen, verstehen sich ja als religionskritisch.
Bislang ist demografischer Erfolg über mehr als ein Jahrhundert hinweg nur von Religionen belegt, reproduktiv dauerhaft erfolgreiche Weltanschauungen (Sozialismen, nicht-theistische Nationalismen, Humanismen, Brights etc.) sind bislang nicht bekannt.
Eine Titelgeschichte & Einführung in die Evolutionsforschung zu Religiosität und Religionen kann hier kostenfrei herunter geladen werden:
http://www.gehirn-und-geist.de/artikel/982255
Hallo
Ich bin Atheist und und Naturwissenschaftler. Und für ihre statistik: ich bin Einzelkind und selbst kinderlos.
Meinen Unglauben könnte man mit 2 Quellen belegen: “Der Gotteswahn” von Richard Dawkings und der Begriff der Wissenschaftlichkeit von Popper.
Ich bin zu folgenden Aussagen gekommen:
a Viele Dinge, die in der bibel oder anderen religiösen Werken geschrieben sind, sind nach heutigem Erkenntnissstand einfach nur falsch (z.B. Schöpfung).
b Viele Religiöse Aussagen sind prinzipiell weder beweisbar noch wiederlegbar und damit aus naturwissenschaftlicher Sicht irrelevant (nicht aber aus philosophischer).
c Es besteht keine logische Notwendigkeit zur Annahme der Existenz übernatürlicher Wesen.
Dann nehme ich Ochams Rasiermesser und sage: Gott ist eine zusätzliche Annahme, die nicht wirklich etwas erklärt. Aus pragmatischen Gründen handle ich deshalb so, als ob es ihn nicht gibt. Somit verzichte ich auf absurde Verhaltensregeln und Abhängigkeiten und mache, was ich für richtig halte.
Zur Frage “Warum gibt es noch Atheisten?” sage ich:
Atheisten entstehen durch selbstständiges Nachdenken und durch das Überzeugen anderer durch wissenschaftliche Argumente.
PS: Dies ist nur meine persönliche Meinung. Ich bin weder prinzipiell gegen Religion noch soll dies als Beweis für oder gegen irgentetwas (z.B. Gott) dienen.
@Uwe Zimmermann
Vielen Dank für Ihre Meinung, die ich gerne so stehen lasse.
Auf dem Blog “Natur des Glaubens” geht es vor allem um die wissenschaftliche Frage, wie Religiosität und Religionen evolvier(t)en. Für dieses Thema können sich Atheisten, Agnostiker und Theisten gleichermaßen interessieren – und so hoffe ich, dass es auch weiterhin Ihr Interesse findet. Ich würde mich freuen.