Jüdischer Nationalstaat von links

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Wien. Heidelberg. Berlin: ein israelischer Blick auf Deutschland
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Ari Shavit, der (m. E. viel zu) linke Hauspublizist der linksliberalen Tageszeitung »Haaretz«, hat vor wenigen Tagen erläurtert, warum die aktuelle Forderung nach Anerkennung des jüdischen Nationalstaats durch die sog. Palästinenser (aus seiner linksjüdischen Sicht) berechtigt ist.

Ich bin mit seinen sieben Thesen nicht ganz einverstanden (wie auch sonst…?), finde sie jedoch sehr diskussionswürdig:

[…]

First reason: That is why we came here. The supreme goal of Zionism is that in the Land of Israel the people of Israel will have a national home recognized by the law of nations.Those who don’t believe in the right of the Jewish people to a national home are racists. Those who don’t understand that the national home of the Jewish people should be internationally recognized are fools. Without recognition of Israel as the nation-state of the Jewish people, the Zionist enterprise hangs by a thread.

Second reason: This is the heart of the conflict. The Israeli-Palestinian conflict stems from the fact that for a century, the Jewish national movement and the Palestinian national movement refused to recognize each other. In 1993, Israel recognized the Palestinian people and its rights. But to this day the Palestinians have not recognized the Jewish people and its rights. That is the great failure of the Oslo Accords, which disrupted the peace process from the outset. For true peace to prevail in this country, there must be peace between the Arab Palestinian nation-state and the Jewish Israeli nation-state.

Third reason: The avalanche will be stopped. Over the past 20 years, a grave process has been underway. As Israel continues to recognize more and more of the Palestinians’ natural rights, its own citizen’s natural rights are being abrogated. Its ideological concessions do not work for it, but against it. When Ehud Olmert’s Israel turns out to be less legitimate than Yitzhak Shamir’s Israel, there is no true incentive to continue to give in. Only recognition of Israel as the nation-state of the Jewish people will stop the avalanche and create mutual legitimacy – Israeli and Palestinian.

Fourth reason: The demand for the right of return will be put to an end. The Palestinians are still demanding the right to return to their homes, villages and cities within sovereign Israel – a demand which means the death of the state of the Jews. As the demand to return is the heart of the Palestinian national ethos, they cannot abandon it. Recognition of Israel as the nation state of the Jewish people, however, can extricate both sides from the trap: it will allow the demand to return to be balanced and curbed, and neutralize the explosive nature of this demand.

Fifth reason: There will be a turning point in the consciousness of the Arab Muslim world. The reasonable relationship that today exists between Israel and the moderate Arab countries is on thin ice. These countries accept Israel as a given, but not as a legitimate entity. Recognition of Israel as the nation-state of the Jewish people will make clear to the inhabitants of Marrakech, Alexandria and Baghdad that Israel is not a foreign implant, but an inseparable part of the Middle East. The Arabs will have to recognize the legitimacy of the Jewish sovereign state.

Sixth reason: Our relations with Christian Europe will be settled. To this day, Europe has not solved its Jewish complex. Recognition of Israel as the nation-state of the Jewish people will also mean European recognition of its moral responsibility for the Jews it persecuted for years. The continent, which nearly decimated the Jewish people in the 20th century, will ensure that people’s right to life.

Seventh reason: We will calm down. The basic desire of Jewish Israelis is the desire for a home. Explicit recognition that Israel is the Jewish people’s home will strengthen our willingness to take risks and leave the territories. Only recognition of the Jewish national home will make it possible to quickly and peacefully establish the Palestinian national home.

[…]

Wer will, kann hier zu seinen Thesen gerne kommentarmäßig Stellung nehmen.

Was mich angeht, so ist es um die Welt m. E. sehr schlecht bestellt, wenn das uralte Volk der Bibel sich auf Verhandlungen mit Menschen einlässt, deren Kultur bekanntermaßen Spitzenleistungen von Weltbedeutung erbracht hat, und dabei sogar um Anerkennung durch Letztere bettelt. Was kommt als Nächstens? »Das chinesische Volk bittet die Mongolen um Anerkennung seiner Nationalidentität« ist jedenfalls eine Schlagzeile, deren Erscheinung ich mir noch gar nicht vorstellen kann.

Shavits Sicht kann ich also nicht teilen, aber sein Text ist ein gutes Beispiel dafür, wie die jüdische Linke »tickt«.

 

 

Veröffentlicht von

www.berlinjewish.com/

Mancherorts auch als der Rebbe von Krechzn* bekannt, heißt der Autor von "un/zugehörig" eigentlich Yoav Sapir. Er ist 5740 (auf Christlich: 1979) in Haifa, Israel, geboren und hat später lange in Jerusalem gelebt, dessen numinose Stimmung ihn anscheinend tief geprägt hat. Nebenbei hat er dort sein M.A.-Studium abgeschlossen, während dessen er sich v. a. mit dem Bild des Juden im Spielfilm der DDR befasst hat. Seit Sommer 2006 weilt er an akademischen Einrichtungen im deutschsprachigen Mitteleuropa: anfangs in Wien, später in Berlin und dann in Heidelberg. Nach einer Hospitanz im Bundestag arbeitet er jetzt selbstständig in Berlin als Autor, Referent und Übersetzer aus dem Hebräischen und ins Hebräische. Nebenbei bietet er auch Tours of Jewish Berlin. * krechzn (Jiddisch): stöhnen; leidenschaftlich jammern.

3 Kommentare

  1. “Shavits Sicht kann ich also nicht teilen, aber sein Text ist ein gutes Beispiel dafür, wie die jüdische Linke »tickt«.”

    Die jüdische Linke scheint richtig zu ticken, grad so wie ein Schweizer Uhrwerk. 😉

    “Was mich angeht, so ist es um die Welt m. E. sehr schlecht bestellt, wenn das uralte Volk der Bibel sich auf Verhandlungen mit Menschen einlässt, deren Kultur bekanntermaßen Spitzenleistungen von Weltbedeutung erbracht hat, und dabei sogar um Anerkennung durch Letztere bettelt.”

    Das ist reine Polemik, Yoav. Wenn du deinen Blick weitest und das Problem aus der “Vogelperspektive” betrachtest, dann ergeben sich unmittelbar Einsichten, die so selbstverständlich sind, dass sie gar trivial erscheinen, trotzdem aber von Politikern wie Netanjahu permanent ignoriert werden.

    Die oben genannten Grundsätze mag man ablehnen und sich auf den Standpunkt stellen, dass das Existenzrecht Israels keiner Akzeptanz bedarf, weder von den Arabern und insbesondere von den Palästinensern noch von sonstwem. Das ist eine Politik, die genau bis zum nächsten Wahltermin denkt, bestenfalls. Und es ist mit Sicherheit keine vorausschauende Realpolitik, welche sich an den tatsächlichen Verhältnissen orientiert.

    Abgesehen davon war das Existenzrecht Israels immer mit einer Garantie versehen, der Garantie der USA, ohne die es einen jüdischen Staat Israel wahrscheinlich nicht mehr gäbe.

    Es ist nicht klug, alle Eier in einen Korb zu legen.

    David Ben Gurion: „Wir bieten allen unseren Nachbarstaaten und ihren Völkern die Hand zum Frieden und guter Nachbarschaft und rufen zur Zusammenarbeit und gegenseitigen Hilfe mit dem selbständigen jüdischen Volk in seiner Heimat auf. Der Staat Israel ist bereit, seinen Beitrag bei gemeinsamen Bemühungen um den Fortschritt des gesamten Nahen Ostens zu leisten.“

    Ob sich ein Netanjahu, den ich für einen kurzsichtigen Dummkopf halte, sich diesem Grundsatz verpflichtet fühlt ?

  2. Ich finde, dass allein das Alter und die “Größe” eines “Volkes” überhaupt nichts mit der Anerkennung einer Nationalidentität zu tun hat. Jeder Mensch auf dieser Welt hat sollte nach seiner Geburt ein Recht auf ein würdiges Leben haben, unabhänging von allem was seine Vorfahren geleistet bzw. verbrochen haben. Diese sieben Thesen führen deshalb in die einzig richtige Richtung, die der Deeskalation und Annäherung. Ihre Position, Herr Sapir, wird meiner Meinung nach nichts zur Verständigung beitragen. Ich halte ihre Thesen (im gesamten Blog) für sehr bedenklich.

  3. Abgesehen von taktischen Erwägungen

    Wenn man schon fragt, sollte man besser auch die Antwort ernst nehmen. Was also, wenn die Palästinenser eine Anerkennung des Staat gewordenen Judentums ablehnen? Sollten wir den Laden dichtmachen? Sollte es den »Palästinensern« wirklich eingeräumt werden, darüber entscheiden zu dürfen, welche Rechte den Juden zustehen?

    Nun ist es ja so, dass die offiziellen Vertreter des »Palästinensertums« eine solche Anerkennung tatsächlich aufs Schärfste abgelehnt haben. Das war vorauszusehen, aber wenn wir ihre Antwort sowieso nicht ernst nehmen, wozu das Ganze überhaupt? Das kann höchstens einen taktischen Gewinn erbringen, weil es “der Welt” das wahre Gesicht der Palis zeigt, als ob “die Welt” sich von Tatsachen überzeugen lassen würde. Doch langfristig ist dieser Schritt schon an sich gefährlich, weil es einen Präzedenzfall bildet: Über das Selbstbestimmungsrecht der Juden haben Nichtjuden auch heute noch zu entscheiden. Der Makel vom 29.11.1947 wird somit befestigt: Nicht nur, dass die Frage im Ermessen von Fremden liegen darf; sondern sie gilt außerdem nach wie vor als offen.

    Nun kann zweierlei passieren: Wir nehmen uns selbst ernst und machen keinen weiteren Schritt, bis die Palästinener gütigerweise uns die Gnade erweisen, das Existenzrecht eines jüdischen Nationalstaats anzuerkennen. Dann zeigen wir auch der ganzen Welt, wer das letzte Wort hat, nämlich nicht die Juden selbst, die sich dem offenbar nicht gewachsen fühlen und dies von anderen noch bestätigt bekommen wollen.

    Oder wir verzichten darauf und machen trotzdem weiter; das wäre ja umso schlimmer, weil wir damit zeigen würden, dass wir nicht einmal unser eigenes Selbstverständnis ernst nehmen.

    Und nebenbei gefragt: Soweit ich mich erinnern kann, nahmen die Araber das freundliche, von Ben-Gurion vor 62 Jahren vorgetragene Angebot nicht an. Warum sollten sich also die Juden noch daran messen lassen, als ob seitdem nichts passiert ist? Ich fänd’s genauso lächerlich wie die arabische Forderung, den UNO-Aufruf von 1947 jetzt zu verwirklichen, als ob man am Roulette im Nachhinein entscheiden dürfte, seine Jetons dort hinzulegen, wo die Kugel schon liegt.

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