Die gleiche Prozedur wie jedes Jahr: Lunar and Planetary Science Conference 2015 in Houston (Rückblick)

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Meteorite, Planeten, Sternenstaub (und was sonst so runterfällt)
Exo-Planetar

Wissenschaftler an sich sind entgegen verbreiteten Klischees eigentlich recht gesellige Wesen. Sie verbringen zwar durchaus gerne lange Nächte im Labor oder (eigentlich noch viel mehr) am Rechner. Aber eine zentrale Rolle im Leben des Forschers spielen die Tagungen, Konferenzen oder, wenn kleiner, Workshops. In der Meteoritenforschung, Planetologie oder Kosmochemie gibt es, sagen wir mal, zwei ganz wichtige Tagungen, die sich ausschließlich auf das Fachgebiet konzentrieren.

Die größte findet im März in Houston statt und hört auf den Namen LPSC (Lunar and Planetary Science Conference). Jedes Jahr nehmen um die 2000 Wissenschaftler und andere interessierte den Stress auf sich, um für noch mehr Stress zum Teil um den halben Planeten zu fliegen. Die Flugzeit Frankfurt-Houston beträgt immerhin 11 Stunden, und man muss auch zum Flughafen hin bzw. wegkommen. Die Tagung über schläft man dann in zunehmend überteuerten Hotels in dem lieblichen Spring/Woodlands nördlich von Houston.

Angefangen hat die Tagung als Treffen zur Präsentation der ersten Untersuchungen der Apollo-Proben. Seit 1970 läuft die Tagung, zunächst auf dem Gelände des Johnson Space Centers (auch bekannt von Houston & dem Problem). Früher bekam man deshalb als Tagungsteilnehmer noch ein NASA-Badge (Namensschild), das war natürlich richtig toll für einen Jungwissenschaftler. Seit 2002 wurde die schon aus allen Nähten platzende Tagung dann in Hotels in der Umgebung verlagert, auch wegen 9/11.

Traditionell findet am Wochenende vor der LPSC das Micro Symposium statt. Dieses wird gemeinsam von der Brown University in Providence und dem Vernadsky Institut in Moskau veranstaltet. Die Wurzeln des Treffens reichen bis in die Zeit des kalten Krieges – die Älteren unter uns erinnern sich, das war als wir uns beinahe selber atomar weggebrutzelt haben. Wissenschaftlicher Austausch zwischen den politischen Blöcken war nicht ganz so einfach, 1985 organisierten Jim Head (der auch diesesmal die Tagung sehr souverän leitete) und Hal Masursky (USGS) das erste Symposium, um Venusforscher von beiden Seiten in einer informellen Umgebung zusammenzubringen. Die Vorträge sind länger (30 Minuten), und werden intensiver (aber in freundlicher Atmosphäre) diskutiert. Und da können sich sogar Leute daran beteiligen, die mal auf einer ausgedehnteren Exkursion vor Ort gewesen sind (dieses Mal wieder Harrison Schmitt, auf dem Mond mit Apollo 17 Anno 1972).

Die Vorträge sind auch eher Übersichten der Thematik, weshalb die Veranstaltung eine prima Gelegenheit ist, auf den neuesten Stand zu kommen (wenn da nicht der Jetlag wäre…) Thema war die Entwicklung der Mondkruste, unser kleiner Nachbar erfreut sich wieder großer wissenschaftlicher Aufmerksamkeit. Lange Zeit war nach dem Apollo-Boom die Luft etwas raus, man glaubte den Mond ordentlich untersucht zu haben. Aber gerade wegen der zunehmenden Zahl an Raumsonden, vielen Mondmeteoriten, die andere Gebiete als die Apollo-Proben abdecken, und der massiv verbesserten Messtechnologie lohnt es sich wieder, sich mit dem Mond genauer zu beschäftigen.

Ein Punkt der hängen blieb waren die Datierungen des Mondgesteins – verschiedene Alter für dasselbe Gestein machen Modelle über den frühen Mond eher ungenau. Und die Alter sind natürlich von sehr zentraler Bedeutung. Wie einer der Vortragenden zwischen den Zeilen andeutete, scheint das Klima zwischen den verschiedenen Arbeitsgruppen auf dem Gebiet nicht so prickelnd zu sein. Irgendjemand muss schließlich daneben liegen.

Sonntag Abend dann der Icebreaker, ein gemütliches Beisammensein der schon eingetroffenen Teilnehmer, um eben das Eis zu brechen. Dank Sparmaßnahmen ist das Bier leider nicht mehr umsonst, und das Buffet ist schnell weggespachtelt.

Zweck einer Tagung ist natürlich zunächst, die eigene Arbeit zu präsentieren. Das kann in Form eines Vortrages stattfinden, wo man sich in der Regel für 10-15 Minuten (Fragen inklusive) der Kollegenmeute stellt. Die zweite Möglichkeit ist das Poster, hier stellt man sich einen Abend vor ein ca. 1 Quadratmeter großes Poster über die eigene Arbeit. Das ist eine gar nicht zu unterschätzende kreative Arbeit. Einige hochgeladene Poster hier. Und dann wartet man (gerne vergeblich) ob jemand der vorbei flanierenden Kollegen Interesse zeigt. Da kann man leicht den ganzen Abend traurig mit dem Bier in der Hand vor den ausgebreiteten Früchten seiner Arbeit stehen, und keinen (außer Kollegen, die für einen Small Talk anhalten) interessiert es. Dann wieder kommt es zu sehr fruchtbaren Diskussionen, die gerne in langen Kollaborationen (wissenschaftliche Zusammenarbeit) enden.

Vorträge hingegen haben den Vorteil, dass man zumindest die Leute, die in der Session anwesend sind, erreicht (soweit sie nicht eingepennt sind). Dafür ist natürlich der Stress (Lampenfieber!) bei einem Vortrag ungleich größer, selbst alte Recken sind nicht immun dagegen – von einigen Selbstdarstellern abgesehen. Und da gibt es natürlich die hartnäckigen Frager …

Wenn man nun etwas auf der Tagung präsentiert, dann reicht man einige Monate zuvor einen Abstract ein. Das ist bei der LPSC eine bis zu 2 Seiten lange Zusammenfassung des geplanten Vortags (oder Posters). Das ist recht lang, bei vielen Tagungen reicht schon ein Absatz. Dafür sind die LPSC Abstracts immer eine praktische Momentaufnahme des Zustands der planetaren Wissenschaften. Diese werden durchaus auch öfters in wissenschaftlichen Veröffentlichungen, Papern, zitiert, auch wenn es sich nicht um begutachtete Veröffentlichungen handelt. Das Programm für dieses Jahr ist hier.

Die Tagung selber war der übliche Mix aus Themen, der Vorschau (hier, hier, hier und dann noch hier) ist eigentlich wenig hinzuzufügen. Ein weiterer Überblick von einem alten Kollegen aus Großbritannien hier. Die Erwartungen bezüglich der Rosetta und Dawn Sessions wurden meiner Meinung nach nicht erfüllt. Zwar gab es ein paar prima hochaufgelöste Bilder vom Rosetta, aber gerade die Philae-Präsentationen waren etwas mager, ich hätte mehr erwartet zumal schon die wichtigen Personen anwesend waren. Auch bei Dawn war nicht so viel wirklich Spektakuläres (meiner Meinung nach) zu sehen.

Lobenswert die konsequente Ausnutzung der ‘Social Medias’: Teilnehmer können als offizielle ‘Microblogger’ auf Twitter direkt aus den Vorträgen twittern. Da kriegt man schon so mit, was abging.

Allerdings muss ich auch gestehen, dass ich weniger Vorträge mitbekam als geplant. Nicht aus Faulheit, sondern um wissenschaftliche Veröffentlichungen mit Mitautoren zu besprechen. Man hat halt die ganzen Leute bei so einer Veranstaltung auf einem Haufen. Auch das ist Zweck einer Konferenz.

Auch wenn die Tagung wieder etwa gleich viele Teilnehmer hatte wie letztes Mal (~1700), wirkte sie ein wenig ruhiger. Vor allem gegen Ende lies der Enthusiasmus deutlich nach, Freitagmittag schien sich die Veranstaltung regelrecht aufzulösen. Ein perfekter Sturm aus eher mauen Sitzungen, miesem Wetter, Kater und der schlechten finanziellen Lage könnte der Grund gewesen sein.

Wenn wir vom Geld reden: Nach den Sessions am Montag fand das NASA Headquarter Briefing statt. Da ging es ums Geld – was halt so in Zukunft in die planetare Forschung von Seiten der NASA an Mitteln fließen soll. Und da gibt es einige Probleme. Natürlich sind die Leute, die die Zahlen präsentierten nicht die eigentlichen Entscheidungsträger, sondern eher Wissenschaftler, die ihren Kollegen die schlechten Nachrichten überbringen müssen. Nach einigen mageren Jahren in Folge scheint sich ein gewisser Fatalismus breit gemacht zu haben. Beide Seiten kennen die kritischen Punkte zur Genüge, und wirkten alles eher wie ein Ritual. Auf kritische Fragen kamen unverbindliche, ausweichende Antworten in bestem Politiker-Englisch. Und besser scheint es wohl nicht zu werden, das wurde während der Tagung generell deutlich.

Das trifft gerade diejenigen, die über ‚Soft Money‘ finanziert werden. Das sind Wissenschaftler, die nicht nur Geld für Forschungsprojekte, sondern auch ihr eigenes Gehalt über Forschungsanträge einwerben müssen. Und davon gibt es gerade in den USA sehr viele, und deren Zukunftsaussichten verschlechtern sich nun deutlich.

So eine Tagung hat für jüngere Teilnehmer (Studenten oder Doktoranden) trotz des involvierten Stresses eher Landschulheim-Charakter, man trifft oft Freunde und Feinde fürs Leben. Halt die Bezugsgruppe, die einen durch die wissenschaftliche Laufbahn begleiten wird und an der man sich misst, ähnlich wie mit den Mitschülern bei einem Abi-Treffen. Und was das zukünftige akademische Leben betrifft, ist so eine Tagung auch eine Gelegenheit, an einen Job zu kommen. Ich selber habe meine erste PostDoc-Stelle über einen handgekritzelten Aushang auf einer LPSC in Houston, lange her, bekommen.

Der existenzielle Tagungsstress wird durch die soziale Komponente ausgeglichen. Man trifft neue und viele alte Kollegen (und auch solche denen man gerne aus dem Weg gehen würde). Alkohol wird gerne und in größeren Mengen genossen (was gerade die Poster Sessions erträglich macht). Das geht oft natürlich nahtlos in das über, was man heutzutage Networking nennt. Ist für die jüngeren noch der wissenschaftliche Aspekt im Vordergrund, geht es für die älteren Semester dagegen  zunehmend geschäftsmäßig zu. Die reiferen Wissenschaftler präsentieren eher selten eigene Forschungsergebnisse, hier geht es eher um Projekte und vor allem Gelder.

Fazit. Der Wechselkurs (praktisch 1:1) macht die USA zur Zeit teuer, ein Bier schlägt gleich mal umgerechnet mit 6-7 Euro zu Buche. Dennoch, die LPSC war trotzdem mal wieder recht ergiebig dieses Jahr, gerade auch um den über den Planeten verstreuten Bekannten- und Kollegenkreis mal wieder zu sehen. Die zweite zentrale Tagung in der Branche ist die Jahrestagung der Meteoritical Society, dieses Jahr Ende Juli in Berkley (und 2016 in Berlin). Dazu später mehr.

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Mein Interesse an Planetologie und Raumforschung begann schon recht früh. Entweder mit der Apollo/Sojus Mission 1975. Spätestens aber mit dem Start der Voyager-Sonden 1977, ich erinnere mich noch wie ich mir mein Leben in der fernen Zukunft des Jahres 1989 vorzustellen versuchte, wenn eine der Sonden an Neptun vorbeifliegen würde. Studiert habe ich dann Mineralogie in Tübingen (gibt es nicht mehr als eigenständiges Studienfach). Anstatt meinen Kommilitonen in die gängigen Richtungen wie Keramikforschung zu folgen, nahm ich meinen Mut zusammen und organisierte eine Diplomarbeit über Isotopenanalysen von Impaktgestein aus dem Nördlinger Ries Einschlagkrater. Dem folgte dann eine Doktorarbeit über primitive Meteorite in Münster. Nach 10 Jahren als PostDoc in verschiedenen Ecken der Welt arbeite wieder am Institut für Planetologie in Münster, an Labormessungen für die ESA/JAXA Raumsonde BepiColombo, die demnächst zum Merkur aufbrechen wird. Mein ganzes Arbeitsleben drehte sich bisher um die Untersuchung extraterrestrischer (und damit verwandter) Materialien: Gesteine aus Impaktkratern, die ganze Bandbreite Meteoriten (von den ganz primitiven Chondriten bis hin zu Marsmeteoriten). Zu meiner Forschung gehören auch Laborexperimente, in denen Vorgänge im frühen Sonnensystem nachgestellt wurden. Mein besonderes Interesse ist, die Laboruntersuchungen von extraterrestrischem Material mit Fernerkundungsdaten (im Infrarot) zu verknüpfen. Das vor allem mit Daten aus der planetaren Fernerkundung durch Raumsonden, aber auch mit Beobachtungen junger Sonnensysteme durch Teleskope.

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