Cor Caroli – der Stern zur Krönung

Königskrönung im United Kingdom – vor genau 350 Jahren, im Jahr 1673, erschien der erste Beleg für den Namen des Sterns unter dem Schwanz der Großen Bärin: Herz von Karl (Cor Caroli), gemeint war Charles I von England, Schottland und Irland. Erfunden worden sein soll der Name aber in den 1660er Jahren.

Der hier markierte helle Stern unter dem Schwanz der Bärin ging gestern über London gerade mittags auf, also er stieg während der Krönung empor. Das ist keine astrologische Aussage, sondern eine astronomische – und wenn Sie wollen, können Sie es mit Sinn für britischen Humor entsprechend symbolisch interpretieren.

Erinnerung an britische Geschichte

Im Vereinigten Königreich wurde bereits vor Jahrhunderten ein parlamentarisches Kontrollorgan für die Monarchie eingeführt. Die Krone ist also keine absolute Monarchie. Charles I von England, Schottland und Irland hat sich aber im 17. Jh. daraus wenig gemacht: Häufig setzte er sich über Parlamentsbeschlüsse hinweg und agierte, als wäre er ein absolutistischer Monarch. Folgerichtig gab es parlamentarische Gegenwehr, Aufstände und schließlich kulminierte der Bürgerkrieg in der Hinrichtung des Königs Charles I im Januar 1649. Obwohl damals Schottland sofort seinen Sohn Charles II zum König deklarierte, wollte man in England eine Republik unter der Führung von Oliver Cromwell und der König (Charles II) floh ins Exil nach Festland-Europa. Er verbrachte etwa ein Jahrzehnt in Frankreich und den Niederlanden (damals teilw. Republik, teilw. unter der spanischen Krone). Erst nach dem Tod von O. Cromwell und der resultierenden Führungslosigkeit wollte man auch in England den König zurück haben und Charles II kehrte im Frühling 1660 nach London zurück. Im Mai (am 29. und nicht am 6., aber immerhin gleicher Monat) 1660, an seinem 30. Geburtstag, wurde er dort unter öffentlichem Beifall der Menschenmengen an den Straßen empfangen. 

Sein Lebarzt, Sir Charles Scarborough, behauptete später, dass der Stern unter dem Schwanz der Großen Bärin, der bis dahin namenlos war, in jener Nacht der Rückkehr des Königs besonders hell geleuchtet haben soll. Er nannte den Stern daher “Cor Caroli”, das Herz von Charles I, der sich “im Himmel” (nach christlichem Glauben) darüber freut, dass sein Sohn nun doch wieder als König eingesetzt ist. 

Die Chroniken zählen die Regierungsjahre von Charles II tatsächlich ab 1649 (dem Jahr der Hinrichtung seines Vaters), also auch während der englischen Republik. 

Astronomie und Glaube

Der Glaube (von astronomisch Unkundigen), dass mit der Geburt (dem Erscheinen) eines bedeutenden Menschen auf der Erde auch ein Stern am Himmel erscheint (und als Sternschnuppe verglüht, wenn der Mensch stirbt), ist eine weit verbreitete Romantisierung eines Sinnbilds. Wer die Sterne kennt, weiß, dass es binnen einen Menschenlebens keine sichtbaren Veränderungen am Sternhimmel gibt: die Muster von Lichtpunkten im Dunkeln bilden stets die gleichen Sternbilderfiguren. 

Christen kennen aus dem Matthäus-Evangelium die Saga, dass ein Stern mit der Geburt von Jesus erschien. Juden (und Christen und Muslime) kennen die alte Prophezeiung, dass ein neuer Stern erscheinen wird, sobald der Messias auf Erden ankommt. Für die naturverbundenen Nomaden – Araber wie Israeliten – ist etwas logischerweise ein “Wunder Gottes”, das eben nicht alle Tage geschieht bzw. vllt nie vom Individuum beobachtet wurde. Je absurder die Erscheinung, desto mehr kann sie nur als von Gott verursachtes Wunder interpretiert werden. Sterne bleiben halt gleich – und wenn ein neuer Stern erscheint, dann ist das ein “Wunder” oder “Zeichen” von etwas besonderem. 

Nun war 1660 gerade kein neuer Stern am Himmel zu sehen: Supernovae gab es 1604 und 1572, aber eben nicht gerade just als Charles II in London ankam. Da man aber in der Metapher bleiben wollte, die den König (nach Zeiten des Hinterfragens, des Bürgerkriegs, der Spaltung des United Kingdoms und der Hinrichtung seines Vorgängers) ideologisch legitimiert, behauptete man, dass ein bestimmter Stern einfach heller geworden sei. Es musste einer der Sterne sein, die das nicht regelmäßig tun: Mira (deren Variabilität in den 1590ern festgestellt wurde) und Algol fallen damit aus. 

Der relativ helle Stern unter dem Schwanz der Bärin bietet sich aber aus verschiedenen Gründen an: Er ist freiäugig gut sichtbar, er war bis dahin namenlos, und die Gruppe von sieben helleren Sternen, die wir im Deutschen Großer Wagen nennen, ist britisch zwar normalerweise “der Pflug”, aber auch mit dem Beinamen “Charles’ Wagen” (nicht Krönungskutsche!) bekannt. Wenn also der Stern neben dem “Wagen” bzw der “Kutsche von Karl II” gerade besonders hell leuchtet, ist das ein Sinnbild für die Erleichterung durch die Rückkehr des Königs und die Wiedereinsetzung der Monarchie bei (zumindest diesen) den Briten.   

Zunächst galt der helle Stern Cor Caroli als Einzelstern-Sternbild und hieß ausführlich Cor Caroli Regis Martyris (in Gedenken an das königliche Martyrium von Charles I, der seine Hinrichtung selbst als Martyrium für sein Volk bezeichnete, bevor er geköpft wurde). Der britische Kartograph Francis Lamb soll ihn (laut Ridpath) zum ersten Mal in seinem Astroscopium (1673) verzeichnet haben. In John Sellers Atlas Coelestis 1677 fand es weitere Verbreitung und es wurde 1678 von Edmond Halley aufgenommen (link zur Karte bei der Gallica)

Das polnische Ehepaar Jan und Elizabeta Hevelius prägte das moderne Sternbild an dieser Himmelsstelle: In dem durch Elizabeta 1687 veröffentlichten Sternkatalog und Himmelsatlas Prodromus Astronomiae wurde an dieser Himmelsgegend das Sternbild von zwei Jagdhunden platziert. Der Name des Sternbilds Cor Caroli wurde fortan und bis heute für Name eines Einzelsterns genutzt und nicht mehr eines Sternbildes. 

Ist Cor Caroli veränderlich? 

Natürlich ist er das: fast alle Sterne sind das. Seine Helligkeit schwankt aber nur um 0.1 mag und ist damit fürs Auge kaum wahrnehmbar. Es ist ein Doppelstern, von dem eine Komponenten sonnenähnlich (Spektraltyp F, also bisschen heißer als die Sonne) und die andere Wega-ähnlich (Spektraltyp A0, also bisschen größer und heißer als die Sonne, aber Hauptreihenstern) ist. 

Da es sich um zwei Hauptreihensterne handelt, kann dieses Paar keine Nova im Jahr 1660 verursacht haben, d.h. die Saga ist rein symbolisch oder wahrnehmungspsychologisch gemeint und entbehrt jeder astronomischen Tatsache. 

Wie der Stern gestern aussah – also bei der Krönung von Charles III von England, Schottland und Irland – vermag ich nicht zu sagen, dass bei mir der Himmel bewölkt war. Das gilt wohl auch für London. 

Nachdem das englische Wetter ja für regnerischen Himmel berühmt ist, war es vermutlich für Scarborough und andere Gefolgsleute des britischen Königs im Jahr 1660 schon eine Besonderheit, dass sie den Sternhimmel überhaupt gesehen haben. Vielleicht hat er nur zu erwähnen vergessen, dass alle anderen Sterne in jener Nacht damals 1660 ebenfalls besonders schön leuchteten, also ein klarer Sternhimmel beobachtet wurde. 😉 

PS: Die Internationale Astronomische Union hat seit 2016 ein Kommittee, das die Aufgabe hat, Eigennamen von Sternen offiziell zu machen. Manche historischen Namen (wie Cor Caroli) wurden in den ersten Iterationen anerkannt: Neue Vorschläge von Eigennamen von Personen werden aber nicht angenommen. Also NEIN, es ist NICHT MÖGLICH, heutzutage Sterne nach Personen zu benennen. Die Gründe können Sie im aktuellen Jahresbericht nachlesen: link

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"physics was my first love and it will be my last physics of the future and physics of the past" Dr. Dr. Susanne M Hoffmann ist seit 1998 als (Kultur)Astronomin tätig (Universitäten, Planetarien, öffentliche Sternwarten, u.a.). Ihr fachlicher Hintergrund besteht in Physik und Wissenschaftsgeschichte (zwei Diplome), Informatik und Fachdidaktik (neue Medien/ Medienwissenschaft) als Weiterqualifikationen. Sie ist aufgewachsen im wiedervereinigten Berlin, zuhause auf dem Planeten Erde. Jobbedingt hat sie 2001-2006 in Potsdam gelebt, 2005-2008 saisonal in Mauretanien (winters) und Portugal (sommers), 2008-2009 und 2013-'15 in Berlin, 2010 in Hamburg, 2010-2012 in Hildesheim, 2015/6 in Wald/Österreich, 2017 in Semarang (Indonesien), seit 2017 in Jena, mit Gastaufenthalten im Rahmen von Forschungskollaborationen in Kairo+Luxor (Ägypten), Jerusalem+Tel Aviv (Israel), Hefei (China)... . Die einleitenden Verse beschreiben eine Grundstruktur in ihrem Denken und Agieren: Physik ist eine Grundlagenwissenschaft, die datenbasiert und mit dem Erkenntnisapparat der Logik ein Verständnis der Natur zu erlangen bestrebt ist. Es gibt allerdings auch Fragen der Welt, die sich der Physik entziehen (z.B. wie wir Menschen auf diesem Planeten friedlich, synergetisch und benevolent zusammenleben können) - darum ist Physik nicht die einzige Liebe der Bloggerin. Sie liebt die Weisheit und hinterfragt die Welt. Das Wort "Philosophie" ist ihr aber zu groß und das populärwissenschaftliche Verständnis davon zu schwammig, als dass sie sich damit identifizieren würde: hier geht's faktenbasiert zu. Ihr fachliches Spezialgebiet sind Himmelskarten und Himmelsgloben; konkret deren Mathematik, Kartographie, Messverfahren = Astrometrie, ihre historische Entwicklung, Sternbilder als Kulturkalender und Koordinatensystem, Anomalien der Sternkarte - also fehlende und zusätzliche Sterne, Sternnamen... und die Schaustellung von alle dem in Projektionsplanetarien. Sie versteht dieses Blog als "Kommentar an die Welt", als Kolumne, als Informationsdienst, da sie der Gesellschaft, die ihr das viele studieren und forschen ermöglichte, etwas zurückgeben möchte (in der Hoffnung, dass ihr die Gesellschaft auch weiterhin die Forschung finanziert).

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