Geo-Mythologie: Der verfluchte See

BLOG: Geschichte der Geologie

Was die Steine erzählen und wie wir sie verstehen lernten
Geschichte der Geologie

„Geologen wären dumm, wenn sie Mythen ignorieren würden, aber sie wären auch dumm, wenn sie alles in den Überlieferungen glauben würden.“
Patrick Nunn, University of New England

In alten Kulturen spielten mündliche Überlieferungen eine wichtige Rolle, um Naturerscheinungen zu erklären. In vielen alten Mythen und Legenden finden sich Hinweise auf Erz- und Edelsteinvorkommen, Heilquellen, aber auch geologische Gefahren wie Tsunami, Erdbeben und Vulkanausbrüche. Das Studium der geologischen Tatsachen hinter einer Erzählung wird Geo-Mythologie, oder auch Geomythologie, genannt. Zunächst eher als esoterische Spinnerei abgetan, z.B. um Atlantis zu finden, kann die Geo-Mythologie auch helfen geologische Risiken abzuschätzen.

Am Abend des 21. August 1986 kroch lautlose der Tod aus dem Nyos-See in Kamerun. Entlang der Ufer starben über 1.700 Menschen, sie lagen da wie eingeschlafen, waren aber alle erstickt. Die meisten Opfer waren zugewanderte Bauern, die auf dem fruchtbaren vulkanischen Boden ihre Felder angelegt hatten. Für die Alteingesessenen dagegen waren die Ufer des Sees tabu. Alte Mythen warnten nämlich vor dem „tödlichen Atem“ des Sees, der plötzlich erwachen konnte. Erst spätere geologische Untersuchungen ergaben eine überraschende Tatsache hinter diesen seltsamen Geschichten.

Der Nyos-See nach der Katastrophe. Bildquelle USGS.

Die ersten Forscher die am Nyos-See ankamen, glaubten zunächst an eine Vulkankatastrophe, aber keine Hinweise darauf konnten gefunden werden. Erst als sie Geschichten von verfluchten Quellen nahe des Sees nachgingen, wo angeblich Tiere wie Frösche und Vögel, unerklärlicherweise erstickten, entdeckten sie das es sich um gasreiche Quellen handelte. Von dieser Entdeckung war es nur ein kurzer Gedankengang anzunehmen, das auch in der Tiefe des Nyos-See große Mengen an Gas austreten. Der Nyos-See liegt im Krater eines erloschenen Vulkans, aber aus dem Untergrund strömen große Mengen an giftigen Gasen, wie Schwefeldioxid und Kohlendioxid. Diese Gase lösen sich langsam im Wasser auf. Aufgrund der großen Tiefe des Sees (die Löslichkeit eines Gases in Wasser hängt von der Temperatur und Umgebungsdruck ab) bleiben sie gelöst und konzentrieren sich mehr und mehr an. In der Nacht des 21. August störte ein plötzliches Ereignis diese instabile Wasserschichtung und es erfolgte eine katastrophale Entgasung. Eine unsichtbare Wolke an Kohlendioxid strömte den Berghang hinunter und füllte die Täler aus. Ab einer Konzentration von 6% (normale Luftwerte liegen bei 0,4%) wirkt Kohlendioxid extrem schnell und lähmt das Atemzentrum, die Opfer ersticken einfach in Sekunden.

Die Katastrophe am Nyos-See und die Mythen der lokalen Bevölkerung wiesen die Geologen auf einen bis dahin unbekannten vulkanischen Nebeneffekt hin. Heute kennt man dieses Phänomen der Gassättigung im Wasser von mehreren Seen in Afrika, wo es ebenfalls seltsame Geschichten gibt. Geologen haben daraufhin begonnen die gefährlichsten Gewässer zu entgasen, auch wenn dies beim größten, den Kiwu-See, beinahe unmöglich scheint. An seinen Ufern leben heute Tausende von Menschen.

Veröffentlicht von

David Bressan ist freiberuflicher Geologe hauptsächlich in oder, wenn wieder mal ein Tunnel gegraben wird unter den Alpen unterwegs. Während des Studiums der Erdwissenschaften in Innsbruck, bei dem es auch um Gletscherschwankungen in den vergangen Jahrhunderten ging, kam das Interesse für Geschichte dazu. Hobbymäßig begann er daher über die Geschichte der Geologie zu bloggen.

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