Zahnräder steuern das Klima

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Von Steinen bis zu den Sternen
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Immer, wenn ich versehentlich einem Klimaskeptiker über die Schulter schaue, zieht sich mein Geologenherz kräftig zusammen. Denn einerseits wird da bestritten, dass die winzigkleinen Klimagasmengen des Menschen etwas ausrichten könnten gegen das übergroße und stabile Klimasystem des Planeten. Zum anderen wird da geglaubt, das Klima sei am siebten Tag fertiggebaut gewesen und seitdem lebten alle von Gott geschaffenen Wesen im Garten Eden. Und spätestens setzt mein Geologenherz gänzlich aus und ich brülle mit letzter Kraft: Habt ihr ne Ahnung!

Die Erde während des letzten glazialen Maximums (Nichtgeologen sagen: Eiszeit) vor rund 20.000 Jahren (Ittiz, Wikimedia Commons, CC-BY-SA 3.0 unported)Die Erde während des letzten glazialen Maximums (Nichtgeologen sagen: Eiszeit) vor rund 20.000 Jahren (Ittiz, Wikimedia Commons, CC-BY-SA 3.0 unported)

Es macht tick und tack!

Aber der Reihe nach. Am Anfang war: ein Mann. Er hieß Jean Louis Rodolphe Agassiz, hatte Medizin studiert und wurde – vielleicht weil ihn in jungen Jahren Humboldt getriezt hatte – durch die Schriften altvorderer Geologen ein wenig hellhörig (zu diesen gehörte ein gewisser Johann Wolfgang von Goethe, der bei uns Geologen durchaus als veritabler Naturforscher anerkannt ist). Agassiz wurde hellhörig, denn die Kollegen beschrieben Findlinge, große erratische Blöcke, die von den Alpengletschern zurückgelassen wurden, nachdem sie von den Eismassen über Kilometer mitgeschleift wurden. Diese Blöcke nun gab es nicht nur im direkten Umkreis der Gletscher, sondern auch hunderte Kilometer entfernt, überall im Schweizer und süddeutschen Alpenvorland.

All das sah Agassiz und ihm kam eine revolutionäre Idee: In der Erdgeschichte muss es Eiszeiten gegeben haben. Nicht nur eine, sondern eine ganze Reihe von ihnen: Gigantische Eiskappen bedeckten die Kontinente, weite Teile Nordamerikas, Skandinaviens und Sibiriens. Und verschwanden wieder. Und kehrten zurück. Und verschwanden. Und so weiter.

Dieses Wechselspiel ging über die letzten Millionen Jahre, so viel wissen wir heute. Mehr noch: Die längste Zeit war es eher kalt und vergletschert, während alle paar zehntausend Jahre eine längere Warmzeit einsetzte. Kalt- und Warmzeit schienen chaotisch aufzutreten, willkürlich, ohne Regel.

Das Uhrwerk verstanden

Dann kam ein weiterer Mann. Der Kroate Milutin Milankovich hatte in Wien Tiefbau studiert und besaß vielleicht deshalb ein ausreichend mechanistisches Weltbild und ein Gespür für Geologie. Vor allem aber beschäftigte er sich ausgiebig mit allen astronomischen und mathematischen Werken, denen er habhaft werden konnte. Danach führte er im Handstreich zwei Fachgebiete zusammen, die bis dahin nur wenig gemein gehabt hatten: Die Welt der Planeten und Sterne mit der von kommenden und gehenden Gletschermassen auf der Erde.

Im Jahr 1941 erschien eine Zusammenfassung von Milankovichs Erkenntnissen, die einen Blick in ein kosmisches Uhrwerk erlaubte: Astronomen hatten zuvor erkannt, dass die Erde auf ihrer Bahn nicht völlig stabil läuft. Langsam wabert etwa die Ellipse um die Sonne, wird mal breiter, um sich dann wieder stärker einer perfekteren Kreisbahn anzunähern (die Exzentrizität der Erdbahn). Langsam verschiebt auch sich die irdische Rotationsachse gegenüber der Bahnebene (Schiefe der Erdrotationsachse gegenüber der Ekliptik). Zuletzt kreiselt die Rotationsachse der Erde wie ein trudelnder Brummkreisel (Präzession der Erdrotationsachse).

All das passiert langsam, alle 100.000 Jahre (Exzentrizität), 40.000 Jahre (Rotationsachsen-Schiefe) und 20.000 Jahre (Präzession). Für Geologen aber sind das durchaus Zeiträume, die man auch in Sedimentschichten wiederfinden kann, um sie verschiedenen Klimabedingungen zuzurechnen. Und in der Tat: Milankovichs Zyklen fanden sich erstaunlich gut im scheinbar chaotischen Wechselspiel von Kalt- und Warmzeiten wieder.

Die Milankovich-Zyklen und Sonnenaktivität ergeben erstaunlich gut das Muster von Warm- und Kaltzeiten der jüngeren Erdgeschichte. (Bild: SAE1962 / Wikimedia Commons)
Die Milankovich-Zyklen und Sonnenaktivität ergeben erstaunlich gut das Muster von Warm- und Kaltzeiten der jüngeren Erdgeschichte. (SAE1962 / Wikimedia Commons)

Wie genau die schwankenden Bahnparameter unseres Planeten das Klima beeinflussen, ist schnell erklärt:

  • Die Exzentrizität beeinflusst, wie viel mehr Energie die Erde zwischen dem sonnennächsten (Perihel) und sonnenfernsten Punkt (Aphel) auf ihrer Bahn einfängt. Aktuell beträgt der Unterschied gut sieben Prozent – vor gut 200.000 Jahren waren es aber beinahe 30 Prozent [1].
  • Die Schiefe der Erdrotationsachse schwankt um ganze zwei Grad (!). Eine geringere Neigung bewirkt, dass die Temperaturunterschiede zwischen Sommer und Winter abnehmen. In nördlichen Gefilden steht die Sonne im Winter flacher („sie kommt nicht so weit hoch“). Dadurch können sich dann eher große Eisschilde ausbilden.
  • Die Präzession ist etwas schwieriger vorstellbar: Sie beeinflusst ebenfalls, wie hoch die Sonne zur Sonnenwende steht. Gleichzeitig bewirkt die Präzession der gesamten Bahnebene (der sogenannten Apsidendrehung, der zweiten Komponente der Präzession), dass Sommer und Winter unterschiedlich lang sind. Derzeit dauern etwa die Sommer der nördlichen Hemisphäre acht Tage länger als die Winter. Das ist gut so, immerhin befindet sich im Norden der Großteil der Landmassen, die deutlich mehr Sonnenwärme absorbieren, als die Wassermassen im Süden.

Milankovichs Theorie entbehrt einer gewissen Schönheit nicht, immerhin gelang es damit, die meisten Klimaschwankungen seit dem späten Pleistozän (rund der letzten Million Jahre) zu erklären. Dennoch gibt es ein paar Schönheitsfehler, die vor allem damit zu tun haben, wie stark das Klima auf die schwankenden Parameter reagiert (meist etwas zu heftig, als es allein mit schwankender Sonneneinstrahlung zu erklären).

Ein weiterer Schönheitsfehler konnte jetzt zumindest ausgebügelt werden: Denn die Kreiselbewegung der Präzession in gut 20.000 Jahren ist für Geologen schon ein Problem. Um Gesteinsschichten zu datieren (etwa mir radiometrischen Methoden), ergeben Messfehler, die in diesem Bereich liegen. So war es bisher kaum möglich, die Rolle der Präzession im Klimageschehen wirklich nachzuweisen. – Obwohl sie aus astronomischen Überlegungen heraus klar einen Effekt haben müsste.

Dafür hat Peter Huybers von der Havard University jetzt einen neuen Anlauf genommen, indem er vor allem andere statistische Methoden verwendete [2]. Insgesamt gab es zuvor über 30 Modelle, die das versucht hatten und unter denen sich keines hervortat, den Einfluss der Präzession schlüssig nachzuweisen. Huybers kommt dagegen zu einem klaren Schluss: Immer wenn sich die Schiefe der Erdrotationsachse und die Präzession konstruktiv überlagerten (und dabei dem Norden gebührend eingeheizt wurde), verließ der Planet seine globale Eisstarre und es brach eine neue Warmzeit an.

Wie wir die Uhr aufziehen

Und wie geht es weiter? Da wir die Mechanik des Sonnensystem hinreichend verstanden haben, lässt sich die Zukunft hier ein Stück weit vorhersagen: Die Erde befindet sich derzeit am Ende eine Kaltzeit. Streng genommen herrscht sie sogar noch vor, denn die Pole sind weiterhin vereist (was sich für eine brutzelige Warmzeit einfach nicht gehört). Aber genau dorthin geht die Reise: Die Sonneneinstrahlung in der Nordhemisphäre wird über die nächsten 25.000 Jahre weiter zunehmen. Die nächste wirkliche Kaltzeit wird dagegen noch mindestens 50.000 Jahre auf sich warten lassen, andere Autoren vermuten sogar 130.000 Jahre oder 620.000 Jahre.

Allerdings gibt es durchaus gigantisch große Unbekannte in dieser Rechnung, die ja nur die irdischen Bahnparameter berücksichtigt. Neben der Sonnenaktivität ist das der menschgemachte Treibhauseffekt und die Frage, wie weit er die Klimabedingungen weiter verändern wird. Und wie schnell es brutzelig warm wird.

[1] Bradley, R.: Paleaclimatology, Academic Press, 1999

[2] P. Huybers: Combined obliquity and precession pacing of late Pleistocene deglaciations, Nature 480, 10626 (2011), DOI: 10.1038/nature10626

 

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Karl Urban wäre gern zu den Sternen geflogen. Stattdessen gründete er 2001 das Weltraumportal Raumfahrer.net und fühlt sich im Netz seitdem sehr wohl. Er studierte Geowissenschaften und schreibt für Online-, Hörfunk- und Print-Publikationen. Nebenbei podcastet und bloggt er.

7 Kommentare

  1. Ende der Eiszeit + anhaltende Warmezeit

    Eine neue Kaltzeit steht uns also mit Sicherheit nicht bevor, wenn schon die Erdbahnparameter für eher mehr Wärme in den nächsten 20’000 Jahren sorgen.

    Zum Glück liegt ja ein Grossteil der Landmassen im Norden, teilweise im hohen Norden. Kann gut sein, dass in ganz Sibirien und Nordrussland eine neue gemässigte Klimazone entsteht (in der dann die früheren Bewohner Schwarzafrikas Gastrecht erhalten) und es in naher Zukunft schon um das Mittelmeer herum heiss ist wie in einem Glutofen.

    Doch so oder so, die Interventionen des Menschen werden das jetztige Eiszeitalter (Zeitalter, in dem mindestens ein Pol vereist ist), höchstens nur kurz unterbrechen. Selbst wenn aller fossile Kohlenstoff in die Luft gejagt wird, wird das das Klima “nur” für 10’000 bis 20’000 Jahre ändern. Anschliessend läuft es wieder in den Milankovich’en Perioden weiter – ausser der Mensch lässt seine Hand nie mehr vom Klima und bestimmt in Zukunft das Klima selbst (Das tut er zwar (unbeabsichtigt) schon heute, aber in Zukunft beherrscht er das Metier des Klimamachers vielleicht wirklich).

  2. Agassiz war nicht der erste…

    … nur derjenige, dem man damals genauer zuhörte.

    Ignaz Venetz war offenbar der erste, der von großen Gleschermassen über weite Teile Europas erzählte. (1822)

    1836 bis 1837 arbeitete Agassiz dann mit einem Hern Karl Friedrich Schimper an diesem Thema zusammen. Schimper prägte dann wohl den Begriff “Eiszeit” für die großen Gletscher. Und Schimper beschwerte sich später, dass er bei der Entdeckung der Eiszeiten übergangen wurde. Es entstand ein Streit zwischen den beiden als Agassiz seine Studien zuerst in einem Buch publizierte und Schimper nur beiläufig erwähnte.

    So schreibt es die Wikipedia jedenfalls.

    Was die Publikation angeht – offenbar ist es eben nicht einfach. Wer zuerst kommt, der bekommt eben die ganzen Lorbeeren…

  3. @Karl Urban

    Und wenn Sie nun von den Erkenntnissen eines Milankowitch fasziniert sind, von dieser zyklischen Beeinflussung des Erdklimas durch Variationen des Erdumlaufbahn um die Sonne, dann sollten Sie doch ebenso fasziniert sein von dem Ausblick, dass die Eiszeiten (und damit das Erdklima) in noch viel grösserem Maßstab beeinflusst wird durch den Umlauf der Sonne um das galaktische Zentrum, den Durchgang unseres Sonnensystem durch die Spiralarme der Galaxis. Dann also sollten Sie einen Blick hinüber zur Astrophysik werfen und die mittlerweise sehr substanzvolle Theorie von Nir Shaviv betrachten:
    http://www.sciencebits.com/ice-ages
    Da fügt sich nämlich etwas zusammen. Wen das nicht fasziniert, der tut mir leid.
    Beste Grüsse.

  4. @C-O

    Ich bin nicht unbedingt von Milankovichs Erkenntnis fasziniert, aber von der sehr profunden Beweisführung von ihm und anderer Geologen bis heute, die schwankenden Erdbahnparameter im Fossilbericht nachzuweisen.

    Dagegen ist Shavivs Theorie zwar interessant, aber bei weitem nicht so profund belegt. Denn bei ihm geht es ja um hunderte Jahrmillionen, während wir Milankovichs Zyklen heute mit Ach und Krach in der letzten Jahrmillion in Sedimentbohrkernen nachweisen können und vielleicht noch ein bisschen darüber hinaus.

    Aber ich bedanke mich für die Anregung – ich denke, Shavivs These ist zumindest mal einen eigenen Blogeintrag hier wert.

  5. Zahnräder Richtung Warm oder Kalt?

    Die Sonneneinstrahlung in der Nordhemisphäre wird über die nächsten 25.000 Jahre weiter zunehmen. Die nächste wirkliche Kaltzeit wird dagegen noch mindestens 50.000 Jahre auf sich warten lassen, andere Autoren vermuten sogar 130.000 Jahre oder 620.000 Jahre.

    Die Milankovich-Zyklen gesteuert durch die schwankenden Erdbahnparameter Exzentrizität, Schiefe und Präzession sollten doch – so sollte man meinen – im Jahre 2012 aufs genaueste berechenbar sein.
    Nur widerspricht obige Aussage Die Sonneneinstrahlung wird zunehmen der jetzt gerade durch die Presse rauschenden Meldung In den nächsten 1’500 Jahren würden wir in eine Kaltzeit hineinrutschen, wenn da nicht die CO2-Emissionen des Menschen wären.

  6. Nächste Eiszeit in 1500 Jahren??

    Auch im SPON liest man nun:

    Die Erde wechselt über die Jahrtausende regelmäßig zwischen kalten und milden Phasen. Die nächste Eiszeit würde auch Deutschland mit Gletschern überziehen – doch sie dürfte laut neuen Berechnungen lange auf sich warten lassen. Der Grund: die Treibhausgase des Menschen.

    Und unter natürlichen Umständen – ohne das extra-CO2, das vom Menschen emittiert wurde – würde Nordeuropa, Nordamerika und Sibirien schon in 1500 Jahren in Eiseskälte erstarren, liest man doch:

    Nun berichten Paläoklimatologen um Chronis Tzedakis vom University College in London, dass eine Phase vor etwa 780.000 Jahren der heutigen astronomisch am ähnlichsten sei. Demnach würde die nächste Eiszeit bereits in 1500 Jahren beginnen, schreiben Tzedakis und seine Kollegen im Fachmagazin “Nature Geoscience”.

    Für mich ist das völlig neu und am meisten erstaunt mich, dass eine solche Prognose nicht schon vor 20 Jahren gemacht wurde, ist doch das zugrundeliegende Wissen – die Milankovich-Zyklen und damit die Variation der Erdbahnparameter – uralt.

  7. Gastrecht

    Zitat von Martin Holzherr “[…] (in der dann die früheren Bewohner Schwarzafrikas Gastrecht erhalten) […]”
    Dieser kleine Teilsatz erscheint mir übermäßig optimistisch. Nach allgemeiner Lehrmeinung haben wir schon heute Millionen von Klimaflüchtlingen (da beispielsweise Dürren und Flutereignisse im Vergleich zum Fall ohne erhöhtes CO2 statistisch zugenommen hätten), ohne dass die EU oder gar Russland erhöhte Mengen an Flüchtlingen aufnehmen würden. Ganz im Gegenteil – durch das Misstrauen gegenüber muslimischen Flüchtlingen scheinen sich die Grenzen im Gegenteil mehr zu schließen als noch vor 15 Jahren. Ich habe daher derzeit wenig Zuversicht dass der Klimawandel – und auch das global schlecht regulierte Bevölkerswachstum – sich ohne eine Unzahl menschlicher Opfer abspielen wird.

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