Warum sind durchweichte Deiche eine Gefahr?

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Die Lage in den deutschen Hochwassergebieten ist nach wie vor dramatisch, und auch die Regenfälle der letzten Tage dürften keine Entspannung gebracht haben. Spätestens seit den Tagen vor Weihnachten stehen die Flussdeiche unter Druck. Inzwischen sind sie durchweicht und die Gefahr steigt, dass sie unter dem Druck des Wassers brechen.

Nasse Deiche sind gefährdet

Der Mensch sucht oft die Nähe zum Wasser. Das war schon immer so. Wasser, auch in Flüssen, ist ein leichter Transportweg, eine Barriere gegen Feinde und versorgt die Anwohner mit Trinkwasser und Wasser zur Bewässerung der Felder.

Doch die Nähe zum Wasser hat auch Nachteile. Denn der Wasserstand ist meist nicht konstant, es besteht immer die Gefahr von Überschwemmungen und das Wasser stellt eine direkte Gefahr für die Anwohner dar. Deshalb haben sich die Menschen einiges einfallen lassen, um sich vor dem Wasser zu schützen. Neben der einfachsten Möglichkeit, Siedlungen einfach auf höher gelegene oder künstlich erhöhte Flächen zu verlegen, gibt es auch die Möglichkeit, Gebiete durch lange Deiche vom Hochwasser abzutrennen.

Doch was passiert eigentlich, wenn Deiche und Dämme sehr lange dem Hochwasser ausgesetzt sind? Warum heißt es vielerorts, die Deiche seien durchweicht und könnten jederzeit brechen? Und warum ist beim Betreten und erst recht beim Befahren der wassergesättigten Deiche äußerste Vorsicht geboten?

Was passiert im Inneren eines Deiches, wenn er Hochwasser zurückhalten muss? Zugegeben, die hier in den Videos gezeigten Modelle sind stark vereinfacht, aber sie veranschaulichen die Vorgänge recht gut.

Man kann gut sehen, wie das Wasser langsam in den Deich eindringt. Wenn der Deich selbst zu steil ist, kommt noch die Erosion auf der dem Wasser zugewandten Seite hinzu (aber das lasse ich hier erst einmal außer Acht).

Je tiefer das Wasser in den Deich eindringt, desto schwerer wird er und desto größer ist die Gefahr, dass er langsam absackt. Wenn die wassergesättigte Zone schließlich die „trockene“ Seite des Deiches erreicht, verliert der Deich zunehmend an Stabilität und wird unter der Last des auf ihm lastenden Wassers nachgeben.

Kuverwasser zeigt die Gefahr

Ein Anzeichen für eine Gefährdung des Deiches ist das Auftreten von sogenanntem Kuverwasser. Dabei handelt es sich um Sickerwasser, das durch den Deich dringt und an der trockenen Deichböschung wieder austritt.

Wenn dies geschieht, kann die Deichböschung abrutschen und der Deich bricht. Beides ist im ersten Video kurz vor dem Bruch gut zu sehen. Während im Modell die Plexiglaswand eine Schwachstelle des Deiches darstellt, kann es sich bei einem echten Deich auch um einen Wühlgang eines Tieres oder um Wurzeln von Bäumen handeln, die auf dem Deich stehen. Aus diesem Grund sollten Deiche auch frei von Bäumen sein.

Ähnliches gilt für Qualmwasser. Dabei handelt es sich um Sickerwasser, das im Gegensatz zum Kuverwasser nicht auf der Deichböschung, sondern auf der trockenen Deichseite aus dem Boden austritt. Auch dies ist bei Hochwasser ein deutliches Warnzeichen, dass der Deich in höchster Gefahr ist. Das austretende Wasser führt zu rückschreitender Erosion. Die dabei entstehenden röhrenförmigen Hohlräume haben dem Vorgang auch den Namen „Piping“ gegeben.

Während in der Realität Deiche und Dämme natürlich nicht einfach mit Sand aufgeschüttet werden (was hier im Modell den Prozess beschleunigt), ist das Verhalten von Deichen und Dämmen dem hier gezeigten Modell sehr ähnlich, auch wenn der Zeitrahmen glücklicherweise ein anderer ist.

Sandmodell eines Erddammes oder Deiches bei Hochwasser. Man kann ziemlich gut erkennen, wie vor dem Bruch des Dammes erst Kuverwasser an der Grenze zum Plexiglas sickert.
Ebenfalls ein Sandmodell eines Erddammes oder Deiches. Auch hier gut zu erkennen, wie das Wasser durch den Deich sickert, kurz bevor der Deich zusammenbricht.

Deichsicherung

Deshalb sind in den Überflutungsgebieten ständig Menschen unterwegs, die als Deichläufer oder Deichwachen bezeichnet werden. Sie kontrollieren den Zustand des Deiches und stellen fest, ob und wo sich Über- oder Unterströmungen bilden. Sie markieren dann die schadhaften Stellen für die spätere Deichsicherung.

Denn ganz wehrlos ist man nicht, wenn der Deich durch ständiges Hochwasser geschwächt ist. Man kann die Deichböschung zum Beispiel durch Bigpacks mit Sand zusätzlich abstützen. Eventuell kann man auch auf der trockenen Seite das austretende, trübe Sickerwasser mithilfe von Geotextilien filtern. Diese lassen zwar das Wasser durch, halten aber das mitgeführte Material zurück und verhindern so ein Ausspülen und eine Schwächung des Dammes.

Treten Sickerwasserquellen nur vereinzelt auf, kann das austretende Wasser auch mit ringförmigen Sandsackwällen aufgefangen werden. Dazu muss der Sandsackwall aber so hoch sein, dass sich genügend Wasser ansammelt, um das Sickerwasser zum Versiegen zu bringen.

Der Gefahr eines hydraulischen Grundbruchs, der sich durch Sickerwasser ankündigen kann, wird in der Regel durch Gegendruck begegnet. Dies geschieht meist durch Aufschütten von nicht bindigem Material wie Sand oder Kies, häufig auch durch Sandsäcke.

Sandsäcke werden auch häufig bei Überströmungsgefahr eingesetzt, wenn das Wasser über die Deichkrone steigt. In diesem Fall besteht eine große Gefahr, dass der Deich durch Erosion zerstört wird. Mithilfe von Sandsack Dämmen kann der Deich kurzfristig erhöht werden. Dies ist jedoch häufig mit großen Problemen verbunden, da bei stark durchweichten Deichen die Deichkrone nicht mit schwerem Gerät befahren werden kann. In diesem Fall müssen die Sandsäcke per Hubschrauber eingeflogen werden.

Wenn das Wasser wieder geht

Jetzt hoffen alle in den Hochwassergebieten, dass die Pegel wieder sinken. Das hoffe ich auch, aber nicht zu schnell. Denn, und das mag auf den ersten Blick paradox klingen, auch zu schnell sinkende Pegel können einen Deich schwer beschädigen und zum Brechen bringen. Denn das Wasser im Deichinneren will auch wieder raus, und wenn der Gegendruck des Hochwassers fehlt, kann das ausströmende Wasser auf beiden Seiten, also sowohl auf der Wasser- als auch auf der Trockenseite, zu großen Böschungsbrüchen führen.

Weitere Fragen zum Thema Hochwasser hat Lars Fischer hier zusammengestellt.

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Gunnar Ries studierte in Hamburg Mineralogie und promovierte dort am Geologisch-Paläontologischen Institut und Museum über das Verwitterungsverhalten ostafrikanischer Karbonatite. Er arbeitet bei der CRB Analyse Service GmbH in Hardegsen. Hier geäußerte Meinungen sind meine eigenen

4 Kommentare

  1. Eine Laien-Frage:
    Würde es helfen, eine Kunststofffolie auf der Wasserseite zu verlegen?
    Diese würde vom Wasserdruck an den Deich gedrückt werden,
    weil das Wasser unter ihr in den Deich hinein gehen würde.

    • Das wird auch tatsächlich gemacht, allerdings meist bei Beschädigungen der Deichoberfläche auf der Wasserseite. Das kann passieren, wenn Eis oder Treibgut den Deich beschädigen und dann die Wellen und die Strömung an der schadhaften Stelle weiteres arbeiten. Dann werden oft wasserdichte Planen quasi als Lecksegel eingesetzt. Die Planen werden meist mit Sand oder Sandsäcken beschwert, damit sie auch am Ort bleiben

  2. Wie verhält es sich mit Frost? Im Asphalt werden kleine Risse durch das sich bei Gefrieren ausdehnende Wasser zu riesigen Löchern. Wie ist das mit dem Wasser im Deich?

    • sicher kann starker und vor allem langer Frost bei durchweichten Deichen auch zu Schäden führen. Vermutlich vergleichbar den Erdbewegungen bei auftauendem Permafrost. Dazu müsste es aber wohl einige Wochen sehr starken Frost geben, damit die Kälte auch tief genüg in den Boden reicht.

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