Verschollen am Meeresgrund

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In Tiefseeproben haben Forscher Eisen-60 gefunden – offensichtlich Spuren einer Supernova, die vor gut zwei Millionen Jahren in unserer Nähe explodiert sein muss. Das Modell der Explosionsblase des Astrophysikers Dieter Breitschwerdt sagt, dass sie sich in rund 300 Lichtjahren ereignete. Darüber wollte ich mehr wissen und habe ihn vor kurzem in Berlin besucht.

Zu meiner aktuellen TV-Reportage:

Dieter Breitschwerdt – Direktor am Zentrum für Astronomie und Astrophysik der TU Berlin – legt schon Wert auf exakte Darstellung. Auf meine zugegebenermaßen etwas saloppe Eingangsfrage, wie es denn kommt, dass er als Astrophysiker auf den Meeresboden gucken würde, hat er zuerst einmal darauf hingewiesen, dass er dies nicht tut. Klar, denn Breitschwerdt ist – es sei korrekterweise gleich gesagt – theoretischer Astrophysiker, „guckt“ daher eher auf Algorithmen und Programmzeilen, jedenfalls nicht auf den Grund der Meere. Er „nutzt“ nur die Daten solcher Auswertungen, mahnt er an, Analysen, die andere gemacht haben. So weit, so gut. Also: Daten von Sedimentproben, die vor allem an der TU in München ausgewertet worden waren, haben bereits in den neunziger Jahren erstmals Hinweise darauf gegeben, dass die Erde ehedem in die gewaltige Schockwelle einer Supernova geraten sein könnte. Denn: Das Isotop Eisen-60, das in den Proben mit neuesten Messmethoden zum ersten Mal nachgewiesen worden war, konnte nicht von der Erde selbst stammen, denn es gibt praktisch keine natürlichen irdischen Quellen für Eisen-60. Es gab nur eine vernünftige Erklärung: Es musste aus dem Weltraum hierher geraten sein.

In den letzten Jahren ist es nun möglich geworden, dieses Eisen-60 in den Tiefseeproben genauer zu datieren – auf einen Ursprung 2,3 Millionen Jahre zurück in der Vergangenheit. Damals überrollte uns also die Schockwelle einer verschollenen Supernova. Breitschwerdt hatte das schon früher vermutet – ganz unabhängig und rein theoretisch, wie sich versteht, aber auch aufgrund experimenteller Messdaten. Als Post-Doc animierte ihn die in den achtziger Jahren nicht richtig erklärbare, aber schon viele Jahre bekannte Hintergrundstrahlung im weichen Röntgenlicht. Eine zusätzliche, nur lokale Strahlung in Erdnähe, die nichts mit der sogenannten Reststrahlung des Urknalls zu tun hat, die im gesamten Kosmos feststellbar ist. Da sich Breitschwerdt mit heißem Plasma im Weltraum befasste, das durch Supernovae entsteht, war es für ihn naheliegend, diese Messungen mit einer solchen Explosions-Blase in Verbindung zu bringen. Mehr noch: Er glaubte, aus seinen Berechnungen zu erkennen, dass es nicht nur eine, sondern gleich mehrere solcher Explosionen direkt vor unserer Haustüre gegeben haben muss. Beweisen konnte er das natürlich nicht.

Jetzt haben die Eisen-60-Daten auf dem Meeresgrund dieser Theorie nicht nur neue Nahrung gegeben, sondern Breitschwerdts Vermutung auch in der Wissenschaftswelt gefestigt: Vor 2,3 Millionen Jahren überrollte uns die von einer Supernova-Explosion erzeugte Materiewelle.

Doch Breitschwerdt ist inzwischen theoretisch schon einen oder zwei Schritte weiter: Zusammen mit seinen beiden Post-Docs Jenny Feige und Michael Schulreich hat er erstmals „Ross und Reiter genannt“, wie er mir sagte. Michael Schulreich hat mit komplizierten numerischen Berechnungen eine lokale Blase modelliert, die nicht nur aus einer, sondern aus einer Reihe von 16 Explosionen herrührt. Sie sollen sich zwischen 1,5 und 13 Millionen Jahren in der Vergangenheit ereignet haben – und das in einer Entfernung von 297 bis 978 Lichtjahren zur Erde. Manche Kollegen halten die vor kurzem veröffentlichten Festlegungen von Zeitpunkten und Entfernungen der weiteren fünfzehn Supernovae, na sagen wir, für einigermaßen mutig. Auch Breitschwerdt selbst weiß natürlich, dass die Daten noch längst nicht gesichert sind, dennoch scheut er sich nicht, sie der Welt der Wissenschaft auf den Tisch zu legen. Denn Mut, den hat er zweifellos. So scheut sich Breitschwerdt auch nicht, ganz offen zu bekennen: „Es gibt viele Dinge, von denen ich früher geglaubt habe, dass ich sie verstehe – und heute sehe ich, dass das nicht so ist.“

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Ich habe viele Jahre journalistisch im Bereich Wissenschaft und Technologie gearbeitet, später dann mit meiner kleinen Beratungsfirma als Medienexpertin. 2010 erfüllte ich mir meinen großen Traum und gründete den Spartensender HYPERRAUM.TV, für den ich eine medienrechtliche Rundfunklizenz erteilt bekam. Seither mache ich als One-Woman-Show mit meinem „alternativen TV-Sender“ gewollt nicht massentaugliches Fernseh-Programm. Als gelernte Wissenschaftshistorikern habe ich mich gänzlich der Zukunft verschrieben: Denn die Vergangenheit können wir nur erkennen, die Zukunft aber ist für uns gestaltbar. Wir sollten versuchen, nicht blind in sie hinein zu stolpern!

3 Kommentare

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  2. Eisen-60 auf dem Meeresgrund zeugt also davon, dass die Erde Material von Sternexplosionen, von Supernovaausbrüchen eingefangen hat. Das geschah in den letzten 100 Millionen Jahren und die explodierenden Supernova waren 300 bis 900 Millionen Lichtjahre enfernt. Es sind wohl nur einige Kilogramm Eisen-60, die insgesamt die Erde erreichten und sie stammem von den jüngsten Supernovaausbrüchen vor 1.3 bis 2 Millionen Jahren.
    Trotzdem zeigt das, wie stark Supernovaausbrüche ihre Umgebung formen und beeinflussen, waren doch die für das Eisen-60 auf dem Meeresgrund verantwortlichen Supernovaexplosionen (die ihr Material in alle Richtungen auswerfen) 300 Lichtjahre entfernt. Näher an der Erde gelegene Supernovaexplosionen in der fernen Erdvergangenheit könnten durchaus für die Massensterben in der Erdgeschichte verantwortlich sein, wie hier spekuliert wird.

    Letzlich ist die Zusammensetzung der Erde mit ihren vielen schweren Elementen nur damit erklärbar, dass unsere Sonne zusammen mit ihren 100 bis 1000 Geschwistern in einer Gaswolke ensttand die mit den Überresten von Supernovaexplosionen imprägniert war. Und das Leben wie wir es kennen braucht diese aus Supernovaexplosionen stammenden schweren Elemente. Die Geschwister der Sonne sind mit demselben von Süpranovaüberresten stammenden schweren Elementen imprägniert und sind damit ebenfalls mögliche Heimstätten von Leben tragenden Planeten. Dise Sonnengeschwister haben sich inzwischen über einen grossen Bereich unserer Milchstrasse verteilt. Doch durch Zurückrechnen aus den “Fludaten” (Position, Richtung und Geschwindigkeit, erhoben mit Hipparcos und Gaia) lässt sich bestimmen welche Sterne mit der Sonne zusammen entstanden. Vielleicht hat ja eines dieser Zwillingsgestirne eine zweite Erde. Wenn wir immer so weiterforschen (und weiterforschen können) werden wir es irgendwann wissen.

    • In der Tat: Solche Spekulationen sind durch die unterschiedlichen Eisen-60-Veröffentlichungen der jüngsten Zeit deutlich angeregt worden, wie mir auch Breitschwerdt in meinem Talk mitteilte. Der wird heute noch “auf Sendung” gehen. Mehrere Paläoanthropologen haben bei ihm angeklopft und wollten mehr dazu wissen.
      Das entstehungsgeschichtliche “Zurückrechnen” der Erde in eine Sterngruppe finde ich einen ziemlich spannenden Gedanken.

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