Sind Glattwal-Kälber Milchdiebe?

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Vor der australischen Küste sind in den Sommermonaten Glattwale (Südkaper, Eubalaena australis) zu beobachten, die Weibchen bringen in den warmen Gewässern ihre Kälber zur Welt. Die Mütter haben sich zuvor in der Antarktis an Krill und anderem Zooplankton fett gefressen und zehren dann monatelang von ihrer bis zu 50 Zentimeter dicken Blubberschicht. Um das 5 bis 7,50 Meter große Kalb zu gebären und es mit fetter Milch innnerhalb weniger Monate fit für die nächste lange Wanderung nach Süden zu machen, brauchen sie auch viel Energie.
Die Kälber trinken 4 bis 8 Monate lang bis zu 600 Liter Milch pro Tag. Die Glattwalkuh spritzt die Milch aus den beiden Milchdrüsen rechts und links der Geschlechtsöffnung ihrem Nachwuchs direkt ins Maul – Walkälber können nicht richtig saugen, weil ihre Lippen nicht wie andere Säugetierjunge verformbar sind. Mit dieser Kraftnahrung wachsen die Kälber schnell und können ihre Mütter dann auf dem Weg zu den antarktischen Freßgründen begleiten. Die Mütter verlieren in dieser Zeit bis zu 40 % ihres Körpergewichts.

Vor Australien untersucht ein Biologen-Team um Dr. Kate Sprogis (Oceans Institute and School of Biological Sciences der University of Western Australia) seit einigen Jahren die Mutter-Kind-Paare per Drohne. Als sie und Dr. Fredrik Christiansen von der Universität Aarhus in Dänemark die Fitneß der Glattwale in ihrer Kinderstube untersuchten, entdeckten sie, dass einige Südkaperkälber offenbar kleine „Milchdiebe“ sind.
Südkaper sind an ihren weißen Hornschwielen (callosities) auf den Köpfen individuell erkennbar, dadurch können die Biologen die Kälber ihren Müttern zuordnen.

Whale calves have been caught ‘stealing milk’ (The University of Western Australia)


Und so ertappten sie die Milchdiebe. “Allosucklung”, also Fremd”nuckeln”, nennt Sprogis dieses Verhalten von Kälbern, die bei anderen Kühen als der leiblichen Mutter Milch trinken. „Allosuckling wurde schon bei Robben und Landsäugetieren wie Hirschen, Rentieren und Giraffen beobachtet, bei großen Walen jedoch noch nicht quantifiziert“, erklärte Sprogis gegenüber. Das vor der Südküste Australiens beobachtete Verhalten schien eine direkte und absichtliche Bewegung des Kalbes zu sein, und die nicht biologische säugende Mutter war im Allgemeinen ausweichend, beobachteten die Biologen. Das Allosäugen hat potenzielle Vorteile für das Kalb, da es zusätzliche Milch erhält, und noch mehr Gewicht und Größe zulegen kann. Es kann jedoch für die nicht leibliche Mutter von Nachteil sein, da sie ihren eigenen Nachwuchs ja auch mit Milch versorgen muss. Da die Südkaper-Mütter während der Stillzeit nicht fressen, können sie ihre verlorenen Energiereserven in der Kinderstube nicht wieder auffüllen. Stattdessen müssen sie erst noch die kräftezehrende lange Wanderung bis zu den subantarktischen Inseln oder in die Antarktis schaffen, bevor es wieder ans Fressen geht.

Für mich bleibt dabei noch die Frage, wie das Allusuckling bei Walen anatomisch funktioniert: Eigentlich können die Kälber nicht selbst saugen. Ob eine Walmutter bei Berührung ihrer Zitzen automatisch Milch abgibt, ist nicht bekannt.

Fatness is fitness

Walmütter von Südkapern und den meisten anderen Walen werden nur alle paar Jahre trächtig, dann tragen sie für meist um 12 Monate lang ein Kalb aus, das sie anschließend mehrere Monate säugen.
Dieser Kraftakt gelingt nur gut genährten Weibchen.
Der Ernährungszustand bei Walen war früher fast nur bei Totstrandungen direkt zu ermitteln oder bei Überflügen mit Helikoptern oder Flugzeugen bei Walzählungen. Seit dem Einsatz von Drohnen zur “Luftüberwachung” können Biologen aus der Luft das Längen-Dicken-Verhältnis von Walen und damit ihre Fettschicht und den Ernährungszustand ermitteln – “Fotogrammetrie” nennt Fredrik Christiansen dieses Verfahren.
Dafür überfliegt die Drohne den Wal in einer bekannten Höhe, dann können die Biologen die Länge und Breite des Tieres messen und zusätzlich für die Foto-Identifikation Kopf und Rücken fotographieren. Aus den Werten können sie dann das Körpervolumen eines Meeressäugers berechnen und seinen individuellen Ernährungszustand beurteilen. Fredrik Christiansen ist ein Experte auf diesem Gebiet, er hat schon für verschiedene Walarten die entsprechenden morphometrischen Grundlagen entwickelt, u. a. für Grauwale.

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Auf dem Science-Blog „Meertext“ schreibe ich über meine Lieblingsthemen: Biologie, Zoologie, Paläontologie und das Meer. Wale, Fische und andere Meeresgetüme. Tot oder lebendig. Fossile Meere, heutige Meere und Meere der Zukunft. Die Erforschung, nachhaltige Nutzung und den Schutz der Ozeane. Auf der Erde und anderen Welten. Ich berichte regelmäßig über Forschung und Wissenschaft, hinterfrage Publikationen und Statements und publiziere eigene Erlebnisse und Ergebnisse. Außerdem schreibe ich über ausgewählte Ausstellungen, Vorträge, Bücher, Filme und Events zu den Themen. Mehr über meine Arbeit als Biologin und Journalistin gibt´s auf meiner Homepage “Meertext”.

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