Schaut auf dieses Gehirn – Arvid Leyh im Blog-Interview
BLOG: Natur des Glaubens
AL: dasGehirn.info ist ein gemeinsames Projekt der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung und der Neurowissenschaftlichen Gesellschaft e.V. in Zusammenarbeit mit dem ZKM | Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe. Und diese Partner weisen schon auf einige der Besonderheiten der Website hin.
Die NWG als Vertretung der Neurowissenschaften in Deutschland steht für die Expertise und Richtigkeit unserer Inhalte. Diese werden von Journalisten erstellt und von den Experten geprüft. Mit der NWG haben wir nicht nur einen riesigen Pool an Ansprechpartnern, Kompetenz und Wissen gewonnen, sondern auch einen Partner, der mit besonders viel Einsatz dabei ist. Manche Gespräche habe ich auch Abends um zehn geführt. Solche Unterstützung zu bekommen – das macht schon Spass!
Die Gemeinnützige Hertie-Stiftung wiederum – übrigens der größte private Förderer der Hirnforschung in Deutschland ist –, trägt den Löwenanteil der Kosten. Das ist ein enormer Vorteil, denn so manche Website über das Gehirn wird von einer Pharmafirma betrieben. Wir dagegen können völlig unabhängig von kommerziellen Interessen informieren. Das ist in der heutigen Zeit ein kleines Wunder und ein echtes Geschenk!
Das ZKM schließlich hat uns zum einen technisch unterstützt. Das sieht man nicht zwingend, der Input trägt aber die ganze Seite und natürlich das 3D-Gehirn. Und nicht zuletzt hat das ZKM – natürlich gemeinsam mit der Agentur 3deluxe – dafür gesorgt, dass die Website wirklich ausgesprochen schön geworden ist.
NdG: Zusammenhänge zwischen Religions- und Hirnforschung waren ja Thema meiner Promotion gewesen und ich habe die Hirnforschung als hervorragendes Eingangstor auch für Kultur- und Geisteswissenschaftler erlebt, um mit Naturwissenschaftlern in fruchtbare Gespräche und wissenschaftliche Zusammenarbeiten zu finden. War das nur ein isoliertes Einzelerlebnis oder verändert bzw. vernetzt die Hirnforschung tatsächlich das interdisziplinäre Gespräch?
AL: Vielleicht fangen wir einen Schritt weiter vorn an: Das Gehirn selbst ist ein Thema von unglaublicher Bandbreite. Nehmen wir einen einfachen Wahrnehmungsprozess wie das Sehen einer Rose. Da sind die zellulären Prozesse im Auge – und hier, nur am Rand, gibt es eine ganze Reihe von Zelltypen, über die wir noch gar nichts wissen. Wir könnten hier jetzt beliebig tief in die physiologischen Prozesse gehen. Wir könnten auch weiter entlang der Anatomie tiefer ins Hirn. Aber eigentlich müssen wir das Auge nicht einmal verlassen, und sind schon in der Psychologie. Zum Beispiel sehen wir nur einen ganz kleinen Teil der Welt wirklich scharf – nur das, was wir gerade fokussieren. Aber das kommt uns nicht so vor, oder? Auch dass da ein blinder Fleck in unserem Gesichtsfeld lungert, bekommen wir nicht mit. Wieso ist diese Rose morgens genauso rot wie abends? Wie können wir sie überhaupt erkennen? Wie werden wir uns ihrer bewusst? Von hier aus sind wir ruckzuck in der Philosophie. Und schauen doch eigentlich nur auf eine Blume.
Geist ist das, was Gehirne tun, dieser Meinung sind so einige Neurowissenschaftler. Entsprechend groß sind die Schnittmengen, und das nicht nur mit den Geisteswissenschaften. Das Gehirn darf man nicht nur unter eine Lupe legen, dazu ist es thematisch zu groß. Es schreit nach Interdisziplinarität. Von daher würde ich Dein Erleben nicht für einen Einzelfall halten, im Gegenteil.
NdG: Besteht also Grund zur Hoffnung, dass wir einmal in einem Land leben werden, in dem die Menschen neben den führenden Bundesligavereinen auch ihre wichtigsten Gehirnregionen identifizieren können?
AL: Wohl kaum. Aber es würde mir ja schon reichen, wenn sich mehr Menschen mit dem Inhalt ihres eigenen Kopfes beschäftigen würden. Dort warten so viele Möglichkeiten, so viele Wunder, so viele Erkenntnisse – übrigens auch die, warum das Foul unseres Lieblingsspielers dann doch keines war.
Danke, Arvid!
Auch in der Kommentarspalte Dir, Arvid, nochmal ein Dank für das Web-Interview, das richtig Spass gemacht hat – und vor allem Glückwunsch zum hervorragenden DasGehirn.info! Da ist echt etwas Großes entstanden, dass es m.W. auch im englischsprachigen Raum in dieser Form und Qualität noch nicht gibt.
Von wegen:
Ich danke – und werde langsam ganz rot …
Interview Michael-Arvid
Ein schönes Gespräch zwischen Arvid Leyh und Michael.Die Schlussfrage nach Michaels Glauben wurde mir allerdings zu wenig persönlich beantwortet. Michael, du berufst dich dann schnell imer wieder auf Empirie und Daten, dabei ist es doch nicht so, dass du deinen Glauben durch deine Forschung beweist oder abstützt – oder? Bei all diesen so interessanten Diskursen kommt mir manchmal die innere Erfahrung zu kurz. Was war oder ist dein inneres Gotteserlebnis? Ein eher rationales, traditionsorientiertes oder mystisches? Gemeinschaftsbildung, Kinderliebe, Kooperation, Reproduktionsvorteil – das ist alles gut und schön, aber klingt sehr rational. Mich faszinieren am Ende mehr Bilder und Metaphern, die persönliche Gotteserfahrungen so zwingend und in sich stimmig umschreiben, dass auch ein Funke auf mich überspringen kann. Dann ereignet sich ein Stück echter Intersubjektivität. Wäre schön, wenn auch du so etwas mal machen könntest und es nicht aus Angst vor wiss. Reputation oder atheistischen Bloggern immer nur eine unbefriedigende Leerstelle bleibt.
@Rüdiger Sünner
Danke für Deine Rückmeldung, die sinnigerweise zu vielen Diskussionen in den Scilogs passt… Wie sehr soll ein Wissenschaftler von seiner persönlichen Meinung oder Erfahrung abstrahieren?
Die Schlussfrage nach Michaels Glauben wurde mir allerdings zu wenig persönlich beantwortet. Michael, du berufst dich dann schnell imer wieder auf Empirie und Daten, dabei ist es doch nicht so, dass du deinen Glauben durch deine Forschung beweist oder abstützt – oder?
So ist es. Ich erkunde Religiosität und Spiritualität wissenschaftlich, verspreche oder brauche da aber keinerlei Gottesbeweis o.ä. Religions- (wie auch Musik- oder Sprach-)wissenschaftliche Forschungen sollten stets intersubjektiv – also unabhängig vom eigenen Erleben – zugänglich sein.
Bei all diesen so interessanten Diskursen kommt mir manchmal die innere Erfahrung zu kurz. Was war oder ist dein inneres Gotteserlebnis? Ein eher rationales, traditionsorientiertes oder mystisches?
Als Religionswissenschaftler habe ich keinen Verkündigungsauftrag und achte auch darauf, nicht wissenschaftliche und religiöse Aussagen zu vermischen. Theologisch sagen mir die Texte des Blognachbarn Herrman Aichele sehr zu, darin finde ich auch meine Haltung immer wieder wieder.
https://scilogs.spektrum.de/chrono/blog/hinter-grunde
Gemeinschaftsbildung, Kinderliebe, Kooperation, Reproduktionsvorteil – das ist alles gut und schön, aber klingt sehr rational.
Das soll es auch sein – wobei ich statt rational lieber empirisch setzen würde. Evolution ist nicht rational, sondern kreativ. Wenn ich die Evolution der Musik erforschen würde, so würde ich ebenfalls darauf achten, dies so zu tun, dass auch einem unmusikalischen oder tauben Menschen die Befunde und Argumente zugänglich wären.
Mich faszinieren am Ende mehr Bilder und Metaphern, die persönliche Gotteserfahrungen so zwingend und in sich stimmig umschreiben, dass auch ein Funke auf mich überspringen kann. Dann ereignet sich ein Stück echter Intersubjektivität. Wäre schön, wenn auch du so etwas mal machen könntest und es nicht aus Angst vor wiss. Reputation oder atheistischen Bloggern immer nur eine unbefriedigende Leerstelle bleibt.
Die Crux besteht immer: Du wünscht Dir mehr persönliche Färbung, aber für entschiedene Religionskritiker ist es jetzt schon zu viel. In diesem Spannungsfeld muss ich wahrscheinlich ebenso leben wie jeder Kunst-, Musik- oder Sprachwissenschaftler auch – wissend, dass religiöse Fragen gerade auch im Internet natürlich noch sehr viel emotionaler und also kontroverser sind als alle anderen. Einige religionswissenschaftliche Kollegen plädieren sogar dafür, die eigene Haltung gar nicht offen zu legen, ich habe mich aber bewusst einerseits für Transparenz bezgl. meiner Religionszugehörigkeit und andererseits für Zurückhaltung bezgl. von “Verkündigung” entschieden. Glücklich bin ich dann, wenn es Menschen zum Weiterforschen und Nachdenken anregt – mehr erhoffe ich mir gar nicht.