Babysprache bei Walen und anderen Tieren

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Komplexe Sprache muss im Kindesalter gelernt werden – neben dem Formen der Laute geht es auch um Begriffe, Syntax und andere Sprachregeln. So brabbeln menschliche Kleinkinder in Babysprache vor sich hin, dieses „kanonische Lallen“ ist die Vorstufe zum Spracherwerb. Dabei erproben sie ihre Sprachorgane und brabbeln erste Silben, die weit verbreiteten Begriffe „Mama“ und „Papa“ sind wohl Begriffe dieser Babysprache. Da Spracherwerb nicht nur von den direkten Verwandten wie den Eltern, sondern auch durch horizontales Lernen von anderen Menschen geschieht, ist Sprache eine der wesentlichen Kulturleistungen. Mittlerweile wird Sprache nicht nur Menschen, sondern auch einigen intelligenten, sozialen Tiergruppen zugestanden: vor allem Säugetieren und Vögeln.

Ein Forschungsteam um Laela S. Sayigh hat den frühen Spracherwerb von Delphinen erforscht und die Zahnwal-Babysprache beschrieben: Baby-Sprache (Motherese) zwischen Mutter und Kind kommt bei Menschen fast universell vor, bei Nicht-Menschen ist es wenig beschrieben worden. In ihrer Publikation “Bottlenose dolphin mothers modify signature whistles in the presence of their own calves” berichten die Forschenden über diese Hinweise auf Baby-Sprache beim Großen Tümmler.

Menschliche Betreuer, die mit Kindern interagieren, ändern typischerweise ihre Sprache auf eine Weise, die Aufmerksamkeit, Bindung und Spracherwerb fördert. Obwohl diese „mütterliche“ oder kindgerechte Kommunikation (child-directed communication: CDC; Motherese) in einer Vielzahl menschlicher Kulturen vorkommt, sind Belege bei nichtmenschlichen Arten selten.

Die Forschungsgruppe hatte Große Tümmler (Tursiops truncatus) ausgewählt, weil diese wie Menschen langfristige Mutter-Kind-Bindungen eingehen und Stimmproduktion lernen. Zur komplexen Kommunikation gehören bei Delphinen ihre Unterschriftspfiffe (Signature whistles), die zur individuellen Erkennung dienen. Gerade solche Signature whistles bieten der Forschung eine einzigartige Gelegenheit, CDC bei nichtmenschlichen Tieren zu testen: Da die Unterschriftspfiffe der Großen Tümmler des Bestands der Sarasota Bay, (Florida, USA) bekannt sind, konnten die Bioakustiker Veränderungen derselben Lautäußerungen bei Anwesenheit von Kälbern quantifizieren. Dazu haben sie Aufzeichnungen analysiert, die während der Fang- und Freilassungsereignisse (Capture/Recapture) wilder Tümmler gemacht wurden. Die Individuen und Familienverhältnisse dieser Delphine sind gut bekannt, es gibt Photo-ID-Kataloge und Audiogramme (sowie Aufnahmen) der Unterschriftspfiffe.
Bei der Auswertung wurde klar: Weibchen erzeugten bei Anwesenheit ihrer Kälber die charakteristischen Pfiffe mit deutlich höheren Maximalfrequenzen und größeren Frequenzbereichen.

Diese Unterschiede stimmen mit den höheren Grundfrequenzen und größeren Tonhöhenbereichen überein, die auch bei der menschlichen Babysprache (CDC) zu beobachten sind. Diese Ergebnisse sprechen also für eine konvergente Evolution von Motherese (CDC) bei Großen Tümmlern. Weiterhin kann die Babysprache der Delphinkinder genauso wie bei Menschenkindern dazu dienen, Aufmerksamkeit, Bindung und Stimmbildung zu verbessern. Diese Daten zeigen auch, wie viele andere Untersuchungen zuvor, dass Delphine ein leistungsfähiges Tiermodell für die Untersuchung der Entwicklung des Stimmlernens und der Sprache sind, so die AutorInnen der Studie.

Babysprache bei Katzen, Fledermäusen und Papageien

Ein bißchen überraschend fand ich beim Lesen, dass die Autorin dieses Ergebnis nun als so absolut neu herausgestellt hat.
Dass Wale zur Kommunikation Sprache einsetzen, mit komplexen Sprachregeln und feststehenden Begriffen ist jetzt nicht sooo neu: Etwa die Unterschriftspfiffe der Delphinartigen sind längst bekannt, genauso wie die unterschiedlichen Dialekte verschiedener Bestände (Populationen). So können Transient Orcas mit Resident Orcas genauso wenig kommunizieren wie Schweinswale der drei Bestände in Nord- und Ostsee (Westliche und Zentrale Ostsee). Bei der Erforschung von Pottwal-Familien hatte Hal Whitehead vor über 20 Jahren herausgefunden, dass diese größten aller Zahnwale Klick-Sprachen benutzen und sich per Codas akustisch erkennen können. Wie bei Delphinartigen „sprechen“ unterschiedliche Pottwal-Bestände unterschiedliche Klick-Codas, so dass Familien unterschiedlicher Clans im gleichen Meeresgebiet leben, ohne sozial zu interagieren.
Das Sozialverhalten, Jagdstrategien und Kommunikation werden bei diesen Tiergruppen nicht nur von den Müttern, sondern von der gesamten Gruppe vermittelt. Solches horizontale Lernen ist Merkmal einer Kultur, die man seitdem auch den Walen zugesteht.
Dass solche komplexe Kommunikation wie andere kulturelle Fähigkeiten also erst einmal erlernt werden muss, ist wenig überraschend.
Außerdem ist Babysprache in den letzten Jahren bereits von anderen intelligenten Tiergruppen nachgewiesen worden: 2021 von Fledermäusen und 2022 auch von Papageien.

Beobachten lassen sich die hellen feinen Töne und besondere Kommunikation zwischen Mutter und Kind auch bei anderen Tieren, wie etwa Katzen. Als ich dieses Verhalten zum ersten Mal bei einer Katze und ihrem Wurf mitbekam, war ich fasziniert, wie die Mutter auf einmal mit ihren Kätzchen kommunizierte, sobald sie auf dem Weg zu ihrem Nachwuchs in dessen “Nest” war. Das feine helle Fiepen unterschied sich vollständig von ihrer sonstigen Vokalisierung. Obwohl diese Katze gegenüber Menschen auch sonst nicht gesprächig ist. Im Gegensatz zu ihrem mittlerweile drei Jahre alten Sohn, der äußerst kommunikativ ist – allerdings miaut er nicht, sondern brummt und fiept. Ob das an fehlenden erwachsenen Kater-Vorbildern liegt, ist mir nicht bekannt. Aber das ist nur meine akekdotische Beobachtung, ohne wissenschaftlichen Anspruch.
Diese akustische Kommunikation spielt bei Katzen, wie auch bei vielen anderen Säugetieren, eine wichtige Rolle bei der Erkennung von Mutter und Jungen. 2016 berichtete eine ungarisch mexikanische Studie (Peter Szenczi, et al: „Mother–Offspring Recognitionin the Domestic Cat: Kittens Recognize Their Own Mother’s Call) über die Verhaltensreaktion von Kätzchen der Hauskatze. Hauskatzen seien typischerweise einsame Fleischfresser, so die Biologen, und erwarteten darum weniger soziale Kommunikation. Die Reaktionen der Kätzchen auf die Wiedergabe des „Begrüßungszwitscherns“ und „Miauen“ ihrer eigenen und fremder Mütter wurde getestet. Die Biologen fanden deutlich stärkere Reaktionen der Kätzchen auf das Zwitschern der eigenen Mutter als auf ihr Miauen oder auf das Zwitschern oder Miauen fremder Mütter. Die akustische Analyse ergab eine größere Variation zwischen Lautäußerungen verschiedener Mütter als bei Lautäußerungen derselben Katze. Ihre Schlußfolgerung: Das Zwitschern von Katzenmüttern im Nest ist eine spezifische Form der Stimmkommunikation mit ihren Jungen. Die eigenen Kätzchen lernen diese reagieren positiv darauf, außerdem können sie sich, solange sie noch im Nest leben, diese vom Zwitschern anderer Mütter und von anderen Lautäußerungen unterscheiden.

Die sehr hohen Töne der Babysprache liegen an ihrem Gehör: Neugeborene können viel höhere Töne hören, als ältere Säuger. Mäuse machen sich das zu Nutze, indem sie oberhalb der Hörfrequenzen von Katzen kommunizieren. Nur junge Kätzchen können Mäuse hören, wissen damit aber oft noch nichts anzufangen.

Schweinswale und Schnabelwale kommunizieren ebenfalls unter der akustischen Tarnkappe – oberhalb der Frequenzen des Orca-Hörvermögens, die Schwertwale sind ihre bedrohlichsten Freßfeinde. Sogar Schweinswale in Nord- und Ostsee, die kaum jemals einen Orca treffen dürften, klicken weiterhin außerhalb des Orca-Hörvermögens. Beide Zahnwalarten nutzen, wie auch Pottwale und anders als Delphine, Klicks nicht nur zur Ortung, sondern auch zur sozialen Kommunikation. Darum galten sie lange als stumm. Heute wissen wir, dass sie eine Camouflage-Kommunikation klicken. Ob sie mit ihren Nachkömmlingen in höheren Nuancen kommunizieren, ist noch nicht untersucht.

Zumindest für Pottwale könnte das Projekt CETI (Cetacean Translation Initiative) das herausfinden. CETI ist ein internationales und interdisziplinäres Verbundprojekt zur Erforschung und möglicherweise Entzifferung der Pottwal-Codes. Ich hatte in der  MIT Technology Review 2/2022 darüber geschrieben. Im Zentrum stehen die bereist gut erforschten Pottwalfamilien der Karibik. Unter der Leitung von Shane Gero läuft dort seit 2005 das Dominica Sperm Whale Project. Die großen Wale halten sich ganzjährig dort auf, Whale watching ermöglicht ihre langfristige Erforschung.
Dort geht es mittels neuer Technologien und auch Machine Learning um die Aufnahme extrem vieler Lautäußerungen und den dazu gehörenden Verhaltensweisen. Erst mit einer gigantischen Datenmenge wird nachweisbar, wie Pottwale ihre Sprache einsetzen. Ob die Entschlüsselung der Pottwal-Kommunikation gelingt, ist noch nicht gewiß. Shane Gero erzählte mir im Interview, dass er nicht davon ausgeht, zu unterschiedlich sei die Entwicklung der Menschen und Wale, deren evolutive Wege sich vor über 100 Millionen Jahren getrennt haben und die seit über 60 Millionen Jahren in unterschiedlichen Elementen leben.

Sprach-Tool ORCA-SPOT

Die Erforschung von Wal-Sprachen macht durch die technischen Entwicklungen in den letzten Jahren rapide Fortschritte: Bessere und günstigere Technik von Unterwasser-Mikrophonen, die Neuentwicklung von fliegenden und tauchenden Drohnen sowie Sendern und die Entwicklungen von KI und Machine Learning machen jetzt die Datenerhebung und Auswertung möglich.

So haben Forschende um Christian Bergler (Friedrich-Alexander-University Erlangen-Nürnberg) mit ihrem Projekt „ORCA-SPOT: An Automatic Killer Whale Sound ein Detection Toolkit Using Deep Learning“ für die Erforschung der Orca-Kommunikation entwickelt.

Die Basis für derartige Sprach-Forschung sind große bioakustische Archive von Wildtieren, nur damit können wiederkehrende Kommunikationsmuster identifiziert und mit wiederkehrenden Verhaltensmustern in Zusammenhang gebracht werden. Solche bioakustischen Archive enthalten viele Lautäußerungen von Tieren und eine große Menge an Umgebungsgeräuschen. Das macht es schwierig, per manueller Verarbeitung die wichtigen Sequenzen in gleichbleibend guter Qualität herauszufiltern, gerade  für Arten mit fortgeschrittenen und komplexen Sozialsystemen sowie Lautäußerungen. Darum haben die Bioakustiker und IT-Experten für ORCA SPOT tiefe neuronale Netze auf 11.509 Signale von Schwertwalen (Orcinus orca) und 34.848 Geräusche trainiert. Das daraus resultierende Toolkit ORCA-SPOT wurde an einem großen bioakustischen Endlager – dem Orchive – getestet, einem Archiv mit rund 19.000 Stunden Unterwasseraufnahmen von Schwertwalen. Eine automatisierte Segmentierung der gesamten Archivaufzeichnungen (die aus ca. 2,2 Jahre stammt) dauerte ca. 8 Tage. Dieser Ansatz ermöglicht ein automatisiertes Annotationsverfahren großer Bioakustik Datenbanken zur Extraktion der Orca-Lautäußerungen, die grundlegend für die anschließende Identifizierung signifikanter Kommunikationsmuster ist. ORCA-SPOT kann, so die Forscher, auch an andere Tierarten angepasst werden. Außerdem ist der Code seit Oktober 2019 öffentlich verfügbar, um die Anwendung von Deep Learning in der biomedizinischen Forschung zu unterstützen.

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https://meertext.eu/

Auf dem Science-Blog „Meertext“ schreibe ich über meine Lieblingsthemen: Biologie, Zoologie, Paläontologie und das Meer. Wale, Fische und andere Meeresgetüme. Tot oder lebendig. Fossile Meere, heutige Meere und Meere der Zukunft. Die Erforschung, nachhaltige Nutzung und den Schutz der Ozeane. Auf der Erde und anderen Welten. Ich berichte regelmäßig über Forschung und Wissenschaft, hinterfrage Publikationen und Statements und publiziere eigene Erlebnisse und Ergebnisse. Außerdem schreibe ich über ausgewählte Ausstellungen, Vorträge, Bücher, Filme und Events zu den Themen. Mehr über meine Arbeit als Biologin und Journalistin gibt´s auf meiner Homepage “Meertext”.

8 Kommentare

  1. Und wieder sehen wir, dass der Mensch näher am Rest der Tierwelt dran ist, als man dachte.

    PS: Im Absatz “Die sehr hohen Töne” sind einige Tippfehler.

  2. Auch wenn es noch so bekannt gewesen sein mag, sprachliches Entgegenkommen gegenüber dem nichtmenschlichen Nachwuchs war mir neu – und jetzt muß ich wohl damit leben, in solchen Situationen ein unüberhörbares ei-ti-tei zu imaginieren… Gräßlich 😉

    • @rolak: : ) Ich würde jetzt gern wissen, ob erwachsene Delphine gegenüber menschlichem Nachwuchs auch in Babsprache verfallen. Ich habe im Aquarium und im Freiland beobachtte, wie Tümmler gezielt mit Menschenkindern interagiert haben, in einer Situation hat der Delphin mich dabei links liegen lassen und ist zu den Kids geschwommen. Sie geben dann Extrasprünge und andere Kunststücke und freuen sich, wie entzückt die Menschenkinder reagieren. Auch andere Säuger wie Hunde und Katzen gehen mit den Kindern ihres Rudels oft nachsichtig um.
      Menschen sprechen vor allem mit kleinen Tieren auch oft in Babsprache. Bin sehr gespannt auf die weitere Forschung

    • Und wieder mal kann ich nur einen geschätzten Dozenten zitieren: “Nichts Menschliches ist ihnen fremd.”

      Zur Katzensprache ergänzend: Miauen ist zuvorderst zur Verständigung zwischen Mutter und Kindern gedacht. Erwachsene Katzen kommunizieren nicht durch Miauen, sondern größtenteils körpersprachlich.
      In der Kommunikation mit dem Menschen hat sich das Miauen der Hauskatze jedoch erhalten, wir Menschen sind aus Katzensicht nunmal eher begriffsstutzig. 😉 Außerdem lernen Katzen sehr schnell, wie sie uns mit verschiedenen Lautäußerungen zu Handlungen verleiten können.

      • @Andrea C. Schäfer: Ja, das ist interessant. Aus Katzensicht sind Menschen zu blöd zum Jagen und auch sonst oft begriffsstutzig. Ich freue mich schon auf unseren nächsten Katzen-und-mehr-Klönschnack : )

  3. … nur so eine Idee: wenn man die Leichtigkeit und Neugier bedenkt, mit der Kleinkinder Sprachen lernen, was ja später verloren geht, vielleicht wäre es ja erkenntnisgewinnend, wenn man mit Kleinkinderdelfinen intensiv menschelt. Das müsste dann natürlich wirklich viele Stunden am Tag und mit mehreren Menschen sozugen in “familiärer” Atmosphäre passieren, damit Delfinchen sich auch was aus der Kommunikation abschauen kann, und es müsste als Langzeitstudie fortsetzt werden um dann, wenn Delfinchen älter wird “nachzufragen”, wie es ihm/ihr denn so geht.

    Das ist natürlich nur eine theoretische Idee, denn eigentlich wäre dafür ein elternloser Delfin natürlich besonders interessant, sozusagen ein Kasper-Hauser-Experiment. Aber theoretisch darüber nachdenken darf man ja mal …

    • @Remmer: Delphine haben keine Stimmbänder, sie produzieren ihre Laute mit den Nasengängen. Darum können sie keine menschliche Sprache lernen.
      Ein Delphinkalb von anderen Delphinen zu isolieren und unter Menschen aufwachsen zu lassen, verstößt gegen alle Regeln der Ethik und wäre eine sehr schlechte Idee: Ein Delphin muss von anderen Delphinen erzogen werden und die Kulturtechniken seiner Gruppe erlernen. Ohnen Mutter und Gruppe würde er leiden, psychisch instabil und vollständig verhaltensgestört. Ein nicht erzogener Delphin wäre ein 1,9 – 4 Meter langer, 150 und 300 kg schwerer Meeressäuger mit 80 kräftigen Zähnen und viel Kraft – eine Gefahr für Menschen, die mit ihm arbeiten sollen. Außerdem würde er niemals mit anderen Delphinen leben können, sondern zu Einsamkeit verdammt.
      Nein, solch ein Experiment wäre weder zielführend noch ethisch akzeptabel.

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