Kosten der Kopfbälle

soccerBallFalls Miro Klose 2038 verstirbt, könnte die Todesursache immer noch ein Arbeitsunfall gewesen sein. Es würden sich 2033 vielleicht erste Hirnschäden bemerkbar machen. So war der Zeitverlauf der chronisch traumatischen Enzephalopathie bei Jeff Astle, der wie Klose Spezialist für Kopfbälle war.

Die chronisch traumatische Enzephalopathie (CTE) ist heute noch weitgehend unbekannt in der Öffentlichkeit. Im „The New Yorker“ erschien gerade ein Bericht über die Kosten der Kopfbäll in einer Multi-Milliarden-Dollar-Industrie und bringt diese mit CTE in Verbindung. CTE ist auch bekannt als Boxer-Syndrom. Bleiben wir beim Fußball, erinnert man sich an Thomas Müllers Platzwunde am Kopf.

 

Unvergessen in der deutschen Fullballgeschichte wird auch „Schiri, ist das das Finale?“ bleiben, also wie Christoph Kramer in der 17. Minute mit Ezequiel Garay zusammengeprallte  – und weiterspielte.

Punch-Drunk ist so ein Begriff, der CTE bildlich trifft.

Man muss diagnostische Feinheiten beachten. Muhammad Alis Leibarzt Ferdie Pacheco schreibt explizit in seinem Buch „Fight Doctor“, dass Ali nicht an CTE litt sondern an der Parkinson-Krankheit (Link). Dass CTE überhaupt eine erwiesene Krankheit sei, erscheint Autoren zumindest eines Artikels eine verfrühte Festlegung (Curr Sports Med Rep. 2014), die, solange nicht bessere epidemiologischen Daten vorliegen, in Frage gestellt werden sollte. Mir fehlt die Expertise, um den epidemiologischen Stand wirklich beurteilen zu können.

Noch weniger kenne ich mich im Fußball aus. Ob man nun Kopfbälle verbietet oder, wie z.B. in der Zeitschrift Forbes vorgeschlagen (If FIFA Cared, Here’s How They’d Fix This), erlaubt mehr als drei Spieler auszutauschen sowie einen unabhängigen Arzt am Spielfeldrand einzusetzen, das ist die eine Sache.

Dass Christoph Kramer fast eine Viertelstunde weiterspielte und dies nie eine ernsthafte öffentliche Diskussion hierzulande um diese Entscheidung im Besonderen und im Allgemein um die Sicherheit der Spieler hervorrief, ist mir unverständlich. Und vielleicht noch mehr, warum diese Diskussion gerade in einer amerikanischen Zeitschrift geführt wird. Oder ist das vielleicht doch nicht so unverständlich? Fußball oder Soccer ist dort sehr beliebt, wahrscheinlich einer der meist gespielten Sportarten überhaupt – bei Kindern, nicht im Profisport. In den USA gibt es die überfürsorgliche „soccer mom“.  Vielleicht deswegen?

Es geht dort um die Kosten der Kopfbälle für Kinder. Das sollte auch in Deutschland den Fußballvätern zu denken geben.

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Markus Dahlem forscht seit über 20 Jahren über Migräne, hat Gastpositionen an der HU Berlin und am Massachusetts General Hospital. Außerdem ist er Geschäftsführer und Mitgründer des Berliner eHealth-Startup Newsenselab, das die Migräne- und Kopfschmerz-App M-sense entwickelt.

8 Kommentare

  1. Tolle, symbolträchtige Bilder: Die Bundeskanzlerin (Mutti) als Teil der Familie Klose. Im Kontext zu interpretieren als: Die ganze Gesellschaft ist mitverantwortlich für die Hirnschäden, die sich Sportler in normaler Ausübung ihres Berufs zuziehen.

  2. Und vielleicht noch mehr, warum diese Diskussion gerade in einer amerikanischen Zeitschrift geführt wird.

    Der Grund dafür könnte wohl sein, dass es seit einer Weile eine Debatte betreffend Kopfverletzungen im Zuschauersport Nummer 1 in den USA gibt. American Football ist geradezu darauf ausgelegt, dass die Köpfe der Spieler gegeneinander Knallen. Diese Traumata haben heftige gesundheitliche Effekte. Der US Präsident hat vor kurzem höchstpersönlich gesagt, dass er seien Sohn, wenn er einen hätte, wohl nicht American Football spielen lassen würde.

    Ich denke, man muss den Beitrag im New Yorker in diesem Kontext sehen.

    • “Der US Präsident hat vor kurzem höchstpersönlich gesagt, dass er seien Sohn, wenn er einen hätte, wohl nicht American Football spielen lassen würde.”

      Na ja, zum einen hat er keinen Sohn, also, warum sagt er das. Zum andern sagte er aber auch, er würde sehr wohl seine Töchter eine Anti-Terror-Drohne steuern lassen und auch schon mal Bomben auf Leute und Häuser werfen lassen, “was schon das jugendlich-moralische Herz begehrt und mutig einfordert, wenn es für die Werte der USA und damit gegen die Ungerechtigkeit auf der Welt geht und die zivilen Opfer sich im Rahmen halten und die Mädchen sich dabei nicht weh tun oder erschreckt werden.”

      • Ziemlich off-topic.

        Der Wahrheitsgehalt von Obamas Aussage ist doch völlig irrelevant. Ich stütze mich nicht darauf um gegen die NFL oder Fussball zu argumentieren. Aber selbst wenn wir sie als wahr akzeptieren würden, wäre dies in diesem Kontext ein seltsames Argument (Obama ist schliesslich kein Arzt oder Neurologe).

        Das Beispiel diente ausschliesslich zur Illustration wie breit die Diskussion um die NFL in den USA geführt wird und warum ausgerechnet ein US Magazin das Thema Kopfbälle aufnimmt.

    • Das allgemeine Interesse an in den USA an der chronisch traumatische Enzephalopathie kommt im Bereich Sport sicher vom Football (und in Kanada vom Hockey). In “Sportler spenden ihre Gehirne” hatte ich schon das Zentrum zur Studie der traumatischen Enzephalopathie in Boston erwähnt. Trotzdem fand ich interessant, dass auch Soccer mit seinen Kopfbällen in die Diskussion einbezogen wird. Als ich Kollegen aus USA fragte, warum es gerade “soccer mom” heißt, wurde mir gesagt, dass viele mehr Kinder Fußball spielen als z.B. auch Football in den USA.

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