Das nächste Schwarze Loch zur Erde

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Vom expandierenden Universum bis zum Schwarzen Loch
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Nach heutigem Kenntnisstand ist das Objekt mit dem Namen A0620-00 im Sternbild Einhorn das nächste Schwarze Loch zur Erde. Keine Angst – es ist mehrere tausend Lichtjahre von uns entfernt, so dass uns auf der Erde von diesem Loch keine Gefahr droht. In diesem Beitrag soll es darum gehen, woher man das alles weiß.

Die Entdeckungsgeschichte von A0620-00
In den Jahren 1975-76 wurde ein Helligkeitsausbruch im Bereich der Röntgenstrahlung am Himmel beobachtet, der eine Röntgenintensität von der 50fachen Intensität des bei hohen Strahlungsenergien sehr hellen Crab-Nebel erreichte. Was war das bloß für ein Objekt am Himmel? Eine Sternexplosion?
Optisch wurde in Richtung dieses Ausbruchs ein Gegenstück entdeckt. Es hört auf den Katalognamen V616 Mon, liegt also im Sternbild Monoceros, dem Einhorn. Das Einhorn liegt "direkt links" vom berühmten Wintersternbild Orion. Die optischen Eigenschaften von V616 Mon lassen darauf schließen, dass dieses Objekt ein Zwergstern vom Spektraltyp K5 ist.
Die Röntgenquelle zeigt Helligkeitsvariationen, die sehr gut dadurch erklärt werden können, dass ein kompakter Röntgenstern um den optischen Zwergstern kreist. Die Helligkeitsvariationen kommen durch die Umkreisung der Sterne umeinander und die Auswirkungen des Doppler-Effekts zustande. Aus der Helligkeitsvariation lassen sich daher die beiden Sternmassen im Doppelstern und die Neigung der Bahnebene zum Beobachter (Inklination) bestimmen. Die Neigung beträgt ungefähr 50 Grad. Der Zwergstern hat nur 0,4 Sonnenmassen und der Röntgenstern hat 6,6 Sonnenmassen – zu viel für einen Neutronenstern und nicht die passenden Eigenschaften für einen normalen Stern. Deshalb muss der kompakte Begleitstern ein stellares Schwarzes Loch sein. Solche Röntgendoppelsterne sehen aus, wie in der Grafik illustriert – im Unterschied zur Grafik muss man sich bei A0620-00 anstelle des Roten Riesen nur einen Zwergstern denken.

A0620-00 gehört zur Klasse der soft X-ray transients (SXTs), damit sind Röntgenquellen gemeint, die nur für kurze Dauer eine gewisse Helligkeit bei weichen, also kleinen, Röntgenenergien erreichen. Der gewaltige Ausbruch in den 1970er-Jahren, eine Nova, war bis heute der Weltrekord für alle Röntgendoppelsterne. A0620-00 war einige Tage lang heller als alle Röntgendoppelsterne in der Milchstraße zusammen! Seitdem geschah aber nichts Aufregendes mehr. Die Quelle befindet sich in einer Art Ruhezustand (engl. quiescent mode) und weist eine Röntgenleuchtkraft von 3 x 10^30 erg/s auf.
Das Schwarze Loch "spuckt" offenbar einen Teil der Sternmaterie wieder aus, denn Radiobeobachtungen belegen das Vorhandensein eines kräftigen Materiestrahls, der vom Loch ausgeht. Das ist ein Jet.

Röntgenastronomie besagt: Das Loch rotiert langsam
Die Modelle in der Röntgenastronomie erlauben es sogar zu ermitteln, ob sich das Schwarze Loch um sich selbst dreht. In der Theorie sind nicht rotierende Schwarze Löcher (Schwarzschild-Typ) und rotierende Schwarze Löcher (Kerr-Typ) bekannt.  Das Ausmaß der Rotation kann man in eine Größe packen, die Spin- oder Kerrparameter a genannt wird. Bei a = 0 rotiert das Loch gar nicht; bei a = 1 rotiert es maximal.

Wie ist das nun bei  A0620-00? Die Rotation des Schwarzen Loches, also den a-Wert, können Astronomen aus beobachteten Röntgenspektren bestimmen. Röntgenastronomen benutzen dafür das Softwarepaket XSPEC.
Die Materie, die vom Zwergstern in das Schwarze Loch stürzt, führt eine Drehbewegung aus, die ihr der Stern mitgibt. Dieser Drehimpuls führt dazu, dass sich um das Schwarze Loch eine dünne rotierende Materiescheibe ausbildet: die Akkretionsscheibe.
Diese Scheibe besteht aus einem Plasma, das vom generellen Trend umso heißer wird, je weiter innen es sich in der Scheibe befindet. Die Scheibe gibt Wärmestrahlung ab, also die Strahlung eines Schwarzen Körpers. Es ist schon in den 1970er-Jahren gelungen, ein Modell für diese dünne Scheibe zu entwickeln, dass auch mit der Allgemeinen Relativitätstheorie verträglich ist (Novikov-Thorne-Modell von 1973). Man kann mit den Modellen den inneren Rand der Akkretionsscheibe bestimmen. Je schneller ein Schwarzes Loch sich um sich selbst dreht, um näher liegt der Scheibeninnenrand am Loch. Aus dem mit XSPEC gemessenen Innenrand der Scheibe folgt sofort die Lochrotation, also der Spinparameter a.
Das XSPEC-Modell heißt übrigens KERRBB2 (entwickelt von Li et al. 2005) und ist benannt nach der Kerr-Metrik eines rotierenden Loches und nach dem Schwarzen Körpers (engl. blackbody=BB). Aus der Anpassung des Modells an die Messdaten ("Fit") folgen der Spinparameter a und die Akkretionsrate, also wie viel Materie das Loch pro Zeit verschluckt. Je mehr es pro Zeit verschluckt, umso höher ist die Röntgenleuchtkraft.
Mit den Beobachtungsdaten von Röntgenteleskopen folgte nun, dass das Schwarze Loch in A0620-00 recht langsam rotiert (a = 0,12) und nicht besonders heftig Materie schluckt (Akkretionsrate von 1,6 x 10^18 g/s; das ist deutlich unter der Eddingtonrate).

Entfernungsbestimmung von A0620-00
Der Begleitstern kann genutzt werden, um die Entfernung des Röntgendoppelsterns zu bestimmen. Spektraltyp und Radius des Zwergsterns dienen zur Abschätzung der absoluten Helligkeit. Aus der beobachteten, scheinbaren Helligkeit und einer Berücksichtigung der Rötung des Sternenlichts durch interstellaren Staub auf dem Weg zur Erde folgt mit dem Distanzmodul die Entfernung.
Die Entfernung von A0620-00 beträgt nur 1,06 kpc, also knapp 3500 Lichtjahre. Damit handelt es sich das nächste kosmische Schwarze Loch zur Erde.
Unsicherheiten in der Entfernung von A0620-00 gibt es in der Tat, denn die Klassifizierung des Spektraltyps des Zwergsterns schwankt zwischen K3 und K7. Spektraltypen werden in zehn Stufen zwischen 0 und 9 feiner unterteilt.

Noch nähere Löcher?
Ob es Schwarze Löcher gibt, die noch näher an der Erde sind, ist schwer zu sagen. Denn im Prinzip macht sich ein Schwarzes Loch, das wenig Materie verschluckt kaum bemerkbar. A0620-00 ist nur deshalb aufgefallen, weil für relativ kurze Zeit Materie vom Nachbarstern in das Schwarze Loch stürzte.
Und natürlich könnte es deutlich nähere Schwarze Löcher geben, nämlich Schwarze Mini-Löcher auf der Erde, die beim Bombardement der Erdatmosphäre mit kosmischer Strahlung entstanden und nach extrem kurzer Zeit durch Aussendung von Hawking-Strahlung zerfielen.

Quellen:
Cantrell et al.
arXiv preprint 1001.0261
Gou et al. arXiv preprint 1002.2211

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Die Astronomie ist faszinierend und schön – und wichtig. Diese interdisziplinäre Naturwissenschaft finde ich so spannend, dass ich sie zu meinem Beruf gemacht habe. Ich bin promovierter Astrophysiker und befasse mich in meiner Forschungsarbeit vor allem mit Schwarzen Löchern und Allgemeiner Relativitätstheorie. Aktuell bin ich der Scientific Manager im Exzellenzcluster Universe der Technischen Universität München. In dieser Tätigkeit im Forschungsmanagement koordiniere ich die interdisziplinäre, physikalische Forschung in einem Institut mit dem Ziel, Ursprung und Entwicklung des Universums als Ganzes zu verstehen. Besonders wichtig war mir schon immer eine Vermittlung der astronomischen Erkenntnisse an eine breite Öffentlichkeit. Es macht einfach Spaß, die Faszination am Sternenhimmel und an den vielen erstaunlichen Dinge, die da oben geschehen, zu teilen. Daher schreibe ich Artikel (print, online) und Bücher, halte öffentliche Vorträge, besuche Schulen und veranstalte Lehrerfortbildungen zur Astronomie, Kosmologie und Relativitätstheorie. Ich schätze es sehr, in meinem Blog "Einsteins Kosmos" in den KosmoLogs auf aktuelle Ereignisse reagieren oder auch einfach meine Meinung abgeben zu können. Andreas Müller

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