Der MOID

Qualitative Skizze zur Veranschaulichung des MOID (Minimum Orbit Intersecton Distance), Quelle: Michael Khan

Bevor ich auf den MOID (oder sagt man besser “die MOID”?) eingehe, erst noch eine Ankündigung: Am Donnerstag, dem 13.4.2023 um 12:15 GMT (14:15 MESZ) wird in Kourou die vorletzte Ariane 5 ECA starten. Unter der Nutzlastverkleidung: die europäische Raumsonde JUICE. Ihr Ziel: Das Jupitersystem, speziell der dritte galileische Mond Ganymed. Im Hessischen Landesmuseum Darmstadt findet dazu ein Aktionstag statt, bei dem Zuschauer den Start mitverfolgen können. Der Aktionstag wird von qualifizierten ESA-Mitarbeitern betreut, wobei aber ab 12:30 ein Pausenclown in Aktion treten wird, der bereits wegen einiger vorheriger Veranstaltungen berüchtigt ist. Ob Sie sich den antun wollen, müssen Sie selbst entscheiden, zumal die vierstündige Veranstaltung Geld kostet (außer für Kinder und Jugendliche). 

Und nun zum MOID …

Unlängst war ich auf einem Vortrag meines Kollegen Richard Moissl auf der Starkenburg-Sternwarte in Heppenheim. Es ging um Asteroiden, insbesondere die ESA-Mission HERA, aber es kam auch der Asteroid 99942 Apophis zur Sprache, zusammen mit dem Themenkomplex “potenziell gefährliche Asteroiden” (englisch: potentially hazardous asteroids oder kurz PHA). 

Richard erwähnte dabei auch einen PHA, der gerade am selben Tag in die Liste aufgenommen worden war. An und für sich nichts Besonderes, denn es sind mehr als 2300 PHAs bekannt und es dürfte noch wesentlich mehr geben, die noch nicht entdeckt sind. Aber eine besorgte Stimme hinter mir fragte: “Wie weit ist der denn entfernt?”

Eine berechtigte Frage, könnte man meinen, oder nicht? Naja, nicht wirklich. Welchen Abstand ein Objekt gerade hat, ist unerheblich. Es könnte sein, dass ein Asteroid irgendwo weit jenseits der Sonne ist, in mehr als 300 Millionen km Entfernung, seine Bahn aber dennoch die Erdbahn schneidet. Seine aktuelle Position auf seiner Bahn könnte so sein, dass er in rund einem halben Jahr auf die Erde krachen wird. 

Zwei Dinge machen den PHA aus. Zum einen muss er seine absolute Helligkeit kleiner als +22mag sein. Die absolute Helligkeit ist ein theoretischer Referenzwert, der für ein Objekt mit einem Erd- und Sonnenabstand von 1  AE und einem Phasenwinkel von 0 Grad, also voll angeleuchtet gilt. Daran sehen Sie schon, dass es eine theoretische Größe sein muss, denn es kann aus geometrischen Gründen nicht sein, dass ein Asteroid von Erde und Sonne 1 AE Abstand hat und trotzdem mit Phasenwinkel 0 gesehen wird.  Zudem muss der (oder die? oder gar das?) MOID seiner Bahn unter einem willkürlich festgelegten Schwellwert von 0.05 AE (knapp 7.5 Millionen km liegen. +22mag entspricht, je nach Albedo, einem Durchmesser von 98 – 240 Metern. Bei realistischen Albedowerten rund 125 Meter, also die Größe, ab der man damit rechnen kann, dass das Objekt den Erdboden erreicht.

Qualitative Skizze zur Veranschaulichung des MOID (Minimum Orbit Intersecton Distance), Quelle: Michael Khan
Qualitative Skizze zur Veranschaulichung des MOID (Minimum Orbit Intersection Distance), Quelle: Michael Khan

MOID bezeichnet den minimalen Abstand zwischen zwei Bahnen. Im Beispiel oben sind es zwei Ellipsen und der MOID ist die geringstmögliche Entfernung zwischen den Ellipsen. Selbst wenn der MOID sehr klein ist, also viel kleiner als 7.5 Millionen km, heißt das noch nicht, dass es zwangsläufig bald krachen muss. Dazu müssten beide Objekte, also z.B. Asteroid und Erde, zur selben Zeit am selben Ort sein. Es könnte aber sein, dass das Verhältnis der zwei Umlaufperioden gerade so ist, dass sie einander nie nahe kommen. Beispielsweise gibt es eine stabile 3:2-Resonanz zwischen Neptun und Pluto die eine Kollision der beiden duaerhaft verhindert. Aber ein kleiner MOID zwischen der Erde und einem Asteroiden ist doch schon etwas, bei dem höchste Aufmerksamkeit angeraten ist. 

Und dann ist da noch die “Risk List”

Eine weitere Liste ist die Risk List. Diese enthält alle Objekte, für die innerhalb der kommenden Hundert Jahre eine nicht vernachlässigbare Wahrscheinlichkeit eines Erdimpakts berechnet wurde. Die Risk List ist nicht einfach einer Untergruppe der PHA-Liste. Zum einen sind die Bahnen der Objekte auf der Risk List numerische vorausberechnet. Es wird da nicht einfach der MOID der aktuellen Bahnen als Kriterium genommen.

Zum anderen wird bei der Risk List nicht nach der Größe gefiltert. Es sind auch solche Objekte drin, die nur wenige Meter groß sind. Solche Objekte zerplatzen üblicherweise schon in großer Höhe und stellen keine echte Gefahr dar. Allerdings ist ihre kinetische Energie, die beim atmosphärischen Eintritt binnen kurzem in Wärme umgesetzt wird, alarmierend hoch. Ein fünf Meter großer silikatischer Monolith mit einer Eintrittsgeschwindigkeit von 15 km/s hat eine kinetische Energie von 25 Terajoule bzw. 6 kilotonnen TNT, knapp halb so viel wie die Hiroshima-Bombe.

Das Objekt, das 2013 in rund 30 km Höhe über Tscheljabinsk (Russland) zerplatzte, brachte es mit einem Durchmesser von 18 Metern und einer Eintrittsgeschwindigkeit von fast 20 km/s schon auf rund 500 kt TNT. Von den 1463 aktell in der Liste befindlichen Objekten sind 912, also rund 2/3, kleiner als 18 Meter. Mehr als 1400 sind kleiner als 100 Meter, also fast alle. 

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Ich bin Luft- und Raumfahrtingenieur und arbeite bei einer Raumfahrtagentur als Missionsanalytiker. Alle in meinen Artikeln geäußerten Meinungen sind aber meine eigenen und geben nicht notwendigerweise die Sichtweise meines Arbeitgebers wieder.

4 Kommentare

  1. Zur JUICE-Sonde; Mitentdecker der vier großen Jupitermonde war Simon Marius aus Gunzenhausen. Er veröffentlichte 1614 ein umfangreiches Buch „Mundus Iovialis“ (die Welt des Jupiters), die in einer zweisprachigen Ausgabe vorliegt

    (http://alt.simon-marius-gymnasium.de/s-marius/mundus-iovialis-die-welt-des-jupiter-die-zweisprachige-ausgabe

    Hier finden sich auch die von ihm gemessenen Umlaufzeiten von Callisto: 16 Tage 18 h 9 min etwa 15 sek
    Ganymed: 7 Tage 3 Stunden 56 min 54 sek
    Europa: 3 Tage 15 Stunden 18 min
    Io: 1 Tag 18 Stunden 28 min 30 sek

    Die Namen dieser Mond gehen auf ein Treffen von Simon Marius im Okober 1615 mit Johannes Kepler zurück. Dieser schlug die aktuellen Namen vor.

    Weitere Informatione, auch über das Simon-Marius-Jahr 2024:

    https://www.simon-marius.net/

    Bernhard Schröck

    https://www.simon-marius.net/

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