Lebenszeichen #2: Wie weiter?

BLOG: un/zugehörig

Wien. Heidelberg. Berlin: ein israelischer Blick auf Deutschland
un/zugehörig

Ungefähr anderthalb Jahre ist es schon her, dass ich hier zum letzten Mal geschrieben habe. Zeit ist es also, den Blog wiederzubeleben.
 
In meinem Berufsleben hat sich inzwischen nicht viel geändert, sondern eher intensiviert. Übersetzungen, Journalismus, Vorträge usw. haben meinen Alltag in den letzten 18 Monaten geprägt. Interessant war, in mir (aus der aktiven Perspektive) noch neue Medien wie Radio und Fernsehen hineinzuwachsen. Aber bei alledem hat sich auch das Gefühl verstärkt, dass das Jüdische mit dem Deutschen vereinbar wäre.
 
Wer diesen Blog seit seinen Anfängen 2006 verfolgt hat, konnte mich bei meinen Untersuchungen an der Schnittstelle zwischen dem Jüdischen und dem Deutschen begleiten (nicht zwischen Juden und Deutschen – das ist was anderes). Diese Philosophie war zwar von Anfang an etwas exzentrisch angesetzt – die meisten Juden interessieren sich nicht wirklich fürs Deutsche und die meisten Deutschen ebenso wenig (oder gar noch weniger) fürs Jüdische. Einen Durchbruch hat dem Ansatz allerdings die Universität Wien gewährt, wo ich auf Einladung der judaistischen Ringvorlesung im Januar d. J. einen Vortrag just zu dem Thema halten durfte, das im Mittelpunkt dieses Blogs steht: »Das Deutsche und das Jüdische: ein theoretisches Geschwisterpaar?«
 
Jedoch ist die Theorie eine Sache, die Praxis eine andere. Die politischen Entwicklungen lassen erahnen, dass eine gemeinsame Zukunft immer schwieriger wird. Darüber habe ich im letzten Jahr in der Süddeutschen, der Welt, der Jüdischen Allgemeinen und anderswo ziemlich ausführlich geschrieben, eine Wiederholung wäre hier also unnötig. Optimistisch bin ich also nicht, eher im Gegenteil, und auch wenn keiner die Zukunft voraussagen kann, tippe ich eher darauf, dass sich in absehbarer Zukunft eher die Klüfte vermehren würden als die Brücken.
 
In diesem Zusammenhang stellt sich mir die Frage, inwiefern der deutsch-jüdische Dialog in Gestalt dieses Blogs noch berechtigt bzw. sinnvoll ist. Eine Antwort habe ich nicht, das wird sich wohl mit der Zeit zeigen. Im Anschluss an den Vortrag in Wien hat mir ein Professor ans Herz gelegt, diese deutsch-jüdische »Philosophie der Gegenwart« weiterzuentwickeln und darüber zu promovieren. Für diese Arbeit bzw. den Austausch darüber wäre der Blog eine gute Plattform – und tatsächlich lässt mich das Thema nach wie vor nicht los, auch wenn es mir manchmal lieber wäre, darüber hinweg zu sein.
 
Ob ich einer solchen Aufgabe gewachsen bin, weiß ich noch nicht. Seit den tiefen Diskussionen mit jenem Professor ist knapp ein Jahr vergangen, in dem sich viele Gedanken zu »meinem« Deutschland angereiht haben, aber kein Buchstabe geschrieben wurde. Ich hoffe aber, der Frage allmählich weniger aus dem Weg zu gehen und mich ihr, angefangen mit diesem weiteren Lebenszeichen, erneut zu stellen. Wie plausibel das ist, wird sich, wie gesagt, noch zweigen müssen.
 
PS.
Eine Sache scheint sich aber doch verändert zu haben: Seitdem ich im letzten Lebenszeichen vom Juni 2011 gezweifelt habe, ob ich hier, also in Deutschland, überhaupt noch länger bleiben soll, hat sich die Frage aus Beziehungsgründen mehr oder weniger erledigt, und zwar so sehr, dass ich mich sogar rentenversicherungsmäßig hier niedergelassen habe (noch mehr darf man von mir momentan auch nicht erwarten).

Veröffentlicht von

www.berlinjewish.com/

Mancherorts auch als der Rebbe von Krechzn* bekannt, heißt der Autor von "un/zugehörig" eigentlich Yoav Sapir. Er ist 5740 (auf Christlich: 1979) in Haifa, Israel, geboren und hat später lange in Jerusalem gelebt, dessen numinose Stimmung ihn anscheinend tief geprägt hat. Nebenbei hat er dort sein M.A.-Studium abgeschlossen, während dessen er sich v. a. mit dem Bild des Juden im Spielfilm der DDR befasst hat. Seit Sommer 2006 weilt er an akademischen Einrichtungen im deutschsprachigen Mitteleuropa: anfangs in Wien, später in Berlin und dann in Heidelberg. Nach einer Hospitanz im Bundestag arbeitet er jetzt selbstständig in Berlin als Autor, Referent und Übersetzer aus dem Hebräischen und ins Hebräische. Nebenbei bietet er auch Tours of Jewish Berlin. * krechzn (Jiddisch): stöhnen; leidenschaftlich jammern.

9 Kommentare

  1. Weiterbloggen!

    Lieber Yoav:
    Ich fände es gut und sinnvoll, wenn du deinen Blog weiterpflegst. Das Thema ist wichtig – und wie soll es lebendig bleiben, wenn nicht (auch) auf diese Weise, durch deinen Blog, durch dein Betroffensein von den Themen.
    Vielleicht ist es kein schlechtes Zeichen, wenn der deutsch-jüdische Dialog (oder meinetwegen auch das mehr oder minder intensive Nebeneinander-leben) eher unauffällig daherkommt. Ich bin 1940 geboren und habe viele Jahre gebraucht, ein entspanntes Verhältnis zu Schuld und Vewrantwortung gegenüber dem zu finden, das man den Juden in Deutschland angetan hat. Die aufgezwungene Auseinandersetzung in der Schulzeit war da eher hinderlich. Hilfreich waren langsam wachsende Bekanntschaften und eine Freundschaft. Ein Gewöhnen an das Selbstverständliche. Ein Annehmen der jüdischen Kultur nicht komplett, sondern in Teilen – so unaufgeregt wie aus der indischen (Yoga( und der chinesischen Kultur (I Ging) Anregungen und Provokationen Teil der eigenen Geschichte wurden.
    Ich weiß, das deutsch-jüdische Schicksal hat außerdem noch andere düstere Qualitäten. Aber wer (im Geiste) mit Sigmund Freud aufgewachsen ist und mit Albert Einstein, hat einen Wandel im Denken und Fühlen erfahren, der unglaublich wertvoll ist und sich der jüdischen Wurzeln dabei immer bewusst bleibt.
    Gerade wenn der Antisemitismus aus dem braunen Sumpf wieder hochwabert, ist es wichtig, sich all dies imemr wieder bewusst zu machen.
    Du hast da eine wichtige Aufgabe, aus kompetenter Sicht den geistigen Dialog am Leben zu erhalten – auf deine ganz persönliche Art.
    Also: Weiterbloggen!

  2. Deutschland, die Juden und Israel

    In der öffentlichen Diskussion geht es (scheinbar)nicht mehr um die Juden, dafür aber um Israel. Israel könnte man wie jeden anderen Staat sehen, nur zeigen einige Kolumnen und Kommentare, dass man seltsame Masstäbe anlegt. Jakob Augstein schreibt in einer seiner Kolumnen:
    “Tel Aviv ist Berlin”, schrieb die Bild am Sonntag, nachdem sich gezeigt hatte, dass die Raketen der Hamas inzwischen weiter reichen als früher: “Die gleiche Mode, die gleiche Musik, dieselben Wünsche und Werte.” Wirklich? In Israel gibt es Gegenden, da wird eine Frau als Hure beschimpft, wenn sie im Bus vorn bei den Männern sitzt. Und es gibt Menschen, die bespucken ein kleines Mädchen auf dem Weg zur Schule, weil es falsch gekleidet ist.

    Er kennzeichnet damit ein ganzes Land über bestimmte Vorkommnisse in bestimmten Gegenden Israels. Keinem Deutschen würde es in den Sinn kommen, ähnliche Vorkommnisse, verursacht durch ein paar Menschen in bestimmten Gegenden Deutschlands ganz Deutschland anzuhängen.

    Gegenüber einem fremden Land sind derartige Zuweisungen allerdings wohl nicht so selten. Nur erscheinen sie kaum je auf seriösen Kanälen. Wenn solche Kolumnen aber in Spiegel Online erscheinen, dann hat sich wohl doch etwas geändert. Dann sind nun auch irrationale Vorhaltungen gegenüber Israel weitherum toleriert.

    Aber das hat sicher nichts mit den Juden zu tun, sondern mit Israel, darf man doch schliessen?

  3. Kommt auf den Maßstab an:

    (…) die meisten Juden interessieren sich nicht wirklich fürs Deutsche und die meisten Deutschen ebenso wenig (oder gar noch weniger) fürs Jüdische.

    Man müsste mal schauen wie sich Nationen oder Kulturen generell füreinander interessieren. Das oben genannte gegenseitige Interesse scheint vglw. sehr groß zu sein.

    MFG
    Dr. W

  4. @Dr. Webbaer: Interesse anAndernKulturen

    Latino-Kultur bei den Hispanics, Black Music und Black culture sind Gegenbeispiele für ihre Annahmen, das Interesse an anderen Kulturen sei im allgemeinen gering. Allerdings hat es wohl auch etwas mit der Grösse der Kultur-oder Religionsgemeinschaft zu tun, ob sie interessiert. Eine weitere wichtige Rolle spielt die Repräsentanz in den Medien. Personen jüdischer Herkunft kommen im Film/Kino zwar überproportional vor, allerdings selten so, dass man etwas über das Jüdische erfahren würde.

  5. bespucken

    Von der Existenz radikaler, orthodoxer Juden habe ich auch erfahren, wenn auch nicht via Spiegel online, aber es war klar erkennbar, dass es sich nicht um einen typischen Vorfall handelt, wenn Mädchen bespuckt werden, sondern um etwas, dass die Mehrheit in Israel ablehnt.

    Man muss das dt. Publikum auch nicht für über die Maßen dumm halten. Wer Ressentiments hegt, der greift zwar sowas begierig auf, aber bleibt ohne neues Futter eben beim alten.

    Wenn frei über alles berichtet werden kann, auch über nicht so schönes, dann scheint mir Verständigung überhaupt erst möglich. Romantisierende Kitschbilder brauch ich nicht – sowas stößt mich ab.

  6. zufällig reingeschaut

    Hallo Yoav,

    ich habe lange nichts mehr von Dir gehört oder gelesen. Mich . Stell doch Deine letzte Texte mal hier ein oder verlinke.
    Ich würde mich freuen.

    Viele Grüße

  7. Und das Lebenszeichen…

    …ist jetzt schon sehr alt. Haben wir die Hoffnung, dass du hier wieder erscheinst? Deine Texte finde ich sehr interessant und würde das Ganze auch noch gerne weiter verfolgen.

  8. Pingback:Das Jiddische als Gotisches › un/zugehörig › SciLogs - Wissenschaftsblogs

Schreibe einen Kommentar