Ursache für Vega-C-Fehlstart gefunden

Der Fehlstart des Vega-C-Flug VV22 am 20. Dezember 2022 führte zum Verlust von zwei von Airbus gebauten Erdbeobachtungssatelliten, Pléiades NEO 5 und 6. Die eingesetzte Untersuchungskommission hat am 3. März 2023 ihre Ergebnisse präsentiert (ESA Pressemitteilung).

Ursache des Fehlstarts war demnach ein Durchbrennen der Ummantelung am Düsenhals der Zweitstufe Zefiro 40. Dieses Bauteil aus RCC (Reinforced Carbon Carbon) Kompositmaterial soll, so die Kommission, einen Materialfehler enthalten haben, der zum Versagen führte. 

Vega-C ist wie ihre Vorgängerin Vega eine vierstufige Rakete, deren untere drei Stufen mit Festbrennstoffen betrieben werden. Nur die obere Stufe namens Avum+ verwendet flüssige Treibstoffe. Die erste Stufe namens P80 funktionierte beim Flug VV22 vollkommen nominal, aber nach Zündung der Zweitstufe trat infolge des fortschreitenden Versagens der Düse ein Druckverlust in der Stufe auf.    

Der Start VV22 der Vega C am 20.12.2022, Quelle: Scinews via YouTube

Die Untersuchung hat auch Unzulänglichkeiten in den Prozeduren des italienischen Zulieferers Avio zur Qualitätssicherung für das Material dieses Bauteils aufgezeigt. Avio wird die betreffende Komponente durch eine aus Material von einem anderen Hersteller gefertigte ersetzen. Die Wiederaufnahme des Betriebs der Vega C ist für das vierte Quartal dieses Jahres vorgesehen. 

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Ich bin Luft- und Raumfahrtingenieur und arbeite bei einer Raumfahrtagentur als Missionsanalytiker. Alle in meinen Artikeln geäußerten Meinungen sind aber meine eigenen und geben nicht notwendigerweise die Sichtweise meines Arbeitgebers wieder.

8 Kommentare

  1. Zitat:

    Ursache des Fehlstarts war demnach ein Durchbrennen der Ummantelung am Düsenhals der Zweitstufe Zefiro 40. Dieses Bauteil aus RCC (Reinforced Carbon Carbon) Kompositmaterial soll, so die Kommission, einen Materialfehler enthalten haben, der zum Versagen führte.

    Reinforced Carbon-Carbon für Düsen von Feststoffraketen scheinen aus Gewichtsoptimierungsgründen verwendet zu werden. Bei Feststoffraketen gibt es scheinbar ein grundsätzliches Problem: Mit der Grösse wächst das Gewicht der Hülle überproportional. Dieses Problem soll gemäss Wikipedia in Zukunft durch noch mehr kohlenfaserverstärkten Kunststoff gelöst werden. Zitat Wikipedia:

    In Zukunft wird geplant, das hohe Leergewicht großer Feststoffraketen zu senken, indem der Werkstoff Stahl durch kohlenstofffaserverstärkten Kunststoff ersetzt wird. Dadurch könnte die Leermasse großer Feststoffraketen drastisch gesenkt werden. Berechnungen ergaben, dass man allein durch diese Verbesserung des Voll- zu Leermassenverhältnisses die Nutzlast der Ariane 5 mit dem Ziel Geostationäre Transferbahn um 2 t steigern könnte.

    Diese leichten Werkstoffe könnten auch reine Feststoffraketen ermöglichen, die große Satelliten wirtschaftlich in erdnahe Umlaufbahnen transportieren.

    Allerdings scheint mir die Zeit von Feststoffraketen abgelaufen zu sein. Die Zukunft ist wiederverwendbar. Und das sind Feststoffraketen prinzipiell nicht.

    • Allerdings scheint mir die Zeit von Feststoffraketen abgelaufen zu sein. Die Zukunft ist wiederverwendbar. Und das sind Feststoffraketen prinzipiell nicht.

      Das ist in dieser Ausschließlichkeit nicht richtig. Die Solid Rocket Boosters des Space Shuttles wurden sehr wohl wiederverwendet. Die Ariane 5-Booster werden zwar aufgefischt, aber nicht wiederverwendet. Das ist aber eine Entscheidung von Arianespace und liegt nicht etwa daran, dass man Feststoffraketen prinzipiell nicht wiederverwenden könnte.

      Richtig ist dennoch, dass deren Zeit abgelaufen ist, aber das hat mehr mit Umweltschutz- und Kostengesichtspunkten zu tun.

      Was die Verwendung von Kohlenstoffkompositmaterial angeht, vermischen Sie da zwei Aspekte, die nichts miteinander zu tun haben. Im Düsenhals geht es um hochtemperaturfeste Carbon-Carbon-Komponenten.

      Wenn es aber darum geht, die Struktur leichter zu machen, so wie das bei der späteren Ariane 6 EVO mit ihrer “Black Upper Stage” der Fall sein wird, verwendet man bei CFRP für strukturelle Komponenten, also Kohlefaserverstärkte Kunststoffe, und das ist etwas ganz anderes.

      Den Trend zur Wiederverwendbarkeit hat Arianespace in der Tat verschlafen. Es gibt mittlerweile Initiativen in diese Richtung, allerdings eher halbherzig und unterfinanziert. Anders sieht es bei SpaceX aus, wo das von vorneherein Entwicklungsziel und Chefsache war.

  2. soeben ist wieder eine Falcon9 von SpaceX ‘hemmungslos’ gut gestartet, gestern die Crew6 zur ISS … auch eine SpaceX rakete.

    die Ariane war ja bisher ebenso erfolgreich, wieso kann man sich da nicht auf die guten, erfolgreichen systeme zusammenraufen?

    sicher ist eine VegaC soviel günstiger (bei kleinen lasten), aber bei der menge an satelliten die regelmässig starten, könnte man da auch besser bündeln.
    würde sich das nicht doch rechnen?

    trotz versicherung ist sowas doch ein großer schaden, der wieder jahre dauert bis er behoben ist – ich denke da an die satelliten, nicht an die rakete.
    sicher haben NEO 5+6 eine lücke schließen, oder alte systeme ersetzen sollen

    hoffentlich klappt es beim nächsten mal besser
    … andere können das doch auch!

    grüssle

    • Bei uns meckert man eben lieber über Herrn Musk oder macht sich über ihn lustig. Hochmut kommt vor dem Fall.

  3. Bei den letzten acht Starts von Vega bzw. Vega C gab es drei Fehlstarts, was einfach zu viel ist, neues System hin oder her. Jetzt läuft die Ariane 5 aus und die Vega auch, aber die Ariane 6 ist noch nicht operationall und die Vega C aktuell auch nicht mehr. Ein für Europa nicht hinnehmbarer Zustand. Das hat man mittlerweile begriffen.

    Das auf der technischen Ebene weithin beklagte Problem dagegen, dass einfach alles viel zu lange dauert, der Aufbau des Satellitennavigationssystems Galileo, die Abwicklung eines Mars-Rover-Projekts, die Entwicklung der Ariane 6 – die bei Licht betrachtet nicht mehr als eine weiterentwickelte Ariane 5 ist – das hat die höhere Ebene leider noch nicht wirklich auf dem Schirm.

    Dabei geben wir da nicht nur eine lächerliche Vorstellung ab. Es steht auch die europäische Selbständigkeit auf dem Spiel.

  4. Ursache für das Bauteilversagen war eine unzureichende Qualitätssicherung – also letztendlich menschliches Versagen. Das ist durchaus erstaunlich, wenn man bedenkt, wieviel Erfahrung speziell in der Raumfahrt durch zurückliegende Ereignisse ähnlicher Art existieren müßte. Ganz offensichtlich sind die vorherrschenden Strukturen selbst in der höchsten Klasse menschlicher Technologien noch immer nicht ausreichend lernfähig – und nicht genügend abgesichert. Das läßt für geringer eingeschätzte bzw. ausgestattete Technologiebereiche nichts Gutes erwarten!

    • Es lohnt sich, das Pressebriefing komplett anzuschauen, oder zumindest die Redebeiträge der Herren Pierre-Vyes Tissier (Ingenieur bei Arianespace) und Ranzo (CEO von Avio). Die Sache war schon komplizierter als nur “unzureichende Qualitätssicherung”. Es war offensichtlich so, dass falsche, nämlich zu niedrige Anforderungen für die Bauteile aufgestellt worden war, die bei Flug VV22 versagten und den Fehlschlag herbeiführten.

      Bei den zwei Prüfstandstests und auch beim ersten VEGA-C-Start wurden durch Zufall Bauteile aus Materialchargen verwendet, die diese Anforderungen übererfüllten, sodass sie nicht versagten. Beim Start VV22 hingegen wurde offenbar ein Bauteil eingesetzt, dessen Material genau den Anforderungen entsprach, wobei diese aber zu gering angesetzt waren, sodass das Bauteil versagen musste.

      Es greift also zu kurz, alles auf unzureichende Qualitätssicherung abzuwälzen, zumindest die Qualitätssicherung im Produktionsprozess. Die Pressemitteilung der ESA liest sich so, als läge der Fehler bei Avio, aber nach dem Anhören des Briefings denke ich nicht mehr, dass das haltbar ist.

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