Wieso Geologen so gerne an Steine (sch)lecken

Die Fachwelt wartet gespannt auf die Nominierung der diesjährigen Nobelpreise, (un)glücklicherweise können Geologen höchstens auf den Ig-Nobel hoffen. Dieser “sehr alternative Nobel” ist eine Auszeichnung für wissenschaftliche Studien, die einen »erst zum Lachen und dann zum Denken anregen« sollen. Stolzer Ig-Nobler in der Kategorie „Chemie und Geologie“ 2023 ist Jan Zalasiewicz, Professor der Geologie und Autor zahlreicher Bücher zu geologischen und paläontologischen Themen, für seine fundamentale Studie “Wieso Geologen so gerne an Steine schlecken.”

Bereits die ersten Geologen nutzen praktisch alle Sinne um ihre Studienobjekte zu beschreiben, so Zalasiewicz.

In einem Brief des italienischen Bergbauassistenten Giovanni Arduino (1714–1795) an einen Kollegen beschreibt dieser eine Gesteinsabfolge im Agno-Tal, das von Vincenza nach Norden in die italienischen Dolomiten zieht. Neben der Lage der einzelnen Schichten, beschreibt er auch ihre Farbe, Zusammensetzung, Fossilien, aber auch Geruch und sogar Geschmack. Bei einem schwarz-gräulichen Kalkstein merkt er an, er habe »einen Geschmack bitter wie Urin.« Wenn zerrieben und gekaut, »hinterlässt er einen süßen Nachgeschmack, und eine verfärbte Zunge.« Quellen, die aus dieser Gesteinsformation entspringen, hätten einen »würzigen Geschmack wie sauer gewordener Wein.« Der Geschmack kommt von Schwefelmineralien wie Markasit und Spuren von Kohle, die dem Gestein auch seine Farbe gibt.

Der deutsche Mineraloge Abraham Gottlob Werner (1749–1817) und vor allem sein Schüler Carl Friedrich Christian Mohs (1773–1839) revolutionieren das Sammeln von Gesteinen und Mineralien, indem sie die ersten populären Bestimmungsbücher veröffentlichen. Mohs wendet nicht nur generelle physikalische Eigenschaften wie Farbe, Dichte, Kristallstruktur und Härte zur Mineralbestimmung an, sondern misst auch dem Geschmack eine wichtige Rolle zu. Die meisten Minerale sind geschmackslos, es gibt aber auch einige die bitter, salzig, süß, schwefelig, erdig oder faulig schmecken. Evaporite (wie Salz) sind wahrscheinlich die bekanntesten Gesteine mit Geschmack.

Noch Charles Darwin auf seiner Weltumrundung mit der Beagle (1831–1836) nutzt Werner und Geschmack als Bestimmungshilfe.

In einer Zeit, wo Geräte zur analytischen Analyse klobig oder teuer waren, war die Zunge mit ihren chemischen Rezeptoren ein überaus nützliches und einfach zu bedienendes Instrument, das man immer mit sich im Gelände hatte.

Inzwischen gibt es tragbare Instrumente, die mittels des Adsorptionsspektrums eines Minerals dessen chemische Zusammenstimmen und Kristallstruktur bestimmen können, und manche Handy-Apps sind sogar in der Lage, aufgrund der Farbe und Form eine erste Bestimmung vorzuschlagen. Das Anfeuchten von Steinen bleibt aber immer noch eine Grundlage der Geologie im Gelände.

»Wir verwenden den Sehsinn, nicht den Geschmackssinn, denn auf einer feuchten Oberfläche sind die Mineralpartikel besser zu erkennen als auf einer trockenen,« schreibt Zalasiewicz.

Der Speichel verringert die Streuung von Licht an der rauen Oberfläche des Gesteins und erhöht den Kontrast und die Farbe der Gesteinskomponenten (übrigens funktioniert ganz gewöhnliches Wasser gleich gut). Die Beschreibung der Textur (die Anordnung der Gesteinskomponenten) und Struktur (die Ausbildung der Gesteinskomponenten) einer jeglichen Gesteinsformation ist der erste Schritt um die geologische Geschichte eines Gebiets zu verstehen.

Übrigens nutzen Paläontologen ihre Zunge auch, um zwischen Gestein und Fossilien zu unterscheiden. Die poröse Struktur von fossilen Wirbeltierknochen bleibt bevorzugt an der Zungenspitze kleben.

Ein Nachteil der Schleck-Methode sind potenziell toxische Minerale. Diese sind aber glücklicherweise eher selten anzutreffen. Hutchinsonit bildet sich durch hydrothermale Verwitterung in Sedimentgesteinen und enthält wasserlösliches Arsen sowie Thallium. Das Uran in Torbernit gibt diesem Mineral eine leuchtend grüne Farbe und kann zu Lungenkrebs führen. Asbest enthält an sich keine toxischen Elemente, allerdings können die feinen Asbestfasern in lebendes Gewebe eindringen und zu Wucherungen führen. Carnallit, ein Kalium-Magnesium-Salz, ist nicht giftig, kann aber eine “abführende Wirkung” haben.

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David Bressan ist freiberuflicher Geologe hauptsächlich in oder, wenn wieder mal ein Tunnel gegraben wird unter den Alpen unterwegs. Während des Studiums der Erdwissenschaften in Innsbruck, bei dem es auch um Gletscherschwankungen in den vergangen Jahrhunderten ging, kam das Interesse für Geschichte dazu. Hobbymäßig begann er daher über die Geschichte der Geologie zu bloggen.

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