Beefie – Das Smartphone als Waage

Wenn das Smartphone ganz entspannt zur Waage wird – ich habe ein Start-Up besucht.

Ein kurzer Rückblick: 2014 fand ich eine App, mit deren Hilfe ich ganz einfach den Body Condition Score von Milchkühen ermitteln können sollte. Also schnappte ich mir ein Smartphone, spazierte in den nächsten Kuhstall und begann zu testen. Die App, die mit der Kamera des Smartphones arbeitete, zeigte mir die Skizze einer Kuh von hinten. Innerhalb dieser Skizze musste ich fotografieren. Cattle Handling Lektion 1, erster Tag, kurz nach der Begrüßung: Rinder wissen gerne, was hinter ihnen passiert. Sich hinter einer Kuh zu positionieren ist daher ziemlich dämlich. Das zweite benötige Foto sollte von der Seite aufgenommen werden. Das ging…äh…wäre gegangen, wenn nicht ständig andere Kühe an mir geleckt hätten. Nachdem ich das Smartphone aufgrund eines unsanften Remplers beinahe im Spaltenboden versenkte und sich die Herde in gemäßigter Aufregung ob des komischen Vogels in ihren Reihen befand, brach ich das Experiment ab. Precision Livestock Farming – am Arsch die Räuber.

2018 erfuhr ich dann von einer App zur Gewichtsermittlung bei Rindern – das Smartphone als Waage sozusagen. Jetzt habe ich Agroninja – also die ungarischen Entwickler – besucht und bin von der App Beefie sehr angetan – hauptsächlich aus einem einzigen Grund: keine Rinder-Skizze auf dem Display, die es zu treffen gilt. Selbstverständlich gibt es die auch hier, das Programm braucht schließlich einen Anhaltspunkt zur Analyse der Fotos. Allerdings könnt Ihr die Skizze ganz entspannt später einfügen, wenn Ihr die Fotos gemacht und das beste ausgewählt habt. Für das Foto an sich müsst Ihr lediglich auf den Rumpf des Tieres zielen und ungefähr 3 bis 6 Meter Abstand einhalten. Wenn Ihr Euch dabei nicht derbe zum Clown macht, wird das Tier davon gar nichts mitbekommen. Wie das funktioniert, seht Ihr hier:

Ihr bekommt die Info über das Gewicht Eures Tieres also direkt und ohne größeren Aufwand. Gut, Ihr habt noch so einen kleinen schwarzen Würfel am Smartphone, aber sonst…alles cool. Das ist ein wichtiger Punkt. Ich weiß natürlich, dass ich auch schon 2014 mit der BCS-App brauchbare Ergebnisse hätte erzielen können, wenn ich die Kühe am Futtertisch fixiert hätte. Nachteil: mehr Aufwand für mich und mehr Stress für die Tiere. Mit Fokus auf Landwirtinnen und Landwirte, die eine solche App regelmäßig nutzen sollen, erschien das allerdings nicht so richtig durchdacht. Da ist der Ansatz bei Beefie doch deutlich eleganter. In extensiven Weidesystemen kommt das Potenzial dieses Systems aber erst so richtig zur Geltung.

Ganz entspannt bei der Arbeit…

Jetzt macht der Name Beefie schon deutlich, wohin die Reise geht. Natürlich liegt der Fokus auf der Ermittlung des Gewichtes von Fleischrindern mit Angus, Charolais, Limousin oder Blonde d’Aquitane. Witziges Detail am Rande: Holstein Frisian ist zwar definitiv eine Milchrasse, das Gewicht dieser Tiere könnt Ihr aber trotzdem mit Beefie ermitteln. Aufgrund der großen Verbreitung dieser Rasse auf Milchvieh-Betrieben wurde sie kurzerhand mit integriert. Das ist ein gutes Stichwort: wenig überraschend funktioniert die App mit der Hilfe von Algorithmen, welche erstmal mit ordentlich Daten gefüttert werden mussten.

Und bevor ich hier so QVC-mäßig rüberkomme, sollte ich vielleicht ergänzen, dass ich für diesen Artikel nichts bekomme. Ich bin lediglich schwer begeistert von diesem Produkt. Es fügt sich einfach hervorragend in die Thematik rund um den stressfreien Umgang mit Tieren ein – zumal hier mit dem Vorgang des Wiegens ja auch wirklich ein Arbeitsschritt wegfällt. Ganz kurzer Exkurs: das Konzept des stressfreien Umgangs mit Rindern respektiert die Fluchtzonen individueller Tiere. Durch Betreten der Fluchtzone können Menschen leichten Druck auf die Tiere ausüben und sie auf diese Weise steuern. Das alles passiert ohne Geschrei oder Gefuchtel – bestenfalls weder von Mensch noch seitens der Tiere. Beefie lässt sich also problemlos in einen für die Tiere stressfreien Workflow integrieren.

So sieht das dann aus. Leider funktioniert das System aktuell nur mit Android.

Ich erwähne das, weil ich ja meist verzweifle, wenn ich etwas von mehr Effizienz erfahre und sich diese lediglich auf Daten sammelnde Sensoren bezieht, während Auswertung und Handlung weiter dem Landwirt überlassen werden. Beefie ist da ziemlich geradeaus und mit einer von den Entwicklern angegebenen Genauigkeit von 95% ziemlich brauchbar. Wo wir gerade bei Erleichterungen sind, erfuhr ich im Gespräch noch ein spannendes Detail: wenn Ihr eine gewisse Anzahl Tiere „gewogen“ habt, sei es möglich auf durchschnittliche Gewicht der Herde zu schließen. Bei 100 Tieren ergäben um die 30 davon schon einen guten Durchschnittswert.

Ehrlich gesagt gibt es da noch ein paar spannende Details, auf die ich später noch genauer eingehen werde. Vielleicht bekomme ich auch noch die Möglichkeit, um mir Beefie in der Praxis anzuschauen. Davon werdet Ihr natürlich erfahren. Erste Hinweise findet Ihr im unteren Bild:

Neben der Feststellung des Gewichtes könnt Ihr bald auch einzelne Körperteile messen.

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Quelle

  • Die Webseite der Entwickler findet Ihr hier.

Veröffentlicht von

Wissenschafts- und Agrarblogger seit 2009 – eher zufällig, denn als „Stadtkind“ habe ich zur Landwirtschaft keine direkten Berührungspunkte. Erste Artikel über Temple Grandin und ihre Forschungen zum Thema Tierwohl wurden im Blog dann allerdings meiner überwiegend ebenfalls nicht landwirtschaftlichen Leserschaft derart positiv aufgenommen, dass der Entschluss zu einer stärkeren Beschäftigung mit der Landwirtschaft gefallen war. Auch spätere Besuche bei Wiesenhof und darauf folgende Artikel konnten die Stimmung nicht trüben. Seit 2015 schreibe ich auch gelegentlich für das DLG-Blog agrarblogger.de, teile meine Erfahrung in der Kommunikation als Referent und trage nebenbei fleißig weitere Literatur zum Thema Tierwohl zusammen. Auf Twitter bin ich unter twitter.com/roterhai unterwegs.

1 Kommentar

  1. Und bevor ich hier so QVC-mäßig rüberkomme, sollte ich vielleicht ergänzen, dass ich für diesen Artikel nichts bekomme.

    Abgenommen.
    Wobei Dr. Webbaer, der jetzt doch einmal etwas schrieb, bevor dies andere nicht tun; Primärinhalt des Webs soll belohnt werden, gerade auch dann, wenn er appetitanregend ist, appetitlich, sich denn doch fragt, was ‘QVC’ bedeutet.
    Vely cool, auch der Produktname ‘Beefie’, insofern kann auch über Geduze hinweg gesehen werden, wie einige finden.

    Sie sind, lieber Herr Sören Schewe, ein “cooler Typ”.
    Ziehen Sie sich warm an.
    Es wird landwirtschafttliche Nutzbetriebe meinend in der BRD kälter werden.

    Mit freundlichen Grüßen
    Dr. Webbaer

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