Ein paar wissenschaftliche Begriffe
Durch Martin Ballaschk vom Scilog Detritus stiess ich auf folgendes Listicle. Es geht um unterschiedliche Bedeutungsebenen und effiziente Wissenschaftskommunikation – Wörter, die für Wissenschaftler eine enge Definition haben, werden von Laien oft anders, meist weiter, manchmal komplett falsch, verstanden:
10 Scientific Ideas That Scientists Wish You Would Stop Misusing.
Nach dem Abitur habe ich an der Universität Hamburg Anglistik, Amerikanistik, Soziologie und Philosophie studiert. Den Magister Artium machte ich 1992/93, danach arbeitete ich an meiner Promotion, die ich aus verschiedenen Gründen aufsteckte. Ich beschäftige mich meist mit drei Aspekten der Literatur: - soziologisch [Was erzählt uns der Text über die Gesellschaft] - technisch [Wie funktioniert so ein Text eigentlich] - praktisch [Wie bringen wir Bedeutung zum Leser] Aber auch theoretische Themen liegen mir nicht fern, z.B. die Frage, inwieweit literarische Texte außerhalb von Literatur- und Kunstgeschichte verständlich sein müssen. Oder simpler: Für wen schreiben Autoren eigentlich?
Im Alltag brauchts wenig für einen Beweis, in der Wissenschaft schon, im Alltag ist jede Theorie grau und die Praxis eine andere (bessere?) Welt. Dieser andere Wortgebrauch ist in meinen Augen nicht weiter schlimm.
Anders steht es aber mit moralisch, emotional gefärbten Befriffen wie Natur und Organisch (organic food). Die sind nämlich positiv besetzt und behaupten damit etwas selbst im Alltagsleben nachweislich falsches. Zu “Natürlicher Nahrung” und “Organic Food” zählt man üblicherweise alle Kulturpflanzen wie Trauben, Weizen, Reis, wenn diese ohne Pestizide und Dünger gezogen weden, obwohl es keine dieser Kulturpflanzen ohne die Zucht durch den Menschen gäbe. Doch weil die Zucht schon recht lange her ist, ist sie in den Köpfen der Menschen gar nicht mehr existent, sind nun Tafeltrauben quasi naturalisiert. Dazu kommt noch, dass Natur und “Organic” nur positive Eigenschaften zugeschrieben werden, was eine falsche Auffassung von Natur offenbart. In der Natur gibt es entgegen dieser Auffassung auch Gifte, natürliche Pestizide und für den Verzehr und auch andere Verwendungen problematische Substanzen. Das wird ausgeblendet, weil letzlich der Gegensatz Natur/Technik, natürlich/industriell dahinter steht und bei vielen Naturfernen und Wohlstansverwöhnten ( dem typischen Westler) Natur als Gegenwelt zu Technik und Industrie positiv besetzt ist, ganz ähnlich wie für den typischen Intellektuellen der 60er und 1970er Jahre Sozialismus und Kommunismus positiv besetzt und Kapitalismus negativ besetzt war, wobei diese Glaubenden an die bessere Welt des im Osten praktizierten Sozialismus/Kommunismus aber im kapitalistischen Westen lebten – eine perfekte Entsprechung zum Gegensatzpaar Natur/Technik, wo die Kritiker und Verdammer des Industriellen in einer industriell geprägten Welt leben.
@ Herr Holzherr :
Ganz klar ist Ihrem Kommentatorenfreund nicht wie’s gemeint war, deshalb nur ergänzend:
Der Beweis ist eine Sache der “alten” aufklärerischen Naturwissenschaftlichkeit, wie sie bis vor ca. 100 Jahren Usus war, als noch verifiziert worden ist; heute benötigt es Belege oder Evidenz, ein Art Beweis könnte hier nur vorliegen, wenn die empirische Lage einer Theorie nicht adäquat ist, die Welt sozusagen Einspruch einlegt.
Begrifflich darf im Naturwissenschaftlichen aber gerne auf den Beweis verzichtet werden.
Dieses skeptizistische Element der modernen aufklärerischen Naturwissenschaftlichkeit ist bei sehr vielen leider noch nicht angekommen.
MFG
Dr. W
Das Wort Beweis bedetet umgangssprachlich oft einfach Nachweis, Beleg für eine Behauptung.Typische Wendungen sind etwa:
In der Wissenschaft gibt es eine Tendenz nur mathematische Beweise als echte Beweise anzuerkennen und mathematische Beweise sind typischerweise Tautologien, sie “beweisen” also nur was ohnehin wahr ist – auch wenn diese Wahrheit nicht offensichtlich ist und sich der Beweis über viele Seiten hinziehen kann.
Schon klar, werter Herr Holzherr,
es darf auch gerne im Naturwissenschaftlichen eine Datenlage, die einer Theorie zumindest nicht widerspricht, als Beleg oder Beweis angenommen werden.
Diesbezüglich mehr und mehr Evidenz sammelnd…
In der Tautologie, also bspw. in der Mathematik, meint ein Beweis, dass eine bestimmte Aussage auf die Axiomatik der Tautologie zurückgeführt werden kann.
Im Rechtswesen mit seiner Wahrheitsfindung oder mit seiner “Wahrheitsfindung” ist mit dem Beweis dagegen eine Art stabile Vermutung gemeint.
MFG
Dr. W
Dierk Haasis schrieb (9. August 2015):
> [Einige] Wörter, die für Wissenschaftler eine enge Definition haben, werden von Laien oft anders, meist weiter, manchmal komplett falsch, verstanden
Es gibt darüberhinaus auch einige Wörter, die (für Wissenschaftler) eine enge Definition haben, und die im Austausch (von Wissenschaftlern) über wissenschaftliche Themen so gut wie unverzichtbar sind, die aber in bestimmten, popularisierenden Äußerungen (von Laien, oder für Laien) komplett zu fehlen scheinen; insbesondere die Wörter:
– Verständnis,
– Begriff,
– Methode,
– Hypothese, und
– Modell.
Nö, das Verstehen, das Wort oder der Begriff, die Methode oder Erörterung, die Hypothese oder Unterstellung und das Modell als beispielhafter Bau oder das kleine Modell, ‘moderare’ und so, finden im Volk (oder in der Bevölkerung) in anderen Sprach-Schichten ebenfalls Verwendung, eben außerhalb der Fach-Terminologie.
Die ganze Sprache ist ein Herumstochern und kann bestenfalls in Schichten näherungsweise, ausschnittsartig und an Teilnehmer-Interessen gebunden verwaltet oder verstanden werden.
MFG
Dr. W
Dr. Webbaer schrieb (21. August 2015 19:33):
> das Verstehen, das Wort oder der Begriff,
> die Methode oder Erörterung,
… bzw. das (systematische, zielstrebige) Verfolgen bestimmter Zielsetzungen (die ihrerseits dafür nachvollziehbar verstanden sein und bleiben müssen) …
> die Hypothese oder Unterstellung
… die sich Fall für Fall als richtig oder als falsch herausstellen können …
> und das Modell als beispielhafter Bau oder das kleine Modell, ‘moderare’ und so
… von denen sich ggf. insbesondere zwar mit Bestimmtheit sagen lässt, dass und in wie fern sie die Wirklichkeit nicht abbilden, aber nicht unbedingt umgekehrt …
> finden im Volk (oder in der Bevölkerung) in anderen Sprach-Schichten ebenfalls Verwendung, eben außerhalb der Fach-Terminologie.
Stimmst du also zu, dass diese Begriffe auch außerhalb von bestimmten Fach-Terminologien unmissverständlich sind (und entsprechend verwendet werden können)?
Oder findest du etwa, dass Wissenschaftlern und Laien diese Begriffe ungleich verwenden (d.h. sofern sie diese überhaupt verwenden)?
> Die ganze Sprache ist ein Herumstochern und kann bestenfalls in Schichten näherungsweise, ausschnittsartig und an Teilnehmer-Interessen gebunden verwaltet oder verstanden werden.
Besondere Aufmerksamkeit verdienen dabei sicherlich die Interessen von Teilnehmern, die die genannten, weitgehend unmissverständlichen Begriffe offenbar vermeiden; bzw. sie nicht differenzieren, sondern lediglich (und in diesem Sinne auch inkorrekter Weise) das Wort “Theorie” verwenden.
Die Fachterminologie wird ihrem Wesen nach anders verwendet als der zugrunde liegende Begriff, sie ist auch umfassender als der gewöhnliche Sprachschatz, d.h. sie führt neue Wörter ein.
Die Sprache ist eine Art unpräzises Protokoll mit deren Hilfe Inhalte vermittelt werden, der Benachrichtigende kodiert Ideen grob in Sprache, versendet sie und der Empfänger der dieses “Protokoll” kennt, dekodiert und abstrahiert zu Inhalt.
Eigentlich überraschend, dass dies so gut funktioniert, mal abgesehen von dem kleinen regelmäßigem Austausch zwischen dem netten, dicken & kleinen Webbaer und Ihnen, der funktioniert nicht so-o gut.
MFG
Dr. W
PS, danke, dass der vorherige Kommentar zur Veröffentlichung gelangen konnte, sogar zeitnah – hierzu noch:
Sie spielen hier, werter Herr Wappler, auf die länger währende kleine Auseinandersetzung zwischen Ihnen und Ihrem Kommentatorenfreund an, der die (naturwissenschaftliche) Theorie als Sicht und die Theoretisierung als Sichtenbildung auf Daten versteht (es liegt also keine metaphysische Theorie vor, dann wird’s nämlich komplexer), und wünschen das Modell diesbezüglich irgendwie hinzugebaut zu sehen, als handgreiflich gemachte Sicht sozusagen oder anderswie.
Vielleicht könnte sich darauf geeinigt werden, dass der Bezug, wie oben beschrieben, ausreicht und die Modellierung ein sinnhaft zu nutzendes Werkzeug bei der Sichtenbildung darstellt?!
Die Wissenschaft hat aber keinen Monopolanspruch auf die Worte, umso weniger wenn es um weit gefasste wie “Natur” geht. Ausserdem ist es irreal, zu erwarten dass ein jeder Mensch von allen möglichen Fachbegriffen dasselbe Verständnis haben könnte wie die jeweiligen Fachexperten.
Steht irgendwo, dass ‘die Wissenschaft einen Monopolanspruch’ erhebt?
Mal abgesehen davon, dass der hier hingeworfene Webverweis den Inhalt meinend irgendwo zwischen gut und sehr gut eingeordnet werden kann, zumindest vom Schreiber dieser Zeilen, hierzu:
Theoretisierung stellt letztlich willkürlich Kausalität oder Kausation fest, bspw. bei der Gendatenhaltung ist dies nicht anders, beim sogenannten Down-Syndrom könnte dies direkt klar werden.
Insofern besteht der skeptizistisch-wissenschaftliche Ansatz gerade nicht darin zu relativieren, sondern darin bestimmte Sicht als Provisorium zu pflegen, gerne auch als Wert, sich im Wortsinne (“Provisorium”) bewusst, dass es auch anders sein könnte, aber eben als Wert.
Es gibt (mindestens – >:->) vier grundsätzliche Unverständlichkeiten, die wissenschaftlich im skeptizistischen Sinne und unter besonderer Beachtung der Empirie beforscht werden:
1.) die Welt
2.) die Gendatenhaltung
3.) das Hirn
4.) das Sittliche
All diese Komplexe können ihrem Wesen nach nicht abschließend in irgendeiner Form abgehandelt werden, der Versuch aber ist höchst lohnenswert.
MFG
Dr. W