Hörverlust durch Hitze

Hitze kann zu Hörverlust führen

Hitzerekord hin oder her: Die letzte Woche hat den allermeisten von uns verdeutlicht, dass man bei den heißen Temperaturen keine großen geistigen oder körperlichen Belastungen anstreben sollte. Kopfschmerzen und Verwirrtheitszustände können leicht in Folge einer zu geringen Trinkmenge auftreten. Doch damit nicht genug … Manche Menschen verlieren regelmäßig ihr Gehör, sobald ihre Körpertemperatur zu sehr ansteigt!

Wie hören wir?

Abbildung des Hörsystems. Bei Schädigungen jedes Abschnitts kann ein Hörverlust auftreten.
Grober Aufbau des inneren und äußeren Ohrs. Schädigungen an jeder Stelle können zu Hörverlusten führen.

Das menschliche Gehör ist grob in einen äußeren, mittleren und inneren Teil untergliedert. Die Schallwellen werden über die Ohrmuschel und den Gehörgang zum Trommelfell transportiert, durch die kleinen Knochen im Mittelohr verstärkt und zur Gehörschnecke im Innenohr übertragen. In der Hörschnecke (Cochlea) werden die Schallwellen durch spezielle Rezeptorzellen in elektrische Impulse umgewandelt und mit dem Hörnerv zum Gehirn weitergeleitet. Beteiligt an der Entstehung dieser elektrischen Impulse ist das Protein Otoferlin (OTOF).

Temperaturabhängiger Hörverlust

Seltene Mutationen im OTOF-Gen können dazu führen, dass Menschen bei erhöhter Körpertemperatur plötzlich ertauben. Die Körpertemperaturerhöhung kann beispielsweise durch Fieber, Sport oder Überhitzung während extremer Temperaturen auftreten. Persönlich fast am schlimmsten finde ich die Vorstellung, dass bei einer Grippe zu eh schon schwer erträglichen Symptomen noch ein Hörverlust hinzukommt. Zum Glück bildet sich dieser zurück, sobald sich die Körpertemperatur wieder normalisiert hat. Wie lange das dauert, hängt von der jeweiligen Mutation ab und kann zwischen einer Stunde und ungefähr drei Tagen sein. Den genauen Pathomechanismus dahinter hat man bisher noch nicht verstanden. Möglicherweise erschwert das veränderte Otoferlin bei höheren Temperaturen das Freisetzen von Neurotransmittern und verhindert somit eine effektive Reizweiterleitung zum Gehirn. Kleine Temperaturerhöhungen von nicht mal einem Grad Celsius reichen manchmal schon aus, dass der Hörverlust eintritt.

Hörverlust bei Menschen ja, bei Mäusen nein

Für die Erforschung dieses Phänomens kommt erschwerend hinzu, dass es bisher nicht in Tierversuchen nachgeahmt werden konnte. Zwar weisen Mäuse mit den entsprechenden Mutationen unter normalen Körperbedingungen sehr ähnliche Hörverhalten auf, die hitzebedingten Hörverluste lassen sich bislang jedoch nicht reproduzieren. Woran das liegt, weiß niemand. Der Hörsinn von Tieren kann jedoch durchaus temperaturabhängig sein. Gezeigt wurde das bisher unter anderem bei Fröschen und Fischen.

Fische hören auch temperaturabhängig

Bestimmte Fischarten benutzten Töne einer gewissen Frequenz zum Finden potenzieller Sexualpartner. Da Fische wechselwarm sind, kann hier eine Erhöhung der Wassertemperatur zu einer besseren Funktion der Nervenzellen im Ohr führen. Dadurch können die Fische schon deutlich leisere Töne wahrnehmen. Das basiert vor allem auf der RGT-Regel, die manche vielleicht noch aus dem Biologie- oder Chemieunterricht kennen. Die besagt, dass chemische Reaktionen in höheren Umgebungstemperaturen schneller ablaufen. Doch nicht nur die Hörschwelle ist abhängig von der Temperatur. Auch die Art und Reihenfolge der Töne kann variieren. Dies hängt aber vor allem damit zusammen, dass die Wassertemperatur zugleich als indirektes Zeichen dafür dienen kann, welche Jahreszeit aktuell und damit, ob gerade Paarungszeit ist.

Höre Dir hier die Paarungstöne eines Fischs an 😉

Uhthoff Phänomen bei Multipler Sklerose

Patient:innen von Multipler Sklerose (MS) erfahren häufig Verschlechterungen ihrer Symptomatik während der Sommermonate. Dieses Phänomen wurde bereits 1890 von Wilhelm Uhthoff beschrieben und wird ebenfalls durch eine Körpertemperaturerhöhung ausgelöst. Als mögliche Auslöser des Uhthoff Phänomen reichen häufig schon Sport, Sonnenbaden, eine heiße Badewanne, ein Saunabesuch oder menstruationsbedingte Körpertemperaturerhöhungen aus! Entgegen der RGT-Regel wie bei den Fischen wird hier jedoch eine Reizweiterleitung nicht begünstigt, sondern verhindert. Das liegt daran, dass bestimmte Kanäle in den Nervenzellen durch die erhöhte Temperatur schlechter wieder aktiviert werden können, nachdem sie aktivitätsbedingt inaktiviert wurden. Diese Kanäle sind für das Weiterleiten von Nervenimpulsen essenziell. Die durch die MS vorgeschädigten Nerven sind besonders stark von der Störung betroffen und können zu einer Vielzahl an möglichen Symptomen führen. Glücklicherweise sind auch hier die Beschwerden relativ schnell reversibel. Das Uhthoff Phänomen und der temperaturabhängige Hörverlust weisen also durchaus manche Gemeinsamkeiten auf.

Doch bis wir wirklich wissen, was hinter diesen Befunden steckt und wie wir diese adäquat behandeln können, bleibt nur eins: Viel Trinken und einen kühlen Kopf bewahren!

Ein vollständige Liste der verwendeten Literatur ist hier zu finden.

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Veröffentlicht von

Friedrich Schwarz studiert Humanmedizin und Angewandte Informatik mit Schwerpunkt Neuroinformatik. Aktuell fasziniert ihn die Theorie, dass Humor und Kreativität als Positivfaktoren in der sexuellen Selektion dazu beigetragen haben könnten, dass die menschliche Gehirngröße evolutionär zunahm. Mit dem Schreiben hier probiert er, seine Begeisterung über das Gehirn mit der Welt zu teilen – ob sie möchte oder nicht.

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