Riki Daskal: Frau Diamant starb nach Vorschrift

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Wien. Heidelberg. Berlin: ein israelischer Blick auf Deutschland
un/zugehörig

Nichts Akkurateres gibt es als eine verprügelte Floskel:
Am Ende des Weges angekommen
Fällt sie im nächsten Atemzug um
Wie ein Ziegenbock dem Asasel
Wie ein Blatt, von Winde verweht in den tobenden Strom.
Bisweilen gelingt es ihr noch ein Auge zu öffnen
Doch nur um zu sehen
Ob der Kahn auf sie wartet, um den Strom zu durchqueren bis zum Elysion
Dort erwarten sie seit jenem herrlichen Sommertag in derselben Kleidung noch
Papa und Mama, Jozik und Hannalein.
Es ist soweit
Sie ist umgefallen.
Der Schiffer stocherte das Ruder in den Nebel
Und sein Kahn fuhr ab.
Ihr Mann, dessen Verstand so verschwommen ist
Wie eine Asphaltstraße bei größter Hitze
Wird ihren Namen rufen
Tamar, Tamar
Allein sie wird nicht mehr antworten können
Und er wird nicht mehr wissen, warum.
Frau Diamant, die Mutter einer Freundin von mir
Starb streng nach Vorschrift
Aber lebte in einem Film
Den Hitler für sie produzierte.

 

Aus: Das Schaubrot (2007)

Veröffentlicht von

www.berlinjewish.com/

Mancherorts auch als der Rebbe von Krechzn* bekannt, heißt der Autor von "un/zugehörig" eigentlich Yoav Sapir. Er ist 5740 (auf Christlich: 1979) in Haifa, Israel, geboren und hat später lange in Jerusalem gelebt, dessen numinose Stimmung ihn anscheinend tief geprägt hat. Nebenbei hat er dort sein M.A.-Studium abgeschlossen, während dessen er sich v. a. mit dem Bild des Juden im Spielfilm der DDR befasst hat. Seit Sommer 2006 weilt er an akademischen Einrichtungen im deutschsprachigen Mitteleuropa: anfangs in Wien, später in Berlin und dann in Heidelberg. Nach einer Hospitanz im Bundestag arbeitet er jetzt selbstständig in Berlin als Autor, Referent und Übersetzer aus dem Hebräischen und ins Hebräische. Nebenbei bietet er auch Tours of Jewish Berlin. * krechzn (Jiddisch): stöhnen; leidenschaftlich jammern.

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