Die Sprachen der Wale: „52-Hertz“, akustische Camouflage und Wal-Fremdsprachen

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Wale kommunizieren mit Lauten, um zu navigieren, Nahrung zu finden und für soziale Interaktionen wie Partnersuche und Gruppenzusammenhalt. Bartenwale senden Rufe (calls) aus, dabei haben Buckelwale (Megaptera novaeangliae) als einzige komplexe Gesänge, die als Sprache eingeordnet werden. Zahnwale können unterschiedliche Laute produzieren – Delphine haben ein großes Repertoire aus Klicks, Pfiffen und Pulsen, Pott-, Schnabel- und Schweinswale hingegen nutzen nur Klicks. Die Lautäußerungen sind artspezifisch, außerdem nutzen verschiedene Bestände jeweils unterschiedliche Dialekte. Junge Wale müssen ihre Sprache und ihren Dialekt erlernen, als Teil der Wal-Kultur. Die genannten Walarten nutzen akustische Unterschriften als Kennung für Individuen (Signature Whistles, Codas), ihre Gruppe/Familie und den Bestand.
Wegen der Komplexität der Lautäußerungen und den bis jetzt bekannten Sprachregeln sowie dem Lernen in der Gruppe, ordnen Wissenschaftler die Vokalisierung von Schwertwalen, Großen Tümmlern, Pottwalen und Buckelwalen als Sprachen ein, der Spracherwerb in den Gruppen gilt als Kulturleistung.

Hinter dem Namen „52-Hertz“ oder „52 Blue“ verbirgt sich vermutlich ein großer Bartenwal, der mit der ungewöhnlichen Frequenz von 52 Hertz ruft. Diese Frequenz unterscheidet sich von der anderer großer Bartenwale wie Blau- und Finnwalen – Blauwale (Balaenoptera musculus) rufen mit 10 bis 39 Hz und Finnwale (Balaenoptera physalus) mit 20 Hz. Solche 52 Hz-Rufe sind von keinem anderen Wal der Welt bekannt.
Normalerweise sind Walrufe mittlerweile so oft durch Sichtungen ergänzt worden, dass eine sichere akustische Identifikation der Art und sogar der einzelnen Bestände möglich ist.
Nur „52 Blue“ lässt sich jedoch immer noch nicht einordnen, obwohl er seit dem Ende der 1980er Jahre regelmäßig an vielen Orten im Ozean dokumentiert worden ist. Bisher gibt es aber nur Hydrophon-Aufnahmen, darum konnte der Sender noch nicht identifiziert werden.

Die Rufe großer Bartenwale müssen beim Abspielen beschleunigt werden, um sie für das menschliche Ohr hörbar zu machen, nur “52 Hz” ist gerade noch im niedrigen menschlichen Hörbereich.

52-Hertz” Whale Call

Northeast Pacific Blue Whale Call

Fin Whale Calls in Seismic Data

Im Kalten Krieg hatte das US-Militär weit vor den Küsten ein Offshore-Netzwerk von Hydrophonen (Arrays) in den Meeren stationiert, um russische U-Boote und andere Aktivitäten der Roten Flotte rechtzeitig zu bemerken – die riesigen russischen Atom-U-Boote waren als potentielle Gefahr für einen Erstschlag gefürchtet, denn sie sollten sich nach russischer Planung unbemerkt vor den Küstenstädten etwa der USA positionieren. Die Hydrophonketten erlauschten bei ihrem Dauereinsatz neben U Boot- und Schiffsgeräuschen auch unerwartete Hintergrundlaute wie tieffrequentes Stöhnen und Grollen. Zunächst scherzhaft einem “Meeresmonster“ zugeschrieben, stellten sie sich später als Rufe von Blau- und Finnwalen heraus. “52 Hz”` Ruf wurde erstmals 1989 entdeckt, dann erneut 1990 und 1991.

Nach dem Ende des Kalten Krieges gab die US-Marine 1992 Aufzeichnungen und technische Spezifikationen ihrer SOSUS-U-Boot-Hydrophon-Arrays teilweise frei und stellte SOSUS für die ozeanografische Forschung zur Verfügung. Seit 2014 wurde der mysteriöse Sound jedes Jahr wieder aufgenommen. Ein Pionier der Meeressäuger-Bioakustik ist William Watkins. Bei seinen Forschungen bemerkte er als erster diesen Ruf, der sich von den anderen abhob: Er ähnelte zwar der akustischen Signatur von Blau- und Finnwalrufen, hatte aber mit “52 Hz” eine andere Frequenz. Anders als die anderen Walrufe, die für Menschen zu tieffrequent sind, waren “52 Blue”s Rufe gerade noch an der niedrigsten Grenze des menschlichen Hörvermögens.
In der Publikation “Seasonality and Distribution of Whale Calls in the North Pacific” von 2000 stellten Watson und seine KollegInnen ihre Ergebnisse vor. Sie hatten den Ruf mehr als ein Jahrzehnt lang verfolgt, nach der Veröffentlichung bekam der Produzent dieses Rufs den Beinamen „einsamster Wal der Welt“. Die Medien und Menschen trieften vor Mitleid mit dem (mutmaßlichen) Wal, dem kein anderer antwortete.

„52 Blue“s Rufe haben sich seit 1992 leicht auf etwa 50 Hertz verstärkt – der Wal könnte gewachsen sein und damit seine „Stimme“ verändert haben. Seine Bewegungen ähnelt denen von Blauwalen, sein Timing ähnelt eher dem von Finnwalen. Die Rufe erschallen jedes Jahr von August bis Dezember im Pazifischen Ozean, die Geräuschquelle bewegt sich zwischen den Aleuten- und Kodiak-Inseln im Norden bis zur kalifornischen Küste im Süden. Die Geräuschquelle schwimmt täglich zwischen 30 und 70 Kilometern, die aufgezeichnete Distanz pro Saison reichte von 708 km bis zu 11.062 km 2002–2003. Einige Wissenschaftler wie Christopher Willes Clark (Cornell University) halten die Laute für nicht so fremdartig und meinen, dass es sich um eine Fehlbildung beim Rufen (wie einen Sprachfehler) oder einen Blauwal-Hybriden handeln könnte. Welche biologische Ursache auch immer seiner ungewöhnlich hochfrequenten Stimme zugrunde liegt, scheint seinem Gesundheitszustand nicht zu schaden, schließlich lebt er schon mehrere Dekaden.
Mittlerweile ist nicht mal mehr sicher, dass es nur einen “52 Hz”-Rufer gibt: Einige Rufe wurden zeitgleich an verschiedenen Orten aufgenommen, was für mehrere Geräuschquellen spricht.
Außerdem ist nicht gesagt, dass er andere Wale nicht hört und sie ihn nicht hören.

Ich bin sehr gespannt, ob die Quelle des Rufs von 52 Hz jemals per Sichtkontakt identifiziert wird. Es könnte ja auch sein, dass sich das ungewöhnliche Signal vielleicht doch irgendwann als ein Artefakt herausstellt und gar nicht von einem Wal stammt. Aber das ist nur meine persönliche Meinung.

Quellen:
William A. Watkins, Mary Ann Daher, Gina M. Reppucci, Joseph E. George, Darel L. Martin, Nancy A. DiMarzio, and Damon P. Gannon: “Seasonality and Distribution of Whale Calls in the North Pacific” Oceanography; Vol. 13; No. 1/2000; Pages 62 – 67

The Guardian: The search for the loneliest whale in the world

Smithsonian Magazine: Maybe the World’s Loneliest Whale Isn’t So Isolated, After All

“Sprechen” Grindwale schwertwalisch?

Andere ungewöhnliche Wal-Laute stammen von Grindwalen. Grindwale sind nach den Schwertwalen (Orcinus orca) die zweitgrößten Delphinartigen. Während Orcas trotz unterschiedlicher Ökomorphotypen zurzeit noch als eine Art betrachtet werden und ihre Aufspaltung in Unterarten mit jeweils eigener Ökologie gerade geschieht, gibt es bei Globicephala die größere Art der Langflossen-Grindwale Globicephala melas in nördlichen und südlichen kühleren Gewässern und die kleineren Kurzflossen-Grindwale (Globicephala macrorhynchus) in wärmeren Gewässern.
In manchen Gebieten überschneiden sich die Vorkommen von Langflossen-Grindwalen und Orcas.
Auch wenn es Berichte gibt, dass Orcas verwaiste Grindwal-Kälber adoptieren, gehen sich beide Arten meist aus dem Weg. Im Nordatlantik kommen etwa vor Nord-Norwegen beide Arten vor, man sieht sie aber nicht zusammen, sondern entweder die eine, oder die andere Art.

Orcas konkurrieren mit Grindwalen um Nahrung und fressen gelegentlich Tiere der kleineren Art, wie aus Mageninhalten bekannt ist. Meistens scheuchen jedoch die kleineren Grindwale ihre größere Konkurrenten, wie mehrere Videos schon dokumentierten.
Der Orca-Bestand vor Island scheint die größeren Grindwal-Gruppen sogar aktiv zu vermeiden. Die Biologin Filipa Samarra von Icelandic Orca Project und ihre KollegInnen hatten 2015 erstmals beobachtet, wie eine Orca-Gruppe sich zurückzog, sowie die Grindwal-Pfiffe hörbar wurden. In seltenen Fällen verfolgen die kleineren Zahnwale die größeren schwarz-weißen Top-Prädatoren sogar mit hoher Geschwindigkeit. Allerdings sind die Gründe dafür bislang nicht geklärt. Es könnte sich um Mobbing handeln – mehrere sozial lebende Tierarten oder sogar Individuen verschiedener Arten mobben Prädatoren.

Unter Aufnahmen von 2.028 Lautäußerungen von Grindwalen vor der Küste Australiens entdeckten Biologen 19 Lautäußerungen, die denen von Orcas ähnelten: „Wir haben einige Rufe gefunden, die für das menschliche Ohr mit den Rufen der Schwertwale in der gleichen Gegend identisch sind“, sagt Christine Erbe, Direktorin des Zentrums für Meereswissenschaften und -technologie an der Curtin University in Perth und Mitautorin der Studie „Australian long-finned pilot whales (Globicephala melas) emit stereotypical, variable, biphonic, multi-component, and sequenced vocalisations, similar to those recorded in the northern hemisphere“, Scientific Reports. Es ging darum, nach den vielen Aufnahmen von Grindwalen (und anderen Walen) der nördlichen Hemisphäre auch endlich Datenbanken für die südliche Hemisphäre aufzubauen, dabei wurden einige Ähnlichkeiten entdeckt.

Dass Große Tümmler (Tursiops truncatus) in Delphinarien menschliche Laute nachahmen, ist schon lange bekannt. Aber nun gab es Aufnahmen von Grindwalen, die ihren größten Feind, die Orcas imitierten – eine akustische Mimikry?

Mimikry könnte als zusätzliche Verteidigung dienen: „Eine Hypothese ist, dass sie möglicherweise nicht als Beute erkannt werden, wenn sie ähnliche Laute verwenden“, sagt Erbe. Grindwale, die Futterreste von Schwertwalen fressen, könnten so unbemerkt bleiben, wenn sie Orca-ähnliche Rufe ausstoßen. Unter Wasser ist die Sicht so schlecht, dass die Orientierung auch innerhalb von Walgruppen oft nur akustisch möglich ist. Die australischen Langflossen-Grindwale haben dabei sogar zwischen Orca-Rufen mit unterschiedlicher Bedeutung unterscheiden.

Um die Beweggründe der Grindwale zu erforschen, müsste man akustische Experimente durchführen. Die nicht an der Studie beteiligte Charlotte Curé, eine Bioakustik-Forscherin des französischen CEREMA Lab, schlägt vor, den Grindwalen verschiedene Orca-Sounds vorzuführen und ihre Reaktionen und das Verhalten dabei zu beobachten. Das könnte helfen, zu analysieren, ob es sich tatsächlich um akustische Mimikry handelt oder noch andere Beweggründe für das Nachahmen bestehen. Allerdings, so Curé, müsste man das sehr sorgfältig planen, um keine Panik unter den Meeresbewohnern hervorzurufen. Gerade in Schutzgebieten sei es teilweise nicht erlaubt, mehr als zweimal pro Jahr Laute von Prädatoren abzuspielen. Schließlich sollen die Forscher bei ihren Versuchen nicht zu viele Tiere zu Tode erschrecken und zur Flucht aus dem eigentlich sicheren Gebiet bringen.

Wenn Grindwale Orcas nachahmen, dürfte das auch bei anderen Arten vorkommen – die Bioakustik wird gerade mit den neuen technischen Entwicklungen für bessere und billigere Hydrophone sowie der Entschlüsselung von Wal-Kommunikation mit Hilfe von Machine Learning sicherlich in naher Zukunft weitere spannende Einblicke in diese gar nicht so schweigende Unterwasserwelt ermöglichen.

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Auf dem Science-Blog „Meertext“ schreibe ich über meine Lieblingsthemen: Biologie, Zoologie, Paläontologie und das Meer. Wale, Fische und andere Meeresgetüme. Tot oder lebendig. Fossile Meere, heutige Meere und Meere der Zukunft. Die Erforschung, nachhaltige Nutzung und den Schutz der Ozeane. Auf der Erde und anderen Welten. Ich berichte regelmäßig über Forschung und Wissenschaft, hinterfrage Publikationen und Statements und publiziere eigene Erlebnisse und Ergebnisse. Außerdem schreibe ich über ausgewählte Ausstellungen, Vorträge, Bücher, Filme und Events zu den Themen. Mehr über meine Arbeit als Biologin und Journalistin gibt´s auf meiner Homepage “Meertext”.

1 Kommentar

  1. Vielleicht können wir endlich lernen, uns nicht einzumischen. Zumal ja endgültig klar ist, dass wir unseren eigenen Erkenntnissen keine lebensrettenden Aktivitäten folgen lassen. Uns selbst rettenden………

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