The Artificial Sky (IAU & digitales Planetarium)

In Jena trafen sich vom 1. bis 3. November die „Working Group Star Names“ (WGSN) und das Stellarium-Team, um gemeinsam über Möglichkeiten des Managements für kulturelle Daten nachzudenken. Astronomie ist eine Wissenschaft, die fakultäten-übergreifend arbeitet: Die Astrophysik ist zwar seit den 1970er Jahren und dem Beginn des Raumfahrt- bzw. Weltraumteleskopzeitalters eine der Pionierwissenschaften für große Datenbanken und andere Repositorien. Sobald wir aber nicht nur Astrophysik machen, sondern Astronomie (also all die anderen Richtungen der Astro-Wissenschaft hinzunehmen, verlassen wir den Bereich etablierter Repositorien und müssen solche erst kreieren. Die freie und open-source Software Stellarium erlaubt Beiträge von Forschenden (egal, ob Ethnologie, Anthropologie, Wissenschaftsgeschichte, Kulturwissenschaften, Philologien…) und davon wurde bereits vielfach Gebrauch gemacht. Das Repositorium hat derzeit ca. 40 bis 50 „sky cultures“, also Sets der Darstellungen von Sternbildern, ihrer Namen und Beschreibungen. Eine „Himmelskultur“ oder „Sky Culture“ besteht aus Namen für Sternbilder, Strichfiguren und/ oder Bildern von Sternbildern, manchmal auch Namen von Einzelsternen, definitiv einer Beschreibung (woher kommt diese Kultur, wo sitzt sie auf der Erde und wie wurde das in Stellarium dargestellte erarbeitet) und einer Lizenz.

Die Working Group Star Names (WGSN) der Internationalen Astronomischen Union (IAU) wurde 2015/6 gegründet, 2016 nahm sie die Arbeit auf und ist seither darum bemüht, die Diversität von Sternnamen zu erhöhen. Der erste Arbeitsschritt dieser Gruppe war es folglich, die Namen von Sternen festzustellen, die bereits genutzt werden. Ziel ist es dabei, dass in astrophysikalischen Fachartikeln nicht mehrere Schreibweisen eines Sternnamens nebeneinander existieren, um a) die Schlagwortsuche und b) das Lesen von Papern zu vereinfachen. Es soll also nicht mal „Wega“ und mal „Vega“ dastehen, mal „Atair“ und mal „Altair“, was jeweils verschiedene, gleichberechtigte Transliterationen aus dem Arabischen sind, sondern die Idee war zunächst, diese Schreibweisen international zu standardisieren.

Eine parallele Aktivität sind die internationalen Benennungskampagnen („naming campaigns“), bei denen die breite Öffentlichkeit um Namensvorschläge gebeten wurde. Dann und nur dann, also nur im Rahmen dieser Kampagnen, werden Vorschläge angenommen – bei der jüngsten Kampagne letztes Jahr aber zum Beispiel mit der expliziten Regel, dass keine Namen von Personen vorgeschlagen werden dürfen. Die öffentlichen Kampagnen haben nur Sterne zum Ziel, die nicht mit dem bloßen Auge sichtbar sind und bei denen Planeten bekannt sind. Exoplaneten und ihre Hoststerne mit Namen statt mit „Telefonnummern“ anreden zu können ist quasi Auslöser dieser jüngsten IAU-Aktivitäten. 

Neue Kultur als Ausdruck von Respekt

Nachdem im ersten Schritt (2016-2021) die bekannten Sternnamen (wie Vega) offiziell aufgeschrieben wurden, ist nun seither die Frage, mit welchen Strategien weitere Sternnamen vergeben werden. Ich denke, wir sollten uns bei der Benennung von Sternen auf historische und indigene Namen von Sternen und Sternbildern beschränken und keine Namen von Menschen verwenden: nach Menschen werden Kometen oder Mondkrater benannt

Die Sterne, die begehrt man nicht,
man freut sich ihrer Pracht 
und mit Entzücken blickt man auf 
in jeder heiteren Nacht. 
[Joh. W. Goethe]

Zudem wurden in allen Kulturen Sternbilder erfunden, um generelle zwischenmenschliche Werte (von Liebe, Freundschaft, Respekt, Aufopferung, Anerkennung) zu verstirnen. Derlei universelle Werte bzw. die legendären Figuren, die sie verkörpern, eigenen sich m.E. ganz vortrefflich zur Namensgebung von Sternen.

Da die IAU alle Menschen gleichermaßen repräsentieren und alle Kulturen respektieren möchte und 1919 (nach dem 1. WK) explizit zur Überwindung politischer Differenzen durch wissenschaftliche Zusammenarbeit gegründet wurde, ist es uns ein Anliegen, auch Namen von anderen Kulturen an den Himmel zu versetzen, als nur die „althergebrachten“ arabischen, griechischen und lateinischen. Es wurden daher bereits in den ersten Jahren der Arbeit der Gruppe auch australische und polynesische Namen an den Himmel versetzt. Nicht immer stieß dies aber auf uneingeschränkte Gegenliebe in der jeweiligen Ursprungskultur. Manchmal unterliegen kulturelle Namen in ihrer eigenen Kultur Einschränkungen, z.B. dass sie nur von Frauen oder nur von Männern ausgesprochen werden dürfen. Derlei Namen kann man (logischerweise) nicht zu offiziellen Namen machen.

Die Fragen zur Benennung von Sternen durch die IAU sind also:

  1. Woher nehmen wir die Namen, die wir am Himmel offiziell machen?
  2. Nach welchen Kriterien wählen wir aus diesen, um eine möglichst umfassende Gleichverteilung zu erreichen und die Ursprungskulturen zu respektieren? 

Mein Ansatz, als ich der WGSN beitrat war (und ist bis heute), dass wir das Repositorium von Stellarium nutzen könnten, denn dieses wird von den Kulturen selbst oder respektvollen Forschenden mit Daten gespeist. Wenn etwas in Stellarium ist, dann muss es eine Lizenz haben, die die globale Nutzung erlaubt (nicht immer auch die kommerzielle), d.h. man respektiert auf jeden Fall die Ursprungskultur. Der einzige Nachteil ist, dass der Datensatz nicht vollständig ist (und nie sein wird), aber man muss ja auch nicht alle 8000 Sterne auf einmal benennen. Bei Mondkratern ist das Problem ja z.B. ähnlich und man findet bei Bedarf noch immer einen namenlosen, wenn ein bedeutender Astronom/in vorgeschlagen wird.

neue Webseite der WGSN der IAU – mit Infos zu Etymologien der Sternnamen und Sternbilder

Diskussionspunkt

Die Frage, die immer wieder aufkommt, ist, ob der Ansatz der IAU selbst übergriffig ist. Natürlich ist die Idee, Sternnamen künstlich zu erfinden und aus anderen Kulturen zu entlehnen eine Art “Diversität mit dem Vorschlaghammer” und natürlich ist es wieder die übergeordnete Gemeinschaft der Berufsastronomie, die die Namen vergibt. Man kann das als Hegemonie lesen oder als Versuch, dieser entgegen zu wirken. Es gibt Stimmen gegen das Nutzen von Aboriginal-Namen (und die logischerweise Tiere verwendeten, die es nur in Australien gibt, z.B. den Emu) für Sterne in griechischen oder babylonischen Sternbildern sind … und es gibt Stimmen, die dies explizit fordern. 

Große Diskussionspunkte sind bei solchen stark fachübergreifenden Meetings auch Begriffe (wie Sternbild, Asterismus etc., die von Hobby-Astronomen oft anders benutzt werden als in den Fachwissenschaften). Ich denke: Sollte es uns gelingen, eine gemeinsame Definition zu verfassen, die allen Fachwissenschaften entspricht, würde dies die wissenschaftliche Sprache für die nächsten Jahrzehnte/ Jahrhunderte vereinfachen – das muss ja nicht von allen Hobbyastronomierenden mitgemacht werden; Hauptsache, die Fachwelt einigt sich, denn das vereinfacht interdisziplinäres Arbeiten. 

Das letzte Wort ist lange noch nicht gesprochen, aber es war ein faszinierendes Meeting. Viele dieser Kollegen, mit denen ich seit Jahren zusammen arbeite, habe ich hier zum ersten Mal live-haftig getroffen. Ich hoffe, dass wir nach weiterem Remote-Arbeiten dann in ca. ein bis zwei Jahren wieder zusammen kommen und dann auf dieses erste Meeting zurückblicken als ein wundervollen Startschuss. 

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"physics was my first love and it will be my last physics of the future and physics of the past" Dr. Dr. Susanne M Hoffmann ist seit 1998 als Astronomin tätig (Universitäten, Planetarien, öffentliche Sternwarten, u.a.). Ihr fachlicher Hintergrund besteht in Physik und Wissenschaftsgeschichte (zwei Diplome), Informatik und Fachdidaktik (neue Medien/ Medienwissenschaft) als Weiterqualifikationen. Sie ist aufgewachsen im wiedervereinigten Berlin, zuhause auf dem Planeten Erde. Jobbedingt hat sie 2001-2006 in Potsdam gelebt, 2005-2008 saisonal in Mauretanien (winters) und Portugal (sommers), 2008-2009 und 2013-'15 in Berlin, 2010 in Hamburg, 2010-2012 in Hildesheim, 2015/6 in Wald/Österreich, 2017 in Semarang (Indonesien), seit 2017 in Jena, mit Gastaufenthalten im Rahmen von Forschungskollaborationen in Kairo+Luxor (Ägypten), Jerusalem+Tel Aviv (Israel), Hefei (China)... . Ihr fachliches Spezialgebiet sind Himmelskarten und Himmelsgloben; konkret deren Mathematik, Kartographie, Messverfahren = Astrometrie, ihre historische Entwicklung, Sternbilder als Kulturkalender und Koordinatensystem, Anomalien der Sternkarte - also fehlende und zusätzliche Sterne, Sternnamen... und die Schaustellung von alle dem in Projektionsplanetarien. Sie versteht dieses Blog als "Kommentar an die Welt", als Kolumne, als Informationsdienst, da sie der Gesellschaft, die ihr das viele studieren und forschen ermöglichte, etwas zurückgeben möchte (in der Hoffnung, dass ihr die Gesellschaft auch weiterhin die Forschung finanziert).

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