IPCC gehackt, WikiLeaks und Klimaskeptiker – eine ganz normale Woche im Leben eines IPCC Autoren?

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Welches Dokument ist das eigentlich, das dort im Netz rumgeistert, hochbrisant oder gar geheim? Ganz und gar nicht. Das gerade im Internet kursierende bzw. diskutierte IPCC Dokument (z.B. hier bei Spiegel Online) beinhaltet Teile des First Order (Summary for Policymakers und Technical Summary) und Second Order Drafts der Arbeitsgruppe I (es gibt drei Arbeitsgruppen im IPCC Prozess) des kommenden 5. IPCC Sachstandberichts zur globalen Klimasituation. Dieser Zwischenentwurf, denn nichts anderes ist es, konnte von jedem zur wissenschaftlichen Begutachtung eingesehen werden, der seine wissenschaftliche Expertise in Form von Publikationen und Arbeitsbeschreibungen in einem öffentlich zugänglichen Prozess beim IPCC kurz darlegte.

Dieser offene Prozess ist explizit so gewollt und auch notwendig. Denn der IPCC Report ist keine Geheimsache, sondern wahrscheinlich die größte wissenschaftliche globale Gemeinschaftsleistung derzeit (und vermutlich auch jemals). Genau dafür braucht man sehr viele Experten, zum direkten Schreiben und für die Begutachtung der Sachstandserhebung. Wie bei jeder wissenschaftlichen Publikation läuft natürlich auch der IPCC Sachstandsbericht durch Begutachtungsprozesse; und eben in diesem Falle mehrfach und mit Hilfe von nicht nur zwei (sicher der Durchschnitt der üblichen Gutachterzahl bei Publikationen) oder auch fünf, sondern von hunderten Gutachtern – mit vielen tausend Kommentaren. Die Arbeitsgruppe I bekam allein für den First Order Draft über 20.000 Gutachterkommentare, der Second Order Draft sogar über 30.000 von ca. 800 Gutachtern! Das klingt nicht nach geheim oder gar Geheimniskrämerei. Alle Kommentare und die Antworten der Autoren darauf werden sogar nach Veröffentlichung des Berichts öffentlich zugänglich gemacht; eben genau das, was ständig gefordert wird – Transparenz.

Trotz oft gegenteiliger Behauptungen darf auch immer schon sogenannte graue Literaturzur Recherche herangezogen werden, also Reports von z.B. Nichtregierungsorganisationen oder ähnliche wissenschaftliche Dokumente. Gerade in bestimmten Themenbereichen und aus bestimmten Regionen sind solche Literaturquellen besonders wertvoll, da es oftmals sonst keine anderen Quellen gibt. Nichtsdestotrotz steht auch hier die Glaubwürdigkeit natürlich im Vordergrund.Es gibt ja oft Kritiken an einigen Arbeitsweisen des IPCC. Doch hingegen einiger Meinungen der Kritiker verbessert sich auch dieser Prozess stetig, so z.B. bei der Auswahl der Autoren oder bei der Behandlung von Unsicherheiten und Fehlern (Wie zum Beispiel hier dargestellt). Die ganze Erstellung des IPCC Berichtes würde trotz aller technischen Errungenschaften nicht ohne persönliche Treffen auskommen. So waren wir, die Autoren diese Blogeintrags, gerade vor ca. 4 Wochen in Buenos Aires. Hier kamen – was nur in etwa einmal im Jahr passiert – alle koordinierenden Leitautoren (CLA) und die Leitautoren (LA) sowie technische und wissenschaftliche Betreuer (insgesamt über 300 Wissenschaftler) zum Treffen der Arbeitsgruppe II für knapp eine Woche zusammen.

Trotz aller Argumente gegen Flugreisen (vor allem wenn es um Klimaforschung geht) sind persönliche Gespräche, die Interaktionen und das intensive direkte Arbeiten an komplexen Grafiken oder Textpassagen nicht durch Skype oder andere online-Treffen ersetzbar. Das wird jeder Wissenschaftler sofort bestätigen. Im Gegensatz zur WGI, deren Second Order Draft gerade den Regierungen der 195 Mitgliedstaaten und wissenschaftlichen Experten zu parallelen Begutachtung vorliegt (und genau dieser ist ja nun auch im Netz veröffentlicht worden), beschäftigt sich die Arbeitsgruppe II (WGII) momentan mit ca. 19.600 Kommentaren von ca. 560 Gutachtern des First Order Drafts. Der nun folgende Second Order Draft der WGII ist am 1.3.2013 fällig. Interessanterweise sind die Zeitpläne der drei Arbeitsgruppen etwas verschoben, so dass die ganze Administrationsmaschinerie den ganzen IPCC Prozess auch bestmöglich unterstützen kann und nicht drei riesige Reports gleichzeitig zu begutachten sind. Die Beiträge aller drei Arbeitsgruppenzum 5.Sachstandsbericht und der übergreifende Synthesebericht werden dann innerhalb eines Jahres zwischen September 2013 und Oktober 2014 veröffentlicht.

Alles in allem ein (nicht nur) für die Involvierten extrem spannender und für die Allgemeinheit wichtiger Prozess. Ein Prozess, der einzigartig, da umfassend, objektiv und ausgewogen ist und der zuverlässige wissenschaftliche Grundlagen für die Klimapolitik liefert – und wenn man mal die Chance hat mitzuwirken, erkennt man, dass viele der häufig zu lesenden Kritiken überzogen sind und gar falsch. Man erkennt auch, dass den Skeptikern letztlich zu viel Aufmerksamkeit geschenkt wird, wodurch dem Ziel, den Prozess zu lähmen, Vorschub geleistet wird – einen Prozess, den wir als einmalig positiven erfahren. Wir können nur jedem empfehlen, involvierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlerzu fragen, wenn man etwas über die Arbeit des IPCC wissen will.

Josef Settele & Marten Winter

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