Strukturenrealismus und Evolution
BLOG: Die Natur der Naturwissenschaft

Wer sich die Geschichte der Physik vor Augen führt, insbesondere die der physikalischen Theorien und Begriffe, entdeckt bald, dass sich die Entwicklung auf zwei verschiedenen Ebenen vollzieht, auf einer formal mathematischen einerseits und einer begrifflichen, verbal formulierten andererseits. In meinem Buch [1] "Die Entdeckung des Unvorstellbaren" habe ich das ausführlich dargelegt.
Die Ebenen sind nicht nur unterschiedlich in ihrer Sprache – hier Mathematik, dort gehobene Umgangssprache – sondern vor allem auch in ihrer Entwicklung. Neue Theorien entstehen immer erst auf der ersten Ebene, auf der Ebene der mathematisch fassbaren Beziehungen zwischen Größen, die man mit physikalischen Messgrößen identifizieren kann. Dabei kommen aber immer auch weitere Größen ins Spiel, die eine Interpretation erfordern und oft hinkt ein befriedigendes Verständnis der Bedeutung dieser weiteren Größen nach. Am Beispiel des elektromagnetischen Feldes oder der Wahrscheinlichkeitsamplitude in der Quantenmechanik kann man das sehr gut sehen.
Aber auch am Schicksal einer Theorie im Stadium ihrer Überprüfungen und bei ihrer Weiterentwicklung durch eine umfassendere Theorie sieht man die Unterschiede. Die Grundgleichungen bleiben gültig und nützlich, die Interpretationen können sich ändern. So werden die Bewegungen klassischer Körper für nicht zu große Geschwindigkeiten im wesentlichen immer noch mit den Gleichungen der Newtonschen Mechanik berechnet, die Maxwellschen Grundgleichungen und ihre Ableger führen immer noch zu den richtigen Ergebnissen für alle elektrischen und magnetischen Phänomene unseres Alltags. Wenn es auf dieser formal mathematischen Ebene eine Veränderung geben sollte, dann in Zeiträumen, die wir noch nicht durchschritten haben.
Was wir uns aber unter den Dingen, die wir da beschreiben und für die wir in den Gleichungen mathematische Symbole einführen, vorstellen sollen, das macht doch eine im Laufe der Jahrhunderte spürbare Entwicklung durch. So war das Licht bei Newton im 17. Jahrhundert noch ein Strahl von Korpuskeln, sehr kleinen klassischen Teilchen , wie wir heute sagen würden. Anfang des 19. Jahrhunderts kam man aber zu der Überzeugung, dass das Licht eine Welle im Äther, einer alles durchdringenden feinstofflichen Substanz, sei, und Anfang des 20. Jahrhundert zeigte dann Albert Einstein, dass Licht weder Teilchen noch Welle ist, sondern aus "einer endlichen Zahl von in Raumpunkten lokalisierten Energiequanten " besteht, " welche sich bewegen, ohne sich zu teilen und nur als Ganze absorbiert und erzeugt werden können." Mit einer anderen genialen Idee, die zur speziellen Relativitätstheorie führte, konnte er weiterhin die Vorstellung von einem Äther als völlig überflüssig erklären, und damit war eine Substanz aus dem Begriffsinventar der Physiker sogar einfach verschwunden. Entsprechend war es schon etwa 50 Jahre früher dem Begriff des Caloricums gegangen: Lange Zeit waren viele davon ausgegangen, dass dieser Stoff für die Wärme eines materiellen Körpers verantwortlich sei, bis sich schließlich durchsetzte, dass Wärme eine ungeordnete Bewegung der Atome bzw. Moleküle ist und niemand mehr von einer Substanz Caloricum redete.
Man kann die erste Ebene auch die Ebene der (mathematischen) Relationen und Strukturen nennen, die zweite die der Substanzen. Und die Geschichte zeigt deutlich, dass man auf der strukturellen Ebene stets festeren Boden unter den Füssen hat als auf der substantiellen. Die aktuelle Forschung findet auf der strukturellen Ebene statt , auf Fachtagungen wird zunächst auf dieser Ebene diskutiert und verhandelt. Hier ist auch am ehesten Konsens zu erwarten und dieser hat sich auch stets eingestellt, wenn die Experimente eine klare Sprache sprechen. Heftige Diskussionen aber kann es dafür bei der Interpretation geben, bei der Frage, was die neu gewonnenen Einsichten über die Dinge dieser Welt und ihren Eigenschaften zu bedeuten haben. Die Diskussion um die Interpretation der Quantenmechanik ist ja heute noch im Gange.
Der Strukturenrealismus und seine Varianten
Der französische Physiker Henri Poincaré hat die beiden Ebenen schon 1904 in seinem Buch [2] "Wissenschaft und Hypothese" beschrieben und durch Beispiele belegt. Nennenswerten Widerhall fand das im Jahr 1989, als der englische Philosoph John Worrall, inspiriert durch die Lektüre des Poincaréschen Buches, die These [3] propagierte , dass "unsere wissenschaftlichen Theorien keine gegenständlichen, sondern einen strukturalen Zugang zur Welt ermöglichen", und damit den "Strukturenrealismus" [4] begründete. Wie es typisch ist für jede philosophische Position, hat sich auch diese dann wieder in unzählige Verfeinerungen aufgespalten, die man grob in "epistemische" und "ontische" Varianten unterteilen kann. Sie unterscheiden sich in ihrer Behauptung über die "Träger der Strukturen", also über die Gegenstände , für die wir die Relationen erkennen: In den epistemischen Varianten wird behauptet, dass wir sie prinzipiell nicht erkennen können , in den ontischen Varianten gibt es diese Träger erst gar nicht.
So absurd die ontischen Varianten zunächst erscheinen, das schon erwähnte Caloricum und der Äther sind Beispiele, wie man auch mit Substanzen, die gar nicht existieren, eine Zeit lang durchaus respektable Erklärungserfolge erzielen konnte. Woher nehmen wir die Sicherheit, dass die Objekte unserer heutigen Theorien wirklich existieren? Vielleicht erleiden manche in ferner Zukunft das gleiche Schicksal wie das Caloricum. In radikaler Form führt dieses "Argument der pessimistischen Meta-Induktion" zum Anti-Realismus, in dem eine Korrespondenz zwischen unseren Theorien und der Wirklichkeit gar verneint wird.
Andererseits, die Vorhersage- und Erklärungserfolge der Wissenschaften kann niemand leugnen, und für den Außenstehenden ist die beeindruckende Entwicklung immer neuer, noch raffinierterer technischer Geräte das stärkste Zeichen für eine Korrespondenz zwischen Erkenntnis und Wirklichkeit. Nun sind es bei all den Erfolgen aber immer die Relationen, die Strukturen, deren Kenntnis ausgenutzt wird, nicht die Ansicht über den ontologische Status der Gegenstände . Wenn wir mit einem Fotoapparat hantieren, mit Quanten experimentieren, dann können wir das erfolgreich tun, weil wir wissen, welche Folgen unsere Handlungen an den Objekt zeitigen, in welcher Relation unsere Handlung also zu den nächst möglichen Zuständen des Objektes steht. Was ein Fotoapparat ist oder was ein Quant, diese Frage stellt sich dabei nicht. So sind es also nicht Strukturen sondern die Träger der Strukturen, die im Kreuzfeuer der Diskussion stehen. Und genau das sehen wir auch in Geschichte der Physik.
So werden ontische Varianten des Strukturrealismus durchaus intensiv in der Philosophie der modernen Physik diskutiert [siehe z.B. [5] und die Literatur dort), und zwar auf der Basis der Erkenntnisse in Quantenmechanik und Quantenfeldtheorie. In der Quantenmechanik lernt man z.B. Objekte kennen, die im üblichen Sinne nicht als real existierend zu bezeichnen sind, d.h. ihre Eigenschaften können nicht alle gleichzeitig bestimmte Werte haben, wie wir es von den Dingen des Alltags kennen. Realität in dem Sinne also, dass z.B. ein starrer Körper stets einen bestimmten Ort und ebenso bestimmte Werte für Geschwindigkeit und Orientierung im Raume hat, gibt es also nicht für Quanten. Diese Art von Realität ist eine emergente Eigenschaft mesoskopischer oder makroskopischer Systeme. Zudem wirft ein so genannter verschränkter Zustand von z.B. zwei Quanten schwierige Fragen nach der Individualität der einzelnen Quanten auf.
Berücksichtigung der Evolution
Verwunderlich aber ist bei all dem , dass offensichtlich nirgendswo die Tatsache in Rechnung gestellt wird, dass unsere Erkenntnisfähigkeit ein Produkt der Evolution ist. Daran sollte man nicht vorbei gehen. Natürlich ist es schwer, daraus zwingende Schlüsse zu ziehen. Es kann z.B. gegensätzliche Beobachtungen geben, die mit gleichem Recht als kompatibel mit einer evolutiven Herkunft angesehen werden können. Kein Wunder, denn man kann bei solchen Überlegungen nur die "Rechnung ohne den Wirt" machen: Evolution heißt ja u.a. Anpassung an die Umwelt, und wer kann schon die jeweilige Umwelt so gut charakterisieren, dass er zu zwingenden Schlüssen kommen kann. Es kann also höchstens mehr oder weniger plausible Argumente geben.
So ist es höchst plausibel, dass wir in der Erkennung von Regeln und Relationen besser sind als in der Bestimmung der Eigenart von Dingen, denn zum Überleben waren die Regeln wichtiger als die Dinge selbst. Wichtig war, dass man Feuer machen konnte – was Feuer eigentlich ist, war nebensächlich. Und dass Regeln und Relationen in der Welt "funktionieren" – solch ein Wissen bleibt und kann nicht zurück genommen werden, und dazu gehört auch das Wissen um Übereinstimmung einer Theorie mit den Beobachtungen innerhalb beeindruckend weiter Gültigkeitsgrenzen. So ist die Dominanz der Strukturen und Relationen im Lichte der biologischen und auch kulturellen Evolution nicht verwunderlich.
Wenn man nun auch im Hinblick auf den Zugang zu den Dingen dieser Welt die evolutive Herkunft unserer Erkenntnisfähigkeit berücksichtigt, kann man zwei Dinge festhalten: Erstens, es heißt gefasst zu sein auf irgendwelche Grenzen oder Beschränkungen, wobei man jedoch nicht glauben sollte, man könne diese Grenzen von vorne herein erkennen. Zweitens, die Herkunft wird sich in der Eigenart unserer Erkenntnisfähigkeit niederschlagen, es sind Abstufungen in der "epistemischen Zugänglichkeit" zu erwarten: Dinge der Welt der mittleren Dimensionen, der alltäglichen Welt also, an die wir uns im Laufe der Evolution angepasst haben, sind uns sicherlich zugänglicher als Dinge der Welt der kleinsten und größten Dimensionen. Für Teilchen in bestimmten Größenordnungen haben wir eine Vorstellung entwickelt, weil wir ständig mit solchen im Raum streng lokalisierbaren Dingen umgehen. Quanten haben sich aber als Dinge "sui generis" heraus gestellt. Sie sind mit nichts, was wir aus unserer Anschauungswelt kennen, vergleichbar. Sie sind deshalb für uns unvorstellbar. Hier wird uns also die Beschränkung durch unsere evolutive Herkunft vorgeführt, und wenn man bedenkt, dass spätere Generationen ein noch vertiefteres Verständnis für die Eigenart der Quanten entwickeln werden, muss man einsehen, dass wir nie endgültig wissen können, was denn die Träger der Strukturen "in Wirklichkeit" sind. Und jede Spekulation über ein Ende der Entwicklung zu einem immer besseren Verständnis ergibt keinen Sinn, weil uns dafür sicherlich auch die Begriffe und Vorstellungen fehlen.
Die Berücksichtigung der evolutiven Herkunft unserer Erkenntnisfähigkeit bringt also auch einen neuen Aspekt in die Diskussion um die Interpretation der Quantenmechanik ein: Man kann seinen Frieden machen mit der Kopenhagener Interpretation, insbesondere mit ihrer Vorstellung von der Nicht-Realität der Quanten; man muss nicht, um eine klassische Sicht der Welt zu retten, in andere Interpretationen wie z.B. die Viele-Welten-Interpretation flüchten.
Mit dieser Berücksichtigung werden aber auch die Fronten in der Diskussion um den Strukturenrealismus völlig verschoben. Die Dominanz der Relationen und Strukturen bleibt zwar erhalten, erscheint sogar noch größer, aber Realität und Nicht-Realität bekommen nun bestimmte Konturen: Die Nicht-Realität wird dabei zur "wahren Natur" der Natur, Realität erscheint erst auf einer komplexeren Ebene. Die epistemische Zugänglichkeit über Strukturen und Relationen reicht offensichtlich weiter als über unser Vorstellungsvermögen, das im Rahmen der Evolution nur mit den Dingen der mittleren Dimensionen konfrontiert wurde. Auf der Ebene der Strukturen werden wir die Objekte dieser Welt immer besser verstehen, auf der Ebene der Vorstellungen werden sie uns immer fremder werden.
1. Josef Honerkamp: "Die Entdeckung des Unvorstellbaren – Einblicke in die Physik und ihre Methode", Spektrum Akademischer Verlag, 2010
2. Henri Poincaré: "Wissenschaft und Hypothese", (autorisierte deutsche Ausgabe von F. und L. Lindemann), Teubner, Leipzig, 1904
3. John Worrall: "Structural Realism: the Best of Both Worlds", Dialectica, Vol. 43, 99, 1989
4. Structural realism: http://plato.stanford.edu/entries/structural-realism/
5. Michael Esfeld and Vincent Lam: “Ontic structural realism as a metaphysics of objects”, in Alisa and Peter Bokulich (eds.): Scientific structuralism. Dordrecht: Springer 2011. Chapter 8. Paper available at
http://philsci-archive.pitt.edu/5531/
@Honerkamp
ich glaube Ihre Ansichten zu verstehen und möchte deshalb fragen: Gibt es einen Unterschied zwischen Strukturenrealismus und dem „radikalen Konstruktivismus“. Wenn ja, worin besteht er?
Könnte für „Strukturen“ auch das Wort „Grenzen“ stehen? Wenn nein, warum nicht?
Sie schreiben: „Verwunderlich aber ist bei all dem , dass offensichtlich nirgendswo die Tatsache in Rechnung gestellt wird, dass unsere Erkenntnisfähigkeit ein Produkt der Evolution (des Säugetiergehirns) ist. Daran sollte man nicht vorbei gehen“
Was ich an diesem Satz ergänzen möchte, habe ich in Klammern gesetzt. Ich will damit sagen, daß unsere Erkenntnisfähigkeit wesentlich durch die Eigenschaften unseres Gehirns bestimmt wird und wir sie erst dann richtig verstehen, wenn sie als Ergebnis corticaler Aktivität erklärt werden kann.
Ein großer Anteil der menschlichen Erkenntnisfähigkeit beruht auf dem Phänomen „Sprache“, dessen Entwicklung auch die Evolution der Naturwissenschaft und Mathematik begleitet.
In diesem Sinn….
S.R.
Was bedeutet “Strukturen”?
Warum mir der Struktur-Realismus immer fremd bleibt ist die Tatsache, dass sehr ausgiebig von einem Begriff Gebrauch gemacht wird von dem selbst nicht klar gesagt wird, was er bedeutet. Was ist denn eine “Struktur” und vor allem, was ist das Strukturelle? Was macht etwas zu einer “Struktur”.
In Ihrem Text gewinne ich den Eindruck, Sie identifizieren “Struktur” mit “mathematische Beschreibung”, insbesondere, so scheint es mir weiter, ist Struktur etwas Zeitliches (die mathematischen Gleichungen der Physik sind ja Bewegungsgleichungen, die Zeitverhalten beschreiben). Was ist das Strukturelle daran?
Ich habe ein bisschen die Sorge, dass der Strukturen-“Realismus” ein Platonismus ist, der den mathematischen Relationen Realität zuweist.
Zum Einfluss der Evolution. Ich denke, soweit muss man gar nicht gehen. Es ist einfach so, dass der Mensch ein werkzeugherstellendes Wesen ist, dass der Mensch die Welt eben begreift, indem er sie be-greift, indem er sie handelnd verändert und die Ergebnisse seiner Handlungen verwertet. Der Entitäten-Realismus geht immer davon aus, dass wir die Welt nur anstarren, begaffen und daraus schon Erkenntnisse gewinnen könnten, dass wir daraus erfahren könnten, was real ist und vor allem, was “dahinter steckt” (die “theoretischen Entitäten”, Äther, Quanten,…) Wie formulierte Ian Hacking so schön in seinem berühmten Satz über Elektronen: “Wenn man sie versprühen kann, dann sind sie real.” – man tut etwas mit ihnen, man nutzt ihr Verhalten, damit akzeptiert man sie als real.
Musik?
Lieber Josef,
danke für den wieder großartigen Beitrag! Ich hätte die konkrete Frage, wie Du in diesem Kontext menschliche Musik einordnen würdest? Handelt es sich dabei auch um ein Entdecken (Ertasten?) real existierender Strukturen? Und wenn ja, welcher?
Danke für die Mühen!
Strukturen
@Jörg Friedrich
Es gibt in diesem Kontext durchaus Bemühungen, den Begriff “Struktur” formal zu definieren. Vielleicht hilft Ihnen Sec. 2 in folgendem Review Paper weiter:
R. Frigg, I. Votsis, Everything you always wanted to know about structural realism but were afraid to ask. Euro Jnl Phil Sci (2011) 1:227276. [Free Download]
@Steffen Rehm,
– Der radikale Konstruktivismus unterstellt m.E. dass unsere Strukturen nichts mit einer Wirklichkeit zu tun haben. Ich halte diese Position für realitätsfremd, jeder Physiker weiß, wie sehr sich die Wirklichkeit stets meldet, wenn wir diese bei der Konstruktion unserer Strukturen (=Formulierung von mathematischen Relationen) nicht richtig berücksichtigen. Im Übrigen mag ich diesen Trick einiger Philosophen nicht, durch Übertreibungen Positionen zu besetzen, die zwar völlig abgehoben sind, aber garantieren, dass man oft zitiert wird. Die Wege zur Erkenntnis kann man m.E. nur retrospektiv, anhand geschichtlicher Erfahrung beschreiben, nicht durch Behauptungen “mit frecher Stirn und kühner Brust”.
@Jörg Freidrich
– Ja, unter Strukturen verstehe ich zunächst mathematische Relationen und Gleichungen, auf jeden Fall formale Aussagen, die logisch nachvollziehbar sind. Ein Biologe hat mich vor kurzem auf die Mendelschen Gesetze hingewiesen, die Mendel aufstellen konnte, obwohl er nicht ahnte, was ein Gen ist. Auch so etwas würde ich Struktur nennen. Diesen würde ich keine Realität in der Natur a la Platon zuerkennen, wohl stellt die Tatsache, dass wir in diesen denken, eine kulturelle Realität dar. Und das wir in Strukturen denken können, ist eine Folge der Evolution, in dieser erworbenen Fähigkeit spiegelt sich die Natur selbst wieder.
– Wenn man die Evolution nicht berücksichtigt, kann man nicht erklären, warum uns Quanten so fremd sind. Die Evolution prägt also unsere Vorstellungsfähigkeit, und das ist der wesentliche Aspekt bei der Frage nach der Realität der Entitäten. Wenn viele mit dem Begriff der Realität argumentieren, meinen sie oft eine solche im naiven oder bestenfalls objektiven Sinne, bleiben aber immer noch der Einstellung verhaftet, dass unsere Vorstellungen aus der mesoskopischen Welt für solche Fragen ausreichen.
@Michael Blume
– Ja, Michael, ich liebe die Musik insbesondere wegen ihrer Strukturen, mit denen manche, die ich bewundere, sehr souverän und kreativ umgehen und spielen können. Und immer wieder erfinden sie neue Strukturen , die sich für komplexe raffinierte Überstrukturen eignen. Natürlich existieren diese alle “nur” in unserem Kopf, sind aber auch kulturell real wie mathematische Gleichungen auch. (Den “Klang” und die Übergänge zwischen Klängen sollte man natürlich auch nicht vergessen.)
@Chris
– Ganz herzlichen Dank für den Link. Diese Arbeit hatte ich noch nicht entdeckt. Ich nehme sie morgen mit in den Urlaub.
Berücksichtigung der Evolution
Es gibt in der Erkenntnistheorie sehr wohl einen Zweig, der sich auf die Evolution beruft. Ich empfehle als Lektüre “Was können wir wissen?” von Gerhard Vollmer. Dort findet man eine Liste von Aufsätzen zur Evolutionären Erkenntnistheorie. Die zentrale These:
Was das Verhältnis zwischen dem Epistemischen und dem Ontischen betrifft, fährt man gerade in der Physik am besten, wenn man flexibel zwischen beiden Positionen wechselt. Im Alltagsbetrieb ist es zum Beispiel sicher ganz sinnvoll, von Quanten, Atomen, u.ä. als real existierenden Objekten auszugehen. Aber wenn es Verständnisprobleme gibt, sollte man sich deutlich machen, dass das alles nur Modelle sind, die wir unseren Messergebnissen übergestülpt haben.
ich habe das Buch von Gerhard Vollmer vor fünf Jahren gelesen, hier eine kurze Rezension:
http://kwakuananse.de/…as-knnen-wir-wissen-bd-i/
Sorry
Da hat der Parser wohl die zentrale These der Evolutionären Erkenntnistheorie verschluckt, also nochmal:
Viele unserer Erkenntnisstrukturen (unserer „notwendigen Ideen“) sind genetisch bedingt, also ontogenetisch a priori, sie sind jedoch stammesgeschichtlich erworben, also phylogenetisch a posteriori.
EE
Vielen Dank, aber ich hatte die Strukturenrealisten im Blick, als ich das schrieb. Ich kenne die Vollmerschen Arbeiten sehr gut, so gar ihn selbst von früher. Aber die Aussage über die evolutionäre Herkunft ist ja noch älter. Ich hätte dennoch die EE zitieren sollen.
Regeln vor Dingen
Das erinnert mich an einen Artikel, den ich mal über eine Interpretation der Quantenphysik lass. Dort war die Rede davon, dass die Physiker sich darüber stritten, ob ihre Formeln “im Fregischen Sinne” zu interpretieren seien. Das heißt wohl, ob es für jedes Zeichen einen Referenz gibt. Viel verstanden hatte ich davon nichts. Sehe ich richtig, dass er ein Zusammenhang besteht?
Was die Evolution angeht: Dort jetzt sich nicht das “wahrste” oder am besten angepassteste System durch, sondern schlicht das, das überlebt und das kann in manchen Situationen auch ein sehr einfaches System sein. Daher ist die Evolition niemals zweiffellos.
@Illutionius
Das hat schon etwas damit zu tun. Was mit “im Fregeschen Sinne” gemeint war, kann ich zwar nicht sagen, aber das Grundproblem ist immer, welche Bedeutung unsere neu eingeführten Symbole in einer Theorie haben, worauf sie referieren, d.h. was das sein soll, wofür sie stehen. In der QM ist es die sog. Wellenfunktion, die auf den Zustand eines Quants referiert (wie wir heute sagen), und wie man sich ein Quant vorzustellen hat, das ist genau das Problem. In Bezug auf die Evolution stimme ich Ihnen zu.
(P.S. Der Urlaub hat keine frühere Antwort erlaubt.)
@Herr Honerkamp
“Was mit “im Fregeschen Sinne” gemeint war, kann ich zwar nicht sagen”
Bei dieser ganz speziellen Frage kann ich allerdings die Antwort geben. Das ist wahrscheinlich eine Anspielung auf die Frege-Semantik gewesen. Ich war nur überrascht, das in einem physikalischen Zusammenhang zu finden. Ist Frege doch eher als Mathematiker und als Philosoph bekannt.
“In der QM ist es die sog. Wellenfunktion, die auf den Zustand eines Quants referiert (wie wir heute sagen), und wie man sich ein Quant vorzustellen hat, das ist genau das Problem.”
Interessant. Spielt es denn für die Physik wirklich eine Rolle, ob es dort so eine Art Zustandüberlagerung gibt? Insbesondere in Zusammenhang mit den QBits der Quantencomputer? (Ich finde dieses Thema sehr interessant.)
P.S.: Entschuldigen Sie die verspätete Antwort, ich habe nicht mehr mit einer Erwiderung gerechnet.
@Illutionius
Sie fragen: “Spielt es denn für die Physik wirklich eine Rolle, ob es dort so eine Art Zustandüberlagerung gibt? Insbesondere in Zusammenhang mit den QBits der Quantencomputer?”
O, ja, ganz wesentlich!!! Und auch noch die Tatsache, dass man Mehrquantenzustände als Produkt von Einzelzuständen zu formulieren hat. Erste Eindrücke dazu können Sie in meinem Artikel “Quanteninformatik” bekommen, ausführlicher alles in meinem Buch (siehe rechte Spalte dieses Blogs), aber das ist nur die Literatur, die ich am besten kenne :-).