Ehre, wem Ehre gebührt – oder: Wem werden Ruhm und Anerkennung zuteil? Beispiele aus der Geschichte

Gerade wurden wieder die Nobelpreise verliehen. Doch wie entscheiden wir überhaupt, welche Leistungen unsere Anerkennung verdienen? Was macht eine Errungenschaft zu einer Errungenschaft? In der Geschichte wurden darauf sehr unterschiedliche Antworten gegeben.

Ein Gastbeitrag von Fabian Hutmacher und Roland Mayrhofer


Den testamentarischen Verfügungen Alfred Nobels zufolge sollen die von ihm gestifteten und gerade wieder mit großer öffentlicher Aufmerksamkeit vergebenen Preise an jene Personen verliehen werden, die im vergangenen Jahr der Menschheit den größten Nutzen geleistet haben. Wenn man so will, sind die Nobelpreise für Physik, Chemie, Physiologie oder Medizin, Literatur und Friedensbemühungen also eine Möglichkeit, eminente Leistungen und menschliche Errungenschaften auf künstlerischem, wissenschaftlichem und politischem Gebiet zu würdigen.

Gleichwohl ist nicht ausnahmslos alles Lob und eitel Sonnenschein. Immer wieder gibt es auch Kritik an der Vergabepraxis: War diese oder jene Leistung wirklich eine Auszeichnung wert? Hätten andere Personen den Preis nicht ebenso verdient gehabt? Wie sinnvoll und objektivierbar sind die Kriterien, die bei der Vergabe angelegt werden? Und warum werden die Preise überhaupt nur in den genannten Kategorien vergeben: Gäbe es nicht andere Disziplinen, die ebenfalls in den Genuss einer derartigen Auszeichnung kommen sollten?

Ein (scheinbar) klares Beispiel: Die Europäische Union und der Friedensnobelpreis

Nehmen wir als konkretes Beispiel für solche Diskussionen die Vergabe des Friedensnobelpreises an die Europäische Union im Jahr 2012. Es sei der Europäischen Union gelungen, so schrieb das norwegische Nobelpreiskomitee in seiner Begründung, Europa von einem Kontinent des Krieges in einen Kontinent des Friedens zu transformieren, in dem Demokratie und Menschenrechte einen hohen Stellenwert einnehmen.

Festgemacht wurde diese Entwicklung exemplarisch an der heute bestehenden engen Allianz zwischen Deutschland und Frankreich, die sich noch vor wenigen Jahrzehnten und über Jahrhunderte als historische Feinde betrachtet hätten. Das zeige, argumentierte das Nobelpreiskomitee, was gezielte Friedensanstrengungen sowie der Versuch, gegenseitiges Vertrauen aufzubauen, bewirken können. Mit anderen Worten: Wenn die Etablierung einer nachhaltigen Friedensordnung auf einem ehemals von regelmäßigen Kriegen und Auseinandersetzungen geprägten und von humanitären Katastrophen heimgesuchten Kontinent keine Errungenschaft ist, was dann? Trotz einer Vielzahl zustimmender Äußerungen, die sich dieser Interpretation im Großen und Ganzen anschlossen, gab es durchaus auch Stimmen, die Zweifel anmeldeten.

So verfassten etwa die drei Friedensnobelpreisträger Desmond Tutu, Mairead Maguire und Adolfo Peréz Esquivel eine Erklärung, in der sie zum Ausdruck brachten, dass sie die Auszeichnung für unangemessen halten, weil die Europäische Union und ihre Mitgliedsländer ihre Sicherheitsordnung unter Zuhilfenahme militärischer Mittel aufrechterhalten. In eine ähnliche Kerbe schlug Amnesty International mit Kritik an der restriktiven Flüchtlings- und Asylpolitik sowie der andauernden Diskriminierung von Minderheiten innerhalb der Europäischen Union und dem Argument, dass die Europäische Union in ihrem außenpolitischen Handeln häufig wirtschaftliche Interessen höher gewichte als Fragen der Menschenrechte.

Nun soll an dieser Stelle kein Urteil darüber gefällt werden, ob die Vergabe des Friedensnobelpreises an die Europäische Union gerechtfertigt war oder nicht. Es soll auch nicht darum gehen, einen Kompromissvorschlag zu erarbeiten, der etwa darauf hinauslaufen könnte, historische Leistungen zu würdigen, ohne gegenwärtige Schwierigkeiten und Verfehlungen zu verschweigen. Das, worauf es hier ankommt, ist der theoretische Gehalt der Debatte. Zunächst wird an dem gewählten Beispiel nämlich anschaulich deutlich, dass sich die Frage, was als Errungenschaft gelten kann, keineswegs einfach beantworten lässt, sondern ganz zentral von den angewandten Bewertungsmaßstäben abhängt – und das selbst in so scheinbar klaren Fällen wie der (weitgehend) friedlichen Geschichte Europas nach dem Zweiten Weltkrieg. Menschliches Handeln und menschliche Erfindungen entpuppen sich oft genug als zweischneidiges Schwert.

Um es mit einem etwas holzschnittartigen Beispiel aus der menschlichen Frühgeschichte zu illustrieren: Die Beherrschbarmachung des Feuers oder die Erfindung von Pfeil und Bogen haben den menschlichen Handlungsspielraum sicherlich vergrößert und die Stellung des Menschen in seiner Welt entscheidend verändert. Und sicherlich halfen Pfeil und Bogen bei der Jagd und somit bei der Sicherung der Lebensgrundlagen. Pfeil und Bogen halfen aber auch bei der nächsten kriegerischen Auseinandersetzung. Und Feuer konnte man ebenso zum Kochen verwenden wie dazu, eine verfeindete Siedlung anzuzünden. Mit anderen Worten: Ob sich eine Entdeckung in einem positiven, moralisch konnotierten Sinne als Errungenschaft erweist, ist in der Entdeckung selbst noch nicht angelegt.

Über die positive Konnotation hinaus legt der Begriff der Errungenschaften eine gewisse Intentionalität, eine planvolle Hervorbringung des Neuen nahe. Ob man diese bei historischen oder auch wissenschaftlichen Leistungen jedoch sinnvollerweise unterstellen kann, ist nicht ohne Weiteres klar. Glückliche (oder unglückliche) Zufälle spielen neben dem strategisch durchdachten und auf Ziele ausgerichteten Handeln ebenso eine zentrale Rolle wie unbeabsichtigte Nebenfolgen.

So lässt sich im Hinblick auf das oben erörterte Beispiel etwa fragen, ob die Annäherung zwischen Deutschland und Frankreich nach dem Zweiten Weltkrieg wirklich – wie es das Nobelpreiskomitee formuliert – nur durch den Wunsch nach Frieden um des Friedens willen motiviert war. Denn ganz pragmatisch ging es damals angesichts des heraufziehenden Kalten Krieges auch darum, die westeuropäischen Staaten bündnisstrategisch gegen die Sowjetunion enger zusammenzubinden und deutsche Alleingänge zu verhindern.

Wenn sich also nicht ohne Weiteres feststellen lässt, was eine Errungenschaft ist, so verspricht ein Nachdenken darüber, was in verschiedenen Kulturen und Gesellschaften als Errungenschaften gilt, zumindest interessante Aufschlüsse – auch über uns und unsere Gegenwart. Wagen wir also einen geschichtlichen Rückblick – wobei wir uns hierbei aus pragmatischen Gründen auf die europäisch-abendländischen Entwicklungen beschränken und den Startpunkt in der griechisch-römischen Antike setzen wollen.

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Was gilt als Errungenschaft? Ein Blick in die griechisch-römische Antike

Soweit es sich anhand der überlieferten Quellen feststellen lässt, wurden als herausragende Leistungen in der griechisch-römischen Antike im Allgemeinen kriegerische und wettkämpferische Leistungen einzelner Individuen angesehen. Dies wird etwa an der Bedeutung der griechischen Heroen deutlich, mythischer semi- oder quasigöttlicher Gestalten, deren Leistung in aller Regel in kriegerischen Heldentaten bestand. Als größter Held der Antike galt dabei Herakles, der bis ans Ende der Spätantike verehrt wurde und vor allem durch seine Siege über unzählige Gegner, darunter eine Vielzahl an Monstern, bekannt war.

Demgegenüber werden fundamentale Errungenschaften, die heute als solche bezeichnet werden, wie etwa die Übernahme und Verbreitung der Schrift, die Einrichtung von Bibliotheken, die Anfänge eines Bildungssystems, die Entwicklung der Demokratie, die Grundlegung der Philosophie und der Wissenschaften, Literatur und Kunstwerke oder eine Vielzahl technisch-baulicher Erfindungen in den antiken Quellen größtenteils als selbstverständlich angesehen, beziehungsweise nicht als herausragende Leistungen thematisiert. Daher ist – mit Ausnahme der großen Philosophen und Künstler beziehungsweise einiger herausragender Wissenschaftler wie etwa Archimedes – normalerweise auch nicht bekannt, wer derartige Errungenschaften hervorgebracht hat.

Das europäische Mittelalter: Ähnlichkeiten und Brüche

Für das europäische Mittelalter lassen sich zwar einerseits Ähnlichkeiten und damit in gewisser Weise eine Fortsetzung der Tendenzen aus der Antike beobachten, andererseits werden auch neue Aspekte sichtbar. Bei den technischen Erfindungen des Mittelalters – von Uhren und Brillen bis hin zu Verbesserungen und Weiterentwicklungen in der Architektur oder der Bau-, Schiffs- und Militärtechnik – sind die Erfinder in aller Regel ebenso wenig bekannt wie in der Antike. Bei zahlreichen kulturellen Leistungen wie etwa der Etablierung einer reichhaltigen und vielfältigen Philosophie sind die Namen der betreffenden Personen zwar überliefert, allerdings bleibt fraglich, wie sehr derartige denkerische Leistungen und die jeweiligen Denker einer breiteren Öffentlichkeit bekannt waren und in ihren Leistungen positiv konnotierte Errungenschaften gesehen wurden.

Im Gegensatz dazu fanden die politischen Taten von weltlichen wie kirchlichen Herrschern sehr großen Niederschlag im zeitgenössischen Schrifttum. Daneben wurden auch religiös-spirituelle Leistungen ohne direkten politischen Bezug als bewunderungswürdige Leistungen betrachtet, wie die Taten von Heiligen oder dergleichen. Die grundsätzliche Bedeutung religiöser Aspekte wird nicht zuletzt beim Ersten Kreuzzug deutlich, als ein christliches Heer Jerusalem eroberte, was als so außergewöhnlich betrachtet wurde, dass man von göttlicher Unterstützung oder Vorsehung sprach.

Auch im Mittelalter fällt also wieder die Fokussierung auf einzelne Personen auf, die – gleichsam im Alleingang, etwa als Könige – Herausragendes geleistet haben, wie etwa einen Staat zu etablieren. Hier spielen zwar militärisch-politische Leistungen ebenso eine oder sogar die entscheidende Rolle, allerdings tritt gegenüber der Antike die persönliche Fähigkeit als Kämpfer im Mittelalter in den Hintergrund. Zwar stand es Herrschern weiterhin gut zu Gesicht, wenn sie gute Kämpfer waren, allerdings handelte es sich nicht um ein Merkmal, das so wichtig und entscheidend gewesen wäre, als dass es schon für sich alleine als Errungenschaft gesehen und anerkannt worden wäre.

Der Beginn der Frühen Neuzeit: Neue Blickwinkel, neue Zugänge

Mit der Renaissance beziehungsweise dem Beginn der Frühen Neuzeit ist ein interessanter Blick auf Errungenschaften verbunden: Viele führende Vertreter der Renaissance betrachteten ihre eigene Zeit insgesamt selbst als eine Errungenschaft gegenüber dem Mittelalter. Diese Sichtweise ist darin begründet, dass das Spätmittelalter im Allgemeinen als eine Zeit des Niedergangs betrachtet wurde, die durch einen Rückgang der Bevölkerung und einen gefallenen Lebensstandard infolge von Pest, Hungersnöten, Kriegen, politischer Instabilität und wirtschaftlichen Schwierigkeiten gekennzeichnet war. Da sich diese Situation mit der Renaissance – wenngleich europaweit unterschiedlich – wieder verbesserte, erschien es vielen Zeitgenossen, als sei ein neues, positives Zeitalter angebrochen.

Im Hinblick auf Errungenschaften lassen sich daraus zwei Aspekte ableiten: Zum einen wird hier deutlich, wie sehr derartige Beurteilungen von der Relativität des Blickwinkels abhängen. Das Mittelalter war selbstverständlich keine Epoche, die ausschließlich „dunkel“ war, und insbesondere das Hochmittelalter wird sowohl in der rückblickenden, differenzierteren Beurteilung heute als auch von den Zeitgenossen als Zeitalter betrachtet, in dem – summarisch gesprochen – Kultur, Wissenschaft und allgemein der Lebensstandard einen enormen Aufschwung erlebten. Aus der Perspektive der Renaissance erscheint das Mittelalter vor allem deshalb dunkel, weil man die zeitlich näher gelegene Periode des Niedergangs viel salienter vor Augen hatte als die Glanzzeit.

Zum anderen werden in der Renaissance und Frühen Neuzeit zusätzliche Kriterien erkennbar, anhand derer solche Bewertungen vorgenommen werden: Die machtmäßige Dimension von Errungenschaften bleibt zwar nach wie vor bestehen, allerdings kommt im Gegensatz zur Antike und zum Mittelalter jetzt eine weitere Komponente hinzu, die im Laufe der Geschichte immer wichtiger wurde, nämlich die Bedeutung des Gemeinwohls als Legitimationsgrund des Staates. Daher musste der Staat – vor allem seit der Aufklärung – zunehmend seine Existenz und Ausgestaltung in irgendeiner Form durch Rückgriff auf das Gemeinwohl rechtfertigen, selbst wenn in sehr vielen Fällen sicherlich diskussionswürdig ist, ob und inwieweit dies tatsächlich konkret in die Praxis umgesetzt wurde.

Neben der staatlich-machtmäßigen Dimension behält auch die geistig-intellektuelle Dimension ihre grundsätzliche Bedeutung für Errungenschaften, da künstlerische und denkerisch-philosophische Leistungen weiterhin als solche betrachtet wurden, und zwar vermutlich in größerem Umfang als bisher, weil bis in die Gegenwart aus jeder Epoche seit der Renaissance derartige herausragende Personen nicht nur bekannt sind, sondern sie und ihre Leistungen nach wie vor von vielen hoch geschätzt werden. Dazu treten aber seit der Frühen Neuzeit verstärkt wissenschaftliche und technische Leistungen, die als Errungenschaften betrachtet wurden und von denen in aller Regel auch die Urheber bekannt sind – man denke etwa an Leonardo da Vinci, Nikolaus Kopernikus, Tycho Brahe, Johannes Kepler oder Galileo Galilei.

Die Entdeckung des Sozialen im 19. und 20. Jahrhundert

Relativ spät – im 19. und 20. Jahrhundert – tritt unter den Begriff „Errungenschaften“ zusätzlich die soziale Dimension hinzu. Darunter sind Maßnahmen wie Kranken- und Sozialversicherung, ein für alle offenes Bildungssystem, Hygienemaßnahmen wie öffentliche Wasserversorgung oder Kanalisation und dergleichen, aber auch Menschenrechte oder die Vereinten Nationen als Instrument zur Friedenssicherung zu verstehen, die allesamt den Lebensstandard für die breite Bevölkerung verbessern. Hier kommt es vor allem auf den strukturellen und staatlichen Charakter an, denn wenn ein mittelalterlicher Herrscher Fürsorge für die Armen betrieb und deren Situation zu verbessern suchte, so geschah dies unsystematisch und „lediglich“ als Ausdruck persönlicher Güte.

Diese soziale Dimension setzt zwar einen funktionierenden („mächtigen“) Staat voraus, der derartige Maßnahmen auch durchführen kann, und es handelt sich im Kern um eine Erweiterung und konkrete Anwendung des Postulats, dass der Staat für das Gemeinwohl Sorge zu tragen habe, erscheint aber – vor allem in Verbindung mit den modernen technischen Mitteln, die viele derartige Maßnahmen erst im großen Stil möglich machen – als so entscheidend für die Lebensrealität der meisten heutigen Menschen, dass eine Subsummierung unter den Machtaspekt nicht gerechtfertigt erscheint.

Was lehrt uns die Geschichte? Von der interessanten Welt der Ambivalenz

Insgesamt ergibt sich aus den obigen Ausführungen ein ambivalentes Bild: Einerseits scheint es nicht möglich, einen Aspekt herauszuarbeiten, der alle als Errungenschaften betrachteten Fälle einschließt. So ist etwa die kriegerisch-staatliche Dimension von Errungenschaften historisch bedeutsam, spielt in der heutigen Diskussion um Errungenschaften aber kaum mehr eine Rolle. Andererseits eignet sich der Begriff „Errungenschaften“ durchaus, um eine Klasse von Phänomenen zu beschreiben, die in verschiedenster Weise Gemeinsamkeiten aufweisen. Auch diese Kontinuitäten und Übergänge vermag ein Blick in die Geschichte aufzuzeigen.

Aus der Unschärfe des Begriffes „Errungenschaft“ folgt also nicht, dass das Nachdenken über ihn vergebene Liebesmühe wäre. Das gilt insbesondere dann, wenn dieses Nachdenken nicht blind vonstattengeht, sondern auf sich selbst reflektiert, das heißt: wenn es darum bemüht ist, die eigenen theoretischen Vorannahmen und die Auswahl der als relevant erachteten Realitätsausschnitte kritisch hinterfragend zu bedenken. Die Beschäftigung mit Errungenschaften bietet demnach nicht nur Aufschluss über die jeweils ins Auge gefasste Leistung: Was wir überhaupt und aus welchen Gründen als Errungenschaft betrachten, sagt mindestens genauso viel über uns selbst als Fragestellende und unsere Welt aus.


Dr. Fabian Hutmacher ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Würzburg. Er hat Psychologie, Philosophie und Germanistik studiert und bewegt sich in seiner Forschung gerne an den Übergängen zwischen diesen Disziplinen. 2015 absolvierte er ein Praktikum bei Stephan Schleim in der Abteilung für Theorie und Geschichte der Psychologie in Groningen.

Roland Mayrhofer ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Regensburg. Er hat Geschichte und Psychologie studiert und erforscht gesellschaftliche, historische und wissenschaftstheoretische Aspekte der Psychologie.

Folgen Sie Stephan Schleim auf Twitter. Titelgrafik: Adriano Gadini auf Pixabay.

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11 Kommentare

  1. Zwischen den verschiedenen Nobelpreisen gibt es einige Abstufungen in ihrer Wertigkeit.
    Zum Beispiel kann der Friedensnobelpreis eine einseitige politische Aussage enthalten.
    Physiker und Chemiker sprengen gerne etwas in die Luft
    (wobei die Physiker viel gründlicher sind),
    aber im Ernst,
    das Wissen über das Funktionieren unserer Welt stellt an sich einen Wert dar.
    Man kann nur über die Welt nachdenken, wenn man ihre Eigenschaften kennt.
    Durch Messen zum Wissen (Heike Kamerlingh Onnes).
    Fritz Haber bekam den Nobelpreis für Chemie.
    Er entwickelte Kunstdünger und Giftgas.
    Kunstdünger wird seitdem um viele Größenordnungen häufiger als Giftgas verwendet.
    Der Medizinnobelpreis soll kranken Menschen helfen,
    und natürlich mag niemand Biowaffen.
    Bei der Betrachtung der Ambivalenz von Wissen wird oft übersehen,
    dass Wissen mehr Nutzen als Schaden bringt.
    Fehlendes Wissen ist häufig sehr schädlich.

  2. Der Erfinder von Polyethylen Hans von Pechmann hätte sich nicht träumen lassen, dass sein Kunststoff einmal die Ozeane voll müllt.
    Hat er sich jetzt mit Ruhm bekleckert oder nicht ?

    Die Entscheidung über nützliche Erfindungen/Entdeckungen , unnütze oder sogar gefährliche ist zweischneidig, je nachdem wieviel zeitlichen Abstand man dazu hat.

  3. @Bednarik: Haber

    Kunstdünger scheint mir doch eine nobelpreiswürdige Erfindung zu sein, zumal in der Chemie!

    Und zum Giftgas äußerte sich Haber 1920, also zwei Jahre nach der Auszeichnung, noch so:

    Die Gaskampfmittel sind ganz und gar nicht grausamer als die fliegenden Eisenteile; im Gegenteil, der Bruchteil der tödlichen Gaserkrankungen ist vergleichsweise kleiner, die Verstümmelungen fehlen und hinsichtlich der Nachkrankheiten […] ist nichts bekannt, was auf ein häufiges Vorkommen schließen ließe.

    Man dachte damals tatsächlich, Krieg mit chemischen Waffen “humaner” machen zu können.

    Was mir Haber sympathisch macht ist nicht sein Einsatz für den schnellen Krieg, sondern (in den 1930ern) für seine jüdischen Mitarbeiter, die aufgrund der NS-Gesetze entlassen werden mussten. Dagegen protestierte er unter anderem bei Max Planck, den ich hier kürzlich für sein Stillschweigen zu den Rassengesetzen kritisierte.

  4. Hallo Neumann, zum Thema Polyethylen:
    Daran ist nur das verantwortungslose Wegwerf-Verhalten der Menschen schuld.
    Jedes beliebige Produkt kann verantwortungslos verwendet werden.
    Zum Beispiel Tetraethylblei im Benzin, oder Kettensägen im Regenwald.

  5. Karl Bednarik
    “Daran ist nur das verantwortungslose Wegwerf-Verhalten der Menschen schuld.”
    Gut erkannt.
    Bei Ruhm und Ehre geht es wieder um das Verhalten der Menschen.
    Ein Kopfjäger mit vielen Schrumpfköpfen am Gürtel ist unter Seinesgleichen gut angesehen.
    Ruhm und Ehre hat mit Kultur zu tun.
    Und es geht immer um das Verhalten der Menschen.
    Und jetzt könnte man argumentieren, welche Erfindung/Entdeckung führt zur Verantwortungslosigkeit, oder sollte man besser sagen, Gedankenlosigkeit.

    Antwort: Alle. Alles was das Leben erleichtert hat als Kehrseite die Verringerung der Wertschätzung zur Folge.

  6. @Neumann 10.10. 13:24

    „Antwort: Alle. Alles was das Leben erleichtert hat als Kehrseite die Verringerung der Wertschätzung zur Folge.“

    Verantwortung ist eine Sache für sich, meine ich. Mit dem, was man hat, so umzugehen, dass das passt, das kann man immer machen. Hier stören neue Erfindungen nicht unbedingt. Insbesondere hilft die Weiterentwicklung von Windrädern, Solarzellen und Batterien dabei, die Energiewende hinzubekommen. Auch wenn die dafür erforderliche Verantwortung mit den technischen Lösungen geringer wird.

    Ist entsprechenden Technik in vielleicht 20 Jahren mit Abstand die billigste Lösung für eine Energieversorgung samt Mobilität, dann gelingt die Energiewende sogar ohne weitere Verantwortung.

    Man kann sich dann nicht mehr als moralisch gut erweisen, zumindest nicht auf diesem Gebiet, aber wichtiger ist dann wohl, dass wir den Kampf gegen den Klimawandel noch rechtzeitig gewinnen.

    Ansonsten hat nun jeder sein eigenes Leben, und kann sich Verbundenheit so einteilen, wie er will. Die üblen Verhältnisse, in die man hineingezogen werden kann, die muss man aber dann auch aushalten. Was die Hamas da gerade anzettelt, das ist offenbar mehr als lästig. Was die Israelis draus machen, da haben die aber auch die Wahl.

  7. @Schleim
    “Was mir Haber sympathisch macht ist nicht sein Einsatz für den schnellen Krieg, sondern (in den 1930ern) für seine jüdischen Mitarbeiter, die aufgrund der NS-Gesetze entlassen werden mussten. ”

    Sicherlich eine starke und positive Charakterleistung!
    Auch dieses gilt es in diesem Zusammenhang zu bedenken:

    “Als die Nationalsozialisten nach der Machtübernahme 1933 die zahlreichen jüdischen Mitarbeitenden am Kaiser-​Wilhelm-Institut entliessen, reichte Haber – selbst jüdischer Herkunft– den Abschied ein. ”

    https://library.ethz.ch/standorte-und-medien/plattformen/kurzportraets/haber-fritz-1868-1934.html

  8. @Fischer: Danke für diese Ergänzung. Ich hatte noch gelesen, dass er aufgrund seines Veteranenstatus aus dem Ersten Weltkrieg formal von der Anwendung des antisemitischen Berufsverbots ausgenommen war. (Meines Wissens zog sich die Schlinge der Rassengesetze im Laufe der Zeit dann aber immer enger; das hat er dann wohl nicht mehr miterlebt, weil er schon 1934 – in Emigration – starb.)

  9. Vielleicht sollte man den Begriff “Errungenschaften” auch ideologisch definieren, was ja auch eine moralische Komponente hat. In der DDR sah man als Errungenschaften andere “moralische Werte ” an wie Arbeit für alle, Billigen Wohnraum für alle, Bildung und ein Gesundheitswesen für alle unabhängig vom Geldbeutel, kostenloses Studium für alle etc… Wenn sie diese “Errungenschaften” an den heutigen messen, können sie auch eine Wertung vornehmen. Auch scheint mir die Festlegung dieser Werte, die zu diesem Nobelpreis führen, oft durch europäische Denkmuster eingefärbt, also diese Vertreter der obersten Moral, diese Europäer, bestimmen mehr oder weniger wer oder was auf dieser Erde die Ehre dieser Auszeichnung bekommt. 95 % der Weltbevölkerung scheinen hier mehr oder weniger kaum Einfluss zu haben , was auch eine Art moralische Errungenschaft aus der alten Kolonialzeit ist.
    Moral und Frieden ist keine europäische Erfindung oder WERT und das Soziale wurde im 19. Jahrhundert auch nicht entdeckt sondern hart erkämpft, auch von einer Partei die damals SPD hieß (Lassalle, Bebel, Liebknecht) denn die Herrschenden verzichten niemals freiwillig auf ihre Privilegien .

  10. @Skeptiker: Es gibt bei der Auswahl der Preisträger*innen bestimmt eine soziopolitische Komponente. Säße so ein Komitee z.B. in Afrika, würden wahrscheinlich oft andere Kandidaten herauskommen.

    Natürlich hat auch ein schwedischer Superreicher (Alfred Nobel, Erfinder des Dynamits) ein Recht darauf, über seinen Nachlass zu verfügen, wie er es will. Das Drumherum ist aber auch von den Medien gemacht. Der Verdacht liegt nahe, dass “der Westen” sich mit so etwas selbst lobt.

  11. Müsste man nicht auch den Sprengmeistern Ehre zollen, würde diese anekdotische Videoevidenz derartiges belegen können?

    Der Anfang vom Ende der Wissenschaft?- oder wie ein promovierter Wissenschaftler seinen Glauben an die Wissenschaft verlor:

    https://www.youtube.com/watch?v=HsI-PWsRuew

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