Osiris, Isis und Horus

BLOG: Natur des Glaubens

Evolutionsgeschichte der Religion(en)
Natur des Glaubens

Idea zitierte neulich die hannoversche Landesbischöfin Margot Käßmann mit einer bemerkenswert offenen Aussage: "Die beste missionarische Veranstaltung ist eine gute Beerdigung, die von Gottvertrauen und der Hoffnung auf Auferstehung spricht." Die Religionsgeschichte stützt ihr Argument. Obwohl entwickelte Jenseitsvorstellungen und -versprechen nicht zu allen religiösen Traditionen gehören (die alten Römer hatten sie z.B. kaum), trugen sie zu Ausbreitung und Beständigkeit vieler erfolgreichen Mythologien bei. Schon Homo sapiens und Homo neanderthalensis geleiteten Tote rituell ins Jenseits. Ein besonders schönes Beispiel bildet die aktuelle (Oktober) Titelgeschichte von Epoc: Der ägyptische Kult um Osiris, Isis und Horus.

Epoc 6/2009 - Osiris

In einem grafisch und textlich atemberaubend gelungenen Beitrag ("Osiris – Mittler zwischen den Welten") stellen die Archäologen Ute und Andreas Effland den neuesten Forschungsstand zu den Osiris-Prozessionen statt, die eine zentrale Rolle im ägyptischen Staatskult spielten. Dabei galt das Grab des (historischen) Königs Djer aus der ersten Dynastie in späterer Zeit als das des mythischen Staats(be)gründers und Totengottes. Er stellte die Herrscher in übernatürliche Traditionen, verhieß aber auch den Edlen und schließlich dem Volk, das der Jahresprozession beiwohnen durfte, Aussichten auf ein Weiterleben nach dem Tod. In den Fotos der Efflands (einschließlich einer Luftaufnahme) wird dabei sehr gut deutlich, wie sich der Glauben der Ägypter in die Landschaft einfügte – vom (mutmaßlichen) Urhügel des Lebens bis zum Tor in das Totenreich.

Dem Mythos nach sei Osiris von seinem eifersüchtigen Bruder Seth ermordet und zerstückelt worden. Doch Osiris Gattin Isis fügte ihn mittels Heilkunst und Bandagen wieder zusammen, schenkte ihm neues Leben und zeugte mit ihm, bevor er zum Herrscher der Unterwelt aufstieg, den Sohn Horus – als dessen Verkörperung der jeweilige Pharao galt.

Liebe und Hass, Einheit und Spaltung, schließlich Leben, Tod und Geburt gingen in diesem prachtvollen Mythos eine Verbindung ein, die im sich oft verändernden Religionssystem Ägyptens große Popularität und Stabilität zeigte. So wurde sie z.B. von Sethos I. nach der versuchten, proto-monotheistischen Religionsreform durch Echnaton gezielt und prachtvoll wiederbelebt (dazu der Bericht "Bauherr der Wiedergeburt" von Hakan Baykal).

Die Faszination Ägypten hat natürlich mit vielen Faktoren zu tun: Die Notwendigkeit von organisierter Bewässerung begünstigte eine frühe, hoch komplexe Staatlichkeit und beeindruckende Bauwerke, die Bedingungen der Wüste schufen einzigartige Erhaltungsbedingungen für Gräber und Fundplätze und die Entstehung einer reichen Schriftkultur erlaubt uns einen einzigartigen Einblick in die Lebens- und Glaubenswelt der Ägypter. Archäologie, Ägyptologie und Religionswissenschaft dürfen sich noch auf viele Entdeckungen freuen – wie sie die DAI-Mitarbeiter hier beispielhaft präsentierten.

Mit der Schwächung des ägyptischen Reiches ging der Osiris-Kult übrigens keineswegs einfach unter. Vielmehr gewann gerade auch Isis – die liebende Gattin und Mutter, zweifache Schenkerin von Leben – Anhängerschaft quer durch die römisch-griechische Welt und gehörte zu den kraftvollsten, polytheistischen Konkurrenten des aufstrebenden Christentums. So nahm das starke Bild von Isis und Horus, Gottesmutter und Gottessohn, auch spätere Vorstellungen von Maria und Jesus vorweg. (Bild und Reflektionen aus: Herbert Leuninger – Weihnachtsbrief)

Isis stillt Horus, Sohn auch des Osiris.

Lieben, Geburt, Leben, Tod und Wiedergeburt – bereits die Ägypter entwickelten religiöse Botschaften, die Menschen unmittelbar ansprachen. Wir mögen heute in einer Zeit und Gesellschaft leben, die den Tod tabuisiert und möglichst verdrängt. Aber Bischöfin Käßmann hat Recht: Wenn wir Heutigen an Gräbern stehen, so öffnen sich auch bei vielen von uns Ahnungen, Sehnsüchte und Hoffnungen, die über das Zeitliche hinaus reichen. Nach dem alten Ägypten zu sehen, heißt also immer wieder auch, in einen Spiegel zu schauen.

Danke, epoc, für ein Thema, bei dem nicht nur die Herzen von Religionswissenschaftlern höher schlagen! 🙂

(Außerdem noch Artikel über die frühere, islamisch-afrikanische Metropole Timbuktu, Hildegard von Bingen und den Wissenschaftstransfer aus dem Orient. Und im nächsten Heft geht es um unbekannte Facetten des Buddhismus! Ehrensache, dass es hier wieder einen Post dazu gibt!) 

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Dr. Michael Blume studierte Religions- und Politikwissenschaft & promovierte über Religion in der Hirn- und Evolutionsforschung. Uni-Dozent, Wissenschaftsblogger & christlich-islamischer Familienvater, Buchautor, u.a. "Islam in der Krise" (2017), "Warum der Antisemitismus uns alle bedroht" (2019) u.v.m. Hat auch in Krisenregionen manches erlebt und überlebt, seit 2018 Beauftragter der Landesregierung BW gg. Antisemitismus. Auf "Natur des Glaubens" bloggt er seit vielen Jahren als „teilnehmender Beobachter“ für Wissenschaft und Demokratie, gegen Verschwörungsmythen und Wasserkrise.

11 Kommentare

  1. “A schöne Leich”, d.h. ein möglichst üppiges Begräbnis, ist ja gerade in katholischen Gegenden weit verbreitet. Viele Leute, welche mit der kath. Kirche schon lange nichts mehr am Hut haben, treten nicht aus der Kirche aus, da sie fürchten ansonsten nicht anständig begraben zu werden. Wer einmal nach Wien kommt sollte nicht versäumen, den Zentralfriedhof, den größten Friedhof Europas zu besuchen. Soviele prächtige Mausoleen, findet man sonst kaum auf einem Haufen. Andre Heller nannte ihn deshalb einmal ein “Aphrodisiakum für Nekrophile”.
    Die Landesbischöfin Margot Käßmann hat mit ihrer Aussage recht: “Die beste missionarische Veranstaltung ist eine gute Beerdigung, die von Gottvertrauen und der Hoffnung auf Auferstehung spricht.”

  2. 2 x Danke!

    Lieber Lars,

    oha, das sieht tatsächlich ebenso verwegen wie interessant aus. Werde es lesen! Und es zeigt immerhin eines: Die Erkenntnis, dass Religiosität ebenso wie Musikalität, Sprachfähigkeit u.a. biokulturelle Anlagen auch neurobiologische Grundlagen hat und haben muss, setzt sich zunehmend durch. Der klassische Leib-Seele-Dualismus ist hier endlich durchbrochen worden.

    Und liebe Mona – danke für die guten Beobachtungen! Da Du jetzt schon so lange und engagiert zu den verschiedensten Themen mitdiskutiert und v.a. recherchiert hast, würde ich Dich gerne einladen, z.B. im November einmal einen Gastbeitrag zu einem Religionsthema Deiner Wahl hier zu schreiben. Wenn Du magst, melde Dich doch einfach über die Homepage, ich und sicher auch viele Blogleser würden sich freuen!

  3. O Jenseits

    Jenseitsvorstellungen : “die alten Römer hatten sie z.B. kaum” .
    Ich erinnere daran, dass auch für die Griechen das Totenreich kein besonders relevanter Ort war, jedenfalls keine Hoffnung darauf. UND dasselbe in der heute bekanntesten antiken Religion aus demselben Mittelmeerraum: in den alten Schichten des Alten Testaments.
    In diesem kann man sehr schön und differenziert verfolgen, dass und wie sich JenseitsHOFFNUNG sehr langsam und erst sehr spät durchsetzte, eigentlich sogar erst richtig *nach* dem relativen Abschluss des AT (200 v.Chr)
    Bei den Ägyptern war Jenseits-Hoffnung doch wohl zuerst eine Verewigung von *Herrschern*, dann der Oberschicht, und kam erst allmählich auch dem gemeinen Volk zu – für Sklaven auch?!
    Etwas entfernt Ähnliches im Alten Testament und zugleich Gegensätzliches: Sie kam zuerst nicht den Herrschern zu – vielleicht war das der Grund, warum die entlaufenen Sklaven Ägyptens ihrerseits zunächst der Jenseitshoffnung gegenüber sperrig waren, trotz räumlicher Nähe zu Ägypten. Aber die dann doch aufkommende Jenseitshoffnung (aus Persien?!) kam wohl zuerst Propheten u.ä. zu (Himmelfahrt Elias), dann den Helden der Befreiungskriege und erst danach allen “Gerechten”, insofern also auch von oben nach unten.

    Begräbnis-Zeremonien gab es sicher schon vor einer expliziten Jenseits-Hoffnung; in der jüdischen Religion, in der griechischen, doch auch in der römischen. Bei den Griechen und Römern war es ja besonders schimpflich, nicht bestattet zu werden, ähnlich bei den Juden. Es geht wohl schlicht um so etwas wie Respekt u Menschenwürde – und natürlich auch Hygiene. Aber auch mit schönen Bestattungen *muss* nicht notwendigerweise Jenseits-Hoffnung verknüpft sein. Ich denke, da gäbe es auch sehr Vielschichtiges zu bemerken zu dem, was man paläoontologisch ausgräbt. Grabbeigaben zB: Vielleicht präventiv – es könnte ja sein, dass die Toten (wer definierte eigentlich ab wann jemand ohnmächtig ist, im Koma liegt, scheintot ist oder auch nach einem Jahr noch tot…?) da doch noch etwas brauchen, wenn sie sich in ihrem Grab umsehen. Und wenn man, sagte ich ja schon mal so ähnlich, dem toten Vater seinen Mantel und seinen Dolch mitgibt, dann müssen sich die Söhne schon nicht drum streiten. Also durchaus nicht-jenseitige Gesichtspunkte könnten hereinspielen. Na ja, nach meiner Definition hat jedes religiöse Denken und Verhalten einen sehr tiefen nicht-jenseitigen Unterbau: “Die *Natur* des Glaubens und der auch für mein Dafürhalten spannende Artikel, auf den Lars Fischer verwies – in der “lingua franca”.

  4. A schöne Leich

    Käßmann hat natürlich AUCH recht. Ich würde es aber zuspitzen auf: … gute Beerdigung, in der der Tote mit seinen Hoffnungen und Ängsten ernstgenommen aber nicht zur Schau gestellt wird. Und natürlich erst recht die Angehörigen, die hören es ja.
    Nicht “lügen wie bei einer Leiche”. Nichts, womöglich formelhaft, beschönigen. Aber ein Bild des Toten “zeichnen”, mit dem die Angehörigen weiter leben können.
    Und *diesen* Gesichtspunkten entsprechen natürlich auch die jeweiligen Beerdigungs- oder Grab-Gestaltungen noch ein bisschen mehr. Nicht nur die üppigen, auch die schlichten.

  5. Religiöses Gerede oder reale Hoffnung

    Hallo Herr Dr. Blume,

    ging es bei den Mythengestalten wie Osiris, Horus und Isis, die die Gottessohnschaft vorwegnahmen bzw. vormals auf mystische Weise schöpferische Ordnung und Wille vermittelten, um erbauliche religiöse Märchen, die den Menschen Hoffnung auf wundersame Rettung nach dem Tod geben sollten?

    Oder ging es um die Einbindung des Menschen in eine natürliche kosmische als schöpferische Ordnung von Werden und Vergehen, in deren Einklang es zu leben galt?

    Lag die Mission der Göttergestalten in blinder Hoffnung, wie heute bei Beerdigungen meist über Auferstehung gesprochen wird? Oder waren sie der damals noch mystische Ausdruck einer natürlichen, kreativen Vernunft-Ordnung, die wir heute für selbstverständlich halten und die letzlich in den Schulen rund um den Erdball als natürliches evolutionäres Werden und Vergehen oder ökologisches Gefüge gelehrt wird?

    Was können wir von den Göttergestalten über die Natur des Glaubens lernen? Geht es um spirituelle Erbauung durch religiöses Gerede und wundersame Hoffnung auf Rettung? Oder das Vertrauen und die Verant-wort-ung in bzw. für eine reale Ordnung, die ähnlich wie später die griechische Philosophie lehrte, auf menschliche Weise zu leben wäre.

    Ich denke, auch die Göttergestalten, die m.E. nicht nur zu Verherrlichungszwecken, als Mythenmantel für einen Menschengott bzw. jungen Guru (wie meist angenommen) in den christlichen Konkurrenzkult eingeflossen sind, können uns etwas über die Natur des Gaubens sagen.

    Gerhard Mentzel

  6. Gastbeitrag

    Lieber Michael,
    mit so einer Ehre hätte ich nun wirklich nicht gerechnet. Vielen Dank! Natürlich nehme ich Dein Angebot gerne an. Ich werde mich in den nächsten Tagen bei Dir melden und einen Vorschlag unterbreiten.
    Viele Grüße
    Mona

  7. Rindvieh-Götter

    Die Schilluk, ein Viehzüchtervolk am oberen Nil, sahen in ihren Legenden noch Anfang des 20. Jhdts. die Kuh als Urmutter der Menschen und verehrten einen heiligen Stier.
    Die ägyptische Himmelsgöttin Hathor (ab. ca. 3000 v.Chr.) wurde ursprünglich als Kuh dargestellt – und später erst als Göttin mit Kuhgehörn und Sonnenscheibe. Diese Darstellung findet man auch bei Isis (siehe Bild).

    (Auch Apis (ab. ca. 3000 v.Chr, Ägypten), der heilige Stier war ein Fruchtbarkeitsgott. Bei den Sumerern war der Göttermutter Ninhusag(a) eine heilige Kuh als Symbol beigeordnet. Sogar in den nordischen Mythen war es die Urkuh Audumla, welche das Urwesen Ymir mit ihrer Milch ernährte und den ersten Gott aus dem Eis freileckte.)

    Diese Beispiele zeigen, dass Götter ihren Ursprung in der Landwirtschaft hatten wo der jahreszeitliche Zyklus des Sterbens und der Wiedergeburt dauernd beobachtet werden konnte.
    Die weitere Entwicklung ist daher eine zunehmende Abstrahierung und Personifizierung, die schießlich zu gesellschaftlichen Auswirkungen (Kultur, Religion) führte.

    Und bis Heute gehört zu einer ´schönen Leich´ auch der gemeinsame Leichenschmaus, bei dem sich die Nachbarn und Verwandten treffen.

  8. @ KRichard: Halber Einspruch! 🙂

    Lieber @KRichard,

    ich kann sofort darin zustimmen, dass der Übergang zur Landwirtschaft einschneidende Veränderungen auch der Götterhimmel bewirkte. Da zudem Agrarwirtschaft Staatlichkeit und Schriftkultur begünstigte, kann auch leicht der Eindruck entstehen, erst ab da habe “Religion” bestanden.

    Zutreffend ist es aber dennoch nicht. Die derzeit in Stuttgart gastierende Eiszeitausstellung verweist auf komplexe Mythologien (z.B. Löwenmensch-Figurinen, Adoranten, Höhlenzeichnungen, Venus etc.) lange vor der Entstehung von Landwirtschaft:
    http://www.chronologs.de/…n-von-kunst-und-kultur

    Auch die ersten, religiösen Monumentalbauten wie z.B. in Göbekli Tepe wurden noch von Jägern und Sammlern errichtet – die religiöse Bewegung ging hier dem wirtschaftlichen Wandel voraus!

    Ebenso haben wir auch unter heutigen Wildbeutervölkern reiche Beispiele an v.a. schamanistischen Mythologien, Ritualen, Kultplätzen, Figurinen etc.

    Interessanterweise setzen aber gerade mit den hier besprochenen Kulten um Osiris, Isis und Horus “Vermenschlichungstendenzen” in den Göttervorstellungen ein – wenngleich die Tieraspekte früherer, ägyptischer Gottheiten nicht erlöschen, verlieren sie im Kultgeschehen um diese Gottheiten tendenziell doch an Bedeutung.

  9. @Blume: Einspruch akzeptiert

    Ihr Einspruch war berechtigt; den Ursprung der Religionen kann man schon in der Steinzeit vermuten – da es in dieser Zeit auch noch spezielle Begräbnissitten gab, die auf eine vorhandene Jenseitsvorstellung hindeuten.

    Die Hörner der Isis-Statue auf dem Bild regten mich zu dem Beitrag an, den ich leider etwas unpräzise formuliert habe.

    Aber die Vorstellung, dass eine Kuh den ersten Gott aus dem Eis freischleckt, ist ein schönes Bild zur Entstehung von Religionen. 🙂

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