Start-up aus der Wissenschaft

BLOG: Graue Substanz

Migräne aus der technischen Forschungsperspektive von Gehirnstimulatoren zu mobilen Gesundheitsdiensten.
Graue Substanz

Ist die Existenzgründung aus der Wissenschaft als ein neues Schwerpunktthema für ein Wissenschaftsblog interessant?

10 Jahre sind erreicht! Die letzten Jahre war es deutlich ruhiger hier im Blog. Der Grund dafür war meine Existenzgründung aus der Wissenschaft — und dazu gleich mehr. Die »Graue Substanz« ist nun also seit 10 Jahren mein Wissenschaftsblog. Meine eigene Migräneforschung ist das zentrale wissenschaftliche Thema. Doch gab es schon immer auch andere Themen in der Grauen Substanz. Die Existenzgründung aus der Wissenschaft könnte ein neues Schwerpunktthema werden.

Ende 2015 habe ich die Universität verlassen und mit Freunden ein Unternehmen gegründet. Dabei hatten wir die Unterstützung in Form eines EXIST-Gründerstipendiums. Als Existenzgründer aus der Wissenschaft ist es naheliegend, auch über diesen Weg aus der akademischen Wissenschaft und die Fortführung der Forschung in einem Start-up zu schreiben.

Seit Beginn meines Blogs schrieb ich auch über Themen neben meiner eigenen Forschung. Nämlich über Themen rund um die Voraussetzungen, die ich für nötig betrachte, um als Wissenschaftler unabhängig arbeiten zu können. Dazu zählte zuletzt oft das Wissenschaftszeitvertragsgesetz oder wie man mit der Ko-Autorenschaft bei wissenschaftlichen Veröffentlichungen verfährt, die die “Wissenschaftswährung” bilden. Auch das Bloggen selbst hat mich beschäftigt. Die Frage, ob Wissenschaftsbloggen Lobbyismus ist, stellte sich, nachdem ich einige Jahre dieses Blog führte. Meine Gedanken dazu führten zu einen Konzept, das 2014 auf der re:publica von Martin Ballaschk kurz vorgestellt wurde.

Was ändert sich nach der Existenzgründung aus der Wissenschaft?

Kann ich als Start-up wissenschaftliche Themen unabhängig vorantreiben? Was ändert sich, wenn die zentrale Währungseinheit nicht wissenschaftliches Publizieren mit Impact Factor ist, sondern sich nach der Größe des Marktes und der erwarteten Rendite richtet? Ist unternehmerisches Wissenschaftsbloggen nicht erst recht Lobbyismus — viele erinnern sich bestimmt: kurz nachdem ich mit der Grauen Substanz begann, machte Pepsigate die Runde. Deswegen haben wir als Unternehmen ein eigenes Migräne-Blog, um Unternehmung und Forschung eben nicht zu vermischen.

Natürlich kann ich auch nach der Existenzgründung als Unternehmer weiterhin Wissenschaftskommunikator sein. So habe ich beispielsweise erst vor zwei Wochen einen populärwissenschaftlichen Vortrag zum Thema »Mathematik gegen Migräne« an der Universität Hamburg gehalten. Und dieses Jahr durfte ich auf der re;publica 19 zum Thema »Arzt oder App? Wem vertraue ich?« sprechen.

Nach Existenzgründung immer noch Wissenschaftskommunikator.

Wissenstransfer als Option

Forschung und Kommunikation gehen also weiter. Die Existenzgründung aus der Wissenschaft war letztlich für mich ein Schritt, weiter unabhängig meine Forschung vorantreiben zu können. Auch wenn das paradox klingen mag. Doch nicht nur meine Unabhängigkeit, sondern auch der Schritt, meine Forschung endgültig zur Anwendung zu transferieren, war für mich seit langem eine Option.

Es ist 15 Jahre her, dass ich einen Businessplan für eine Migräne-App erstellte. Den Unternehmenszweck beschrieb ich 2004 so: »Die Entwicklung und Herstellung mobiler telemedizinischer Diagnoseverfahren, die einen entscheidenden Schritt zur erfolgreichen Behandlung chronischer Krankheiten leisten, indem sie automatisierte und zeitnahe Dokumentation der Krankheitssymptome ermöglichen.« Statt von Smartphones sprach ich 2004 von Bildtelefonen. »Angesichts der rasanten Leistungssteigerung und Verbreitung von Handhelds (PDA) und Bildtelefonen werden mobile telemedizinische Anwendungen rasch in den Blickpunkt des Interesses rücken«.

Wann ist der richtige Zeitpunkt zum Absprung?

Das iPhone sollte 2004 noch drei Jahre auf sich warten lassen. Heute baut Apple seine Aktivitäten im Gesundheitsbereich aus. Das war durchaus vorhersehbar.

Wann ist der richtige Zeitpunkt gekommen für eine Existenzgründung aus der Wissenschaft? Als technologieorientierte, wissensbasierte Ausgründung muss sowohl marktfähiges als auch schützbares Wissen vorhanden sein.

Was außer dem Zeitpunkt muss beachtet werden? Die Finanzierung scheint mir das wichtigste Thema zu sein. Mit dem oben genannten EXIST-Programm steht eine Anschubfinanzierung für Gründungsvorhaben aus der Hochschule bereit. Die Fachzeitschrift Nature berichtete darüber am Beispiel unserer Ausgründung: »No more career headaches How Markus Dahlem took advantage of a government stipend to build his migraine tracking app.« Doch wie geht es nach EXIST weiter?

Wissenschaftler schreiben oft einen Forschungsantrag nach dem nächsten. Wir kennen es also, der Finanzierung hinterher zu rennen. Doch welche Eigenheiten müssen wir bei der Finanzierung eines Startups nach der Seed-Phase verstehen?

Darüber würde ich gerne mehr schreiben, wenn es hier Leser gibt, die das Thema interessiert. Welche Fragen habt also Ihr an einen Existenzgründer aus der Wissenschaft? Gerne versuche ich in weiteren Beiträgen in der Grauen Substanz darauf einzugehen.

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Markus Dahlem forscht seit über 20 Jahren über Migräne, hat Gastpositionen an der HU Berlin und am Massachusetts General Hospital. Außerdem ist er Geschäftsführer und Mitgründer des Berliner eHealth-Startup Newsenselab, das die Migräne- und Kopfschmerz-App M-sense entwickelt.

5 Kommentare

  1. Hallo Herr Dahlem,

    da sie nach Themen für Ihren Blog fragen; mich würden direkt mal einige der m.E. härteren Themen des Existenzgründertums interessieren. Ich hoffe, dass sie sowas nicht aus Eigen-/Geschäftsinteresse einfach aussparen; in der Wissenschaft sozialisierte Leute habe ich immer als recht offen auch bei möglichen kontroverseren Themen erlebt.

    M.E. interessante Themen:

    Geschäftliche Exitstrategie: Wo soll die Reisen hingehen? Mittelstand? Exit durch Aufkaufen durch einen Großen der Branche? (Es gibt ja direkt gezielte Gründungen in die Richtung) Börse?
    Irgendwas wird Ihnen und ihrem Team ja schon vorgeschwebt sein.
    Oder ist das schon zuviel Interna?

    Venture Capital, KfW, oder andere staatliche institutionalisierte Finanzhilfe – Warum und wie?

    Wissenschafts- vs. Existenzgründerprekariat. (gerade in Berlin) Unterschiede/Gemeinsamkeiten, Arbeitsbedingungen, Personalgewinnung, etc…

    Weg der Professionalisierung (etwas flapsig: vom Schreibtisch und drei Laptops hin zum professionellen Unternehmen mit eigenen Strukturen)
    (Wenn ich das richtig in Erinnerung habe, sind die Kernelemente der App ja schon als Produkt ihrer Uni-Forschung vorhanden gewesen)

    Die allgemeinen Antworten auf diese Themen sind mir bekannt, mich würde gerade Ihr Weg, Ihre Überlegungen, Abwägungen dazu interessieren.

  2. Nachtrag:
    Das Zitat aus Ihrer Nature-Verlinkung:
    “He and his co-founders were awarded a business start-up grant to help them get off the ground. The stipend helped Dahlem to support his family while getting the app into shape. ‘That soft transition was needed for me as an academic,’ Dahlem says. ‘My co-founders were 15 years younger and single, but I had my family to pay for.'”
    haut in meine Wahrnehmung schon in die Kerbe meines dritten Stichpunkts.

  3. Ausführlicher werde ich ggf. auch noch in einem je eigenen Beitrag, aber mache Antworden kann man zumindest schon mal grob geben.

    Die Exitstrategie ist bei einem Wagniskapital finanzierten Start-up immer eigentlich Exit durch Verkauf oder Börsengang. Ein mittelständisches, also ein sogenanntes kleines und mittleres Unternehmen (KMU), zu realisieren, ist definitiv nicht das Ziel. Natürlich kann das passieren. Aber die Strategie ist bei uns auf seht starkes Wachstum angelegt, wir wollen internationaler Anführer in der Kategorie digitaler Therapien für Kopfschmerzen sein, mit einer App, die jeder Mensch mit Kopfschmerzen auf seinem Smartphone hat, sie liebt und in vielen Fällen von den Krankenkassen auch bezahlt bekommt.

    Zu dem Wissenschaftsprekariat habe ich sehr viel in den letzen Jahren geschrieben. Den Begriff Existenzgründerprekariat würde ich nicht verwenden. Über Unterschiede und Gemeinsamkeiten müsste ich erstmal länger nachdenken (was ich tun werde).

    Nein, bisherige Kernelemente der App waren nicht durch meine Uni-Forschung vorhanden, jedoch haben wir eine Pipeline von weiteren Produkten, die auf veröffentlichte Publikationen zurückgehen.

  4. Danke Herr Dahlem für eine schnelle Antwort.
    Ich wünsche Ihnen jedenfalls viel Erfolg. 🙂

    Das Wissenschaftsprekariat dieses Jahrzehnts habe ich unmittelbar selbst erlebt, das Existenzgründerprekariat mittelbar aus Gesprächen mit Personen von Start-Ups bzw. im dazugehörigen Dunstkreis.

    Das Ihnen das Existenzgründerprekariat noch nicht begegnet ist, wundert mich ein wenig.
    Java-Programmierer für Apps in Berlin, die mit Obstkörben, Anteilen als Wette auf die Zukunft abgespeist werden und am Monatsende gerade so am Vierstelligen kratzen, sind wohl keine Seltenheit.
    Gerechtfertigt durch vorgeschobene niedrige Lebenskosten in Berlin und ermöglicht aufgrund des stetigen Zustroms von digitalen Glücksrittern aus dem Ausland.
    Ob es das Unternehmen in wenigen Monaten noch geben wird, ist dabei auch ungeklärt.
    Die Parallele zu Doktoranden mit befristeten Kurzverträgen ungeklärter Perspektive unterhalb des Mindestlohns (wenn man Gehalt oder Stipendium auf die real geleistete Arbeitszeit skaliert) ist für mich gegeben.

    Ich würde den/die direkten Gründer (C-level) mit Lehrstuhlinhabern vergleichen; beide betrifft der Zustand des Prekariats wenig bis gar nicht. [1] Die “erste Generation” hingegen, also die ersten paar Angestellten, so hat es mir jemand von einer damals (2016) jungen, öffentlich in Berlin plakatierenden Plattform [2] erzählt, bauen unter großem Aufwand und minimaler Entlohnung das Unternehmen mit auf und steigen aber auch nicht auf und gehen früher oder später aus genau diesem Grund.
    Die Professionalisierung wird mit neuen, durchaus teuren Leuten, gern abgeworben von anderen Unternehmen ähnlichen Kalibers weitergeführt. Mit “wir haben den xyz von Amazon und abc von Zalando” oder ähnlich wird auch gern mal angegeben.
    Dieses System des Verschleißes der “ersten Generation” war nach der Erfahrung meines Kontakts (nicht dessen erstes Start-Up) in der Branche üblich und wird in Kauf genommen.
    Diese Leute gehen dann und gründen mit ihrem Gelerntem dann entweder selbst oder bleiben in der Mühle oder fallen raus.
    Auch hier ist die Parallele zu Doktoranden und Postdocs gegeben, die einen großen Anteil des tatsächlichen Lehrstuhlbetriebs schmeißen, die Karotte der Professur vor der Nase haben und wissen, nur wenige werden es wirklich schaffen (die 10% Quote [3] des Start-Up-Überlebens ist grob ähnlich zum Erreichen eine Professur aus Sicht eines Doktoranden).

    Das hier Geschilderte ist natürlich z.T. stark anekdotisch. Die Geschichten derer, die Dienstleistungen für Start-Ups anbieten, ähneln sich aber. Der Vergleich lohnt sich auf jeden Fall; ich bin auf Ihre Perspektive und Blogbeitrag zum Thema gespannt.

    Für mich haben die gesammelten Informationen und Parallelen den Ausschlag gegeben, nach dem Wissenschaftsbetrieb nicht in Start-Ups in niedrigen Finanzierungsrunden einzusteigen. Zum Selbstgründen war und ist mein Wissenschaftshintergrund (Teilgebiet der Physik, aber experimental) nicht angewandt genug und war auch zuviel mit finanzintensiven Großprojekten verhandelt, die keine Übertragung ermöglichten.
    Aber ein guter Freund von mir hat mit einem nichtdigitalen Hi-Tech-Produkt mitgegründet, mal sehen, wie es bei ihm so laufen wird.

    [1] Bis man dahin kommt, betrifft es einen aber schon, das ist mir klar.
    [2] im eCommerce-Sektor, gegründet 2014, zu meiner Verwunderung seit Mitte 2018 AG, gelistet an der Börse in Sidney, wie ich für diesen Beitrag recherchiert habe.
    [3] wobei ich die 10% für nach unten verzerrt halte, weil auch m.E. viel Unsinn gegründet wird, der schon zum Zeitpunkt der Gründung keine Chance hat, wenn man mal außerhalb einer gewissen Blase auf die Unternehmensidee schaut.

  5. Lieber P.R.

    ich sehe da schon Unterschiede.

    Es mag sein, dass einige Start-up ihre Angestellten mit seltsamen Versprechen und Obstkörben locken. Dafür sollte niemand für arbeite und — das ist der Unterschied — das muss man ja auch nicht. Programmierer sind Mangelware. Sie finden bei vielen großen Firmen gut bezahlte Jobs und oft nur mit kleineren Abstrichen im Jahresgehalt ebenso Jobs bei Start-ups. Das Jahresgehalt liegt gefühlt zwischen dem eines Junior-Professors und das 1.5-fache eines C3-Professors. Sehr erfahrene Entwickler und CTOs können das vielfache eines C3-Professors verdienen.

    Hingegen gibt es in der akademischen Laufbahn keine Alternative auf dem Weg zur Professur und auch (fast) keine Abzweigung in eine Festanstellung darunter. Der Arbeitgeber ist zudem das Bundesland oder der Staat und es werden Befristungsregeln häufig vorsätzlich — ich kann es nicht ander sagen: gebrochen.

    Gründer wiederum tragen ein sehr hohes Risiko. Das stimmt. Sie arbeiten oft ein, zwei Jahre umsonst. Das stimmt auch. Aber die finanziellen Chancen sind auch völlig andere. Das muss jeder selbst wissen, wie risikobereit er ist.

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