Tektonik des M 7.5 Erdbebens der Noto-Halbinsel vom 1. Januar 2024 in Japan

Am 1. Januar um 16.10 Uhr Ortszeit (ca. 7.10 Uhr UTC) ereignete sich auf der Halbinsel Noto im Westen von Honshu ein Erdbeben der Magnitude 7,5 bis 7,6. Die Stärke sowie die relativ geringe Herdtiefe von nur 10 Kilometern führten zu starken Oberflächenbewegungen. Stark betroffen war beispielsweise die Stadt Nanao auf der südöstlichen Noto-Halbinsel mit rund 45.000 Einwohnern.

Karte der Erschütterung des Noto-Halbinsel Erdbebens, USGS

Bislang sind etwa 126 Todesopfer zu beklagen, gut 210 Menschen werden noch vermisst, sodass die Zahl der Opfer mit Sicherheit noch steigen wird. Dem Erdbeben folgte ein etwa 80 cm hoher Tsunami, der die angrenzenden Küstengebiete traf.

Soweit die unmittelbaren Folgen des vermutlich ersten schweren Erdbebens des noch neuen Jahres. Nun sind Erdbeben in Japan an sich nichts Ungewöhnliches. Man denke nur an das Kumamoto-Erdbeben der Magnitude 7 am 15. April 2016, das Kobe-Erdbeben der Magnitude 6,9 am 17. Januar 1995 oder das verheerende Tohoku-Erdbeben, das sogar eine Magnitude von 9,1 erreichte.

Das Noto Peninsula Earthquake 2024 (Noto-Halbinsel Beben 2024), wie das aktuelle Beben offiziell von der Japan Meteorological Agency (JMA) getauft wurde, weist einige tektonische Besonderheiten auf und unterscheidet sich damit deutlich von Beben wie dem in Tohoku. Es ist das stärkste Erdbeben in dieser Region seit 1983 [1]. Für die Halbinsel Noto ist es sogar das stärkste Beben seit 1885.

Tektonische Situation

Die Halbinsel Noto liegt am südöstlichen Rand des Japanischen Meeres, also an der Westküste Japans. Die großen Subduktionszonen, die für viele Erdbeben in der Region wie z.B. das Tohoku-Erdbeben verantwortlich sind, liegen im Osten vor der Pazifikküste.

Vor der Ostküste Japans gibt es nicht nur eine, sondern gleich zwei Subduktionszonen. Im Norden taucht die Pazifische Platte im Japangraben in westlicher Richtung unter die Ochotskische Platte ab. Diese Subduktionszone war auch für das verheerende Tohoku-Erdbeben 2011 verantwortlich.

Im Süden taucht die Philippinische Platte im Nankai-Graben in nordwestlicher Richtung unter die Ochotskische und die Eurasische Platte ab. Die vielen beteiligten Platten machen die Situation zumindest für Nicht-Tektoniker wie mich etwas unübersichtlich, sodass man mir vielleicht einige Ungenauigkeiten verzeihen möge.

Hinzu kommt, dass auch in der Subduktionszone unterschiedliche Erdbebenmechanismen wirken. Während sich viele der extrem starken Erdbeben entlang der Subduktionszonen ereignen, ich möchte hier noch einmal auf das Tohoku-Beben hinweisen, treten auch innerhalb der abtauchenden Krustenstücke Beben auf. Auch die abtauchende Kruste wird beim Überschieben über die abtauchende ozeanische Kruste stark deformiert und zerbrochen. Entsprechend vielfältig können auch hier die Herdmechanismen der Erdbeben sein.

Das Japanische Meer, ein Backarc-Becken

Aber das ist noch nicht alles. Das Japanische Meer, an dessen Küste die Halbinsel Noto liegt, ist ein Backarc-Becken. Das bedeutet, dass sich hinter der magmatischen Zone einer Subduktionszone die Kruste zu dehnen beginnt. Als Folge kann die gedehnte Kruste dort absinken. Solche Becken bilden sich besonders häufig hinter Subduktionszonen, an denen vergleichsweise alte und damit schwere ozeanische Kruste subduziert wird. Durch ihr Gewicht sinkt diese Kruste schnell und in einem relativ steilen Winkel in den Erdmantel ab. Dabei bewegt sich die Subduktionszone entgegen der Driftrichtung der subduzierten Platte. Dabei wirken Zugkräfte auf die abtauchende Platte, die die Kruste im Bereich hinter dem magmatischen Bogen ausdünnen. Dieser Prozess wird als „Slab-Rollback“ bezeichnet und kann bis zur Bildung ozeanischer Spreizungszonen führen.

Nach einem anderen Modell kann es auch zur Bildung von Backarc-Becken kommen, wenn bei der Subduktion ein Bereich der subduzierten Kruste abreißt und anschließend heißes Mantelmaterial aufsteigt. Die Dehnung der Kruste erfolgt dann durch Aufheizung und Aufwölbung der Kruste.

Das Japanische Meer und die umgebenden Kontinentalplatten. Das Japanische Meer wird als Backarc Becken interpretiert. Die blau-gezackten Linien stellen die Subduktionszonen dar, mit dem Einfallen in Richtung der Spitzen. Oghmoir in der englischen Wikipedia (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Japan_separation.png), “Trennung von Japan”, https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/legalcode

Die Noto-Halbinsel

Die Noto-Halbinsel ist von Honshu durch einen relativ tiefen Meeresarm, den Toyama-Trog, getrennt, der an seiner tiefsten Stelle etwa 1000 m tief ist. Während des frühen Miozäns begann sich hier die Erdkruste zu dehnen und die Noto-Halbinsel entfernte sich von Honshu. Dieser Prozess endete im mittleren Miozän. Zu dieser Zeit entfernte sich Asien von den Japanischen Inseln, wahrscheinlich aufgrund eines „Slab-Rollback“ der Subduktionszone östlich von Japan.

Die Dehnung der Kruste verlagerte sich zunehmend nach Norden in Richtung Japanisches Meer. Im Toyama-Trog blieb ein tiefes Rift zurück, das sich mit mächtigen Sedimentpaketen füllte. An seinen Rändern wurden sowohl an der Küste von Honshu als auch auf der Noto-Halbinsel Sedimente abgelagert.

Im späten Pliozän geriet die Region zunehmend unter Druck. Statt der Dehnung wie vorher im Miozän engte sich die Kruste langsam ein. Der Grund ist möglicherweise die Kollision des Izu-Bonin-Marianen-Inselbogens mit Honshu auf der anderen Seite im Pazifik ​[2].

Es kam zu einer umgekehrten Reaktivierung der Störungen und zu einer Inversion der durch die Störungen entstandenen Becken [3]. Die alten Abschiebungen wurden also wieder aktiv, diesmal aber in Form von Aufschiebungen. Dabei reaktivieren sich flachere Abschiebungen leichter als steilere. Um die Abfolge der Prozesse zu entschlüsseln, helfen oft die in den Becken abgelagerten Sedimente.

Wenn sich die Bewegungsrichtung einer Störung umkehrt, kann sich das Muster der abgelagerten Sedimente ändern und ältere Sedimente können deformiert werden. Diese Muster sind manchmal auf reflexionsseismischen Aufnahmen gut zu erkennen.

Es zeigt sich, dass der Toyama-Trog weiter absinkt, während die Abschiebungen an seinen Flanken als Abschiebungen reaktiviert wurden und sowohl Honshu als auch die Noto-Halbinsel auf den Trog schieben [4]. Die für das Erdbeben vom 1. Januar 2024 verantwortliche Störung ist eine dieser reaktivierten Störungen. Sie liegt westlich der Noto-Halbinsel.

Unterschiedliche Mechanismen der Erdbeben

In dieser komplexen tektonischen Situation können also sehr viele verschiedene Erdbeben auftreten, die zwar alle lose mit der angrenzenden Subduktion zusammenhängen, im Einzelnen aber meist auf sehr unterschiedlichen Mechanismen beruhen.

Zum einen gibt es die sehr starken Erdbeben, die durch die Überschiebung verursacht werden. Diese treten vor allem in der Nähe der Subduktionszone auf. Ihre Tiefe beginnt dort flach und wird mit zunehmender Entfernung von der überschiebenden Platte immer tiefer. In Japan treten diese Beben vor allem im Bereich der Ostküste auf, ein gutes Beispiel ist das Tohoku-Erdbeben.

An der Westküste gibt es Gebiete mit relativ flachen Erdbeben, die nicht direkt mit einer angrenzenden Subduktionszone in Verbindung gebracht werden können.

Zum einen gibt es im Südwesten Japans ein Band flacher Erdbeben, deren Herdflächenlösung auf Blattverschiebungen als Ursache hinweist. Das Kumamoto-Erdbeben von 2016 ist eines dieser Beben. In diesem Bereich gleitet das Japanische Meer in nordöstlicher Richtung an Honshu vorbei.

Im nördlichen Bereich der Westküste von Honshu hingegen ändert sich die Bewegungsrichtung des Japanischen Meeres gegenüber Honshu. In diesem Bereich kommt es zu Einengung und schließlich zu Überschiebungen. Die Herdflächenlösungen sind denen der Erdbeben auf der Ostseite sehr ähnlich. Die Schnittstelle der beiden Gebiete wird als „Fossa Magna“ bezeichnet und stellt ein Nord-Süd verlaufendes Tal dar. Möglicherweise beginnt sich hier langsam eine neue Subduktionszone westlich der japanischen Insel zu bilden, in der die Amurplatte nach Osten unter die Ochotskische Platte abtaucht [5].

Das Noto Halbinsel Erdbeben vom 1. Januar 2024

Damit kommen wir langsam zu unserem Erdbeben. Denn das Epizentrum des Erdbebens vom 1. Januar dieses Jahres liegt knapp westlich der Fossa Magna [6].

Und das Erdbeben vom 1. Januar ist nicht das einzige. Die Nordostspitze der Halbinsel Noto war in den letzten drei Jahren Schauplatz eines kleinen Erdbebenschwarms, dessen größtes Beben im Mai 2023 eine Magnitude von 6,3 erreichte.

Schwere Erdbeben sind aber auch hier nicht ganz unbekannt: 1964 ereignete sich das Niigata-Erdbeben mit einer Magnitude von 7,6 sowie weitere starke Beben in den Jahren 1833 und 1614.

Die Herdflächenauflösung zeigt deutlich, dass es sich um ein Überschiebungsbeben handelt, aber auch kleinere Blattverschiebungsbeben kommen in der Region vor. Es handelte sich um eine südöstlich einfallende Störung, die sich unterhalb der Halbinsel Noto bis zur Insel Sado erstreckt.

Diese Störung ist auch schon früher für Erdbeben bekannt gewesen. So war sie auch für ein Erdbeben im Jahr 2007 mit einer Magnitude von 6,7 verantwortlich. Damals brach der südliche Teil der Störung auf.

Wenige Minuten vor dem eigentlichen Beben ereignete sich ein Vorbeben mit einer Magnitude von 5,5. Nach dem Hauptbeben folgte knapp 9 Minuten später das erste Nachbeben mit einer Magnitude von 6,2. Die Zahl der Nachbeben beläuft sich auf über 1200, davon hatten mindestens 7 eine Magnitude von 5 oder mehr [1].

Herdflächenlösung des Noto-Halbinsel Erdbebens vom 1. Januar 2024. Derr Herdmechanismus deutet auf eine südöstlich verlaufende Überschiebung hin. Möglich sind auch Anteile einer seitlichen Blattverschiebung. USGS

Auswirkungen des Noto Halbinsel Erdbebens

Viele Fragen sind so kurz nach dem Erdbeben sicher noch nicht abschließend geklärt. Hier werden weitere Untersuchungen in der Zukunft sicher neue Erkenntnisse bringen. Einige Auswirkungen sind aber schon jetzt sichtbar. So zeigen GPS-Stationen eine Verschiebung von bis zu 1,3 Metern nach Westen. Satellitendaten zeigen auch, dass Teile der Noto-Halbinsel um bis zu 3 Meter angehoben wurden, die Küstenlinie ist teilweise um bis zu 175 Meter, teilweise auch bis zu 250 m zurückgewichen. Der USGS schätzt, dass sich die Störung um gut 3,7 Meter verschoben hat.

References

  • [1] Benoza, K. and Inoue, Y. (2024). Strong quake prompts tsunami warning for Japan’s western coast, The Japan Times .
  • [2] Tamaki, K. and Honza, E. (1985). Incipient subduction and deduction along the eastern margin of the Japan Sea, Tectonophysics 119 : 381-406.
  • [3] Van Horne, A.; Sato, H. and Ishiyama, T. (2017). Evolution of the Sea of Japan back-arc and some unsolved issues, Tectonophysics 710-711 : 6-20.
  • [4] Ishiyama, T.; Sato, H.; Kato, N.; Koshiya, S.; Abe, S.; Shiraishi, K. and Matsubara, M. (2017). Structures and active tectonics of compressionally reactivated back-arc failed rift across the Toyama trough in the Sea of Japan, revealed by multiscale seismic profiling, Tectonophysics 710-711 : 21-36.
  • [5] Hurukawa, N. and Harada, T. (2013). Fault plane of the 1964 Niigata earthquake, Japan, derived from relocation of the mainshock and aftershocks by using the modified joint hypocenter determination and grid search methods, Earth, Planets and Space 65 : 1441-1447.
  • [6] Oike, K. and Huzita, K. (1988). Relation between characteristics of seismic activity and neotectonics in Honshu, Japan, Tectonophysics 148 : 115-130.

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Gunnar Ries studierte in Hamburg Mineralogie und promovierte dort am Geologisch-Paläontologischen Institut und Museum über das Verwitterungsverhalten ostafrikanischer Karbonatite. Er arbeitet bei der CRB Analyse Service GmbH in Hardegsen. Hier geäußerte Meinungen sind meine eigenen

1 Kommentar

  1. Wenn man das alles liest, wird man sich bewusst, dass in grossen Teilen Japans jederzeit mit allergrössten Erdbeben zu rechnen ist, mit Erdbeben, die auch das höchste je auf der Richter-Skala registrierte Beben, 9.5 nämlich, übersteigen können. Die Japaner haben ihre Bauweise weitgehend an die Möglichkeit grosser Erdbeben angepasst. Sogar die Kernkraftwerke sind ziemlich erdbebensicher. In Fukushima wurde sogar der Hügel abgetragen, damit das Daiichi-Kernkraftwerk auf festem Fels steht. Im Nachhinein gesehen war das allerdings ein Fehler, denn der fehlende Hügel schaffte erst die Voraussetzungen, dass der dem Beben folgende Tsunami, das Parterre des Kernkraftwerks flutete. Doch mit der Flutung hatte niemand gerechnet. Sie bewirkte dann den Komplettausfall der Stromversorgung inklusive der Notfallbatterien.

    Es überrascht immer wieder, wie schnell Menschen frühere Katastrophen wieder vergessen. Denn auch schwerste Tsunamis gab es schon mehrmals in Japan. Doch die Bauweise wurde bis zum Tōhoku-Erdbeben (das den Tsunami auslöste) nicht tsunamigerecht ausgerichtet.

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