Fehlt da nicht noch was? BMBF stellt Eckpunkte für´s WissZeitVG vor – eine Kurzeinschätzung

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Am Freitagnachmittag hat BMBF-Chefin Stark-Watzinger die in der Wissenschaft lang erwarteten Eckpunkte der Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG) präsentiert (siehe z.B. Die ZEIT, Tagesspiegel, Wiarda-Blog usw.). Diese beinhalten unter anderem neue Mindestvertragslaufzeiten bei Erstverträgen für Doktoranden (drei Jahre) und Postdoktoranden (zwei Jahre), sowie für letztere eine neue Höchstbefristungsdauer (drei Jahre). Damit wollte sie Versprechen aus dem letzten Bundestags­wahlkampf und aus dem Koalitionsvertrag erfüllen. In letzterem heißt es u.a.: „Wir wollen die Vertragslaufzeiten von Promotionsstellen an die gesamte erwartbare Projektlaufzeit knüpfen und darauf hinwirken, dass in der Wissenschaft Dauerstellen für Daueraufgaben geschaffen werden.“ – um daraus hier zwei zentrale Punkte aufzugreifen. Hierzu stellt sich die Frage: Kann sie mit den vorgelegten Eckpunkten die Versprechen erfüllen? Das will ich anhand dieser zwei Versprechen mit Zahlen und Fakten prüfen.

1. Zur „erwartbaren Projektlaufzeit“ für Promotionsstellen:

Dazu heißt es im Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs (BuWiN 2021), die Promotionsdauer betrage im Durchschnitt 5,7 Jahre (ohne Medizin, die eine Sonderrolle einnimmt). Dies geht aus vorliegenden Befragungsstudien hervor. Doch selbst wenn man diese anzweifelt (s. auch selbstkritisch BuWiN 2021: 136f.), spiegeln drei Jahre auch nach einer anderen Berechnungsvariante die reale Promotionsdauer nur unzureichend wider. Dies ergibt sich aus einer jüngsten Veröffentlichung des Statistischen Bundesamtes (2022) zur Statistik der Promovierenden (online verfügbar unter www.destatis.de). Daraus geht hervor, dass es in drei Jahren gerade einmal etwa die Hälfe der Promovierenden schafft. Vielmehr sind fünf Jahre nötig, damit zumindest drei Viertel der Promovierenden es schaffen, ihre Promotion erfolgreich abzuschließen (und das wohlgemerkt gerechnet ab offizieller Bestätigung der Anmeldung der Promovierenden). Die drei Jahre Mindestvertragslaufzeit bei Erstverträgen für Doktoranden können daher zwar als Schritt in die richtige Richtung gelten, sie reichen aber bei weitem nicht aus. Denn selbst bei sehr optimistischer Hoffnung auf eine deutliche Reduzierung der promotionsfremden Leistungen für Professor*innen (wofür es bei weiter bestehenden Mehrfachabhängigkeiten Promovierender keinen Grund gibt), dürften selbst bei durch Begabtenförderwerke Geförderten, die noch am ehesten die nötige größere Unabhängigkeit haben, nach vorliegenden Erfahrungen vier Jahre für viele zu knapp sein.

2. Zu Dauerstellen für Daueraufgaben:

Zwar hat das BMBF (unter Vorgängerregierungen) das Tenure-Tack-Programm geschaffen, mit dem 1.000 zusätzliche Tenure-Track-Professuren gefördert werden sollen (bis 2032). Allerdings ist dies gemessen an der mindestens einer halben Million (Nachwuchs-)Forschenden nur „ein Tropfen auf den heißen Stein“ (Krempkow 2021). Zudem ist – wie schon in früheren Förderprogrammen – nicht wirksam sichergestellt, dass es am Ende tatsächlich zusätzliche Stellen sind, weil die Bundesländer bzw. ihre Hochschulen dies z.B. durch Einsparungen an anderen Stellen unterlaufen können, wie man in Gesprächen mit dem UninetzPE erfahren kann. Über die 1.000 Tenure-Track-Professuren hinaus hat das BMBF bisher keinerlei Planungen (mitgeteilt), ob und ggf. wieviele Dauerstellen für Daueraufgaben durch seine Initiative(n) geschaffen werden sollen, was z.B. durch eine deutliche Ausweitung von Tenure-Track-Stellen geschehen könnte (mit 6 Jahren Höchstbefristungsdauer, auf die die drei Jahre maximale Postdoc-Zeit anzurechnen wären). Grundsätzlich möglich wäre dies, indem z.B. die von der SPD ins Spiel gebrachten zusätzlichen 300 Mio Euro Fördergeld für die Hochschulen daran geknüpft würden, dass zusätzliche Dauerstellen für Daueraufgaben geschaffen werden. Der oft von der HRK und ihr nahestehendem Professorium gebrauchten “Verstopfungs”-Metapher für künftige (Nachwuchs-)Forschende ist zu entgegnen: „Verstopfung“ kann nur eintreten, wenn erstens eine weitgehend altershomogene Gruppe eingestellt wird (Altersdiskriminierung sollte es aber ohnehin nicht geben) und zweitens keine alternativen Beschäftigungsmöglichkeiten genutzt würden (z.B. in der Privatwirtschaft, wovon aber angesichts des erwarteten und z.T. bereit deutlich spürbaren Fachkräftemangels auszugehen ist).

Fazit: Enttäuschung, aber jetzt nicht „das Kind mit dem Bade ausschütten“

Das Eckpunktepapier des BMBF muss – wenn man es am Koalitionsvertrag misst – enttäuschen, wenn nicht sogar wütend machen. Ähnlich sehen es übrigens auch mehrere hundert Professor*innen von #ProfsfuerHanna. Es kann nur als Farce anmuten, wenn eine Verkürzung der Höchstbefristungsdauer für Promovierte mit der Schaffung frühzeitiger Perspektiven begründet wird, ohne zugleich Planungen zu Dauerstellen für Daueraufgaben vorzulegen.

Zugleich sollte man jetzt nicht „das Kind mit dem Bade ausschütten“, sondern an die z.T. vorhandenen Schritte in die richtige Richtung anknüpfen, wozu es im Eckpunktepapier durchaus noch ein paar mehr gibt (obgleich kleine).[1] Statt einer m.E. in der regierenden Koalition unrealistischen kompletten Abschaffung des WissZeitVG sind daher konkrete Forderungen an den anstehenden Referentenentwurf zu stellen, insbesondere:

Forderungen an den anstehenden Referentenentwurf:

  • nicht unter vier Jahre Mindestvertragslaufzeit bei Erstverträgen für Doktoranden;
  • Verkürzung der Höchstbefristungsdauer für Promovierte auf drei Jahre nur bei gleichzeitiger Schaffung einer deutlich breiteren Basis von Dauerstellen für Daueraufgaben,[2]B. zehn Prozentpunkte mehr unbefristete Stellen (oder mit Tenure Track unter Anrechnung der Postdoc-Zeit) in einer überschaubaren Zahl von Jahren (z.B. eine Legislaturperiode, max. zwei), in diese Richtung gingen übrigens auch frühere Vorschläge des Wissenschaftsrats (2014);
  • Abschaffung der Tarifsperre, so dass die Tarifpartner – wie in anderen Branchen auch – frei über die angemessensten tariflichen Regelungen verhandeln können;[3]
  • Veröffentlichung der Ergebnisse der Evaluation des Gesetzes ca. 5 Jahre nach Inkrafttreten und rechtzeitig vor der entspr. nächsten Bundestagswahl (voraussichtlich 2029).

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[1] Dazu gehören v.a. die geplante Regelung zur Anwendbarkeit des WissZeitVG nur für Verträge mit mindestens 25 % Stellenumfang; wodurch stipendienbegleitende Viertelstellen (wieder) möglich sind; sowie großzügige Übergangsregelungen vor allem in der Qualifizierungsbefristung für bereits im System befindliche Personen.

[2] Am besten wäre nach wie vor, Promovierte ganz aus dem Geltungsbereich des WissZeitVG herauszunehmen – also gar keine Qualifizierungs-Befristung mehr nach der Promotion (sondern nur noch die in der Wirtschaft auch maximal zulässigen zwei Jahre „zur Erprobung“ nach TzBfrG) – natürlich ebenfalls bei gleichzeitiger Schaffung einer deutlich breiteren Basis von Dauerstellen für Daueraufgaben.

[3] Das BMBF-Eckpunktepapier sieht lediglich eine Erweiterung der Mitbestimmungsmöglichkeiten der Tarifpartner in bestimmten Einzelangelegenheiten vor.

 

Nachtrag am 13.12.2023:

Das Hochschul-Barometer, ein Stimmungsbarometer deutscher Hochschulleitungen, stellte in der Pressemitteilung zur heutigen Veröffentlichung seiner jährlichen repräsentativen Umfrage durch Stifterverband und Heinz Nixdorf Stiftung fest, “dass mehr als zwei Drittel der Befragten selbst größere Schwierigkeiten hat, Fachkräfte für Wissenschaft und Verwaltung zu gewinnen und zu halten” (https://www.hochschul-barometer.de/2023/fachkraeftebildung). Dies sollte nicht nur den Hochschulleitungen, sondern auch dem BMBF zu denken geben. 

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Dr. René Krempkow bloggte zunächst seit 2010 bei den academics-blogs, nach deren Einstellung zog er zu Scilogs um. Er studierte Soziologie, Kommunikationswissenschaft und Psychologie an der Technischen Universität Dresden und der Universidad de Salamanca. Nach dem Studium baute er zunächst am Institut für Soziologie, dann im Kompetenzzentrum Bildungs- und Hochschulplanung an der TU Dresden u.a. eine der ersten hochschulweiten Absolventenstudien in Deutschland auf und erarbeitete den ersten Landes-Hochschulbericht Sachsen. Nach seiner Promotion 2005 zum Themenbereich Leistungs- und Qualitätsbewertung an Hochschulen arbeitete er am Institut für Hochschulforschung Wittenberg am ersten Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs (BuWiN) mit. Danach war er im Rektorat der Universität Freiburg in der Abteilung Qualitätssicherung tätig, wo er die Absolventen- und Studierendenbefragungen leitete und eines der ersten Quality Audits an einer deutschen Hochschule mit konzipierte. Von 2009 bis 2013 leitete er am iFQ Bonn/Berlin (jetzt Deutsches Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung - DZHW) ein bundesweites Projekt zur Analyse der Wirkungen von Governance-Instrumenten (v.a. Leistungsorientierte Mittelvergabe an Hochschulen) und arbeitete im Themenbereich wiss. Nachwuchs und Karrieren mit. Anschließend koordinierte er im Hauptstadtbüro des Stifterverbandes u.a. das Projekt zur Personalentwicklung für den wissenschaftlichen Nachwuchs und den Gründungsradar; sowie an der HU Berlin u.a. ein hochschulweites Projekt zur Kompetenzerfassung, sowie Sonderauswertungen der hochschulweiten Absolventenstudien. Derzeit ist er an der HTW Berlin im Curriculum Innovation HUB im Bereich Wirkungsanalysen und Evaluation tätig, sowie an der IU - Internationale Hochschule. Er berät seit etlichen Jahren Hochschulen, Forschungseinrichtungen und Ministerien. Seine Arbeitsschwerpunkte sind: Leistungs- und Qualitätsbewertung an Hochschulen; Akademische Karrieren und Nachwuchsförderung; Indikatorenentwicklung, Evaluationsforschung; Hochschul-, Wissenschafts- und Bildungsforschung.

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