Nezumab und Numap – Die Wirkstoffnamen der neuen Migränemittel

BLOG: Graue Substanz

Migräne aus der technischen Forschungsperspektive von Gehirnstimulatoren zu mobilen Gesundheitsdiensten.
Graue Substanz

Galcanezumab und Erenumab – was uns diese und andere Namen der Medikamente gegen Migräne verraten und welche wir uns merken sollten.

Suma, Nara, Zolmi, Ele, Almo, Riza, Frova, Avi, Doni – einige klingen wie Vorsätze für Maßeinheiten, andere nach Vornamen der ersten Menschen aus Mittelerde. Wer mit starker Migräne zu kämpfen hat, weiß es besser: Sumatriptan, Naratriptan, Zolmitriptan, Eletriptan, Almotriptan, Rizatriptan und Frovatriptan sind die Namen sieben spezifischer Migränemittel. Avi und Doni? Avitriptan und Donitriptan wurden nie auf den Markt gebracht. Diese Namen sind daher weit weniger bekannt. Ganz neu sind Galcanezumab und Erenumab. Zu diesen Namen kommen wir noch. Mit ein wenig Kenntnissen werden diese Hoffnungsträger einer medikamentösen Migränetherapie einem leicht von den Lippen gehen und zumindest fünf Buchstaben im Wirkstoffnamen kann man dann etwas zuordnen.

Galcanezumap
Von hinten: Das Suffix »-map« bezeichnet die angebliche Wunderwaffe, »-zu-« wo sie herkommt und »-ne-« wo sie wirkt. »Galca-« ist ein Kunstwort.

 

Pharmabranche arbeitet an verschiedenen Migränemitteln: Gepants als CGRP-Antagonisten

Die Pharmabranche arbeitet an neuen Migränemitteln. Noch bis vor einigen Jahren lag die Hoffnung auf sogenannten Gepants. Sie sollten die 1992 eingeführten Triptane ablösen. Gepants sind Gegenspieler eines körpereigenen, extrem wirksamen Stoffes, der die Blutgefäße erweitert.

Die Erweiterung der Blutgefäße in den Hirnhäuten erzeugt den akuten Kopfschmerz bei Migräne.1 Triptane verengen erweiterte Blutgefäße wieder. Gepants hingegen verhindern das Erweitern von vornherein. Gepants setzen also in der Kaskade der Schmerzentstehung einen Schritt früher ein als die Triptane. Der Gefäßerweiterer, also der Bösewicht, wenn wir den Überbringer der schlechten Botschaft als solchen bezeichnen dürfen2, ist das Neuropeptid CGRP (Calcitonin Gene-Related Peptide). Kommen wir noch zu den Namen der Gegenspieler. Gegenspieler werden allgemein als Antagonisten bezeichnet. Lange Rede kurzer Sinn: Gepants sind CGRP-Antagonisten.

Telca, Olce, Ubro

Wohl weil das Wort »CGRP-Antagonist« nicht wirklich flüssig über die Lippen geht, hat jemand, wahrscheinlich ein Migräneforscher, sich den Namen »Gepant« ausgedacht.3 Und weil die Pharmabranche diese Moleküle nochmal variiert, erfindet sie Vorsätze wie Telca und Olce, zwei Schwestern aus Mittelerde, die noch einen Bruder haben.

Viel weiter kam die Branche nicht, denn die Erforschung von Telcagepant und Olcegepant musste wegen ihrer Lebergiftigkeit abgebrochen werden. Damit war fast die ganze Gepant-Forschung dahin. Ein Eorlgepant wurde nie erfunden. Nur Ubrogepant – das ist ein Gegenspieler des CGRP-Rezeptors und nicht des Neuropeptids CGRP, ein bedeutsamer physiologischer Unterschied – wurde neulich an 527 Patienten getestet. Ob damit die Geschichte weiter geht, bleibt abzuwarten.4

Die Nezumaps und Numaps betreten Mittelerde

Damit das Molekül in der Leber nicht mehr sein Unwesen treiben, sondern bloß seine nützliche Wirkung in den Hirnhäuten entfalten, setzt die Forschung heute auf sogenannte monoklonale Antikörper. Monoklonale Antikörper gelten als Wunderwaffe, weil sie sehr viel spezifischer angreifen und damit Nebenwirkungen umgehen.

Monoklonale Antikörper werden mittels gentechnisch veränderten Organismen biotechnologisch hergestellt und man bezeichnet sie allgemein auch als Biopharmazeutika oder Biologika. Abgekürzt werden monoklonale Antikörper zu MAK oder englisch zu mAbs (monoclonal antibodies). Die englische Abkürzung wird für die internationalen Freinamen der Wirkstoffe genutzt. Diese Namen werden vom United States Adopted Name (USAN) Council festgelegt.

Das USAN Concil gibt noch mehr Regeln vor. Kommt die Herkunft der Antikörper von menschlichen Zellen, muss vor dem »-map« ein »-u-« als Herkunfts-Infix oder auch ein »-zu-« für lediglich humanisierte »-maps«. Also heißen die Nachfolger der Gepants nun Umaps bzw. Zumaps, wobei – nein, noch immer nicht ganz.

Sag mir, wie du heißt und ich sag dir, wo du wirkst

Jetzt wird es nämlich wieder interessant. Denn vor das Herkunfts-Infix gesellt sich ein Ziel-Infix. Dieser Teil des Names verrät also etwas über den Ort der Wirkung im Körper. Für das Nervensystem ist es das Infix »-n(e)-«, für das kardiovaskuläres System »-c(i)-« und für das Immunsystem »l(i)-«. Ob ein Vokal oder nur der Konsonant genutzt wird, liegt wiederum am Herkunfts-Infix. Wie haben also die »-nezumaps« und »-numaps«.

So ganz selbstverständlich ist das mit den Infix »-n(e)-« übrigens nicht (siehe auch Fußnote 3). Das Gehirn ist nicht schmerzempfindlich und in der Hirnhaut sind es die Blutgefäße, die schmerzen. Was auch ein »-c(i)-« vermuten lassen könnte. Des Weiteren verlaufen in der Hirnhaut nach neusten Erkenntnissen auch Lymphgefäße. Auch ein »-l(i)-« könnte vielleicht in Frage kommen. Für diesen Ort sprächen gerade chronische Entzündungen mit andauernden Schmerzattacken, wie sie bei chronischer Migräne vorkommen. Allerdings ist es doch (noch) recht einfach.

Es bleibt beim Herkunfts-Infix »-n(e)-«. Denn CGRP kommt vorwiegend in sensorischen Nervenzellen vor, die im Rückenmark eintreffen. Insbesondere findet man es im sogenannten »trigeminovaskulären System«, einem System, das für Schmerz, die Durchblutung von Hirnhaut samt Gehirn und noch für so einiges mehr zuständig ist.5 Auch im Vagusnerve, der eine von zwei Stress-Achsen im Körper bildet, findet sich das CGRP.

Galca und Ere

Mit den Vorsätzen »Galca« und »Ere« werden nun Galcanezuma und Erenumab aus der Taufe gehoben. Jetzt wirken  (excuse the pun) diese Namen hoffentlich nicht mehr ganz so fremdartig. Man erkennt, dass es sich einmal um humane (-umab)  und einmal um humanisierte (-zumab) Antikörper handelt. Beide wirken im Nervensystem. Klar, damit Wirkstoffe wirklich wirken, braucht man die Namen nicht zu verstehen. Und natürlich wird die Marketingabteilung sprachlich noch Buchstaben wegfeilen, um zu den Markennamen zu kommen. Galcanezumab (LY2951742) ist von Pharmaunternehmen Eli Lilly. Erenumab (AMG334) stammt von dem Biotechnologieunternehmen Amgen, die sich mit Novartis für die weitere Erforschung zusammentaten. Dann gibt es das noch bisher (soweit ich es weiß) namenlose ALD-403 von Alder Biopharmaceuticals und das ebenfalls namenlose LBR-101/TEV-48125 von Teva.

Einige Namen, wie Telcagepant und Olcegepant, sind wieder verschwunden, kaum dass die aufgetaucht sind. Andere werden hoffentlich bleiben. Alles was im Moment auf -nezumab und -numap endet, ist sicher eine heißer Kandidat für Hoffnung auf eine neuartige medikamentöse Migränetherapie.

 

 

Fußnote

1 Zumindest nimmt man dies an, es gibt aber noch viele offene Fragen zu dieser These.

2 In der Tat könnte das ein fataler Trugschluß sein. Die Gefäßerweiterung hatte ja wahrscheinlich einen physiologisch sinnvollen Grund. Gefäßerweiterung grundsätzlich zu unterbinden, wie es Migräne-mabs tun sollen, scheint in Hinblick darauf, dass Migräne als Risikofaktor für kardiovaskuläre Erkrankungen gilt, etwas kühn.

3 2009 taucht das Wort zum ersten mal in einem Aufsatz auf, der mit »Die vaskuläre Theorie der Migräne  – eine Erfolgsstory von den Tatsachen zerstört« überschrieben wurde. CGRP, der Bösewicht, kommt nämlich aus dem Gehirn. Es wurde belegt, dass Migräne sich nicht allein über Veränderungen in der regionalen Gehirndurchblutung erklären lässt.

4 Der Botoxhersteller Allergan erwarb letztes Jahr die weltweiten Exklusivrechte für zwei Gepants (»Ubrogepant« und einem Namenlosen) von MSD (Merck in Nordamerika). Vielleicht kommt da noch was, denn streng genommen ist das eine andere Wirkstoffgruppe.

5 Genauer gesagt das α-CGRP. α-CGRP kann übrigens noch mehr, es moduliert auch die Nervenaktivität und wird beispielsweise für die Lichtempfindlichkeit verantwortlich gemacht sowie für viele weitere Symptome der Migräne. Diese Vielfalt spiegelt die Vielfalt des trigeminovaskulären System wider.

 

galcanezumap

Avatar-Foto

Markus Dahlem forscht seit über 20 Jahren über Migräne, hat Gastpositionen an der HU Berlin und am Massachusetts General Hospital. Außerdem ist er Geschäftsführer und Mitgründer des Berliner eHealth-Startup Newsenselab, das die Migräne- und Kopfschmerz-App M-sense entwickelt.

Schreibe einen Kommentar