Sind die Polen süchtig nach Kohle? Schritte zu einer effektiven Klimarealpolitik (Teil 1)

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In der Wahrnehmung der polnischen Energie- und Klimapolitik bestimmen Zerrbilder und Vorurteile die deutsche Sicht. Polen ist zwar kein „Musterschüler“ in Sachen Klima, aber erfüllt seine internationalen und europäischen Zusagen und kann ein wichtiger Partner für die europäische Energiewende werden, wenn wir seine energiepolitische Lage besser verstehen lernen  und sorgsam Felder für gemeinsame Initiativen im Klimaschutz aussuchen.

Allen Unkenrufen zum Trotz und trotz aller Stolpersteine, die die polnischen Führungen der europäischen Klimapolitik immer wieder in den Weg gelegt haben: Fakt ist, dass Polen seine Kyoto-Ziele und seine europäischen Versprechen in der Klima- und Energiepolitik bisher eingehalten hat und dies auch voraussichtlich weiter tun wird.

Gemäß dem Kyoto-Protokoll muss Polen seine Emissionen aus sechs Treibhausgasen um 6% gegenüber 1988 reduzieren. Effektiv fielen die Emission in diesem Zeitraum um über 30%. Im Rahmen des europäischen Energie- und Klimapakets, das bis 2020 zu einer 21%-igen Reduktion der Treibhausgasemissionen in der EU führen soll, haben die Polen als Zwischenziel zugesagt, die Emissionen um 6% im Zeitraum 2008-2012 zu senken. Auch dieses Ziel wird gemäß einer aktuellen Abschätzung der europäischen Umweltagentur mit -5,6% nahezu erfüllt. Und das bei einer in den letzten zwölf Jahren im Durchschnitt um knapp 4% pro Jahr wachsenden Wirtschaft und ohne ominöse Waldzuwächse als Senken anzurechnen, wie es Polens Nachbarländer, Russland, Belarus und die Ukraine, immer wieder mit Nachdruck auf internationalen Klimaverhandlungen einklagen.

Fakt ist aber auch: Polen ist heute der fünftgrößte Produzent an Treibhausgasen in der EU, hinter Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Italien und Spanien. Und das obwohl das Land im Vergleich der Wirtschaftsleistung nur auf Platz 19 in der EU liegt, d.h. es könnte wesentlich „sauberer“ produzieren. Schaut man auf die Luft- und Gewässerverunreinigungen sind immer noch 20% der Fläche nach EU-Maßstäben als “übermäßig verschmutzt” einzustufen. Am schlimmsten ist die Lage im Süden und Südosten im Umkreis von 150 km um Krakau. Dort ist Polen noch ein altindustrielles Land, gezeichnet durch Bergbau und veraltete Landwirtschaft. Allein in der Woiwodschaft Schlesien werden 25% der Gesamtemission an Luftschadstoffen von ganz Polen erzeugt. Die Landwirtschaft ist intensiv und bedarf dringend der Modernisierung. Vor allem die falsche Ausbringung und Lagerung von Tierexkrementen aus der Viehwirtschaft ist nicht nur aus klimapolitischen Gesichtspunkten – denn man könnte diese besser als Biomasse nutzen, um Kohle zu ersetzen – sondern auch sonst ein Übel.  Die Landwirtschaft ist heute die wichtigste Quelle von Methan (37%) und Lachgas (61%) in Polen, die beide als Treibhausgase viel potenter sind als Kohlendioxid. Auch die Abfallwirtschaft liegt im Argen. Die Polen erzeugen zwar weniger Müll pro Kopf (263 kg) als die EU-Bürger im Durchschnitt, aber die Zusammensetzung ist giftiger, auch weil noch viele Industrieabfälle auf die Deponie gelangen. Erneut besonders ein Problem im Süden Polens.

Hier liegen die Anknüpfungspunkte für eine sorgsame Einbindung der Polen in eine europäische Klimapolitik: In der Land- und Abfallwirtschaft können klimaschädliche Gase reduziert und andere umwelt- und gesundheitspolitische Ziele zugleich erreicht werden. Das nennt man eine Politik mit Zusatznutzen.

An der einzigartigen Kohlelastigkeit der Energiewirtschaft (85% des Stroms in 2011 ist Strom aus Kohle, zum Vergleich: Deutschland 42% und EU im Durchschnitt 26%) lässt sich so schnell nichts ändern. In einem Land, das elf Lieferstörungen beim Gas aus Russland in den letzten 20 Jahren erleben musste, herrscht ein ganz anders Energiesicherheitsbedürfnis als im Rest der EU. Gas ist deshalb deutlich teurer im Vergleich zu anderen Ländern der EU wie Großbritannien oder Deutschland. Eine „Dash to Gas“-Politik wie in diesen Ländern trifft daher auf erhebliche Widerstände nicht nur der Kohlelobby, sondern auch der Haushalte. Eine 100 m2 Wohnung in Krakau mit Gas zu beheizen kostet 3 Tausend Zloty, mit Kohle ist es um die Hälfte billiger.

Die Potenziale für eine Energiewende im Umwandlungsbereich liegen daher vor allem in den Erneuerbaren. Sonnenbeschienen ist Polen nicht, jedenfalls nicht mehr als Deutschland, aber anders als in Deutschland ist das Windenergiepotenzial gering, weil die Windstärken auch im Ostseebereich häufig unter 5m/h liegen. Das ist an der technischen Untergrenze der meisten Windkraftanlagen. Riesig dagegen ist das Potenzial für Biomasse. Von den verfügbaren 30 Millionen Tonnen pro Jahr werden jetzt nur wenige Prozente genutzt. Das Ziel der Regierung sind 15% in 2020 und 20% in 2030, also ambitioniert. Ambitioniert, aber erreichbar, wie Studien von McKinsey zeigen, die vorhersagen, dass die Emissionen bis 2030 um 47%  reduziert werden. In Pommern und Westpommern werden heute schon über 40% des Stroms aus Erneuerbaren erzeugt. Das wäre mehr als die Bundesregierung jetzt versprechen kann. Einspeisevergütungen spielen dazu genauso eine wichtige Rolle wie konsequente Kraftstoffpolitiken (E10).  E10 ist eine wichtige Maßnahme, um das stetige Wachstum der Verkehrsemissionen, besonders des Güterverkehrs, in Polen in den Griff zu bekommen! Es sind also nicht die „Dreckschleudern“, die vermeintlich in Polen das Straßenbild kennzeichnen, sondern die wirtschaftliche Entwicklung und schlüssige Steuerungsmaßnahmen im Verkehr, die die besondere Dynamik der Verkehrsemission verursachen.

Zusammengefasst: Polen kann im europäischen Kanon ein guter Partner in der Klima- und Energiepolitik sein, wenn die Biomassepotenziale in der Energie- und Verkehrswirtschaft konsequent genutzt und nicht schlecht geredet werden. Bessere Ansatzpunkte für den Klimaschutz als die „Kohlelastigkeit“ der Verstromung sind die Modernisierung der Land- und Abfallwirtschaft besonders im Süden und Südosten Polens. Diese Politiken schaffen Zusatznutzen, weil dadurch die Luft- und Wasserverschmutzung deutlich gesenkt werden kann. Warum die Polen dennoch immer wieder Bremser in der EU-Klimapolitik waren, ist Gegenstand meines nächsten Beitrags.

 

Energie

Quelle:
Inwentaryzacja gazów cieplarnianych w Polsce dla lat 1988‐2010. Raport wykonany na potrzeby
Ramowej konwencji Narodów Zjednoczonych w sprawie zmian klimatu oraz Protokołu z Kioto
Warszawa, luty 2012; eigene Darstellung.

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Reimund Schwarze ist Klimaexperte im Department Ökonomie des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ). Als Professor für Volkswirtschaftslehre hält er Vorlesungen an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder. Seine Forschungsschwerpunkte sind ökonomische und juristische Untersuchungen zur Klimapolitik. Er beobachtete in den letzten Jahren die Klimakonferenzen der UNO und berichtete davon im UFZ-Klimablog.

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