Bitte nicht stören!

BLOG: Zündspannung

Blick über den Plasmarand
Zündspannung

Im folgenden ein Gastbeitrag meines Kollegens Dr. Michael Kretschmer vom Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik. Viel Spaß beim Lesen, und vielen Dank an Michael für das Verfassen dieses spannenden Berichts und das Bereitstellen der Fotos!

Leben viele Menschen auf engem Raum zusammen, so schaffen Regeln (z.B. eine Hausordnung) ein Umfeld, in dem jeder seine Freiheit ausleben kann, möglichst ohne die anderen zu stören. Was für Menschen gilt, kann man auch auf technische Systeme übertragen. Befinden sich viele verschiedene Geräte auf engem Raum, so muss gewährleistet sein, dass sie sich nicht gegenseitig stören. Dies gilt insbesondere für ein einzigartiges Labor, wie die Internationale Raumstation ISS, wo Störungen auch einen sicherheitsrelevanten Aspekt besitzen. Wir kennen es aus Luft- und Raumfahrt: Safety First! Die Betreiber, wie z.B. die ESA, verlangen daher von den Wissenschaftlern, die ein Gerät dort oben in Betrieb nehmen möchten, den Nachweis, dass mit keinen Störungen seitens des Geräts zu rechnen ist. Innerhalb der Entwicklungszeit nehmen diese zahlreichen Tests eine große Rolle ein.

Aus den Beiträgen von Mierk und Peter weiß der treue Leser von  “Zündspannung”: Das Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik in Garching betreibt seit über 10 Jahren Experimente auf der ISS zur Erforschung komplexer (“staubiger”) Plasmen in Schwerelosigkeit. “PKE-Nefedov” (2001-2005) und “PK-3 Plus” (2006-heute) lieferten bisher hochinteressante Daten. Doch auch das beste Experiment geht irgendwann zu Ende. Und so baut das MPE natürlich schon an einem Nachfolgemodell für diese beiden erfolgreichen Plasmalabore.

PK-4 PlasmaDie Plasmaröhre und der Beleuchtungslaser (grün) im Inneren der Tonne

Bei “PK-4” kommt nun eine andere Technik als bei den ersten beiden Experimenten zum Einsatz. Das Plasma wird nicht mehr in einer Hochfrequenz-Plasmakammer erzeugt, sondern als Gleichstrom-Entladung mit etwa 800 V in einem Edelgas in einer Glasröhre. Im Prinzip eine Neonröhre als Versuchsreaktor. (Siehe Bild oben.) Die dort eingebrachten Mikroteilchen laden sich negativ auf und fließen von der Kathode zur Anode. Auf diesem Weg können wir sie mit Kameras verfolgen und uns das Verhalten einer solchen “Plasmaflüssigkeit” Teilchen für Teilchen anschauen. Mit reellen Flüssigkeiten ist dies kaum zu machen.

Um die Bewegung der Mikropartikel ungestört verfolgen zu können, brauchen wir aber Schwerelosigkeit. Der erste Prototyp von “PK-4” erblickte 2002 das Licht der Welt und nach der für Weltraumexperimente typischen Entwicklungszeit von ca. 10 Jahren ist das von der ESA geförderte Projekt nun in einer Phase, wo man konkret an einen Start 2013-14 nachdenken kann. Sofern eben eine Reihe von Tests zur Sicherheit und Kompatibilität des Geräts erfolgreich absolviert wurden. Diese begannen im Dezember mit einem Schütteltest (überlebt der Aufbau, im Speziellen die Glasröhre, die Vibrationen beim Start mit der Sojus-Rakete?) und im Januar mit einem Thermaltest (läuft das Experiment im geplanten Temperaturbereich und wird im Betrieb auch nichts zu warm?).

PK-4 im abgeschirmeten Messraum bei SGS in München
PK-4 im abgeschirmten Messraum bei SGS in München

Im Februar nun folgte der EMC-Test. EMC steht für “electro-magnetic compatibility”, also die Frage, strahlt das Experiment im Betrieb störende elektromagnetische Wellen ab oder wird durch Abstrahlungen aus der Umgebung gestört? Dazu wurde der Aufbau in einen Schrank gepackt, wie er auch später auf der Raumstation zur Unterbringung im europäischen Columbus-Modul der ISS verwendet wird. Dieser wird in einem abgeschirmten Messlabor (siehe Bild) genauestens untersucht. In einer ersten Versuchsreihe wird das Experiment wie geplant eingeschaltet und betrieben. Mittels Antennen werden die Stärke und Frequenz der Abstrahlungen gemessen. Liegen sie im erlaubten Limit?

Im zweiten Durchgang wird das Gerät wieder im eingeschalteten Zustand von außen mittels Antennen mit elektromagnetischen Wellen “beschossen”. Hierbei kamen Frequenzen von einigen Kilohertz bis 4 Gigaherz und einige Kilowatt Leistung zum Einsatz. (Zum Vergleich, ein Mobiltelefon strahlt einige 100 Milliwatt an Leistung ab!) Lässt sich PK-4 damit aus der Ruhe bringen?

Die Glasröhre und die meisten Komponenten befinden sich aus Sicherheitsgründen in einem hermetisch geschlossenen Metallbehälter in Form einer ca. 70cm langen Tonne. Diese verhindert, dass etwa bei einem Glasbruch Splitter, Teilchen oder Edelgas in die Raumstation entweichen und dort zu einem Sicherheitsrisiko werden. Zusätzlich hat diese Metalltonne aber auch die Funktion eines Faraday’schen Käfigs, der keine elektromagnetischen Wellen hinein- oder herauslässt. Und genau das war beim EMC-Test auch zu sehen. Weder strahlt PK-4 Wellen in nennenswerter Stärke ab, noch lässt es sich durch die Bestrahlung von außen stören. Zu sehen ist das an den Videobildern, die von den Kameras im Inneren aufgezeichnet wurden. Es sind keinerlei Bild- oder andere Störungen zu erkennen (siehe Bild). Damit gilt: Test bestanden!

Originalbild der Plasma Glow Observation-Kamera
Originalbild der Plasma Glow Observation-Kamera

Eigentlich eine gute Nachricht. Dennoch bereitet uns der Test Kopfzerbrechen. Während der Testläufe, die knapp drei Tage dauerten, mussten wir erkennen, dass PK-4 nicht für den Dauerbetrieb geeignet ist. Speziell der Laser zur Beleuchtung der Teilchen wird zu warm. Er musste nach jedem Messdurchgang für einige Minuten abgeschaltet werden, um sich für den nächsten Durchgang genügend abzukühlen. Irgendwann am Nachmittag war unsere Tonne allerdings so weit aufgewärmt, dass die Temperatur des Lasers nicht mehr sank. Kurzerhand öffneten wir die großen Zufahrtstore zu dem Messraum und kühlten den ganzen Raum mit frischer Februarluft. Nach 10 Minuten war auch unser Aufbau wieder so weit heruntergekühlt, dass der Laser für den Rest des Tages problemlos zu betreiben war.

Kurioses am Rande: Der von uns belegte abgeschirmte EMC-Messraum bei der Firma SGS in München ist nicht der einzige. Daneben befanden sich noch einige weitere, z.T. auch größere Messräume. Dort wurden zeitgleich andere “Elektrogeräte” auf ihre Verträglichkeit getestet. Die Firma Märklin bestimmte die Abstrahlung ihrer Modelllokomotiven, die im Nachbarraum auf Schienen endlos Kreise drehten. Und im größten Raum stand ein Porsche Cayenne mit Elektroantrieb, der aufgebockt, mit drehenden Rädern, leuchtenden Blinkern und wedelnden Scheibenwischern auf seine elektromagnetischen Emissionen hin untersucht wurde. Klar, im Zeitalter der zunehmenden drahtlosen Kommunikation (Mobiltelefone, WLAN, Bluetooth, etc.) müssen auch neu entwickelte Elektrofahrzeuge, die zwar keine Abgase mehr produzieren, nachweisen, ob sie nicht vielleicht störenden “Elektrosmog” emittieren.

Detail des EAA (Experiment Apparatus Adapter)
Detail des EAA (Experiment Apparatus Adapter)

Zurück zu PK-4. Der erfolgreich absolvierte EMC-Test gab grünes Licht für den nächsten Test, den Integrationstest. Dazu wurde unser Apparat in das baugleiche Bodenmodell des Schranks eingebaut, der bereits im Columbus-Modul um die Erde kreist, einfach um zu schauen, ob auch alles passt. Das Ergebnis: Es passt! Sehr gut. Mit dem Nachweis, dass der PK-4 Prototyp erfolgreich alles Tests gemeistert hat, ist der Weg frei für den nächsten Schritt: Den Bau des Flugmodells. Sofern dabei keine größeren Schwierigkeiten auftreten, können wir uns auf eins freuen: Den Start unseres neuen Plasmalabors, vielleicht schon Ende des nächsten Jahres, zur Internationalen Raumstation.

Avatar-Foto

Veröffentlicht von

Erhöht man die Spannung zwischen zwei Elektroden, die ein Gas umgeben, beginnt das Gas irgendwann zu leuchten: Freie Elektronen im Gas haben genug Energie, um die Gasteilchen zu ionisieren und noch mehr Elektronen aus den Atomen zu schlagen. Ein Plasma wurde gezündet, die Zündspannung ist erreicht. Gibt man nun noch zusätzlich Mikrometer große Teilchen in das Plasma, erhält man ein sogenanntes "Komplexes Plasma", mit dem ich mich zunächst als Doktorand und Post-Doc am Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik und nun an der University of California in Berkeley beschäftige. In diesem Blog möchte ich sowie ein wenig Einblick in den Alltag im Forschungsinstitut bieten, als auch über den (Plasma)-Rand hinaus blicken. Mierk Schwabe

3 Kommentare

  1. Sehr schöner Beitrag! Interessant mal einen Einblck in die notwendigen Schritte für ein Forschungsprojekt im All zu bekommen. Ich bin zwar nicht mehr in Gerching an der TU, aber sauge solche Berichte immer auf, wenn ich darauf stoße.
    Grüße, Sabine

  2. Toller Artikel!

    Wow! Was für ein interessanter Artikel! Sehr informativ und aufschlussreich. Danke dafür – hatte meinen Spaß beim lesen 🙂

    LG,
    Julia

  3. Es ist sehr interessant, einmal einen Einblick in solch komplexe Studien zu bekommen. man mag kaum glauben, wie viel Vorarbeit geleistet wird, bis ein Gerät ins All darf, aber iegntlich ist das ja logisch. Sehr spannend, hat mir Spaß gemacht,den Artikel zu lesen.
    Grüße,
    Sarah

Schreibe einen Kommentar