Ein zäher Komet – war’s das, ISON?
BLOG: Himmelslichter

Tja, das war ein Abend. Ein Abend, an dem ISON für tot erklärt wurde – um dann wieder aufzuerstehen? Ganz soweit ist es noch nicht, aber der Komet dürfte uns noch eine Weile beschäftigen. Nur für einen “Jahrhunderkometen” am Dezemberhimmel sieht es nach ISONs doch ziemlich stressiger Höllenfahrt eher schlecht aus.
(Nachtrag zum Artikel unten!)
Der Reihe nach. Das, was manche im Vorfeld befürchtet hatten, ist wohl eingetroffen: Nach den Helligkeitsausbrüchen vom 13. und 19. November ist der ursprünglich höchstens vier Kilometer große Kometenkern ziemlich durchgerüttelt, höchstwahrscheinlich sogar fragmentiert, weiter Richtung Sonne gerast. Als er am Freitagabend – beobachtet von den Sonnenobservatorien SOHO und STEREO – endgültig dem sonnennächsten Punkt (Perihel) seiner Bahn nahe kam, tat die nun extrem intensive Sonneneinstrahlung ihr übriges. Der Komet zerbrach schon im Anflug. Statt eines aufflammenden Kopfes zeigen die Aufnahmen einen langgestreckten Schweif ohne frontale Helligkeitsverdichtung, wie es für einen gesunden Kometen zu erwarten wäre.

Kein Zweifel, dass ISON die Passage an der Sonne nicht in einem Stück überlebt hat. SDO, das dritte Sonneobservatorium, sah dann auch gar nichts mehr von dem Kometen. ESA und NASA erklärten C/2012 S1, der seit über einem Jahr die Hoffnungen und Erwartungen beflügelt hatte, kurzerhand für tot.

Das Ganze kam nicht wirklich überraschend, die Vielzahl der Anzeichen, dass es ISON nicht wirklich gut geht, hatten einen Zerfall nahe des Perihels zuletzt immer wahrscheinlicher werden lassen. Doch die Geschichte geht weiter.
Zuerst auf den inneren Koronografen von SOHO und STEREO, dann auch auf dem LASCO C3-Koronografen von SOHO, tauchte zur Überraschung vieler Beobachter doch noch ein Objekt auf, das sich entlang der Kometenbahn wieder von der Sonne weg bewegte. Was dieses “Etwas” ist, stand auch nach Mitternacht noch nicht endgültig fest. Hat der Komet doch überlebt? Zumindest ein Teil von ihm?

Die von vielen Beobachtern favorisierte Erklärung: Der Komet ist Geschichte, aber seine Trümmerwolke “lebt” noch eine Weile weiter. Auch wenn ein Komet zerbricht, fliegt er nicht einfach auseinander wie die Trümmer einer Explosion. Die Bruchstücke – einige vielleicht dutzende Meter groß, andere nur Staubkörner – bewegen sich weiter entlang der Bahn des ursprünglichen Mutterkörpers. Vor allem die kleinen Staubteilchen werden von Strahlungsdruck des Sonnenlichts fortgeblasen. So erklärt sich die auf den Bildern erkennbare, “kopflose” Struktur der Wolke und ihr Staubschweif.

Ein Zombie-Komet, der sich sich langsam auflöst – oder doch mehr? Auf den LASCO C3-Bildern erscheint das Objekt doch wieder um einiges kompakter. Sollte doch wenigstens ein größerer Restkern, vielleicht mehrere Dutzend, vielleicht einige 100 Meter groß, in der Wolke verborgen sein, dann könnte dieser wieder “aufflammen” und den Kometen zu neuem Leben erwecken. Eine (vielleicht reduzierte) Kometenshow am Dezemberhimmel inklusive.

Kometen sind wie Katzen, heißt es ja, sie haben einen Schweif und machen, was sie wollen. Ob sie auch sieben Leben haben, wird uns ISON (oder das, was von ihm übrig ist) in Kürze zeigen.
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UPDATE 29.11. 10:00: Die LASCO C3-Bilder von heute morgen zeigen: Das übriggebliebende Objekt wird langsam wieder heller – also tatsächlich ein Restkern? Muss nicht unbedingt sein – auch C/2011 W3, Lovejoys Trümmerwolke wurde in dem Koronograph heller – ohne wirklichen Kern. Das auch ein solcher Zombie-Komet eine nette Show an den Himmel zaubern kann, bewies eben jener Lovejoy im Dezember 2011. Momentan ist der Komet (ich nenne ihn jetzt einfach mal weiter so) ungefähr zo hell wie der links unten im Bildfeld sichtbare Stern Antares, erreicht also etwa die 1. Größenklasse. Das ist deutlich weniger als beim Anflug – aber wer weiss, vielleicht ändert sich das noch.

Wir müssen wohl weiter beobachten und abwarten. Voraussagen über eine mögliche Sichtbarkeit des Kometen im Dezember sind noch schwieriger als zuvor. Karl Battams vom CIOC-Projekt schrieb gestern abend unter dem schönen Titel “Schrödinger’s Comet” diese Worte: “This ridiculous, crazy, dynamic and unpredictable object continues to amaze, astound and confuse us to no end.” Besser kann ich es momentan auch nicht ausdrücken!
Nachtrag 17:45, Eine nette Bildserie vom Tage:

Den Perihelabend zum Nachlesen gibts in Daniel Fischers Blog.
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Vor einigen Tagen habe ich diese Vermutungen zum ISON-Perihel angestellt:
Radius = 1.861.024.000 m,
Gravitation = 38,361 m/s^2,
Fluchtgeschwindigkeit = 377.865 m/s.
Laienfragen:
Wie waren nun die richtigen Messwerte bei ISON?
War ISON langsamer oder schneller als die Fluchtgeschwindigkeit beim Perihel?
Wichtig ist nicht allein, wie hoch die Geschwindigkeit bei der Annäherung an das Perihel war. Das material, ads vorher ausgaste und eine gewisse Bremswirkung gehabt haben mag, tat dies vorwiegend an Stellen, die für die Änderung der Bahnenergie weniger effizient sind als das Perihel. Wirklich wichtih ist also, was am Perihel geschah – wieviel von der Beschleunigung des dort ausgegasten Materials oder vom Effekt des Auseinanderbrechens in Richtung des Geschwindigkeitsvektors zeigte und ob es sich dabei in Summe um eine Beschleunigung oder eine Abbremsung handelte. Wenn es einen beobachtbaren Restkern gibt, und nicht nur eine Staubwolke, bei der der Solardruck eine so erhebliche Wirkung haben dürfte, dass er die Bahn sehr stark verändern kann, dann wird man dessen Bahn neu bestimmen müssen, um zu sehen, ob die große Halbachse immer noch negativ (Hyperbel) oder inzwischen positiv (Ellipse) ist. Es würde mich wundern, wenn man das jetzt schon klar sagen könnte.
Was ist denn mit dem Schweif los, sollte der nicht von der Sonne wegzeigen? Oder ist das gar kein ‘Kometenschweif’
Der Schweif von ISON nach dem Perihel besteht offenbar ausschließlich aus Staubpartikeln. Diese werden vom Strahlungsdruck der Sonne radial von der Sonne weg gedrückt, haben aber auch eine Geschwindigkeitkomponente in Bewegungsrichtung ihres Mutterkörpers, also des Kometen. Daher zeigt ein *Staubschweif* nicht gerade von der Sonne weg, sondern folgt dem Kometen auf seiner Bahn, wobei die Teilchen abhängig von ihrer Größe immer stärker von der Sonne weg gedrückt werden. So entsteht ein breiter Schweif.
Ein *Plasmaschfeif* (wie wir ihn vor dem Perihel auch bei ISON sahen), besteht aus geladenen Molekülen und Atomen, die vom Magnetfeld der Sonne (bzw- dem Sonnenwind) beeinflusst werden. Ein solcher ist eher dünn und zeigt immer von der Sonne weg.
Das Fehlen eines Plasmaschweif ist momentan eines der wichtigsten Anzeichen für das Fehlen eines aktiven Kerns.
Die Max-PlanckGesellschaft hat eine interessante Pressemeldung herausgegeben, die zu diesem Thema passt: http://www.mpg.de/7619613/ison_gefluegelter_komet
Darin heißt es:
“„Der Staubschweif des Kometen zeigt sich nun zweigeteilt“, beschreibt Hermann Böhnhardt vom Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung die jüngsten Bilder. Der Teil des Schweifs, der in Richtung Sonne zeigt, besteht laut Böhnhardt aus Staubteilchen, die deutlich vor der Perihelpassage – also vor dem Erreichen des sonnennächsten Bahnpunkts – freigesetzt wurden.
Der andere Teil dagegen enthält offenbar jüngeres Material: Es wurde während des Vorbeiflugs emittiert und deutet darauf hin, dass zu diesem Zeitpunkt zumindest noch ein Teil des Kerns existierte und aktiv war.”
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