Bekannte und unbekannte wirtschaftliche und soziale Folgen von Pandemien

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Pandemien haben nicht nur gesundheitliche, sondern auch soziale und wirtschaftliche Auswirkungen. Sie beeinträchtigen die Wirtschaft, das soziale Zusammenleben und das Grundvertrauen in nationale Institutionen. Unter bestimmten Umständen können sie auch zur Destabilisierung von ganzen Regionen oder einzelnen Ländern führen, wie wir aus den Erfahrungen der Vergangenheit gelernt haben.

Lehren aus Ebola und SARS

Bei der Ebola-Epidemie brach das ohnehin schwache Gesundheitssystem in den betroffenen afrikanischen Ländern aufgrund der hohen Krankheitslast zusammen. Die Schließung von Schulen, öffentlichen Plätzen und Märkten sowie die Angst und Panik vor einer Ansteckung brachten das öffentliche Leben zum Erliegen. Die Tatsache, dass vor allem auch die Bauern von der Krankheit betroffen waren, führte zu einer Nahrungsmittelverknappung und einem starken Anstieg der Lebensmittelpreise. Durch den Verlust von Arbeitern und die Panik vor der Krankheit brachen die wirtschaftliche Produktivität und der Handel zusammen. Die am stärksten betroffenen Länder wurden durch Grenzschließungen und die Einstellung des Reiseverkehrs und des Handels international zunehmend isoliert[1].

Die Ausbreitung von SARS in den Jahren 2002/2003 hatte auch starke wirtschaftliche Auswirkungen auf Handel, Wirtschaft und Reisen, insbesondere in Kanada und Singapur. In Kanada fiel das reale Bruttoinlandsprodukt (BIP) im Jahr 2003 um etwa 1,5 Milliarden USD oder 0,15% niedriger aus. Die größten Auswirkungen von SARS waren im Tourismussektor zu verzeichnen, wo 2003 in Kanada ein landesweiter Verlust von 1,1 Milliarden USD entstand[2].

Es lassen sich drei Hauptgründe für die sozioökonomischen Folgen von SARS ausmachen. Erstens führte die Angst vor einer Ansteckung zu einem Rückgang der Verbrauchernachfrage, insbesondere im Reise- und Einzelhandelssektor. Die rasche Ausbreitung bewirkte, dass die Menschen soziale Beziehungen in den betroffenen Regionen mieden. Die negativen Auswirkungen waren in Regionen mit umfangreichen Dienstleistungsaktivitäten und hoher Bevölkerungsdichte, wie Hongkong oder Peking, stärker ausgeprägt. Zweitens führte die mit der Krankheit verbundene Unsicherheit zu einem Vertrauensverlust in die Zukunft der betroffenen Volkswirtschaften. Der Vertrauensverlust ausländischer Investoren wirkte sich stark auf die ausländischen Investitionsströme aus, was zu Einbußen beim Wirtschaftswachstum führte. Drittens hat SARS zu einem Anstieg der Gesundheitskosten geführt, der sämtliche Erwartungen übertraf[3]

 

Was wir bereits heute über die wirtschaftlichen Folgen von COVID-19 wissen

Es ist noch nicht klar, wie stark die Auswirkungen der aktuellen Corona-Pandemie auf die Weltwirtschaft sein werden. Obwohl die Krisensituation noch lange nicht vorbei ist, hat sie bereits starke Auswirkungen auf die Wirtschaft.

In Deutschland zum Beispiel verlor der DAX-Ax zwischen dem 19. Februar und dem 19. März 39% seines Wertes. Ein weiterer Einbruch der Aktienkurse konnte nur gestoppt werden, weil die Bundesregierung einen historisch einzigartigen Rettungsfonds von rund 500 Milliarden Euro aufgelegt hat. Eine Rezession ist dennoch unvermeidlich und die derzeitige Erholung der Aktienmärkte bleibt fragil. Die DZ-Bank erwartet, dass das Börsenbarometer erst Anfang 2024 wieder das Vorkrisenniveau erreichen wird[4].

Weltweit erwartet der Internationale Währungsfonds (IWF) einen Rückgang der Wirtschaftsleistung um 3% und damit die schwerste globale Rezession seit fast einhundert Jahren. Im Allgemeinen hängen die Prognosen für das BIP in diesem Jahr davon ab, inwieweit es gelingt, die COVID-Pandemie einzudämmen, sowie von der Geschwindigkeit der wirtschaftlichen Erholung in der zweiten Jahreshälfte. Daher enthalten die aktuellen Wirtschaftsprognosen noch “extreme Unsicherheiten”, so der IWF[5].

Solche Beobachtungen des Aktienmarktes und Wirtschaftsmodelle prognostizieren BIP-Effekte bei einem abrupten und schnellen “Einfrieren” der Wirtschaftstätigkeit. Sie können jedoch die langfristige Entwicklung der Gesundheitskosten, die Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt und die Produktivität usw., die durch die verschiedenen Phasen der Pandemie verursacht werden, nicht abschätzen, obwohl diese für die Beurteilung der tatsächlichen wirtschaftlichen Kosten der Pandemie von wesentlicher Bedeutung sind[6]. Dasselbe gilt für die wirtschaftspolitische Reaktion: Die Wirtschaft möglichst schnell und unbürokratisch “koste es, was es wolle” zu unterstützen, ist die gängige wirtschaftspolitische Krisenreaktionsstrategie[7] – mit allerdings unbekannten langfristigen Folgen.

 

Im Dunkeln – die sozialen Folgen von COVID-19 

Die sozialen Auswirkungen der Pandemie können derzeit weder quantifiziert noch verallgemeinert beurteilt werden. Angesichts der Heterogenität der Bevölkerung sind generalisierende Aussagen schwer zu treffen. Was wir jedoch bisher gesehen haben und in Zukunft noch mehr erwarten können, ist, dass häusliche Gewalt und Missbrauch, insbesondere gegen Frauen und Kinder, mit der Ausbreitung und der Dauer der Pandemie zunehmen werden, dass Menschen mit psychischen (Vor-)Erkrankungen oder Störungen wie Depressionen im Rahmen sogenannter sozialer Distanzierungs-strategien, aber auch nach deren Beseitigung, vermehrt unter Angststörungen oder Vereinsamung leiden werden. Der Verlust von (Familien-)Einkommen wird viele Menschen in existenzielle Wirtschaftskrisen stürzen, was zu einer erhöhten Übersterblichkeit (durch Selbstmord, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Alkohol- und Drogenmissbrauch usw.) führt, die manchmal die direkten gesundheitlichen Folgen, einschließlich der Todesfälle, übersteigen kann [8]. Auch Menschen, die zu Hause gepflegt werden oder die selbst Angehörige pflegen, sehen sich zunehmend mit Notsituationen konfrontiert. Das Schulverbot verstärkt in der Regel die soziale Benachteiligung sogenannter “bildungsbenachteiligter Milieus”, in denen der ohnehin überdurchschnittliche Unterstützungsbedarf nicht durch die Familie aufgefangen wird. Insgesamt verschärfen Pandemien die soziale Ungleichheit, sofern keine wirksamen Gegenmaßnahmen ergriffen werden. Doch die Politik übersieht oft die besonders gefährdeten Gruppen, entweder weil die Menschen sich schämen, darauf hinzuweisen, dass sie Hilfe brauchen, oder weil sie auf diese Hilfe von sich aus verzichten. Unsere soziale Sensorik und die systematische sozialmedizinische Berichterstattung sind für eine Pandemiekrise auf nationaler und erst recht auf internationaler Ebene defizitär.

 

Eine globale Forschungs- und Dateninfrastruktur für wirtschaftliche und soziale Auswirkungen

Die COVID 19-Pandemie ist in vielerlei Hinsicht ein wichtiger Test für unsere globalen Forschungs- und Dateninfrastrukturen [9]. Offene Wissenschafts-Clouds und Datensammlungen müssen den Erfordernissen einer umfassenden wissenschaftsbasierten Politik genügen, nicht nur in “normalen Zeiten”, sondern auch in Krisenzeiten. Wir brauchen einen breiten Austausch von qualitativ hochwertigen Daten in Echtzeit und auf globaler Ebene für eine Reihe von national und international koordinierten wissenschaftlichen und politischen Aufgaben – in der Gesundheitspolitik, aber nicht minder in der Wirtschafts- und Sozialpolitik.

 

Quellen

[1] Braun D, Invisible Enemies. Why Viruses and Bacteria Constitute a Security Policy Issue.  https://www.kas.de/documents/252038/253252/7_dokument_dok_pdf_52917_2.pdf/c1f81473-9e06-7b3b-45e2-7e7825113519?version=1.0&t=1539647262428.

 [2] Darby P.M., The Conference Board of Canada. The economic Impact of Sars.  https://www.conferenceboard.ca/(X(1)S(1zh2l4y3hfykceipqhdjlyq3))/e-library/abstract.aspx?did=539&AspxAutoDetectCookieSupport=1.

[3] Knobler S, Mahmoud A, Lemon S, Mack A, Sivitz L, Oberholtzer K (eds., 2004): Learning from SARS: Preparing for the Next Disease Outbreak: Workshop Summary. Institute of Medicine (US) Forum on Microbial Threats, Washington (DC). https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/22553895/.

[4] Why the stock market is so stable despite fears of a recession. Web24news May-2-2020. https://www.web24.news/u/2020/05/why-the-stock-market-is-so-stable-despite-fears-of-a-recession.html.

[5] Gopinath G (2020): The Great Lockdown. Worst Economic Downturn Since the Great Depression. https://blogs.imf.org/2020/04/14/the-great-lockdown-worst-economic-downturn-since-the-great-depression/.

[6] Madhav N, Oppenheim B, Gallivan M, Mulembakani P, Rubin E, Wolfe N (2017) Pandemics: Risks, Impacts, and Mitigation. In: Jamison DT, Gelband H, Horton S (eds) Disease Control Priorities: Improving Health and Reducing Poverty. 3rd edition. The International Bank for Reconstruction and Development/The World Bank, Washington (DC). http://dcp-3.org/chapter/2601/pandemics-risks-mitigation-and-costs.

 [7] Richard Baldwin and Beatrice Weder di Mauro (eds., 2020): Mitigating the COVID Economic Crisis: Act Fast and Do Whatever It Takes. https://voxeu.org/content/mitigating-covid-economic-crisis-act-fast-and-do-whatever-it-takes.

[8] Michaelowa A, Michaelowa K (2020): The high costs of strict lockdown policies in poor countries. GlobalDev blog. https://www.globaldev.blog/blog/high-costs-strict-lockdown-policies-poor-countries

[9] Data Together COVID-19 Appeal and Actions. https://www.rd-alliance.org/data-together-covid-19-appeal-and-actions.

 

10 Kommentare

  1. Wissen um die Folgen der Pandemie / Angst vor den Folgen der Pandemie – deshalb sind die verfrühten Lockerungen wie ein Pokerspiel!

    Bei einer Gesellschaft in Gemeinschaftseigentum, gäbe es die Fragen der wettbewerbsbedingten Symptomatik “Wer soll das bezahlen?” nicht, es würde ganz im Sinne der maximalen Vernunft wieder hochgefahren und der normale Betrieb ginge einfach weiter.

    Es ist zu hoffen, dass nach der Coronakrise genau diese verstaatlichende Kommunikation die wirklich-wahrhaftige Vernunft zu Verantwortungsbewusstsein konsequent globalisiert – Zusammenleben OHNE wettbewerbsbedingte Symptomatik, OHNE heuchlerisch-konfusionierende “Freiheit” von/zu “unternehmerischem Risiko” das eh wieder alle tragen müssten.

    • Nun wie sieht das denn in der VR China aus? Auch im Sozialismus wird diese Frage gestellt und “Schuldige” gesucht, die dann dies “bezahlen” sollen.

  2. @Knoth

    Die Chinesen spielen das Spiel mit, und zwar, weil sie die Fehler des Ostblocks im “Kalten Krieg” nicht wiederholen wollen.

    Aber wie kommst Du auf Schuldige?
    Es sind doch vor allem immer die Schwächsten des Spiels die bezahlen müssen!

    • Aber wie kommst Du auf Schuldige?

      Zum Beispiel Prozesse in der Stalin-Zeit, wo bei Fehlschlägen man Menschen als “Verursacher” anklagte und öfters zum Tode verurteilte.

  3. Vernunft und Menschlichkeit können zu einer gerechteren Verteilung der Güter führen.
    Kapitalismus und Konkurrenzkampf führen nachweislich zu einer ungerechten Verteilung der Güter.

  4. @Bednarik

    Aber auch zu einer Ökonomie in wirklich-wahrhaftiger Ökologie – Weniger Bäume die umgehauen werden, weniger Resourcen die im Boden bleiben, weil sie nun nicht mehr als Bodenschätze am Markt irrational missbraucht werden, kurz: weniger Luft- und Wasserverschmutzung, weil die Produktion nur noch nachhaltig qualitativ- / nicht mehr quantitativ-orientiert funktioniert.

    Es heißt zur Zeit oft, dass wir die Weltbevölkerung zunehmend nicht mehr mit genügend Wasser und Nahrung versorgen können (deshalb zunehmend schädliche Gen- und Nanotechnologie), das stimmt aber NUR mit dem wettbewerbsbedingten System des “Zusammenlebens”!!!

  5. Ein Argument gegen große Wirtschaftsprobleme wäre, daß es sich nicht um ein Strukturproblem handelt (zumindest nicht bei den wirtschaftlichen Folgen, der Ausbruch selber ist sehr wohl ein Strukturproblem).
    Die Gefahr durch einen großen Zusammenbruch, der aus der falschen Grundausrichtung der Wirtschaftspolitik entsteht, ist zigfach höher, wobei der paradoxe Effekt entstehen könnte, daß der Virus diese Entwicklung bremst.
    Die Aktienindizes sind da ein gutes Beispiel, der Irrsinn, mit denen diese immer weiter gestiegen sind, wird mit Sicherheit zu einem zweiten Crash führen, der den ersten erscheinen lassen wird wie ein kuscheliges Kaffeekränzchen.

    Werden die Finanzmärkte jetzt mal gestutzt, verzögert das den Crash, abwenden wird es ihn aber nicht, es sei denn, Ostern und Pfingsten fallen auf einen Tag, während gleichzeitig Jesus auf die Erde zurückkehrt und die Sonne beginnt, sich um die Erde zu drehen, anders formuliert:
    Es sei denn, die Politik entschließt sich, die Finanzwirtschaft ernsthaft zu regulieren.

  6. Ein weiterer Einbruch der Aktienkurse konnte nur gestoppt werden, weil die Bundesregierung einen historisch einzigartigen Rettungsfonds von rund 500 Milliarden Euro aufgelegt hat.

    Dr. W ist “mehr international unteregs”, das Zuschieben von Steuergeld war aus diesseitiger Sicht nicht ausschlaggebend.

    Die Börsen durch Staatsintervention sozusagen zu retten, funktioniert nicht.

    Es ist schlicht so, dass die Börsen “Corona” als minder-gefährlich für denGeschäftserfolg erkannt haben.
    Dr. W könnte hier Gesundheitsdaten und Börsendaten sozusagen aufeinander legen wollen, allerdings obliegt derart den Jorunos selbst, bei be´sonderem Bedarf wird Dr. W diesbezüglich doch derartige Statistiken beibringen.

    MFG – WB

  7. *
    mehr international unter[w]egs

    **
    für den [] Geschäftserfolg

    ***
    obliegt derart den J[ou]rnos selbst

    ****
    bei be[]sonderem Bedarf

    (Dr. W ist schon lange im Geschäft, sieht aber nicht mehr so gut, auch bei der Tastenbetätigung hapert es manchmal)

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