Ein Weihnachtsgruss für Säugetiere von Ernst Haeckel und Leonardo da Vinci
BLOG: Natur des Glaubens
Zu seinen Lebzeiten nannten sie ihn “den deutschen Darwin”, beriefen den aus der evangelischen Kirche Ausgetretenen auf einem Freidenkerkongress in Rom zum “Gegenpapst” und lauschten seinen Lehren über eine neue, “monistische Weltsicht”. Als Vorläufer von Richard Dawkins machte er sich unter anderem auch schon Gedanken über “Mneme” (!) – bevor er nach seinem Tode von den Nationalsozialisten vereinnahmt wurde und außerhalb von Jena fast völlig in Vergessenheit geriet. Die Rede ist von Ernst Heinrich Philipp August Haeckel (1834 – 1919), dem niemand übertriebene Liebe zur Religion wird nachsagen können. Und doch stieß ich gerade in seinem Werk auf einen evolutionären Gedanken zu Weihnachten, über den ich vor zwei Jahren auch mal dichtete und den ich Ihnen – eingeleitet durch ein Gemälde von Leonardo da Vinci – einfach in die Feiertage mitgeben möchte.
Madonna litta – Madonna und Kind. Von Leonardo da Vinci (1452 – 1519)
Ernst Haeckel in seinem “Die Welträtsel” von 1899, drittes Kapitel, S. 70:
Ganz besonders wichtig aber ist für diese höchst entwickelte Tierklasse die Produktion der Milch in den Brustrüsen (Mammae) und die besondere Form der Brutpflege, welche die Ernährung des Jungen durch die Milch der Mutter mit sich bringt.
Da dieses Säugegeschäft auch andere Lebenstätigkeiten in der ergreifendsten Weise beeinflußt, da die Mutterliebe der Säugetiere aus dieser innigen Form der Brutfpflege ihren Ursprung genommen hat, erinnert uns der Name der Klasse mit Recht an ihre hohe Bedeutung.
In Millionen von Bildern, zum großen Teil von Künstlern ersten Ranges, wird “die Madonna mit dem Christuskinde” verherrlicht als das reinste und erhebenste Urbild der Mutterliebe; desselben Instinktes, dessen extremste Form die übertriebene Zärtlichkeit der Affenmutter darstellt.
Allen Leserinnen und Lesern von Natur des Glaubens wünsche ich besinnliche und hoffentlich nicht einsame Weihnachtstage (sind wir Menschen doch “soziale Tiere”).
Und wer zum Thema weiterlesen und -denken mag, hier zwei kostenlose Texte für besinnliche Stunden:
* “Die Emergenz des Mythos. Evolutionsforschung zur Religion und ihre erkenntnistheoretischen Folgen“, In: Lüke, U., Souvignier, G. (Hrsg.): Evolution der Offenbarung, Offenbarung der Evolution. Herder Quaestiones Disputatae Band 249/2012, S. 228 – 241
* “Die Rolle der Frau in der Evolution von Religiosität“, Mitteilungen der Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte Bd. 31, 2010, S. 15 – 26
Haeckel
Eine nicht ganz ernste Volte dazu: Die einzige literarische Erwähnung von Haeckel, die mir im Moment präsent ist, ist in dem folgende Gedicht von Morgenstern:
Es lebt in Süditalien eine Weste
an einer Kirche dämmrigem Altar.
Versteht mich recht: Noch dient sie Gott aufs beste.
Doch wie in Adam schon Herr Hæckel war,
(zum Beispiel bloß), so stockt in diesem Reste
Brokat voll Silberblümlein wunderbar
schon heut der krause Übergang verborgen
vom Geist von gestern auf den Wanst von morgen.
In diesem Sinne frohe Festtage! Und mögen sie sowohl den Geist als auch den Wanst erfreuen!