Neue Tiefsee-Entdeckungen: 4 Octopusse und noch mehr

Tiefseeforscher des Schmidt Ocean Institute haben 2023 (mindestens) vier neue Tiefseekrakenarten entdeckt. Das Forschungsschiff R/V Falkor des privat finanzierten Forschungsinstituts war 2023 mit zwei Expeditionen – Projektname Octopus Odyssey – unter der Leitung von Dr. Beth Orcutt vom Bigelow Laboratory for Ocean Sciences und Dr. Jorge Cortés von der Universität von Costa Rica zu Seebergen vor der Pazifikküste Costa Ricas unterwegs. In den Proben von dem nur 100 Quadratmeilen großen Gebiet vor Costa Rica haben BiologInnen jetzt gleich vier neuen Octopus-Arten gefunden. Seeberge und Hydrothermalquellen bieten Energiezufuhr und Nahrung für viele Organismen in der eigentlich sonst meist recht leeren Tiefsee, darum sind sie Hot Spots der Biodiversität.
Auf zwei Forschungsfahrten im Juni und Dezember beobachteten die 18 BiologInnen vor den Kameralinsen der Tauchroboter abseits der Hydrothermalquellen gleich mehrere unbekannte Krakenarten. Zum Unterwasser-Roboter-Programm gehört der ferngesteuerte ROV SuBastian, (der Name ist so nerdig) der bis 4.500 Metern seine Sensoren und andere Ausrüstung einsetzen kann.

Octopus-Brutkolonien am El Dorado Hill

Während der ersten Expedition im Juni 2023 hatten sie mit Unterwasser-Kameras zwei Kraken-Kinderstuben nahe bei hydrothermalen Quellen untersucht. Sechs Monate später kehrten Wissenschaftler dorthin zurück und beobachteten die Brutkolonien erneut. Diesmal konnten sie sogar einigen Krakenkindern beim Schlüpfen zusehen!
Damit ist also zweifellos klar, dass es sich um eine aktive Brutkolonie handelt. Als dieser Octo-Mom-Nistplatz am El Dorado Hill im Jahr 2013 erstmals entdeckt wurde, war dies die allererste Beobachtung einer solchen Krakenkinderstube überhaupt. Da keine Embryonen in den Gelegen sichtbar waren, nahmen die Forschenden an, dass der Platz nahe der toxischen Quelle vielleicht nicht so gut zur Fortpflanzung geeignet sei. Das ist jetzt geklärt.

Zwei kleine Octopusse schlüpfen, in anderen Eiern kann man die Augen und Umrisse der Embryonen erkennen:

An octopus hatchling emerges from a group of eggs at a new octopus nursery, first discovered by the same team in June, at Tengosed Seamount, off Costa Rica. (Bild: Octopus Odyssey Imagery via Schmidt Ocean Institute – CC BY-NC-SA)

Die Entdeckung, dass Krakenmütter sich überhaupt zur Reproduktion versammeln, war eine große Überraschung, da Kraken eigentlich eher Einzelgänger sind. Es deutet jedenfalls darauf hin, dass die Muusoctopus-Arten in der nicht sehr lebensfreundlichen Tiefsee die Fortpflanzung in großen Kinderstuben nahe der hydrothermalen Quellen als Spezialanpassung entwickelt haben.
Die heißen Tiefsee-Quellen sind in 10 bis 30 Seemeilen Entfernung und erwärmen das Umgebungswasser des Nestplatzes dann nur noch moderat, aber beschleunigen vermutlich immer noch die Entwicklung der Eier. Eine heimelige Atmosphäre im Schatten der Vulkanaktivität am Meeresboden aus – so eine Art “hygge” für Tiefseekraken. Außerdem ziehen die Hydrothermalschlote und Seamounts eine ganze Menge Lebewesen an, die auch Nahrung für die Octo-Moms bieten könnten. Eigentlich fressen Krakinnen nach der Eiablage nichts mehr, sondern sterben beim Behüten ihrer Brut bald an Auszehrung. Tiefseekraken hingegen sind anders. Zumindest einige Tiefseearten werden älter als ein Jahr und einen Reproduktionszyklus. Die Art Graneledone boeopacifica brütet sogar 53 Monate lang! Das liegt daran, dass in der Tiefsee die Uhren anders gehen – sie ist kalt, nahrungsarm und kennt keine Jahreszeiten, darum sind die Lebensrhytmen hier viel langsamer und weniger regelmäßig.

Neuentdeckungen von Octopus und Rochen-Brutplatz

Dieses Youtube-Video fasst die Highlights von RV Falkors Octopus Odyssey in Bildern zusammen.

Die unbekannten Kraken gingen an die Tiefseekraken-Spezialistin Dr. Janet Voight, stellvertretende Kuratorin für Wirbellosenzoologie am Field Museum of Natural History, und Fiorella Vasquez vom Zoologischen Museum der Universität von Costa Rica weiter, die sie wissenschaftlich untersuchten und als neue Arten beschrieben. Einer der neuen Kraken ist eine neue Art von Muusoctopus. Die Gattung Muusoctopus kommt als Kosmopolit in allen Meeren in der Tiefsee vor und wurde erstmals auf der berühmten HMS Challenger-Expedition beschrieben. Sie sind recht klein und haben überraschenderweise keinen Tintensack. Schwarze Tinte ist in der dunklen Tiefsee wahrscheinlich nicht so ein doller Evolutionsvorteil, so hat sich ihre Tintendrüse in ihrer heutigen ökologischen Nische zurückentwickelt. Der neue Muusoctopus heisst jetzt Dorado-Octopus, weil sein Fundort ein kleiner Felsvorsprung war, den die Forschenden inoffiziell “El Dorado Hill” nannten.

Auf dem Gipfel eines anderen Seebergs, des Tengosed, in der Gegend fanden die Forscher eine weitere Kinderstube mit geschäftigem Treiben, diesmal für Rochen, darum gaben sie dem Ort den Spitznamen „Skate Park“.
Das Team lokalisierte außerdem drei hydrothermale Quellen in der Region, 10 bis 30 Seemeilen voneinander entfernt. Die Flüssigkeitstemperaturen und Chemien der Quellen unterscheiden sich alle voneinander, was darauf hindeutet, dass einzigartige Reaktionsprozesse ihre Entstehung begünstigen.

Außerdem filmten sie noch den “Tanz einer Geister-Qualle”.

Eine andere besondere Sichtung der Octopus Odyssey ist dieser transparente Glas-Octopus:

Diese Sichtung von Glaskraken (Vitreledonella richardi) war ungewöhnlich – Forscher sind sich nicht sicher, ob es sich um einen Raub- oder Kopulationsakt handelt, da es sich offenbar um mehrere ineinander verschlungene Kraken handelt. Glaskraken sind fast vollständig durchsichtig und haben dadurch eine hervorragende Tarnung gegenüber Raubtieren und Beute verschafft. (Bild: Octopus Odyssey Imagery via Schmidt Ocean Institute – CC BY-NC-SA)

Die über 160 von der Dezember-Expedition gesammelte Tiefseetierexemplare werden jetzt im Zoologischen Museum der Universität von Costa Rica archiviert, neben den bereits 150 im Juni gesammelten Exemplaren. Damit werden erstmals alle biologischen Proben in dem lateinamerikanischen Land untergebracht, aus dessen Gewässern sie auch stammen. Bislang wurden auf viele in die Vereinigten Staaten oder nach Europa weitergeleitet, bei gemeinsamen Expeditionen werden die Ergebnisse üblicherweise geteilt. Durch die Archivierung in Costa Rica können jetzt auch andere lokale Forschende und Studierende auf dieses kostbare Tiefsee-Material zugreifen.

Forschung für alle

Dadurch, dass die Tiefseeschätze in Costa Rica bleiben, verspricht sich der emeritierte Tiefseeforscher Cortes das Potenzial für regionale Managementstrategien der Tiefsee-Ökosysteme und mehr Verständnis auch in Costa Rica und anderen lateinamerikanischen Ländern für die Bedeutung ihrer lebenden Naturschätze. Das ist wichtig, denn es ermöglicht Forschung auch in Ländern, die sich solche Expedition nicht leisten können.
Außerdem sollen die Ergebnisse der Expedition bei der Entscheidung helfen, ob dort vielleicht Meeresschutzgebiete (MPAs) eingerichtet werden sollten. Im Moment ist Fischerei in dem Areal erlaubt. Aus anderen Gegenden der Welt ist leider belegt, dass Seamounts als Hot Spots des Ozeanlebens besonders oft von kommerzieller Fischerei schnell und vollständig ausgebeutet und dabei zerstört werden. Da Tiefseearten sehr langsam wachsen, das Wegfangen eines Tiefseefischbestands und Abkratzen von Tiefseeriffen kann diese Ökosysteme innerhalb kürzester Zeit zugrunde richten. (Ein übles Beispiel dafür ist die Fischerei auf den Granatbarsch oder Red Doughie – die Fische werden 150 Jahre alt, solche langlebigen Arten kann man nicht nachhaltig bewirtschaften).

Außerdem hofft Cortes, dass diese Expeditionen künftige Generationen inspiriert.
Das ist ein sehr guter Ansatz! Gerade im Hinblick auf die drohende Ausbeutung auch der Tiefsee für Rohstoffabbau und der großen Bedeutung der Ozeantiefen für das Weltklima ist Meeresforschung kein Orchideenfach und Nice-To-Have, sondern überlebenswichtig und zukunftsweisend.

Noch ein Tipp:
Die Tauchgänge von SuBastian kann man im Livestream direkt anschauen.

@Karl Bednarik weist via Kommentar zu Recht auf den kulturgeschichtlichen Hintergrund des Octopus Garden hin: Beatles: "Octopus`s Garden” (Remastered 2009)




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Auf dem Science-Blog „Meertext“ schreibe ich über meine Lieblingsthemen: Biologie, Zoologie, Paläontologie und das Meer. Wale, Fische und andere Meeresgetüme. Tot oder lebendig. Fossile Meere, heutige Meere und Meere der Zukunft. Die Erforschung, nachhaltige Nutzung und den Schutz der Ozeane. Auf der Erde und anderen Welten. Ich berichte regelmäßig über Forschung und Wissenschaft, hinterfrage Publikationen und Statements und publiziere eigene Erlebnisse und Ergebnisse. Außerdem schreibe ich über ausgewählte Ausstellungen, Vorträge, Bücher, Filme und Events zu den Themen. Mehr über meine Arbeit als Biologin und Journalistin gibt´s auf meiner Homepage “Meertext”.

2 Kommentare

    • @Karl Bednarik: Danke, das ist eine wertvolle Anmerkung. Ich habe sie im Artikel ergänzt.
      Es ist gut möglich, dass die Octopus-Kinderstube durch den Song zu ihrem Namen gekommen ist : ) Wissenschaftler sind eben Nerds : ))

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