Mit dem richtigen Dreh

Für seine Bewerbung um den KlarText-Preis für Wissenschaftskommunikation 2022 in der Kategorie Physik veranschaulichte Toni Hache, was er in seiner Promotion erforscht hat.


Die Physik ist gnadenlos gegenüber dem Experimentator. Ich konnte sie jedoch austricksen und ihre strikten Regeln gegen sie verwenden. Das hat mich zu einer neuen Form winziger Signalquellen geführt, die Sie vielleicht in Zukunft versteckt in Ihren Smartphones finden werden.

Höher, schneller weiter – das ist das Motto unserer technologisierten Umwelt. Seit Jahrzehnten forschen Physiker und Ingenieure daran, wie unsere Computer, Handys und deren Datenübertragung leistungsstärker und effizienter werden. Heute benutzen Abiturienten Taschenrechner, die mehr leisten als die Bordcomputer, die die ersten Menschen auf den Mond brachten. Ihr neues Smartphone übertrifft deren Rechengeschwindigkeit und Speicher sogar um einen Millionenfaktor. Es ist erstaunlich, wie rasant sich elektronische Systeme entwickelt haben.

In der Grundlagenforschung beschäftigen sich Physiker derzeit unter anderem mit Effekten, die die Geschwindigkeit und Energieeffizienz der übernächsten Computergenerationen noch erheblich zu steigern vermögen. Da wir aufgrund des drohenden Klimawandels verstärkt Energie einsparen müssen, werden auch komplett neue Konzepte verfolgt. Eines ist die Spintronik. Ähnlich zur Elektronik wird die negative Ladung des Elektrons, aber auch zusätzlich die magnetische Eigenschaft – der Spin – genutzt. Stellen wir uns das Elektron als fliegende Frisbeescheibe vor, kann man sich den Spin als Drehsinn im oder gegen den Uhrzeigersinn veranschaulichen.

Während meiner Promotion beschäftigte ich mich mit der Erzeugung von Mikrowellensignalen durch Anwendung spintronischer Effekte. Mikrowellen? Denken Sie auch gerade an Ihr Küchengerät? Dieses erzeugt mehrere Milliarden Schwingungen pro Sekunde, die sich auf die Wassermoleküle in Ihrer Mahlzeit übertragen und sie so erwärmen. Tatsächlich überträgt auch Ihr Smartphone und Ihr Computer im WLAN Daten mit dieser unvorstellbar hohen Frequenz. Der Prozessor im Laptop schaltet ebenfalls mit dieser Rate. Schauen Sie direkt nach, falls Sie ihn gerade nutzen! Wenn Sie Gigahertz (GHz) lesen, befinden Sie sich in der Welt der Mikrowellen.

Wäre es nicht toll, wenn Sie ihr Smartphone weniger oft aufladen müssten? Man könnte bessere Akkus entwickeln und energiesparende oder kleinere Bauteile einsetzen, sodass ein größerer Akku Platz findet. Genau hier könnten die neuartigen Signalquellen, die ich untersucht habe, in Zukunft ihren Beitrag leisten. Sie sind klein und verbrauchen wenig Energie, sodass man doppelt gewinnt.

Für die Datenübertragung ist es wichtig, dass die Frequenzen über einen weiten Bereich einstellbar sind. Speziell darauf habe ich mich fokussiert. Manche Methoden erlauben große oder nur kleine Frequenzvariationen. Manche benötigen mehr oder weniger zusätzliches Equipment oder zusätzliche Energie. Die bis dahin besten Methoden waren Magnetfeldänderungen, die durch Elektromagnete erzeugt werden. Leider sind diese sperrig und verbrauchen viel zu viel zusätzliche Energie.

Eingefärbte elektronenmikroskopische Aufnahme eines Spin Hall Nano-Oszillators (blau) mit elektrischen Kontakten (gelb). In einem Magnetfeld (rot) werden Mikrowellensignale (grün) in der Einengung erzeugt. © Toni Hache

Gönnen Sie mir an dieser Stelle den Namen dieser Signalquellen und die beteiligten Effekte wenigstens einmal zu nennen: „Spin Hall Nano-Oszillatoren.“ „Durch den Spin Hall Effekt werden reine Spinströme erzeugt, die in einem ferromagnetischen Material Auto-Oszillationen im Mikrowellenfrequenzbereich erzeugen.“ Dies sind die magischen Worte, nach deren Aussprache Ihnen auf Familienfeierlichkeiten der Rücken zugekehrt wird. Nicht nur die Physik kann gnadenlos sein. „Spin? Ach er spinnt!“ „Auto-Oszillation? Braucht man dafür keinen Kran?“ Unverzüglich wird das Thema gewechselt und nach den Fußballergebnissen der Brüder gefragt.

Bleiben wir kurz beim Sport. Nehmen Sie an, dass Sie einen rollenden Fußball vor Ihrem Tor aufhalten müssen. Dazu verfügen Sie über eine Maschine, die von der Nordspitze Deutschlands bis zur Südspitze Italiens reicht und den Strom etlicher Kraftwerke verschlingt. Wäre das nicht eine fürchterliche Ressourcenverschwendung? Tatsächlich entspricht dieses Beispiel genau dem Größenverhältnis zwischen den Nano-Oszillatoren, die etwa eine tausendstel Haaresbreite groß sind und Elektromagneten, die etwa einen Meter ausgedehnt sind. Aufgrund dieses Missverhältnisses lassen sich die Vorteile der Nano-Oszillatoren in der Praxis nicht nutzen. Wahrscheinlich würden Sie lieber Ihr Bein ausstrecken und den Ball an Ihrem Fuß abprallen lassen. Nach genau diesem Fuß für die Oszillatoren habe ich gesucht. Ich setzte mir das Ziel, große Frequenzvariationen ohne zusätzliches Equipment und Energieverbrauch zu erreichen. Zur Veranschaulichung gehen wir zum Spielplatz.

Mittels Spin Hall Effekt (links) werden in Platin Elektronen mit definiertem Drehsinn erzeugt. Diese übertragen ihren Drehimpuls auf ein ferromagnetisches Material (Mitte). Dadurch beginnt die Magnetisierung (rechts, violett) milliardenfach pro Sekunde zu oszillieren (genauer: zu präzedieren). © Toni Hache

Dort treffen sich Anna und ihr kleiner Bruder Tom, sowie die Zwillinge Linda und Resi. Sie haben eine große Anzahl an Frisbees bei sich und sehen zwei Sitzkarusselle. In diesen kann man sich selbst anschieben, wenn man sich am zentralen Drehtisch festhält und versucht diesen zu drehen. Aufgrund der Drehimpulserhaltung, d.h. der Erhaltung des Schwungs in der Bewegung, überträgt sich die Drehung auf das Karussell.

Im Folgenden sind die Frisbees die Elektronen, die einen gewissen Drehsinn (Spin) aufweisen. Linda ist links- und Resi rechtshändig. Beim Werfen der Frisbees erzeugen sie somit einen unterschiedlichen Drehsinn.

Das Karussell entspricht dem magnetischen Material in den Oszillatoren, in dem die hohen Frequenzen erzeugt werden. Das Karussell ist so manipuliert, dass es sich nur im Uhrzeigersinn drehen kann. Umgekehrt wird es stark gebremst.

Anna setzt sich ins Karussell ohne sich selbst anzuschieben, denn auch in den Oszillatoren entstehen keine Schwingungen von selbst. Stattdessen sind jetzt die Zwillinge gefragt. Wenn Resi die Scheibe wirft und Anna diese fängt, stoppt sie deren Drehbewegung. Wieder muss der Drehimpuls erhalten bleiben, sodass sich die Drehbewegung auf das Karussell überträgt. Wenn jedoch Linda eine Frisbee wirft, kann sich das Karussell nicht drehen. Sie wirft linksdrehende Scheiben. Das Karussell kann jedoch nur im Uhrzeigersinn rotieren.

Ähnlich ist es bei den Oszillatoren. Elektronen mit dem richtigen Dreh (Spin) müssen auf das magnetische Material treffen. Für den entgegengesetzten Drehsinn lassen sich keine Schwingungen erzeugen. Die Drehrichtung der Elektronen lässt sich einfach durch Umkehrung der Stromrichtung, d.h. Vertauschung von „Plus“ und „Minus“, einstellen. Dass diese Oszillatoren nur für eine Stromrichtung funktionieren, war ein bekannter Nachteil, den ich zu meinem Vorteil ausnutzte und so die Physik mit ihren eigenen Waffen schlug.

Teil eines Versuchsaufbaus zur Messung der Mikrowellensignale. © Toni Hache

Seien wir ehrlich. Wenn man im Karussell eine Frisbee fängt, wird es sich nicht sofort in eine Zentrifuge verwandeln. Um eine hohe Drehzahl zu erreichen, müssten enorm viele Frisbees gefangen werden. Frisch geölt, dreht es sich leichter. Sitzt der leichtere Tom darin, dreht es sich schon mit weniger Frisbeewürfen schnell. Ebenso lassen sich in verschiedenen magnetischen Materialien wenige oder mehrere Milliarden Schwingungen pro Sekunde erreichen und man braucht mehr oder weniger Elektronen, um diese Dynamik zu starten. Tatsächlich werden in diesen Oszillatoren punktuell Leistungen erreicht, die in Raketentriebwerken auftreten. Aufgrund ihrer Winzigkeit, bleibt der Energieverbrauch dennoch niedrig.

Um die Frequenz ohne Elektromagnete zu kontrollieren, habe ich zwei Materialien geschickt in einem Oszillator kombiniert und dafür gesorgt, dass nie beide gleichzeitig Schwingungen erzeugen können. Dabei habe ich den zuvor genannten Nachteil genutzt. Das bedeutet Tom und Anna sitzen in unterschiedlichen Karussells. Nur Anna kann sich drehen, da Resi ihr zuwirft. Tom kann sich nicht drehen, da Linda ihm zuwirft. Eine Umkehrung der Stromrichtung führt dazu, dass Resi nun Tom und Linda nun Anna zuwirft. Jetzt beginnt sich Tom zu drehen und Anna wird stehenbleiben. Niemals können sich Anna und Tom gleichzeitig drehen. Beide drehen sich nur einzeln und mit verschiedener Geschwindigkeit aufgrund ihres Gewichtsunterschieds.

Das Konzept des bipolaren Spin Hall Nano-Oszillators war geboren, der für beide Stromrichtungen unterschiedliche Materialien und somit Frequenzen aktiviert. Dies konnte ich im Experiment bestätigen. Ob sich meine Oszillatoren bald in Ihrem Smartphone wiederfinden? Es bleibt spannend!


Toni Hache studierte Physikalische Technik und Nanotechnologie in Zwickau. Bereits während seiner Masterarbeit beschäftigte er sich am Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf mit Spin-Hall Nano-Oszillatoren, wofür er den Georg-Simon-Ohm Preis der DPG e.V. und den Preis des Hochschulvereins Mentor e.V. erhielt. In der anschließenden Promotion in Kollaboration mit der TU Chemnitz fokussierte er sich auf verschiedene Frequenzkontrollmechanismen dieser nanoskopischen Signalquellen, wofür er den  Promotionspreis des Helmholtz-Zentrums erhielt. Im Moment ist er Postdoc am Max-Planck Institut für Festkörperforschung in Stuttgart.

1 Kommentar

  1. Toni Hache schrieb (18. Sep 2023):
    > Höher, schneller, weiter – das ist das Motto unserer technologisierten Umwelt. […]
    > Das Konzept des bipolaren Spin Hall Nano-Oszillators […]
    > Tatsächlich werden in diesen Oszillatoren punktuell Leistungen erreicht, die in Raketentriebwerken auftreten.

    Ist das womöglich dann doch zu hoch gegriffen ? —
    T. Hache et al., physics.app-ph:2003.11776, berichten doch von “SHNO power”-Werten im Bereich von Bruchteilen eines Pico-Watts.

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