Zug-Chemieunfall in Ohio – jetzt übernimmt die EPA-Zentrale

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Am 03. Februar waren in Ohio, East Palestine, Waggons eines Güterzugs entgleist, deren Chemikalien-Ladung teilweise gezielt abgefackelt wurde. Die Behörden reagierten zunächst verhalten. Am 13./14. Februar wurde die gewaltige Dimension des Chemie-Unfalls und die Gründe in der Öffentlichkeit bekannt: die 50 mit teils hochgiftigen Chemikalien beladenen Waggons sind eine akute, langanhaltende Gefährdung auch für Menschen, sind unkontrolliert in Boden und Wasser gesickert und haben nachweislich zu Fisch-Massensterben geführt. Andere Todesfälle unter Tieren seien noch nicht offiziell bestätigt.
So steht etwa das ausgetretene Vinylchlorid im Kontext mit Krebserkrankungen. Verständlicherweise reagierten (nicht nur) die zeitweise evakuierten Anwohner empört auf den lockeren Umgang mit den toxischen Substanzen und wollten Antworten. Etwa, welche Gefährdung für sie tatsächlich besteht. Wer für die Kosten der Schäden aufkommt. Wer den Boden und die Flüsse reinigt. Ob ihre Häuser jetzt wirklich noch bewohnbar sind-
Bis dahin schien sich kaum jemand für ihre Sorgen zu interessieren, East Palestine im Rostgürtel war offensichtlich wenig medientauglich im Niemandsland.
(Mehr dazu in meinem Meertext-Beitrag “Zug-Chemieunfall in Ohio – “a perfect storm”“).

Bis jetzt. Die zunächst zurückhaltend agierende EPA (US Environmental Protection Agency) hat die Aufklärung und Verfolgung des Chemie-Unfalls jetzt zum Top-Thema gemacht und erwartet von der Eisenbahngesellschaft Norfolk Southern die Übernahme aller entstandenen Schäden, so die EPA-Pressemitteilung vom 21. Februar:
„Heute hat die US-Umweltschutzbehörde (EPA) Norfolk Southern angewiesen, alle notwendigen Maßnahmen im Zusammenhang mit der Beseitigung der Zugentgleisung in East Palestine, Ohio, durchzuführen.
Als Teil der rechtsverbindlichen Anordnung der EPA muss Norfolk Southern:
– Boden- und Wasserressourcen identifizieren und reinigen
– die Kosten für Reinigungsdienste der EPA erstatten. EPA und von ihr beauftragte Drittunternehmen wollen damit den Anwohnern zusätzliche Sicherheit biete.
– bei Bedarf und auf Anfrage der EPA an öffentlichen Sitzungen teilnehmen und die angeforderten Informationen veröffentlichen.
– die Kosten erstatten, die der EPA im Rahmen dieser Untersuchung entstehen.“

„Das Entgleisen des Norfolk Southern-Zugs hat das Leben von Familien in East Palestine auf den Kopf gestellt, und die Anordnung der EPA wird sicherstellen, dass das Unternehmen für die Gefährdung der Gesundheit und Sicherheit dieser Gemeinde zur Rechenschaft gezogen wird“, sagte EPA-Administrator Michael S. Regan. „Lassen Sie es mich klar sagen: Norfolk Southern wird für die Beseitigung des Chaos, das sie angerichtet haben, und für das Trauma, das sie dieser Gemeinde zugefügt haben, bezahlen. Ich bin den Einsatzkräften, einschließlich des EPA-Personals, zutiefst dankbar, die seit dem ersten Tag vor Ort waren und dafür gesorgt haben, dass infolge dieser Katastrophe keine Menschenleben zu beklagen waren. Beim Übergang von der Notfallhilfe in die Sanierung wird die EPA weiterhin eng mit unseren lokalen, staatlichen und föderalen Partnern durch einen gesamtstaatlichen Ansatz koordinieren, um die East Palestine-Anwohner während der Sanierungsphase zu unterstützen. An die Menschen in East Palestine, die EPA steht Ihnen jetzt und so lange wie nötig zur Seite.“ (frei übersetzt von mir, mit etwas Hilfe von GoogleTranslate).

Damit geht die Behörde jetzt von der behördenübergreifenden Reaktion der „Notfallphase“ zur längerfristigen Sanierungsphase über. Wegen der komplexen Situation der Zuständigkeiten bei verschiedenen Bundes-, Landes- und Kommunalbehörden in mehreren Staaten wird die EPA jetzt eine „einheitliche Kommandostruktur“ einrichten, um die Aufräumarbeiten von FEMA (Federal Emergency Management Agency, Katastrophenschutz), HHS (Department of Health and Human Services, US-Gesundheitsbehörde), Ohio EPA, Ohio EMA, PA DEP (Pennsylvania Department of Environmental Protection) sowie Norfolk Southern zu koordinieren. Diese Prozedur zur Koordinierung ist das übliche Vorgehen, wenn verschiedene Behörden zuständig sind.
(Anmerkung: East Palestine liegt zwar in Ohio, aber direkt an der Grenze nach Pennsylvania, darum sind die dortigen Behörden involviert).

Also wird die EPA jetzt einen Arbeitsplan mit den notwendigen Schritten erstellen. Sollte Norfolk Southern dies nicht vollständig umsetzen, wird die EPA unverzüglich einschreiten und die Kosten dafür der Eisenbahngesellschaft in Rechnung stellen.
Außerdem wird die EPA den Anwohnern anbieten, das Innere ihrer Häuser und Wohnung zu dekontaminieren, da die Behörde dafür kompetente und erfahrene MitarbeiterInnen habe. Auch für diese Kosten muss Norfolk Southern aufkommen.
Soweit die Pressemitteilung der EPA und die offizielle behördliche Anordnung.

Schwierige Faktenlage

Die ersten Wasser- und Bodenproben sollen gezeigt haben, dass keine toxische Belastung stattgefunden habe. Daraufhin konnten die evakuierten Einwohner in ihre Häuser zurückkehren.
Allerdings musste der Gouverneur von Ohio Frank DeWine in einem Presse-Interview zugeben, dass diese ersten Proben durch Norfolk Southern durchgeführt worden seien. Also vom Verursacher selbst, der das Unglück zunächst zu bagatellisieren versuchte (Tweet von Eric Feigl-Ding, mit Bezug auf ein Interview in Status Quo-News). Andere Quellen meinen, dass auch Behörden Proben genommen haben sollen.
Darum haben die Anwohner kein Vertrauen in diese Proben.
Außerdem soll DeWine auch die angebotene Hilfe der FEMA abgelehnt haben, die eigentlich genau die richtigen für das Management einer Chemie-Katastrophe wären.
Die Nachrichtenlage ist somit etwas unübersichtlich, für mich ist es schwierig, einzelne Aussagen dazu zu verifizieren.

Parallel dazu tauchen natürlich erste Verschwörungsmythen auf (hatten wir beim ersten Artikel als Kommentar) und es werden aus allen Richtungen reichlich Nebelkerzen geworfen, von PolitikerInnen, Medien und anderen Seiten.

Pennsylvania und Erin Brockovich versus Norfolk Southern?

Der demokratische Gouverneur von Pennsylvania, Josh Shapiro, sagte am Dienstag, dass Norfolk Southern die Katastrophe von Anfang nicht nur schlecht gehandhabt habe, sondern vielmehr die Maßnahmen lokaler und staatlicher Behörden behinderte. Shapiro ist erst seit 17. Januar 2023 im Amt, zuvor war er Generalstaatsanwalt, er hat also Biss. Shapiro beklagte gegenüber der Presse auch, dass das Eisenbahnunternehmen nicht bereit gewesen sei, nach Alternativen zu suchen, als die fünf mit Vinylchlorid gefüllten Waggons gezielt abzufackeln. Stattdessen habe Norfolk Southern darauf gedrängt, die Strecke schnellstmöglich wieder freizugeben. Das habe, so schrieb Shapiro in einem Brief an Alan Shaw, CEO von Norfolk Southern, zu unnötigen Risiken und zu Verwirrung geführt. Pennsylvania werde wegen des schweren Umweltdelikts die Strafverfolgung aufnehmen. Der Brief liegt den Medien vor.

Norfolk Southern hat jetzt erst einmal einen Fonds in Höhe von 1 Million US-Dollar (937.000 Euro) eingerichtet, als Soforthilfe für die örtlichen Gemeinde z bei den Sanierungsarbeiten, der Entfernung von Toxinen aus dem Boden und den Gewässern sowie der Überwachung der Luftqualität.

Einige Anwohner bereiten jetzt Sammelklagen gegen Norfolk Southern vor und fordern u. a. Schadensersatz für Einkommensverluste aufgrund von Evakuierungen und Kontakt mit krebserregenden Chemikalien. Außerdem hat sich jetzt die renommierte Umwelt- und Verbraucherschützerin Erin Brockovich zu dem Vorfall geäußert und die Biden-Regierung aufgefordert, sich nachdrücklich um die Aufklärung zu kümmern und den Konzern zur Rechenschaft zu ziehen. Auch wenn das Grundwasser zurzeit noch unbelastet sei, wisse niemand, welche Schäden in einigen Jahren auftreten könnten.
Erin Brockovich war durch ihre Sammelklage (als Rechtsanwaltsgehilfin, noch ohne juristische Examina) für die Einwohner der kalifornischen Kleinstadt Hinkley berühmt geworden. Viele der Einwohner waren durch von Pacific Gas and Electric (PG&E) verseuchtes Grundwasser erkrankt, Brockovich hatte die Firma auf Schadensersatz verklagt. Ihr großer Fall wurde mit Julia Roberts in der Hauptrolle verfilmt. Mittlerweile ist sie selbst Anwältin und vertritt genau solche Fälle besonders gern und medienwirksam.

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Auf dem Science-Blog „Meertext“ schreibe ich über meine Lieblingsthemen: Biologie, Zoologie, Paläontologie und das Meer. Wale, Fische und andere Meeresgetüme. Tot oder lebendig. Fossile Meere, heutige Meere und Meere der Zukunft. Die Erforschung, nachhaltige Nutzung und den Schutz der Ozeane. Auf der Erde und anderen Welten. Ich berichte regelmäßig über Forschung und Wissenschaft, hinterfrage Publikationen und Statements und publiziere eigene Erlebnisse und Ergebnisse. Außerdem schreibe ich über ausgewählte Ausstellungen, Vorträge, Bücher, Filme und Events zu den Themen. Mehr über meine Arbeit als Biologin und Journalistin gibt´s auf meiner Homepage “Meertext”.

5 Kommentare

  1. Shit happens, heißt es zurecht, doch warum muß darin auch noch gequirlt, die Kommunikation darüber bagatellisierend verkrüppelt, das Aufräumen gestört bis verhindert, die Folgen betriebsfördernd ignoriert werden?

    (mußte zwischen Lesen und Kommentieren erst mal das Salätchen, ok, ok, den Salat bereiten, der gemäß Planung (mindestens) für heute die Hauptmahlzeit bilden soll)

    • @rolak: Naja, es scheint mittlerweile ja üblich zu sein, statt Probleme zu lösen, die Problemlösung durch wilde Schuldzuweisungen, Verschwörungserzählungen, … möglichst weit wegzuschieben. Die Hälfte der dafür verschwendeten Energie würde reichen, um wirklich das Problem zu lösen und eine Wiederholung zu verhindern. Das fand ich ja bei Fischsterben in der Oder schon wirklich krass, wie Polen als EU-Land diese (u a bei Rechtspopulisten u a Extremisten) so beliebte Strategie durchgezogen hat.

      • Beleibe nicht nur da. Schau eine x-beliebige Headline über irgendein Politereignis an und das erste ist Kritik der Partei die es nicht verbockt hat, zeigt mit dem Finger auf die anderen.
        Mit seltenen Ausnahmen (Zeitenrede z.B. hat man das mal ein Stück zurückgestellt in der Debatte, aber selbst da gabs das).

  2. möglichst weit wegzuschieben

    Einerseits ging es mir mehr um das Verschlimmern der Auswirkungen eines eh schon üblen Geschehens duch aktives Nichtstun – hielt ich bereits für ziemlich maximal in diesem Falle. Doch welche SchadensLandmarke auch immer dabei als maximal angesehenen wurde, Trump setzt noch einen drauf…

    Andererseits: dieses Schieben und

    zeigt mit dem Finger auf die anderen

    Zeigen lernen wir alle doch bereits im Kindergarten: ‘Der war das!’

    In jener Karnevalssession, die einzige, die mich in einem ~RosenmontagsZug erlebte, hatten die Stunker das GolfkriegsSzenario mit menschlichen Stockpuppen á la Hänneschen in einen hiertypischen Sandkasten verlegt – und der kleine Kuwaiti lief weg und kam mit Onkel Bush an der Hand zurück, zeigte auf Saddam und nölte ‘Dä woor dat!’

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