aufgepatst! Gedanken im Gehirn

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In der neuen Ausgabe von Gehirn&Geist gibt es einen thematischen Schwerpunkt zu Zwangserkrankungen. Lena Jelinek und Steffen Moritz vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf schreiben über den Stand therapeutischer Maßnahmen. Darin ist mir ein Patzer aufgefallen, dass Gedanken im Gehirn sind. In der Beschreibung einer Grafik mit der Überschrift „Gedankliche Kettenreaktion“ heißt es:

Die Grafik zeigt ein Netz von Gedankenassoziationen. Kognitionen sind im Gehirn nach Bedeutung oder Klang verknüpft. Je häufiger Inhalte gemeinsam oder im selben Zusammenhang verwendet werden, desto stärker sind sie miteinander verbunden. (S. 51; meine Hervorhebung)

Ich finde den Übergang sehr interessant: Erst ist von Gedankenassoziationen die Rede; darunter kann ich mir noch etwas vorstellen, auch wenn „Gedanken“ wahrscheinlich redundant ist – gibt es Assoziationen, die keine Gedanken sind? Im nächsten Satz werden Kognitionen – wohl eine stilistische Variante für die Gedanken(assoziationen) – ins Gehirn geschickt, wo sie soundso verknüpft seien. Bei „Verknüpfung“, da denke ich an Verbindungen in einem Netz, so wie die Kästchen in der Abbildung durch Kanten verknüpft sind; und schließlich erfahren wir, diese Verbindungen seien desto stärker, je häufiger Inhalte (Gedankenassoziationen?) zusammen verwendet würden.

Schön und gut – aber welche Rolle mag das Gehirn hier spielen? Wie oder wo finde ich denn einen Gedanken im Gehirn? Und wie kann ich untersuchen, ob dieses Korrelat des Gedankens mit den Korrelaten anderer Gedanken verknüpft ist und wie stark diese Verknüpfungen sind? Da mag es schon Wege geben aber hat das irgend jemand gemacht? Ich glaube, hier sind eine Menge Metaphern im Spiel – und die Grafik trägt ihren Teil dazu bei, das Netzwerk von Assoziationen mit dem Nervennetz des Gehirns zu verwechseln. aufgepatst! Eigentlich hätte man den Zusatz „im Gehirn“ doch einfach weglassen können und jeder würde verstehen, was gemeint ist.

In der Rubrik auftepatst! möchte ich, penibel, wie ich bin, auf sprachliche Verwirrungen im Zusammenhang mit Mensch und Gehirn hinweisen.

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13 Kommentare

  1. Geometrie

    Hallo Stephan,

    Die Graphik zeigt sehr deutlich, wie man Gedanken, Assoziationen und Kognition im Gehirn völlig mißverstehen kann, nämlich mit euklidischer Geometrie. Gleichgroße Rechtecke, gerade Linien mit rechtwinkeliger Abzweigung, so eine Geometrie gibt es im Gehirn nicht.
    Die Verbindungen im Großhirn sind wurzelartig verästelt, verflochten und verfilzt wie ein unterirdisches Pilzmyceel. Das heißt heute in der Sprache der Mathematik: in Fraktaler Geometrie verbunden, der Geometrie der „Chaos-Theorie“, beschreibbar mit nichtlinearen Algorithmen.
    Im ständigen wechselndem Chaos der fortlaufenden Ereignisse und Reflektionen, genau dort finden Sie wie ich täglich neue Gedanken, die wir dann mühsam ordnen und hier zum Besten geben.
    Natürlich hat das kreative Gedankenchaos auch seinen Ort im Gehirn, den man mit Narkose lahmlegen kann usw., aber von den neurophysiologischen Vorgängen im Großhirn spürt der Inhaber nichts, und das ist auch gut so.

    S.R.

  2. Rückkopplung

    Das Gehirn arbeitet mit Rückkopplungsprozessen, bei denen neuronale Erregungszustände auf diejenigen Prozesse zurückwirken können, aus denen sie entstanden sind. Durch Wiederholen summiert sich deren Wirksamkeit bis sie schließlich zum ´bewussten´ Gedanken werden.

    (PS: Deswegen hat der Buddhismus die Idee eines ´ICH´ schon immer zur Illusion erklärt; denn seiner Meinung nach entspricht die Lebensdauer eines Lebewesens – genau genommen – nur der Dauer eines Gedankens.)

  3. Ich vermute, dass ein Gedanke eine Zustandsequenz ist. Er wird sowohl von äußeren Ereignissen (Sinne), als auch inneren Daten (Assoziationen, Modelle, Antriebe) als auch von Algorithmen gesteuert. Im Unterschied zur klassischen Datenverarbeitung wird möglicherweise der Algorithmus, der den Gedanken bildet, bei jedem Durchgang verändert. Oder ist es mehr wie ein Filteralgorithmus, der grundsätzlich intakt bleibt und nur über seine internen Zustandvariablen zeitlich verändert reagiert?

  4. @adenosine

    Adenosine

    Holla, da sind wir ja gleichgesinnt bzw. einer Meinung,
    ich würde sagen: Es ist die ständige Iteration eines Algorithmus mit wechselnden Kontrollparametern, die unsere Gedanken und die Organisation der neuronalen Ensembles im Cortex in rhythmischer Form erzeugt.
    Vergleichbar: Jede Zellteilung läuft im Organismus mit den gleichen Genen nach dem gleichen Algorithmus ab, aber durch verschiedene Kontrollparameter entstehen daraus spezielle Leberzellen, Hautzellen, Nierenzellen usw.

    S.R.

  5. Der ganze Artikel scheint mir an einigen Stellen Gehirn und Psyche zu verwechseln oder gleichzusetzen. Ausserdem wird aus korreliert bzw. gleichzeitig auftretenden Phänomenen durch Interpunktion eine Ursache-Wirkungs-Beziehung konstruiert. Gefährliche Logik, würde ich meinen.

  6. @ Alle

    Mir ging es darum, auf das Risiko hinzuweisen, durch subtile Zwischenschritte von einer mehr oder weniger willkürlichen Darstellung (bsp. Assoziationsnetz) auf eine mehr oder weniger verbindliche ontologische Realisierung (bsp. Nervensystem) zu schließen. Ich freue mich, dass Sie auch so kritisch darüber denken.

    Ein anderes beliebtes, sehr populäres Beispiel ist: Da Hirnforscher kein Ich-Zentrum im Gehirn gefunden haben, kann es kein einheitliches Ich geben; aber wer sagt denn, dass eine (phänomenale) Ich-Einheit durch eine Einheit auf der physiologischen Ebene realisiert sein muss?

    Welche Mathematik das Nervensystem am besten beschreibt — oder ob es überhaupt so eine Mathematik gibt –, darüber möchte ich mich beim heutigen Wissensstand nicht äußern.

    Metaphern finde ich so lange unproblematisch, so lange man sich dessen bewusst ist und bleibt, dass es solche sind; dann wird man auch nicht den Fehler begehen, daraus ontologische Thesen abzuleiten.

  7. @ Mathias: Karten und Territorien

    Ja, das ist ein guter Vergleich; allerdings sollte man nicht ganz vergessen, dass eine gute Karte auch nützlich sein kann!

    Wie gut unsere “Hirnkarten” aber sind, das ist die große Preisfrage.

  8. “…dass eine gute Karte auch nützlich sein kann!”

    Ganz klar. Wir haben ja eh nur Karten. Man darf nur nicht vergessen zu berücksichtigen, dass Karten u.U. einer anderen Logik folgen als Landschaften.

  9. aufgepatzt bei Assoziationen!

    Hallo, Stephan Schleim –
    ja, es gibt durchaus andere als Gedanken-Assoziationen. Zum Beispiel die “Freie Assoziation der (freien)Produzenten” – altes sozialistisches Traumziel.
    Aber trotzdem: unbedingt die Rubrik “aufgepatst” weiter führen! Ist höchst notwendig! – JJ

  10. @ Johler

    Danke, lieber Herr Johler; keine Sorge: ich werde weiter an meinem Image des nervenden Pedanten feilen und diese Rubrik hier fortführen!

  11. von den Verfassern

    Hi aufgepatst,
    danke für die Belehrung ;-))
    -> “gibt es Assoziationen, die keine Gedanken sind?”

    Es gib in der Tat mehr als eine Begriffsverwendung. Assoziation ist ein Homonym wie der Schlauberger sagt, für alle anderen: Teekesselchen ;-)) Das Wort kann im Zusammenhang Verknüpfung aber eben auch Gesellschaft/Zusasmmenschluss verwendet werden

    “Im nächsten Satz werden Kognitionen – wohl eine stilistische Variante für die Gedanken(assoziationen) – ins Gehirn geschickt, wo sie soundso verknüpft seien. Bei „Verknüpfung“, da denke ich an Verbindungen in einem Netz, so wie die Kästchen in der Abbildung durch Kanten verknüpft sind;”

    Kognitionen sind elementare Bewusstseinsinhalte wie einzelne Bilder oder Erinnerungen, die auf keinen Fall alle miteinander verknüpft sind, sonst gäbe es einen kortikalen Kurzschluss. Erst durch den gemeinsamen Gebrauch, einschließlich Koinzidenz, entsteht eine Verbindung oder Assoziation. Zum 2. Teil des Satzes: ja, so ein Netzwerkmodell wird in der Tat angenommen und ist auf verschiedenen Ebenen gut belegt.
    Selbstverständlich ist das aber ein dynamisches und intraindividuell heterogenes Geschehen. Wir haben nicht alle an derselben Stelle eine Verdrahtung für “Apfel”.

    “Und wie kann ich untersuchen, ob dieses Korrelat des Gedankens mit den Korrelaten anderer Gedanken verknüpft ist und wie stark diese Verknüpfungen sind?”

    Da gibt es viele Möglichkeiten: u.a. Priming-Studien aber das ist eine Geschichte, die hier nicht erzählt wird und werden muss, da es sich bei unserem Artikel um keinen Beitrag für eine Fachzeitschrift handelte, die auf Grundlagenforschung spezialisiert ist. Wir haben lediglich ein Modell skizziert, auf welchem unsere Methode fußt.

    “Eigentlich hätte man den Zusatz „im Gehirn“ doch einfach weglassen können” [bezieht sich auf “Kognitionen sind im Gehirn nach Bedeutung oder Klang verknüpft”].
    Kommt drauf an. In einem Fachbeitrag hätten wir es sicher weggelassen, aber hier handelt es sich um einen populärwissenschaftlichen Beitrag und Ihr wisst ja nicht, womit Menschen glauben denken zu können: z.B. – und das ist mal nicht metaphorisch gemeint – mit dem Herzen ;-))

    Wer Lust hat, sich das Ganze durchzulesen:
    http://www.uke.de/assoziationsspaltung. Es handelt sich um ein Konzept, welches wir kostenlos ins Netz stellen.

    Herzlichen Gruß, Steffen Moritz

  12. @ Moritz

    Danke für die Rückmeldung, die ich erst jetzt gesehen habe.

    Ich möchte mal einen Beleg dafür sehen, dass ein Gedanke im Gehirn vernetzt ist. Meines Erachtens hat dieser Satz den Status einer Metapher. Darauf wollte ich mit meinem Beitrag nur hinweisen.

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