Respekt und Toleranz an Hochschulen

Heutige Pressemitteilung der ETH Zürich: “We should treat each other with respect” (wir sollten/ müssten einander respektvoll behandeln). Was so selbstverständlich klingt, dass es im Grunde jedes Kind verstehen kann, ist im Wissenschaftsbetrieb keineswegs Alltag – aber sollte es werden!

In dem hier geschilderten Fall geht es um das Verhältnis von DoktorandInnen zu ihren Doktoreltern. Aus eigener Erfahrung muss ich leider sagen, dass man mitunter lange suchen muss, bis man Doktoreltern findet, die einem die grundgesetzlich garantierte Forschungsfreiheit tatsächlich einräumen und dennoch eine Art “väterlicher” bzw. “mütterlicher” Leitstern sind (aber die gute Nachricht ist, es gibt sie und sie sind auffindbar!): Wie leibliche Eltern sollten auch Doktoreltern versuchen, ihre Schützlinge zu prägen und ihnen wohlwollend und besten Wissens und Gewissens alle nötige Unterstützung bieten – heimlich aber wissend, dass die Schutzbefohlenen bald flügge werden, gegen die meisten Regeln verstoßen werden und (die Eltern zutiefst verehrend) dann doch alles anders machen werden.

Ich bin meinen Doktorvätern und Diplommutter unsagbar dankbar für all diese Freiheiten und dass sie bei Bedarf aber dennoch stets für mich da waren – und sollte ich jemals das Glück haben, selbst Professorin zu werden, werde ich danach streben, es ihnen gleich zu tun… aber… da ich lange nach solchen Doktoreltern suchen musste, bin ich zuvor auch solchen schwarzen Schafen begegnet (z.B: einer, der mir sagte, seine italienischen Doktorandinnen würden für ihre Diss immer brav aufschrieben, was er – der Prof – sagte, aber so funktioniert nunmal Wissenschaft nicht und da sollte man schnellstens machen, dass man wegkommt. Oder solche, für die es selbstverständlich ist, dass Doktorarbeiten durch Hartz IV finanziert werden: dass weder das Arbeitsamt/ der Staat damit einverstanden ist noch dies als “kümmern um wiss. Nachwuchs” durch die Scientific Community anerkannt ist, ist klar!). Wenn solche Exemplare zu Untersuchungen führten wie an der ETH wäre es nur richtig. Obwohl ich dachte, dass dies mit dem 1968er Slogan “Unter den Talaren – Muff von 1000 Jahren” bei einer Hamburger Aktion bereits als überdenkenswert deklariert und später abgeschafft wurde.
Nun wurden Professoren klassisch berufen, weil sie sich in der Forschung bewährt hatten. Das Amt beinhaltet aber neben Forschung auch Lehre (Erwachsenenbildung), Mitteleinwerben, das Vertreten (nach außen) und Führen (nach innen) einer Arbeitsgruppe – wenn nicht noch weitere Managementkompetenzen. All diese Sachen wurden früher überhaupt nicht berücksichtigt und seit ca. 15 Jahren berücksichtigen wohl Berufungskommissionen “wenigstens” die Eignung zur Lehre… Management-Skills und andere Führungskompetenzen werden aber nicht oder kaum evaluiert.

Im Gegensatz zu anderen Bereichen des Managements bedeutet “Führen” in der Wissenschaft nicht ein Regelwerk aus Vorschriften (sonst wäre es gegen die Forschungsfreiheit) oder gar das Vorschreiben von Ergebnissen (wenn man die vorher kennen würde, wäre’s keine Forschung). “Beweis durch Autorität” ist eben nicht eine wissenschaftliche Methode. Führen tut man gute WissenschaftlerInnen an der “langen Leine”, denn wenn die Leine zu kurz ist, können sie keine Sterne pflücken (kommen einfach nicht ran). Gute Leute fördert man, indem man sie fordert, d.h. ihnen ein Rätsel, eine Frage gibt – alle (ethisch vertretbaren) Methoden zur Lösung sind dann erlaubt und werden nicht vorgeschrieben, ebenso wenig die Lösung selbst.

Ist es nicht denkwürdig, dass ausgerechnet an Einsteins Geburtstag seine Hochschule eine solche PM macht? Dass ausgerechnet heute darüber geredet wird, dass DoktorandInnen – also gerade der wissenschaftliche Nachwuchs, der das selbständige wissenschaftliche Arbeit beweisen soll – nicht gut behandelt worden wären. Einstein selbst hatte wohl behauptet,

“In never teach my pupils, I only attempt to provide the conditions in which they can learn.”

Dieses Prinzip zeigt die notwendige Freiheit der Forschung – es darf allerdings nicht zur Nachlässigkeit führen: Man muss sich schon auch um den wissenschaftlichen Nachwuchs kümmern. Diese Balance ist freilich schwierig und niemand macht alles richtig (weil wir Menschen sind)… eine Grundstruktur, die Einsicht in die Notwendigkeit und den Willen dazu braucht es aber. Dazu gibt’s heute die “Richtlinien für gute wissenschaftliche Praxis“. Sie fordern zumindest ebenfalls das Kümmern um den Nachwuchs – und auch das kollegiale Zusammenarbeiten sowie STRIKTE EHRLICHKEIT über die Beiträge von Kollegen sowie Konkurrenten. Dies in die Tat umzusetzen ist gewiss nicht immer einfach (zwischen Menschen menschelt es immer) und die Ressourcenknappheit in der Wissenschaft (Notwendigkeit des aktuellen Entfristungspakts) führen zu einem überflüssigen Kokettierverhalten: Als würden sich ForscherInnen nicht genug selbst unter Druck setzen, weil man stets die/der erste sein will, die/der etwas entdeckt: hinzu kommt nun noch der existenzbedrohliche politische Druck, der den Lebensunterhalt regelmäßig gefährdet. Die Richtlinien gegen wissenschaftliches Fehlverhalten wollen resultierender Unfairness (manche Leute denken, sie werden dadurch besser, dass sie andere schlecht reden – aber auch “üble Nachrede” ist strafbar, sogar laut StGB) entgegen wirken. Wir brauchen sie – keine Frage – aber m.E. müssten auch die Ursachen für die prekäre Situationen der beteiligten Menschen abgeschafft werden.

Für die Richtlinien gibt es auch bereits Gremien, bei denen man dies im Verstoßfall “einklagen” kann – sowohl an Universitäten als auch anderen Forschungseinrichtungen sowie auch – in Deutschland – bei der DFG, wobei ich vermute, dass die Alpenrepubliken etwas ähnliches haben (zumindest klang es bei der Auftaktmeldung im Oktober so, siehe auch PM 31.10.2018). Insgesamt könnte es allerdings sinnvoll sein, die Kunde von der Ahndung wissenschaftlichen Fehlverhaltens sowie – besser – das korrekte wissenschaftliche Verhalten von gegenseitigem Respekt, Toleranz und Teamfähigkeit stärker zu propagieren.

Respekt und Toleranz gegenüber anderen Meinungen, insbesondere denen von Schutzbefohlenen sollte man ebenfalls propagieren. DoktorandInnen (und Studierende) respektieren natürlich ihre akademischen “Eltern”… umgekehrt wäre das aber ebenfalls angemessen, denn würde von ihnen gefordert, stets nur im alten Sumpf der “Eltern” zu kochen, dann brächte die Wissenschaft nichts Neues hervor. “I need to disobey” bzw. “I need to disagree” sang das schon Joe Cocker in “N’oubliez jamais”, “every generation has its way”. Es braucht also auch den Respekt der ProfessorInnen gegenüber den NachwuchswissenschaftlerInnen. Die jungen Leute, d.h. die NachwuchswissenschaftlerInnen und die Studierenden sind doch die “Gluonen” im Wissenschaftsbetrieb, die mit neuen Ideen und Methoden kommen, weil sie es gerade in einem anderen Fach gelernt haben, während die Ausbildung der Profs (bzw. Dozenten) schließlich schon ein Weilchen her ist.

Anders gesagt: Betrachten wir die Geschichte, die der Film Dirty Dancing erzählt. Eine junge Frau, die bisher nicht/kaum tanzen kann, fährt mit ihren Eltern in die Ferien. Aufgrund von Zufällen, trainiert sie (heimlich) einen neuen Tanz. Innerhalb kürzester Zeit, nämlich schon am Ende ihrer Ferien kommt es nicht nur zu einer nahezu perfekten Performance auf der Bühne, sondern auch zu der berühmten Hebefigur, die auch von den trainierten und ausgebildeten Tänzern nur wenige hinkriegen. Sogar ihre Eltern sind hin und weg – und der Vater sagenhaft stolz auf seine Tochter:

Beachten Sie die Reaktionen der Eltern!

Dabei sollten wir nicht vergessen, dass a) der Tanz und die damit verbundene Akrobatik neu sind und b) die Tochter diese Kunststücke nicht von den Eltern gelernt hat, sondern eben heimlich in Privatstunden bei den beiden Vortänzern. Hätte sie ihre Eltern gefragt, hätten sie ihr gewiss nicht erlaubt, sich mit diesen Leuten “abzugeben”, aber weil sie nicht gefragt hat und also kein Verbot hatte und es einfach gemacht hat, konnte sie anschließend mit einer Performance glänzen, die niemand geahnt hätte. (Dass das nicht nur Hirngespinste sind, sondern in der realen Welt auch so geht, demonstrierte die Hauptdarstellerin: Jennifer Grey hat diese Tänze tatsächlich selbst erst während der Dreharbeiten gelernt und musste dafür sehr hart trainieren, aber hat es schlussendlich geschafft.)

Quintessenz:
* Junge Leute müssen sich also ihre eigenen Wege suchen, Neues ausprobieren und dafür – idealerweise – die nötigen Freiheiten haben.
* Man braucht aber gute Partner – (auch die und neben den) Doktoreltern.
(Um im obigen Beispiel zu bleiben: Der Vater von “Baby” hilft als Arzt, wenn es ganz schlimm wird und Patrick Swayze war schon vor dem Film ein exzellenter Tänzer und daher sowohl für Grey im realen Leben als auch für ihre Figur im Film der perfekte Partner.)

Respekt sollte zu den Kernkompetenzen im Wissenschaftsbetrieb gehören!

Da ist die ETH Zürich sicher kein Einzelfall, denn Arroganz gegenüber Kollegen und Selbstbehauptung gibt es (teilw. aus Gründen der Existenzbedrohlichkeit, teilw. aus Gewohnheit) überall. Daher hoffe ich, dass die Meldung von diesen Untersuchungsverfahren und Maßnahmen gegen Leute in Talaren “den Muff von tausend Jahren” jedesmal ein bisschen mehr vertreibt – und zwar allein durch ihre Existenz. Das Ergebnis muss natürlich am Ende gerecht sein (also Unschuldige ggf. frei gesprochen werden).

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"physics was my first love and it will be my last physics of the future and physics of the past" Dr. Dr. Susanne M Hoffmann ist seit 1998 als Astronomin tätig (Universitäten, Planetarien, öffentliche Sternwarten, u.a.). Ihr fachlicher Hintergrund besteht in Physik und Wissenschaftsgeschichte (zwei Diplome), Informatik und Fachdidaktik (neue Medien/ Medienwissenschaft) als Weiterqualifikationen. Sie ist aufgewachsen im wiedervereinigten Berlin, zuhause auf dem Planeten Erde. Jobbedingt hat sie 2001-2006 in Potsdam gelebt, 2005-2008 saisonal in Mauretanien (winters) und Portugal (sommers), 2008-2009 und 2013-'15 in Berlin, 2010 in Hamburg, 2010-2012 in Hildesheim, 2015/6 in Wald/Österreich, 2017 in Semarang (Indonesien), seit 2017 in Jena, mit Gastaufenthalten im Rahmen von Forschungskollaborationen in Kairo+Luxor (Ägypten), Jerusalem+Tel Aviv (Israel), Hefei (China)... . Ihr fachliches Spezialgebiet sind Himmelskarten und Himmelsgloben; konkret deren Mathematik, Kartographie, Messverfahren = Astrometrie, ihre historische Entwicklung, Sternbilder als Kulturkalender und Koordinatensystem, Anomalien der Sternkarte - also fehlende und zusätzliche Sterne, Sternnamen... und die Schaustellung von alle dem in Projektionsplanetarien. Sie versteht dieses Blog als "Kommentar an die Welt", als Kolumne, als Informationsdienst, da sie der Gesellschaft, die ihr das viele studieren und forschen ermöglichte, etwas zurückgeben möchte (in der Hoffnung, dass ihr die Gesellschaft auch weiterhin die Forschung finanziert).

6 Kommentare

  1. Feedback :

    Im Gegensatz zu anderen Bereichen des Managements bedeutet “Führen” in der Wissenschaft nicht ein Regelwerk aus Vorschriften (sonst wäre es gegen die Forschungsfreiheit) oder gar das Vorschreiben von Ergebnissen (wenn man die vorher kennen würde, wäre’s keine Forschung).

    In der Wirtschaft, aber auch anderswo, bspw. im Militär, bedeutet Leadership oft in etwa so :

    -> https://de.wikipedia.org/wiki/Führen_mit_Auftrag (vs. ‘ein Regelwerk aus Vorschriften’ – Preußen wich so mit seiner Armee in puncto Leadership womöglich als erstes ab, andere Armeen blieben tatsächlich an ‘ein Regelwerk aus Vorschriften’ gebunden, unterließen oft die Verteilung von Aufgabe im eigenverantwortliche Sinne. blieb womöglich auch so weniger erfolgreich)

    Es darf auch in der Wissenschaft geführt werden, im Sinne der Bildung eigenverantwortlicher und erfolgsorientierter personell zusammengestellter Einheit oder Truppe, sozusagen.

    In puncto ‘Respekt und Toleranz’ möchte Ihr Langzeit-Kommentatorenfreund, Dr. Webbaer, werte Frau Susanne M. Hoffmann, gerne ergänzen, dass es in etwa wie folgt gilt :

    1.) Akzeptanz, die dritte ungenannte Größe sozusagen in diesem Verbund, die Annahme meint, keinen Wert, keine Tugend an sich darstellen kann. (Dies womöglich überflüssigerweise angemerkt, soll aber doch so angemerkt werden.)

    2.) Die Toleranz eine Tugend ist, gerade auch im Werteverbund sogenannter liberaler Demokratien.
    Also aus liberaler Sicht, gewisse Einschränkungen hinnehmend, bspw. kann gegenüber der Intoleranz nicht tolerant geworden werden, das sog. Toleranzparadoxon hier das Fachwort.

    3.) Der Respekt, und darum hat sich Dr. Webbaer auch kurz noch bei Ihnen gemeldet, sich verdient werden muss.
    Der Respekt meint, etymologisch ist dies klar, die Rückschau (so wörtlich) auf einen höher Gestellten, auf einen Gleichrangingen oder auf eine Person, die besonders geschätzt wird, um möglichst sichergestellt zu sehen, dass der (Rück-)Weg gefunden wird.
    Respekt ist keine Tugend, sondern Sozialverhalten, das Wertschätzung ausdrückt und sich verdient werden kann (oder auch nicht).

    MFG
    Dr. Webbaer (der siebenmal im dankenswerterweise bereit gestellten WebLog-Eintrag die Wurzel ‘tolerant’ zu notieren hatte)

  2. *
    Dr. Webbaer (der siebenmal im dankenswerterweise bereit gestellten WebLog-Eintrag die Wurzel ‘respekt’ zu notieren hatte)

  3. Hallo Frau Hoffmann,

    es gibt – neben den unzweifelhaft vorhandenen hier angesprochenen größeren Problemen – zum Glück auch ermutigende Entwicklungen: So wurde kürzlich an der Humboldt-Universität in der neuen Tenure-Track- und Berufungsordnung festgelegt, dass eines der Kriterien für die Entfristung bzw. Berufung auch der Nachweis von Führungskompetenzen sein soll (siehe https://scilogs.spektrum.de/wissenschaftssystem/leistungsselektion/, dort unterden Good-Practise-Beispielen angeführt).
    Die Anwendung von klarer definierten Kriterien hätte m.E. großes Verbesserungspotenzial – zusammen mit der Nutzung von Anforderungsprofilen wie bei profesioneller Personalauswahl üblich (siehe das Buch von Peus u.a. 2015: https://scilogs.spektrum.de/wissenschaftssystem/personalauswahl-in-der-wissenschaft-systematisch/) und könnte auch anderen Problemen entgegenwirken, wie der zuletzt wieder deutlich verstärkten sozialen Schließung bei Berufungen.

    Beste Grüße

  4. Herzlichen Dank, Herr Krempkow! Das klingt großartig! Mir scheint, an der HUB geht gerade sehr viel interessantes vor (Entfristungspakt und dann das hier).
    Hat zwar nichts mit der Situation von Doktoranden zu tun, aber diese Neuigkeiten machen mir ein wenig Hoffnung mit Bezug auf meinen (inzwischen) Wunsch, selbst Professorin zu werden (und zu versuchen, es besser zu machen): Mitarbeiterführung, Management kann ich (nachgewiesen), Lehre kann ich (nachgewiesen) und jetzt muss/ möchte ich bloß noch ein paar weitere INHALTE lernen, um mein (nach humboldtschem Bildungsideal selbst bestimmt-umfangreiches) akademisches Profil abzurunden und mich attraktiv zu machen.

    Herr Dr. WebBär, danke für die Hinweise – aber wer Tippfehler findet, darf sie behalten. Alle meine Blogposts sind rasch runtergeschrieben: weder groß geplant noch unterliegen sie irgendeiner Redaktion – ähnlich wie bei den meisten Menschen E-Mail. Ich schreibe einfach, was ich denke und ich für öffentlich interessant halte: direkt vom Hirn in die Tastatur. Daher kann’s auch vorkommen, dass ich ein paar Tage später noch einen Absatz ergänze… oder eben, dass kleinere Tippfehler ein einziges finales “noch mal rasch drüber lesen” vor dem Publizieren überleben. Bitte um Entschuldigung, sehe aber keine Möglichkeit, hierfür Änderung zu versprechen.

  5. Dr. W wollte auch ein wenig nerven, Frau Susanne M Hoffmann.
    Es ist OK, was Sie schreiben und Dr. W dankbarer Abnehmer sein.
    Lassen Sie sich bitte nicht stören.

    Bitte, bitte nicht stören lassen durch das Geschwafel im Feedback weiter oben.

    Wir sind hier im Web,
    MFG
    Dr. Webbaer

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