„Ich habe nur Befehle befolgt.“ Das gehorsame Gehirn und die Willensfreiheit.

Wir alle kennen diese Ausrede in der ein oder anderen Form: „Ich habe doch nur getan, was mir gesagt wurde“ oder „Ich habe nur meinen Job gemacht.“ Die krasseste Zuspitzung dieser Ausrede ist aus der NS-Diktatur bekannt, an deren Ende viele Deutsche sich so aus der Affäre ziehen wollten: sie konnten ja nicht anders, hatten schließlich Befehle. Doch was wäre, wenn in dieser Ausrede ein Funken Wahrheit läge? Was, wenn unsere Gehirne einen ‚Befehlsmodus‘ hätten, der unsere soziale Wahrnehmung verändert? Eine Studie liefert Hinweise dafür, dass bestimmte neuronale Prozesse auf befohlene Handlungen so reagieren, als hätte man gar nicht gehandelt.

Ist das Gefühl, Verantwortung zu tragen, neurophysiologisch messbar?

Sense of Agency bezeichnet ein „subjektives Erleben, Urheber einer Handlung zu sein und durch diese eigene Handlung bestimmte Ereignisse in der Welt zu kontrollieren.“ (1) Nach Jahrzehnten der Forschung hat sich herausgestellt, dass es indirekte Methoden gibt, dieses subjektive Verantwortungsgefühl halbwegs objektiv zu messen. Die Neurowissenschaftlerin Emilie Caspar machte zu diesem Zweck zwei Experimente mit 60 Frauen. (2) Im ersten Experiment saßen sich je zwei Frauen gegenüber, ein ‚Opfer‘ und eine ‚Täterin‘, beiden wurde zu Beginn etwas Geld gutgeschrieben. Die Täterin konnte dann per Knopfdruck frei wählen, dem Opfer nur Geld zu stehlen oder zusätzlich zum Diebstahl kleine Elektroschocks zu verabreichen. Später wechselten die Rollen. In einer anderen Gruppe war alles gleich, außer, dass nun eine Versuchsleiterin den Befehl gab, welcher Knopf gedrückt werden sollte (und somit, ob das Opfer geschockt wird oder nicht). In einer ersten, freien Kontrollbedingung hatten die Probandinnen die Wahl, jederzeit frei einen Knopf zu drücken. In einer zweiten, unfreien Kontrollbedingung lagen ihre Finger bereits auf der Taste und die Versuchsleiterin drückte den Finger der Versuchsperson nur noch nach unten – die Versuchsperson bewegte also keinen einzigen Muskel.

Die Sense of Agency, also das ‚Verantwortungsgefühl‘ der Täterinnen, wurde mit einem EEG in Form von Hirnströmen gemessen. Vor ihrer eigentlichen Entscheidung (Diebstahl oder Diebstahl plus Schock) sollten die Frauen zuerst einen Knopf drücken, auf den ein Ton folgte. Normalerweise wird so ein Reiz von einem bestimmten elektrischen Potential begleitet, der N1-Komponente – und bei freier Entscheidung war das auch im Experiment so. Das spannende war jedoch: wenn die Teilnehmerinnen wussten, dass sie in dieser Runde nur auf Befehl handeln, wurde die N1 schwächer. Und der Clou der Studie: die N1 wurde unter Befehl sogar noch schwächer, als die N1 in der unfreien Kontrollbedingung, in der die Teilnehmerinnen den eigenen Finger ja nicht einmal bewegten – hier drückte ja eine Versuchsleiterin den Finger der Probandin auf den Knopf.

Gehirne sind Mitläufer

Es ist wichtig zu wissen, dass die N1 keine Ursache für etwas ist, sondern nur eine Begleiterscheinung für Informationsverarbeitung. Aber offensichtlich verarbeiteten die Täterinnen ihre Taten im Befehlsmodus eher so, als wären sie nicht die Urheberinnen dieser Taten. Zu willenlosen Zombies macht sie das noch nicht, doch der subjektive Eindruck, nicht oder weniger Schuld zu sein, ist offenbar nicht nur eine Ausrede, sondern ein echtes Gefühl, das einem neurophysiologischen Prozess folgt. Unsere Gehirne sind, in hierarchischen Kontexten, wohl von Haus aus eher Mitläufer.

Es gibt neben dem EEG eine weitere indirekte Methode, die subjektiv erlebte Autorschaft für Handlungen zu messen. So nehmen Menschen das Zeitintervall zwischen Ursache und Wirkung kürzer wahr, wenn sie sich selbst als Urheber der Ursache erleben (Prinzip der ‚temporalen Bindung‘). Der Knopf, der mit etwas Verzögerung einen Ton auslöste (200ms bis 1s), wurde deshalb auch für diese Überprüfung genutzt. Und tatsächlich schätzten die Täterinnen das Zeitintervall als deutlich länger ein, wenn sie wussten, dass sie in dieser Runde nur auf einen Befehl hin handelten. Zuletzt wurde noch das Offensichtliche untersucht. Per Fragebogen sollten die Frauen ihre gefühlte Autorschaft für jede Runde auf einer Skala (0-100) angeben. Das Resultat: alle drei Kurven sanken im Befehlsmodus, das EEG-Signal, die temporale Bindung und die gefühlte Verantwortung.

Soziale Hierarchien beeinflussen Verantwortungsbewusstsein

Emilie Caspar beschäftigt sich seit ihrer Studie mit der Frage, wie sich soziale Kontexte und soziale Hierarchien auf das subjektive Handlungserleben auswirken. In einer weiteren Studie konnte sie zeigen, dass das Verantwortungsempfinden nicht nur durch das Empfangen von Befehlen verringert wird, sondern auch das Erteilen von Befehlen (3). Der Studienaufbau war ähnlich (Elektroschocks etc.), allerdings wurden diesmal nur temporale Bindung und Fragebögen benutzt, ein EEG kam nicht zum Einsatz. In einer anderen Studie wiederholte Caspar den Versuchsaufbau samt EEG mit Soldaten verschiedener Dienstgrade (4). Es zeigte sich, wie erwartet, ein starker Befehlseffekt auf die EEGs junger Soldaten, aber keiner für die EEGs von älteren Offizieren. Überraschend war allerdings, dass selbst ohne Befehl, also in den Runden mit völlig freier Entscheidung, das Verantwortungsgefühl der Nachwuchssoldaten in der EEG-Signatur reduziert war. Caspar und ihre Kollegen zogen daraus den Schluss, dass die militärische Hierarchie sich nicht nur punktuell, z.B. bei Befehlen, sondern ganz allgemein negativ auf das Verantwortungsbewusstsein der Soldaten auswirkte. Dass einem im Militär das eigenständige Denken ein Stück weit abtrainiert wird, ist also vielleicht mehr als nur ein allgemeiner Spruch.

Was heißt das für eine demokratische Gesellschaft?

Die hier genannten Studien werden üblicherweise als Argument gegen die Willensfreiheit verstanden – man kann es aber auch genau andersrum sehen. Unser Wille ist eben nicht einfach von unserer neuronalen ‚Hardware‘ abhängig. Wir können sozial auf ihn einwirken und unsere Gesellschaft aktiv so gestalten, dass wir eine Kultur von Verantwortung und Autonomie fördern und pflegen. Die obigen Forschungsergebnisse sind auch ein starkes Argument für eine lebendige Demokratie: keine andere Regierungsform ist so kooperativ, solidarisch und partizipativ veranlagt (natürlich ist die Anlage das Eine, Beteiligungsbarrieren wie Armut sind das Andere). Den neurowissenschaftlichen Befunden zufolge sollte das Potential, ein starkes Gefühl für Verantwortung zu entwickeln, bei aktiven Bürgerinnen und Bürgern einer Demokratie besser ausgeprägt sein als beispielsweise in einer konformistischen Diktatur wie der eingangs erwähnten NS-Diktatur – aber auch in gegenwärtigen Autokratien.

Wir sollten diese Selbstwirksamkeitspotentiale der Demokratie nutzen und unsere sozialen Kontexte so gestalten, dass es Menschen leichter fällt, demokratische Pflichten wahrzunehmen und Verantwortung zu übernehmen. Das wäre auch ein Mittel, um Konformismus und Mitläufertum vorzubeugen.

Quellen

(1) Müsseler, J., & Rieger, M. (Eds.). (2002). Allgemeine Psychologie (S. 404). Berlin: Spektrum Akademischer Verlag.

(2) Caspar, E. A., Christensen, J. F., Cleeremans, A., & Haggard, P. (2016). Coercion changes the sense of agency in the human brain. Current biology, 26(5), 585-592.

(3) Caspar, E. A., Cleeremans, A., & Haggard, P. (2018). Only giving orders? An experimental study of the sense of agency when giving or receiving commands. PloS one, 13(9), e0204027.

(4) Caspar, E. A., Lo Bue, S., Magalhães De Saldanha da Gama, P. A., Haggard, P., & Cleeremans, A. (2020). The effect of military training on the sense of agency and outcome processing. Nature communications, 11(1), 4366.

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Mein Name ist David Wurzer. Ich bin Medizinstudent und Philosophiedoktorand an der LMU München, davor habe ich Philosophie, Psychologie und Neurowissenschaften studiert. Besonders interessieren mich die aktuellen Forschungsergebnisse aus der Neurotechnologie, die als Schnittstelle für die zunehmende Verschmelzung von Mensch und Technik fungiert. Dabei werden spannende klinische und ethische Fragen aufgeworfen, die ich zusammen mit der interessierten Öffentlichkeit durchdenken möchte.

22 Kommentare

  1. Der Mensch ist ein soziales Wesen. Je sozialer, desto mehr verstrickt sind die Handlungen mit den Wünschen des Anderen.
    Man kann einen Befehl auch als starken Wunsch sehen !

  2. „Ich habe nur Befehle befolgt.“ tönt bereits nach Ausrede und ist es meistens. Wer aber eine Ausrede braucht, der weiss – mindestens im Nachhinein – dass eine ausgeführte Handlung aus dem jetzigen Blickwinkel moralisch/ethisch fragwürdig oder gar falsch war.
    Ein Befehl entlastet das Gewissen sicherlich bis zu einem gewissen Grade. Vor allem im Moment zwischen Befehlserteilung und Ausführung. Doch später denkt man zurück und das Gewissen meldet sich. Dass jemand eine moralisch fragwürdige Handlung mehrfach wiederholt und gar immer besser dabei wird, Gewissensbisse zu unterdrücken und nicht an sich heranzulassen, das verwundert mich eigentlich am meisten.

    Vielleicht ist es in einer Demokratie gerade wichtig, frühere Entscheidungen, die zu Leid geführt haben, auch öffentlich noch einmal durchzugehen und öffentlich zu diskutieren. Denn davon lernen alle etwas.

    • Lieber Herr Holzherr,

      in der Philosophie, genauer der Metaethik, gibt es tatsächlich das Argument, dass wir alle nur moralische Realisten sein können (Moral also nicht erfunden ist), weil wir schließlich intuitiv genau wissen, wann etwas moralisch verwerflich war und dann ein schlechtes Gewissen bekommen. Dass wir uns im Nachhinein für unser Fehlverhalten verteidigen, wird also als Indiz genommen, dass wir es moralisch eigentlich besser wüssten. Ich bin ebenso wie Sie verblüfft, dass einige Menschen eine völlige Resistenz gegen schlechtes Gewissen zeigen.

  3. Interessante Gedanken…

    …erst erklärst du, zu recht, dass das gemessene Signal nur eine Begleiterscheinung ist, nicht der Entscheidungsprozess selbst. Im nächsten Schritt heißt es dann aber: “…doch der subjektive Eindruck, nicht oder weniger Schuld zu sein, ist offenbar nicht nur eine Ausrede, sondern ein echtes Gefühl, das einem neurophysiologischen Prozess folgt…”

    Hier wird der psychische Prozess dann doch auf den (gemessenen) neuronalen Prozess reduziert, die N1-Komponente im EEG. Ob dieses Signal diese weitreichende (psychisch-emotionale und schließlich moralische) Interpretation zulässt, sei einmal dahingestellt.

    • Ich bin mir auch unsicher, ob die gängige Interpretation der N1 zulässig ist. Was ich meinte war: das subjektive Gefühl korreliert mit einem physiologischen Prozess (der wiederum “stellvertretend” mit der N1 korreliert), wird aber nicht von ihm verursacht. “Folgen” war als Korrelation verstanden, nicht kausal. Fest steht aber, dass das subjektive Empfinden so oder so eine physische Basis haben muss.

  4. @ David Wurzer 06.07.2023, 15:35 Uhr

    Zitat: „Ich bin ebenso wie Sie verblüfft, dass einige Menschen eine völlige Resistenz gegen schlechtes Gewissen zeigen.“

    Man kann in der Tat nicht verstehen, wie es dazu kommen konnte, dass einfache Menschen freiwillig und absichtlich, ohne auf ihr Gewissen zu hören, schwerste Naziverbrechen begehen konnten. Wo doch die besten Psychologen der Welt nachgewiesen haben, dass es so etwas wie „Manipulation“ gar nicht gibt, beim Militär schon gar nicht. Jeder ist selber schuld.

    Wo doch allgemein bekannt ist, dass beim Militär (Bürger in Uniform) stets Mitgefühl und Humanität absolut im Vordergrund steht. Nur diese durch und durch bösen Menschen haben entgegen ihrem Gewissen, das edle Militär für ihre Zwecke „gekapert“ und derart beschädigt.

    Da ist ganz klar, dass unsere Justizbehörden auch 80 Jahre nach dem Krieg, noch schärfstens gegen eine derartige, völlig freiwillige, verbrecherische Gewissenlosigkeit durchgreifen und selbstverständlich auch weibliches ehemaliges Büropersonal vor Gericht stellen müssen. Auch wenn sie feige versuchen, sich mit ihrem Rollator vor der Polizei aus dem Staub zu machen.

  5. Mal aus einer anderen Sicht.
    Ich nenne es „das Ich und das Wir“.
    Ortega y Gasset, ein spanischer Philosoph hat sich vor 70 Jahren mit dieser Erscheinung beschäftigt, sein Buch heißt : Der Mensch und die Leute.

    Es geht darum, dass sich der Mensch als Einzelindividuum anders verhält als in der Gemeinschaft.
    Wenn man allein eine Entscheidung trifft ist das ein anderer Vorgang, als wenn ich in einer Gemeinschaft nur Mitläufer bin. Auch wenn ich in der Gemeinschaft der Leiter bin, dann handle ich nicht zum Eigennutz (hoffentlich nicht) sondern im Sinne der Gemeinschaft.

    Und dabei kommt es zu Gewissenskonflikten.!!
    Der Gerichtsvollzieher vertritt das Gesetz, auch wenn es moralisch fragwürdig ist.
    Aber, wir bleiben immer auch das Individuum man kann sagen ,wir sind Persönlichkeit.
    Und die braucht auch mal eine Auszeit, indem wir etwas tun, was nicht aus uns kommt, sondern von den anderen, wir gehen zu einem Fußballspiel und jubeln, wenn der Gegner erfolgreich gefoult wird.

  6. @David Wurzer @Stephan Schleim –
    auf diese Frage wollte ich auch hinaus, bzw. konkreter darauf, ob Gehorchen überhaupt eine “normale” i.S.v. eigene Entscheidung ist.
    Sense of Agency bezeichnet ein „subjektives Erleben, Urheber einer Handlung zu sein und durch diese eigene Handlung bestimmte Ereignisse in der Welt zu kontrollieren.“ (1)

    In meinen Augen ist eine “Entscheidung” etwas, das zwischen der (abgeschlossenen) Überlegung und dem Handeln steht. (Vorher ist nahezu alles möglich, ab “der Handlung” nur deren Auswirkungen.)

    Und beim Befolgen eines Befehls entfällt die (eigentliche) Überlegung ja – es wird nicht überlegt, ob, bzw. wie man etwas tut, sondern nur der Befehl/die Weisung wird umgesetzt, also eine (motorische) Handlung initiiert.

    “Kontrolliert” hat man damit nur die Auswirkung, die der Befehlende auf einen hat, nicht “die Welt”.

    Ich persönlich bin fasziniert davon, dass also Verantwortung (nicht “Moral”) neurophysiologisch so mit dem Gefühl der “Ermächtigung” verbunden ist.

    Sofern dieser Schluss zulässig ist; was ich aber schon annehme, da ich eine “Entscheidung” als etwas strukturell völlig anderes ansehe als “überlegen”/denken.

    Und “Gehorsam”, also die Bereitschaft, einen Befehl unreflektiert auszuführen, ist ja eher eine Art “Mindset”, die die Umstände aller Überlegungen einfärbt.
    (Ich stelle es mir so vor, dass bei “gehorsamen Menschen” die Bereitschaft zur “kognitiven Dissonanz”, also dazu, sich eine entsprechende, das Gewissen beruhigende Geschichte auszudenken, erhöht ist. Eine Art Erbe unseres Glaubens an Gott, den obersten Hierarchen, statt an Kreisläufe der Natur.)

  7. Was sind Befehle ? Sind nicht die jeweils durch die Gesellschaft vorgegebenen moralischen Werte auch “Befehle” , also Normen an denen man sich zu halten hat ? Die Gesellschaft schafft dafür Gesetze und wer sich nicht daran hält…Viel subtiler und gefährlicher , psychologisch gesehen, sind die unterrschwelligen “Befehle” der Manipulationen . Ein Befehl ,im Militär, erreicht das Gehirn direkt, ein “Befehl” durch eine manipulative Suggestion ist dagegen für mich viel gefährlicher da das Individium diese Art der Befehle als seine eigene Meinung annimmt und daran glaubt. Nicht die Gehirne sind die Mitläufer sondern die Programme mit denen man sie füttert – und das ist zu jeder Zeit aktuell.

  8. Ich hätte einige Bemerkungen zu meinem wütend, ironisch sarkastischen Beitrag @ Realo 06.07.2023, 20:04 Uhr.

    Ich schicke voraus, dass ich um 1965 freiwillig (aber ohne „Begeisterung“) meiner Wehrpflicht nachgekommen bin. Außerdem halte ich ausdrücklich fest, dass besonders alle Offiziere absolut korrekt waren. Diejenigen von uns die der Situation kritisch (wegen der „Nachkriegswehen“) gegenüberstanden, wurde empfohlen, den Wehrdienst aus Gründen der sportlichen Fitness positiv zu sehen. Das hat mir eingeleuchtet.

    Mir ist selbstverständlich klar, dass bestimmte, aus psychologischen Gründen durchaus „bedenkliche Typen“, vom Militär „angezogen“ werden. Die scheinen tatsächlich „kein Gewissen“ zu haben.

    Viele, eher christlich orientierte Männer, haben das Geschehen und ihren persönlichen Beitrag beim WK2, z.B. bei den Veteranentreffen in Russland, später tief bedauert. Sie wurden sogar von ihren ehemaligen Feinden sehr nett „getröstet“. Die Mitarbeiter der „Staatssicherheit“, die die Treffen beobachteten, wussten gar nicht, wie sie mit den Verzweifelten umgehen sollten….

    Wegen der modernen Waffentechnik bin ich allerdings zum Pazifisten geworden.

    Man stelle sich vor, nach dem Ende des derzeitigen Krieges, in dem wir womöglich noch hineingezogen werden, werden einem die beiden jeweiligen „Narrative“ (das „Westliche“ und das „Russische“) so richtig bewusst. Ähnlich wie nach dem WK2, als sich viele Menschen wegen ihrer Dummheit am liebsten selbst geohrfeigt hätten.

    Die „sinnstiftende Erzählung“ des Westens geht davon aus, dass die Ukraine überfallen wurde, als wäre es z.B. die absolut „schuldlose“ Schweiz.

    Die „sinnstiftende Erzählung“ der Russen geht vermutlich davon aus, dass die Russen vom Schwarzmeerzugang „vertrieben“ werden sollen, den sie für ihren Welthandel und ihre Flotte seit „fast ewig“ über ihre Häfen hatten.

    Allein der Gedanke dass sich eine Atommacht wie Russland, vom Schwarzmeerzugang „vertreiben“ lassen könnte, scheint absurd. Die Ukrainer “glaubten” daran, sie würden diese „Vertreibung“ mit ihrer Staatsgründung erzwingen können, obwohl dort (hauptsächlich in der Ostukraine), viele Russen lebten. Herr Kiesewetter meinte auch noch, die Russen hätten am Schwarzen Meer nichts zu suchen!

    Allein der Gedanke dass sich eine Atommacht wie Russland, vom Schwarzmeerzugang „vertreiben“ lassen könnte, scheint absurd.

    Das sollte einem rechtzeitig bewusst werden.

    • Auch wenn es ein Modewort geworden ist, besteht die Welt nicht nur aus Narrativen. Dass der Überfall auf die Ukraine unprovoziert war, ist kein Narrativ, sondern nachweislich so. Dieser Neuroblog ist allerdings ohnehin der falsche Ort für solche Diskussionen.

  9. Golzower, Viktualia
    “für mich viel gefährlicher da das Individium diese Art der Befehle als seine eigene Meinung annimmt ” (Golzower)
    und damit sind wir dann bei diesem Gedanken
    ” es wird nicht überlegt, ob, bzw. wie man etwas tut, sondern nur der Befehl/die Weisung wird umgesetzt,”
    Und dann die Schlusßfolgerung, die ist interessant
    “Ich persönlich bin fasziniert davon, dass also Verantwortung (nicht “Moral”) neurophysiologisch so mit dem Gefühl der “Ermächtigung” verbunden ist.” (Viktualia)
    Somit haben wir jetzt drei mögliche Szenarien konstruiert.

    1. die Person übernimmt die Meinung des Befehlshabers
    2. die Person übernimmt nicht die Meinung des Befehlshabers , sondern führt den Befehl nur aus.
    3. die Person empfindet den Befehl als Ermächtigung, als einen Ritterschlag, jetzt zur Gemeinschaft zu gehören.

    Wenn der gehorsame Mensch intelligent ist, dann kann man annehmen, dass er die kognive Dissonanz erkennt und sich eine Rechtfertigung zurechtlegt.(Typ Adolf Eichmann)
    Wenn der gehorsame Mensch nicht intelligent ist, dann betrachtet er den Befehl als Anerkennung, als Machtzuwachs.( Typ Scharfrichter)

    Der Mischtyp, der den Befehl befolgt, ohne innerlich beteiligt zu sein, das ist der häufigste. Das ist der Typ Soldat, der seine “Pflicht” tut. Nur für diesen Typ ist der Begriff Pflicht anzuwenden.(Im Gegensatz zur Definition bei Wikipedia.)

  10. Zu Realo:
    Zu dieser Armee habe ich auch mal gehört. Damals hat man uns erzählt dass man den Westen jeweils an den Wochenenden leicht besiegen kann da da die Masse der Soldaten im Wochenendurlaub ist und besagte Soldaten kein Nationalgefühl hätten usw… Will sagen: Zu Befehlen gehört ein Feindbild. Ohne einem Feindbild ,also ohne eine vorherige ideologische Gehirnwäsche, funktioniert kein Krieg, kein Befehl, denn Soldaten müssen wissen wofür sie dann krepieren, für eine vermeintlich gute Sache. Und da setzt die Kriegsberichterstattung an denn hier wird, siehe den 2. Weltkrieg, immer nur von Erfolgen berichtet und das große Sterben- man stirbt ja auch oft in einem Krieg – wird ideologisch verbrämt und idealisiert. Ein Befehl macht also noch keinen Soldaten denn dieser muss erst seine Angst andere töten zu müssen überwinden.

  11. “Ermächtigung” – nein, @Irgendwer, das haben sie falsch verstanden.
    Was sie daraus machen ist eine Unterstellung – davon distanziere ich mich ausdrücklich.

    Es war keine “Ermächtigung durch einen anderen” gemeint, sondern etwas selbst zu machen, bzw. etwas eigenes gemacht zu haben.

    Warum sie aus – “Kontrolliert” hat man damit nur die Auswirkung, die der Befehlende auf einen hat, nicht “die Welt”. einen Ritterschlag machen ist mir schleierhaft.

    Ich muss mich wiederholen: lassen sie mich aus ihren komischen Überlegungen raus.

  12. @ David Wurzer 09.07.2023, 13:59 Uhr

    Danke dass Sie beiden Narrativen Raum gegeben haben.

    Der Ukrainekonflikt ist ein typischer „Bruderkrieg“ voller Emotionen, er hätte psychologisch „aufgearbeitet“ werden müssen, leider ist das derzeit auf politischer Ebene noch nicht möglich.

    Ich fände es durchaus angebracht, wenn „Neuro/Psychoblogs“ anfangen würden, sich mit derartigen Fragen zu beschäftigen.

    Man sollte der Ukraine zugestehen, dass sie in schweren Zeiten besonders dem klimatisch benachteiligten russischen Norden mit Lebensmittel „ausgeholfen“ haben. Inzwischen sind die Russen auch erfolgreiche Getreideexporteure und sogar Konkurrenz der Ukraine geworden.

    Sie hätten sich dafür mehr „Dankbarkeit“ erwartet, als die Russen aufbringen konnten.

    Psychologische Aspekte sind schwer zu „messen“, daher ist es grundsätzlich schwer, einen gerechten Ausgleich zu finden. Die Probleme haben sich aufgeschaukelt, die Rationalität blieb auf der Strecke. Unendliches Leid bei den betroffenen Menschen war die Folge.

    Fremde Interessen konnten der Versuchung nicht widerstehen und wollten die Situation zusätzlich ausnutzen. Alles zusammen hat zur Katastrophe geführt. Die Rationalität wurde durch Hass ersetzt.

    Dabei hätten beide Länder die Möglichkeit, Ressourcen und Synergien (die Russischen Bodenschätze einerseits und das frühere landwirtschaftliche Personal der Ukraine, das durch Maschinen ersetzt wurde) kooperativ (und freundschaftlich) zu nutzen. Die räumliche Nähe zu Russland und faire Rabatte (auf Rohstoffe) könnten der Ukraine mehr nutzen als eine „Transitabzocke“ wenn sie die Russen vom internationalen Handel abschneiden.

    Westliche Länder könnten statt Waffen und Munition technisches Knowhow einbringen. Alle könnten profitieren.

    Das hat Deutschland und Frankreich wunderbar erfolgreich geschafft (Stichwort Montan Union). Es war berührend, wie Helmut Kohl und François Mitterrand in Verdun 1984, die künftige Freundschaft besiegelt haben und gemeinsam die vielen Toten betrauern konnten.

    Genau das würde ich den Ukrainern und den Russen auch wünschen.

  13. @irgendwer 09.07. 09:25

    „Der Mischtyp, der den Befehl befolgt, ohne innerlich beteiligt zu sein, das ist der häufigste. Das ist der Typ Soldat, der seine “Pflicht” tut.“

    Egal wie man zu dem Krieg jetzt persönlich steht, in den man geraten ist, man ist mitten im Setting der aktiven Schießerei. Befehle gewissenhaft auszuführen trägt wesentlich dazu bei, die aktuelle Schlacht zu gewinnen. Das weiß der Soldat meistens ganz genau.

    Und den Sieg will man fast immer, auch einfach weil das die eigenen Überlebenschancen und die der eigene Kameraden deutlich erhöht. Der gemeinsame Kampf, das gemeinsame Leiden schweißt Soldaten auch dann sehr schnell zusammen, wenn man von dem Krieg selber gar nicht so viel hält.

    Krieg ist eine Ausnahmesituation, aber eigentlich die wichtigste Situation, wo auch Moral und Menschenfreundlichkeit am meisten gefragt ist.

    Befehle etwa vom Chef, bei dem man arbeitet, sind meistens weniger drastisch. Und man kann eben kündigen, wenn es einem zu kriminell wird, was der Soldat in der Regel nicht kann.

    Eine Bekannte hatte mal vom Arbeitsamt einen Job vermittelt bekommen, bei dem sie für eine Partnervermittlung per 0190er-Nummer die Daten der Kunden aufnehmen sollte. Sie brauchte das aber nicht mal aufschreiben, weil die Firma nur das Geld über diese 0190er-Nummer haben wollte, Partnerschaftsvermittlung haben die gar nicht gemacht. Sie hat dann mit der Begründung gekündigt, dass diese Arbeit schlichtweg kriminell war, und das Arbeitsamt hat das als gut begründet akzeptiert und keine Sanktionen gegen Sie verhängt.

  14. Eine Studie liefert Hinweise dafür, dass bestimmte neuronale Prozesse auf befohlene Handlungen so reagieren, als hätte man gar nicht gehandelt. [Artikeltext]

    Befehlsnotstand hier das Fachwort, so gilt und ist teils auch überzeugend, vs. überredend, in kollektivistischen Systemen generell, die nicht nicht politisch rechts, sondern auch links oder noch anders sein könnten.

    Es gab bspw. auch Juden, jüdische Gemeindevorsteher, die so dem Exitus ihrer Gemeinde zugearbeitet haben.
    Bei besonderem Bedarf wird Dr. Webbaer so belegen.

    Hier, bei – ‘Unsere Gehirne sind, in hierarchischen Kontexten, wohl von Haus aus eher Mitläufer.’ – ist es teils so und teils so auch nicht, das menschliche Hirn neigt nicht per se zum Kollektivismus.

    Mit freundlichen Grüßen
    Dr. Webbaer

  15. @ Golzower 09.07.2023, 15:55 Uhr

    Zitat: „Will sagen: Zu Befehlen gehört ein Feindbild. Ohne einem Feindbild ,also ohne eine vorherige ideologische Gehirnwäsche, funktioniert kein Krieg, kein Befehl, denn Soldaten müssen wissen wofür sie dann krepieren, für eine vermeintlich gute Sache. Und da setzt die Kriegsberichterstattung an denn hier wird, siehe den 2. Weltkrieg, immer nur von Erfolgen berichtet und das große Sterben- man stirbt ja auch oft in einem Krieg – wird ideologisch verbrämt und idealisiert. Ein Befehl macht also noch keinen Soldaten denn dieser muss erst seine Angst andere töten zu müssen überwinden.“

    Das sehe ich genau wie Sie.

    Es gibt sozusagen eine „psychologische Ebene“ um die Soldaten mit Emotionen manipulieren und „scharf machen“ zu können. Und es gibt die Ebene der vom Krieg Profitierenden.

    Nationale Interessen können eine Rolle spielen. In der Hauptsache dürfte es direkt um den Zugriff auf Ressourcen (Verkehr, Bodenschätze, Industrie, ….) gehen. Allenfalls darum, diesen Zugriff vorzubereiten.

    Grundlegend sind immer unterschiedliche „Narrative“. Nur das eigene „Narrativ gilt“, das des Gegners wird kurzerhand einfach „unterschlagen“….. es existiert scheinbar überhaupt nicht.

    Es ist eine besondere Methode der Manipulation. Allerdings, das wir einem erst bewusst wenn es zu spät ist….

  16. @Viktualia
    irgendwie reden wir aneinander vorbei.(Wir kriegen das noch hin)

    Es geht ja um Befehl und Gehorsam , es geht um die Willensfreiheit dabei. Und es geht um die Rolle des Gehirns dabei.
    Also , der Begriff, der für Verwirrung gesorgt hat, ist “Ermächtigung”.

    Ein krasses Beispiel aus Italien. Wenn jemand in die ehrenwerte Gesellschaft (Mafia) aufgenommen werden will, muss er den Beweis erbringen, dass er loyal zur Mafia steht. Das geschieht durch einen Auftragsmord. Er wird von der Mafia ermächtigt, eine gefährliche Person durch einen gestellten Unfall z.B. zu töten.

    Der Ritterschlag im Mittelalter hatte die gleiche Aufgabe. Der Knappe wurde durch den Ritterschlag ermächtigt, ein Schwert zu führen und im Kampf auch damit zu töten.

    Die Befehle zum Töten kommen in Italien von der Mafia, früher im Mittelalter vom König.

    Der Mörder sagt jetzt nicht “ich habe nur einen Auftrag ausgeführt” sondern er steht loyal zu seinem Auftraggeber und betrachtet seine Tat als notwendig.

    Tobias Jeckenburger,
    Was Soldaten im Kriege denken, das ist ganz unterschiedlich. Einer unserer Verwandten hat desertiert, weil er gegen das Hitlerregime war.
    Andere haben noch nach dem Krieg damit geprahlt, wieviele Russen sie umgebracht haben.
    Die meisten jedoch, die haben geschwiegen. Die waren nicht stolz auf ihre Handlungen.

  17. @Golzower 09.07. 15:55

    „Ein Befehl macht also noch keinen Soldaten denn dieser muss erst seine Angst andere töten zu müssen überwinden.“

    Sobald die ersten Kugeln fliegen, Granaten runter kommen und die ersten Kameraden getroffen werden ist wohl kaum noch Überwindung nötig. Im Setting der aktiven Schießerei sorgen einfachste Instinkte alleine schon dafür, dass man ganz schnell selber zum Kampfschwein wird.

    So wichtig ist ein Feinbild wahrscheinlich gar nicht für den Soldaten, eher für die Zivilbevölkerung, dass die hier überwiegend zustimmt. Wenn der Feind auf einen selbst definitiv schießt, ist das das Faktum, das alleine schon zählt.

  18. 07.07.2023, 10:42 Uhr: Sense of Agency bezeichnet ein „subjektives Erleben, Urheber einer Handlung zu sein und durch diese eigene Handlung bestimmte Ereignisse in der Welt zu kontrollieren.“ (1)

    In meinen Augen ist eine “Entscheidung” etwas, das zwischen der (abgeschlossenen) Überlegung und dem Handeln steht. (Vorher ist nahezu alles möglich, ab “der Handlung” nur deren Auswirkungen.)

    Und beim Befolgen eines Befehls entfällt die (eigentliche) Überlegung ja – es wird nicht überlegt, ob, bzw. wie man etwas tut, sondern nur der Befehl/die Weisung wird umgesetzt, also eine (motorische) Handlung initiiert.

    “Kontrolliert” hat man damit nur die Auswirkung, die der Befehlende auf einen hat, nicht “die Welt”.

    Ich persönlich bin fasziniert davon, dass also Verantwortung (nicht “Moral”) neurophysiologisch so mit dem Gefühl der “Ermächtigung” verbunden ist.

    ——————————————————————————————–
    @Irgendwer
    Nein, mit ihnen – und ihren Worten – will ich nichts zu tun haben.
    Behalten sie ihre Interpretationen bei sich.

    Mir ging es darum, dass es da neurologische Hinweise darauf gibt, dass der “Sence of agency” (und damit womöglich das Gefühl, verantwortlich für seine Taten zu sein) an die eigene Entscheidung – die Selbstermächtigung – gebunden ist.

    Sie spekulieren über das Gegenteil – die Befehlsempfänger.
    Lassen sie es endlich sein, mich damit in Verbindung zu bringen.

    09.07.23: Es war keine “Ermächtigung durch einen anderen” gemeint, sondern etwas selbst zu machen, bzw. etwas eigenes gemacht zu haben.

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