Alexander von Humboldt, der Philosoph der Erde

“Auf das Zusammenwirken der Kräfte, den Einfluss der unbelebten Schöpfung auf die belebte Thier- und Pflanzenwelt, auf diese Harmonie sollen stets meine Augen gerichtet sein.”

Alexander von Humboldt in 1799.
Alexander von Humboldt.

Vor 250 Jahren, am 14. September 1769, wird Alexander von Humboldt geboren und wächst in Schloss Tegel nahe Berlin auf. Schon als Kind beschäftigt er sich im riesigen Garten mit Pflanzen, Insekten und Steinen. Auf Druck seiner Eltern nimmt er ein Studium in Frankfurt auf, um eine Beamtenkarriere anzustreben. Schon ein Jahr später, am 25. April 1789, wechselt er aber nach Göttingen um Physik, Mathematik und Sprachen zu studieren. Dort waren Johann Friedrich Blumenbach, Johann Friedrich Gmelin und Heinrich Friedrich Link Humboldts erste Geognosie- und Mineralogielehrer. Im September des selben Jahres plant er eine Reise entlang des Rheins, um unter anderem auch die lokalen Basalte und andere vulkanischen Überbleibsel, die Achatvorkommen bei Idar-Oberstein und Quecksilberminen bei Koblenz zu besuchen.

Humboldt schreibt später etwas spöttisch über seine Reise: „In der festen Überzeugung, dass jeder Basalt ausgespiene Lava sei, liefen sie den Berg hinan, um den großen Krater zu sehen. Er fand – ein kleines Kotloch, dessen Grundfläche man mit der Hand abdecken konnte.“

Zur damaligen Zeit gab es zwei große Schulen um die Entstehung von Gesteinen zu erklären. Laut Neptunismus (benannt nach den römischen Gott der Meere) entstehen Gesteine durch Ausfällung aus wässrigen Lösungen. Laut Plutonisten (benannt nach den römischen Gott der Unterwelt) spielen dagegen Vulkane eine bedeutende Rolle in der Genese und Formung der Erdkruste. Trotz einiger Zweifel war Humboldt in seiner Jugend ein Anhänger des Neptunismus, wahrscheinlich durch den Einfluss seiner Lehrer in Göttingen. Später besuchte Humboldt auch die geologischen Kurse von A.G. Werner in Freiburg, die älteste Montanuniversität weltweit, der als bedeutendster Vertreter des Neptunismus gilt. Das Studium dort, für das andere drei Jahre brauchen, schafft er in acht Monaten. Vormittags fährt er mit den Bergleuten unter Tage, um Pflanzen, die im fahlen Licht der Stollen wachsen, und Mineralien zu studieren. Vormittags paukt er dann Mineralien- und Gesteinskunde bei Werner.

Nach erfolgreichen Abschluss seiner Studien reist er nach England und Frankreich. Zwischen 1792 und 1797 findet er Arbeit als Bergmeister und Bergassesor in verschiedenen Bergwerken des Fichtelgebirges und Frankenwald. Beauftragt die dortigen Bergwerke zu modernisieren, stellt er gravierende Mängel fest. Die Gruben werden meist von ungelernten Tagelöhner betrieben. Er fördert daraufhin die Schaffung von frei zugängliche Bergschulen in Goldkronach, Arzberg und in Steben, um die Bergbaukultur wieder aufleben zu lassen. Durch Zusammenlegung und Rationalisierung von verschiedenen Gruben schafft er es, dass die Bergwerke wieder mit Gewinn arbeiten. Humboldt wird in 1795 zum Oberbergrat ernannt.

In 1797 entdeckt er die magnetischen Eigenschaften der Serpentinit-Gebirgskuppe am Haidberg bei Zill. Er schreibt auch über seinen „regen Wunsch, ehe [er] Europa auf mehrere Jahre [verlässt], brennende Vulkane zu sehen“. Im selben Jahr stirb seine Mutter und er erhält sein Erbe ausgezahlt. Humboldt ist nun finanziell komplett unabhängig und frei sich einen großen Kindheitstraum zu erfüllen – eine ausgedehnte Forschungsexpedition in die Tropen. Er bereitet sich gewissenhaft darauf vor. So besucht er verschiedene naturwissenschaftliche Sammlungen in Europa um sich zu dokumentieren. Ende April 1798 lernt er dabei den französischen Botaniker Aimé Jacques Alexandre Bonpland (1773-1858) kennen. Bonpland plante eigentlich eine Teilnahme an der Baudin-Expedition, die Australien erkunden sollte, aber da diese auf unbestimmte Zeit verschoben wurde, schloss Bonpland sich Humboldt an. Im Juni 1799 war es soweit und beide schiffen sich nach Venezuela ein. Im spanischen La Coruña gehen sie an Bord, erster Halt der Schiffspassage ist die Kanareninsel Teneriffa. Humboldt besteigt dort den Vulkan Teide, Teneriffas höchsten Berg. Fünf Jahre lang bereisen Humboldt und Bonpland Latein- und Nordamerika. Humboldt sammelt dabei unzählige Beobachtungen und Messungen.

In den Anden besteigen sie im November 1801 den Vulkan Puracé, später den Paramos von Pasto. Schlechtes Wetter verhinderte den Aufstieg zum Galeras (ein unter Vulkanologen berüchtigter Vulkan). Im Januar 1802 scheitert eine Besteigung der beiden Vulkane Antisana und Cotopaxi, mit 5.897 Metern der höchste aktive Vulkan der Erde. Dreimal besteigt er den aktiven Pichincha in Equador. Nach Humboldts Abstieg erschüttert ein Erdbeben die am Fuß des Berges gelegene Stadt Quito und Humboldt wird der Zauberei verdächtigt.

Von Humboldts Zeichnung des Vulkan Pichincha mit seinem Grat und einer Serie von Kratern.

Am 22. Juni 1802 besteigen sie den Chimbarazo, der mit 6.310 Metern damals als höchster Berg der Welt gilt. Im März 1803 klettert Humboldt während seiner Durchreise in Mexiko auf den Jorullo, ein Vulkan, der erst 1759 das letzte Mal ausgebrochen war. Es folgten noch einige andere Gipfel vulkanischen Ursprungs in der Umgebung von Mexiko-Stadt.

Die aktiven Vulkane der Anden interpretiert Humboldt zunächst als lokale Phänomene, möglicherweise durch die dortigen unterirdischen Kohleflötze gespeist.

August 1804 kehrt Humboldt nach Europa zurück. Schon ein Jahr später reist er, zusammen mit Leopold von Buch (1774-1853) und Joseph Louis Gay-Lussac (1778-1850), nach Italien über Rom bis nach Neapel, wo sie mehrmals den Vesuv besteigen und am 12. August 1805 einen großen Ausbruch beobachten. Im September 1822 besucht Humboldt zusammen mit dem deutschen Geologen Leopold von Buch das Dorf Predazzo im Fassa-Tal (Dolomiten) um den seltsamen Kontakt zwischen Granit und Predazzit-Kalkgestein, der dort an einer Felswand aufgeschlossen ist, zu untersuchen. Granit überlagert hier teilweise den metamorphen Kalkstein. Laut den Neptunisten, die glaubten das sich alle Gesteine durch Sedimentation bilden, war diese Geometrie unmöglich. Granit sollte die älteste Schicht sein, stets überlagert von jüngeren Gesteinen wie der Kalkstein. Die einzige Erklärung: Der Granit muss in geschmolzener Fom in den älteren Kalkstein eingedrungen sein, diesen teilweise umhüllt und durch seine hohen Temperaturen metamorph umgewandelt haben.

Handstücke von Predazzit-Marmor, durch hohe Temperturen von eindringenden Magma umgewandelter Kalkstein.

Humboldt beginnt nun vollends am Neptunismus zu zweifeln und schließt sich den Plutonisten an. Humboldt merkt auch an, dass die Verteilung der Vulkane auf der Erde nicht zufällig ist. Vulkane, so Humboldt, sind über ein verzweigtes Netzwerk aus vulkanischen Schloten mit der Magmakammer im Erdinneren verbunden und können große Landstriche mit Lava überdecken. Er nimmt auch an, dass Vulkanschlote sich dort bilden, wo große Störungen die Erdoberfläche geschwächt haben. Auf jeden Fall ist Vulkanismus nicht lokal beschränkt, sondern ein globales Phänomen.

Humboldt wird an die 50 Jahre lang an sein großes Lebenswerk – den “Kosmos” – arbeiten, in dem er die unbelebte Natur mit der belebten in Verbindung stellt. Von Humboldt sah Lebensformen als Teil eines komplexen Netzwerks an, voneinander abhängig wie auch beeinflusst von der Umwelt. Eine Philosophie, die in einem Satz zusammengefasst werden könnte: “Im Inneren des Erdballs hausen geheimnisvolle Kräfte, deren Wirkungen an der Oberfläche zutage treten.”

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David Bressan ist freiberuflicher Geologe hauptsächlich in oder, wenn wieder mal ein Tunnel gegraben wird unter den Alpen unterwegs. Während des Studiums der Erdwissenschaften in Innsbruck, bei dem es auch um Gletscherschwankungen in den vergangen Jahrhunderten ging, kam das Interesse für Geschichte dazu. Hobbymäßig begann er daher über die Geschichte der Geologie zu bloggen.

5 Kommentare

  1. Wenn man überlegt, dass die moderne Geologie erst 200 Jahre alt ist, so hat sie doch schon viel Wissen zutage gefördert.
    Mich würde interessieren ob in Labors schon Versuche gemacht wurden, durch hohe Drücke ganz neue Steine/Kristalle zu erzeugen. Und kann man neue Steine/Kristalle voraus berechnen ?

  2. Minerale sind definitionsgemäß natürlich vorkommende kristalline chemische Verbindungen – deshalb sind nicht unbedingt alle gezüchteten “Minerale” (vor allem Silizium-Kohlenstoffverbindungen) wirkliche Minerale. Im Labor wurden allerdings schon Minerale hergestellt, die man zwar noch nicht im Gelände gefunden hat, die es aber auf der Erde geben muss. So z.B. Bridgmanite – ein Hochtemperatur- und Druck Mineral das künstlich hergestellt wurde, aber vermutlich das häufigste Mineral auf der Erde ist, allerdings nur im Erdmantel stabil ist.

    Auf der Erde sind zurzeit ungefähr 5.000 bis 6.000 natürlich vorkommende Minerale bekannt und jedes Jahr kommen einige dazu. Theoretische Überlegungen (bekannte Elemente und wie diese sich verbinden können) gehen davon aus, dass es bis zu 15,300 chemische Kombinationen geben könnte, davon 1.500 die als kristalline Minerale auf der Erde vorkommen könnten (die stabil sind unter terrestrische Druck- und Temperaturbedingungen und bei Anwesenheit von Wasser) https://carnegiescience.edu/news/earths-mineralogy-unique-cosmos

  3. David,
    danke für die ausführliche Stellungnahme.
    Unter 15300 Kombinationen gibt es noch viel zu forschen.

  4. Humboldt war nicht nur im Positiven sondern auch (sogar in heutiger Sicht) Negativen ein Moderner – einer der die heutige Moderne vorwegnahm. Einer Moderne, in der das Einwerben von Drittmitteln zur Karriere gehört.

    Denn schon Humboldt war kein Einzelkämpfer im Dienste allein der Neugierde und der Wissenschaft. Schon Humboldt liess sich seine Expeditionen von Dritten finanzieren, Humboldt handelte und dachte auch imperalistisch und kolonialistisch.

    All das kann man im SPON-Artikel Alexander von Humboldt Der gute Deutsche – wirklich? ( https://www.spiegel.de/plus/alexander-von-humboldt-der-gute-deutsche-wirklich-a-00000000-0002-0001-0000-000165813344 ) nachlesen.
    Repräsentativ für den Inhalt möchte ich hier zwei Abschnitte wiedergeben (Zitat SPON):

    Aber viele Jahre seines Lebens arbeitete Humboldt als Höfling. Er begleitete den preußischen König auf Reisen, im Alltag, führte dessen Korrespondenz und sorgte für die abendliche Unterhaltung. Und seine beiden großen Expeditionen durch Südamerika und Russland unternahm er im Auftrag und mit Genehmigung des spanischen Königs und des russischen Zaren – beide absolute Monarchen, die nicht durch Menschen- und Freiheitsliebe aufgefallen sind.

    Alexander von Humboldt entwickelte sich zu einem Gegner der Kolonialherrschaft, der Sklaverei, er betonte die Einheit des Menschengeschlechts, aber seine Beschreibungen der Menschen zeugen von einer Überheblichkeit, die für damalige Verhältnisse milde gewesen sein mag, heute aber schwer als vorbildlich gelten kann.

  5. David Bressan schrieb (14. September 2019):
    > […] Später besuchte Humboldt auch die geologischen Kurse von A.G. Werner in Freiburg, die älteste Montanuniversität weltweit […]

    Gemeint ist sicherlich Abraham Gottlob Werner, Lehrer der Mineralogie an die Bergakademie in Freiberg, der ältesten noch bestehenden montanwissenschaftlichen Bildungseinrichtung der Welt. [Sachdienliche Links, insbesondere zum Artikel “Leopold von Buch und die Geologie der Alpen” in diesem SciLog, wurden absichtlich nicht eingefügt, da leider nicht dokumentiert ist, wie viele Links in einem Kommentar in diesem SciLog eingefügt werden dürfen. — FW]

    > Das Studium dort, für das andere drei Jahre brauchen, schafft er in acht Monaten. Vormittags fährt er mit den Bergleuten unter Tage, um Pflanzen, die im fahlen Licht der Stollen wachsen, und Mineralien zu studieren. Vormittags paukt er dann Mineralien- und Gesteinskunde bei Werner.

    Zum nachmittäglichen Ausgleich diene der folgende, ursprünglich bereits am 20. September 2019 eingereichte Kommentar:

    Susanne M. Hoffmann schrieb (20. September 2019):
    > […] ein madagassisches Sprichwort […]

    Am Urteil, was gerade noch als wirklicher Beitrag zur Diskussion gelten kann, und was stattdessen nichts als Provokation wäre, offenbart sich das diskursive Denken des jeweiligen Lesers eines Beitrages -- bis ins Mark.

    p.s.
    Um wenigstens das Kraut, das gegen gewisse fachliche und womöglich auch journalistisch selektierte, wenn nicht gar institutionell sanktionierte, Ausführungen unseres langjährigen Mit-Kommentators Chrys gewachsen ist (immerhin!), nicht vor die tollen Hunde zu werfen:

    Chrys schrieb (18.09.2019, 17:14 Uhr, https://scilogs.spektrum.de/uhura-uraniae/wissenschaftsgeschichte-ein-alter-hut/#comment-10885):
    > Zwischen den Zeitpunkten 12:00:00 UTC und 12:15:00 UTC dauert es oben bei den Berglern in den Bergen etwas länger als unten bei den Niederländern in den Niederlanden. […] weil UTC so konstruiert ist.

    Das mag schon so sein, sofern man den Begriff „Zeitpunkt“ unbedingt als „bestimmten Wert UTC“ auffassen und sich überhaupt mit solchen konstruierten und zugeordneten (aufgestreuselten!) Labels/Koordinaten/Ablesewerten befassen wollte.

    Im Rahmen der Festsetzungen der RT versteht sich aber,

    dass ich an Stelle der »Zeit« die »Stellung des kleinen Zeigers meiner Uhr« setze.​

    … und dass sich „Zeitpunkt“ bzw. „Anzeige“ bzw. „Anteil an einem Ereignis“ jeweils auf einen bestimmten identifizierbaren einzelnen Beteiligten bezieht.

    Entsprechend ist „der Zeitpunkt eines bestimmten Berglers“, dem das UTC-Label „12:00:00“ zugeordnet wurde,
    von „dem Zeitpunkt eines bestimmten Niederländers“, dem ebenfalls das UTC-Label „12:00:00“ zugeordnet wurde,
    zu unterscheiden.

    Und für jeweils zwei bestimmte „Zeitpunkte“ (zwei bestimmten „Anzeigen“) eines bestimmten Berglers
    wird diesem bestimmten Bergler genau und eindeutig seine bestimmte Dauer zugeschrieben.

    Und für jeweils zwei bestimmte „Zeitpunkte“ (zwei bestimmten „Anzeigen“) eines bestimmten Niederländers
    wird diesem bestimmten Niederländer genau und eindeutig seine bestimmte Dauer zugeschrieben.

    (Die o.g. UTC-Konstruktion mag u.a. auf Grundlage der reell-wertigen Verhältnisse solcher Dauern erfolgen.)

    p.s.
    Der Vollständigkeit und Übersicht halber sei erwähnt, dass auch je zwei bestimmten Ereignissen (die jeweils aus zahlreichen Anzeigen/Anteilen verschiedener Beteiligter bestehen) ebenfalls genau ein eindeutiger Wert von Lorentzscher Distanz ℓ zugeschrieben wird; nämlich das Supremum der Dauern aller Beteiligter an beiden Ereignissen, jeweils von der dem Beteiligten eigenen Anzeige/Anteil an dem einen Ereignis, bis zu der dem Beteiligten eigenen Anzeige/Anteil an dem anderen (späteren) Ereignis.

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