Predictive Coding – Wie innere Vorhersagen unser Leben bestimmen

Lange betrachtete die Hirnforschung das Nervensystem vor allem als eine passive Kette aus Reizen und Reaktionen. Heute weiß man: Einflüsse aus der Umwelt zu verarbeiten ist ein aktiver Prozess, mit dem wir uns unsere eigene Realität erschaffen. Mithilfe dieses sogenannten Predictive Codings trifft das Gehirn auf allen Ebenen seiner kognitiven Prozesse Vorhersagen darüber, was es in einer bestimmten Situation erleben wird – und gleicht die tatsächlichen Erlebnisse damit ab. Versteht man diesen Mechanismus genauer, lassen sich auch Sinneswahrnehmungen, Bewegungen und psychische Störungen besser erklären.

von Ole Bialas & Alessandro Braga

Der Apparat, mit dem wir unsere Umgebung wahrnehmen, enthält etwa 10 Millionen Rezeptoren, die, wenn sie mit einem entsprechenden Reiz konfrontiert werden, Nervenimpulse auslösen. Es folg eine lange Kette an Verarbeitungsschritten, in der der Impuls mit anderen kombiniert wird. Daraus bildet sich ein Sinneseindruck, der mit den eigenen Bedürfnissen und Erfahrungen abgewogen wird, sodass am Ende eines entsteht: Die Reaktion. Dieses Modell einer Reiz-Reaktions Kette kann beliebig komplex sein. Es läuft aber immer nur in eine Richtung, wie eine Reihe umfallender Dominosteine. Viele Beobachtungen aus Tierversuchen lassen sich auf diese Art und Weise verstehen, darunter die berühmte Konditionierung der pawlowschen Hunde. Allerdings stehen andere Phänomene in direktem Widerspruch dazu. Betrachten Sie zum Beispiel dieses Bild:

Weiße Vase auf Schwarz oder schwarze Gesichter auf Weiß? Die Deutung lässt sich bewusst beeinflussen. Bild: Vectorstock

Sehen sie eine weiße Vase auf schwarzem Hintergrund? Oder sehen Sie die schwarzen Profile zweier Gesichter auf weißem Hintergrund? Versuchen Sie, sich abwechselnd auf die zwei Deutungsmöglichkeiten zu konzentrieren – Sie werden bemerken, wie Sie ihren visuellen Eindruck verändern können. Das zeigt: Ein und dasselbe Bild kann von Moment zu Moment verschiedene Eindrücke hervorrufen – und wir können diesen Prozess bewusst steuern. Diese Beobachtung passt nicht zur Vorstellung der geradlinigen Reiz-Reaktions-Kette sondern erfordert ein komplexeres Bild von der Funktionsweise unseres Gehirns.

Die philosophischen Wurzeln

Eine Theorie namens “Predictive Coding” liefert uns eine Erklärung für dieses Phänomen und eröffnet eine neue Sichtweise auf neuronale Prozesse. Unser Gehirn versucht demnach in gewisser Weise die Zukunft vorherzusagen in dem es mithilfe innerer Modelle zukünftige Sinneseindrücke voraussagt. Fehler, die aus der Differenz zwischen dieser Vorhersage und der tatsächlichen Beobachtung entstehen, werden genutzt, um das Modell zu verbessern. Durch einen ständigen Kreislauf aus Prädiktion, Beobachtung, Fehler und Verbesserung lernen wir unsere Umwelt zu verstehen. Daraus folgt, dass unsere Wahrnehmung nicht nur die Summe unserer Sinneseindrücke, sondern auch ein Produkt unserer Erwartungen ist. Eine ähnliche Vorstellung finden wir bereits in Immanuel Kants Kritik der reinen Vernunft. Kant unterscheidet zwischen Anschauungen der Sinnlichkeit und dem Verstand, der in Kategorien operiert. Um etwas wahrzunehmen, müssen wir die sinnliche Anschauung kategorisieren. Sehen wir zum Beispiel einen Stuhl, wird die Kategorie eines Stuhls auf das Muster an Reaktionen angewandt, die die Betrachtung des Objekts auf unserer Netzhaut verursacht. Da die Wahrnehmung somit von den vorher vorhandenen Kategorien abhängt, ist sie ein Produkt unserer Einbildungskraft. Wenn wir im Beispiel eine Vase oder ein Gesicht erkennen, liegt das daran, dass die entsprechende Kategorie auf den sinnlichen Eindruck angewandt, den das Bild hervorruft. Manche gehen sogar soweit, von Wahrnehmung als einer Art kontrollierter Halluzination zu sprechen.

Vorhersagen auf kleinster Ebene

Die Auswirkungen der Vorhersagemodelle lassen sich bereits auf der Ebene einzelner Neurone beobachten. Messen wir die Aktivität einer Nervenzelle des Hörsystems, während immer wieder der gleiche Ton in einem festen Rhythmus gespielt wird, sehen wir, dass die Antwort der Nervenzelle von Mal zu Mal geringer ausfällt. Bleibt der Ton dann plötzlich aus, führt sein Fehlen zu einem negativen Potential in der Zelle. Der Grund: Die Vorhersage, durch die die Reaktion auf den vorhersehbaren Ton unterdrückt wird, läuft ins Leere.

Wir können Wahrnehmung also als einen Filterprozess begreifen, bei dem Sinnesinformation unterdrückt wird, solange sie mit der Vorhersage übereinstimmt. Unterschiede zwischen Vorhersage und Beobachtung führen zu Fehlern, die weitergeleitet werden. Das führt wiederum zu einer Aktualisierung des Vorhersagemodells und schließlich zu einer veränderten Wahrnehmung. Physiologisch wird dies durch eine Veränderung der Signalübertragung an den Synapsen sensorischer Nervenzellen umgesetzt. 

Steuerung von Bewegungen

Predictive Coding lässt sich allerdings nicht nur auf die Wahrnehmung anwenden. Radikale Verfechter der Theorie sehen darin ein Grundprinzip der Organisation von Nervensystemen. Demzufolge ist der übergeordnete Zweck allen Verhaltens, Prädiktionsfehler zu minimieren – entweder durch eine Anpassung des Modells oder durch Interaktion mit der Umwelt. Tatsächlich sind diese Prozesse untrennbar miteinander verbunden.

Bewegungen, die wir ausführen, haben einen bestimmten Zweck und gehen mit einer Veränderung unserer Sinneswahrnehmung einher, woraus sich eine Prädiktion generieren lässt. Drehen wir etwa unseren Kopf ein Stückchen nach rechts, haben wir eine Idee davon wo er sich anschließend befindet und was wir nach der Bewegung sehen – noch bevor sie ausgeführt wird. Diese Vorhersage wird mit der tatsächlichen Beobachtung verrechnet. Das hat zur Folge, dass wir unsere Umgebung als statisch wahrnehmen, obwohl sich die Objekte in unserer Umwelt, relativ zu den Augen gesehen, bewegen. Die Konsequenzen des eigenen Handelns vorauszusagen, passiert dabei völlig unbewusst und lässt sich nicht verhindern. Daher ist es zum Beispiel unmöglich, sich selbst zu kitzeln.

Steigen wir etwa eine Treppe hinauf, vollführt unser Nervensystem einen ständigen Kreislauf aus Planung, Ausführung und Abgleich von Prädiktion und Beobachtung. Prädiktionsfehler werden genutzt, um die Bewegungen anzupassen und für etwaige Unebenheiten in der Treppe zu korrigieren. Besonders eindrucksvoll können wir den Prädiktionsfehler wahrnehmen, wenn wir am Ende der Treppe eine weitere Stufe erwarten – und ins Leere treten. 

Den Baum vor lauter Wald nicht sehen

Eine entscheidende Rolle beim Predictive Coding spielt die Aufmerksamkeit. Sie bestimmt, wie schwer bestimmte Prädiktionsfehler gewichtet werden. Spazieren wir beispielsweise durch einen Wald, nehmen wir zwar wahr, dass wir von Bäumen umgeben sind. Wir ignorieren aber feine Unterschiede in deren Rinde, Verästelung oder Blattform. Es ist, als würden wir mental die individuellen Bäume durch ein standardisiertes Modell ersetzen. Im Rahmen des Predictive Codings bedeutet das: Die Vorhersagefehler, die aus dem Unterschied zwischen unserem mentalen Modell und den tatsächlichen Bäumen entstehen, werden kaum gewichtet. Erst wenn wir unsere Aufmerksamkeit auf den Baum richten, bemerken wir die genaue Form seines Stamms, die Schattierungen der Blätter und Furchen in der Rinde. Die Aufmerksamkeit wirkt dabei wie eine Lupe, die wir auf das Objekt richten. Dadurch wird die zuvor ignorierte Information aufgenommen und, in Form von Prädiktionsfehlern, in unser internes Modell integriert.

Psychische Störungen besser verstehen

Wenn prädiktive Prozesse so entscheidend sind für unsere Erfahrung der Welt, ergeben sich daraus auch Implikationen für das Verständnis psychischer Störungen. So gibt es einen wachsenden Konsens unter Forschern und Ärzten hinsichtlich der Wichtigkeit von Vorhersagemodellen für das Krankheitsbild der Schizophrenie. Auf zellulärer Ebene zeichnet sich diese durch Fehlfunktionen von Interneuronen und NMDA-Rezeptoren aus, die jeweils eine Schlüsselrolle im Predictive Coding spielen. Interneurone verbinden verschiedene Nervenzellen miteinander und leiten dadurch die Vorhersagen interner Modelle an Sinneszellen weiter. NMDA-Rezeptoren befinden sich an Synapsen und sind entscheidend für die Steuerung ihrer Übertragungsstärke. Die Rezeptoren sind somit eine Voraussetzung, um die Vorhersagemodelle zu aktualisieren.

Sind diese beiden Strukturen gestört, sind also auch die Vorhersagen, beziehungsweise deren Umsetzung beeinträchtigt. Einige Studien führen die für Schizophrenie charakteristischen Sinnestäuschungen und Halluzinationen auf Störungen genau darauf zurück. Interessanterweise ist man sich dabei uneins, ob dabei zu wirkmächtige Vorhersagemodelle die Wahrnehmung einfach übertrumpfen. Oder im Gegenteil, die Modelle nicht in der Lage sind, die Wahrnehmung adäquat zu beeinflussen.

Tatsache ist, dass die Unterdrückung der neuronalen Reaktion auf erwartbare Töne, sowie die Reaktion auf einen plötzlich ausgelassenen, bei Schizophrenie-Patienten reduziert ist oder vollständig fehlt. Auch die optische Illusion zu Beginn des Artikels hat auf sie nicht dieselbe Wirkung. Schizophrenie-Patienten beschreiben einen schnellen, unkontrollierbaren Wechsel zwischen den beiden Deutungsmöglichkeiten oder sehen gewissermaßen gleichzeitig die Vase und die Gesichter. Auch die auditorischen Halluzinationen, von denen 75 Prozent aller Schizophrenie-Patienten berichten, lassen sich darauf zurückführen, dass prädiktive Prozesse versagen. Der innere Dialog, den wir mit uns selbst führen, ist in gewisser Weise selbst generierte Sinnesinformation – ähnlich der visuellen Eindrücke auf unserer Netzhaut, wenn wir den Kopf bewegen. Werden die neuronalen Reaktionen auf diese Information nicht adäquat durch Vorhersagen unterdrückt, könnte dies das Gefühl einer fremden Stimme im Kopf hervorrufen. Das wiederum kann zu den für Schizophrenie charakteristischen paranoiden Wahnvorstellungen führen. Die Erforschung prädiktiver Prozesse ist also nicht nur für die Grundlagenforschung entscheidend, sondern könnte auch die klinische Diagnostik und Behandlung verbessern.

Eine allgemeine Theorie der Hirnfunktion

Bislang steckt die Theorie des Predictive Coding zwar noch in den Kinderschuhen. Schon jetzt liefert sie aber überzeugende Erklärungen für verschiedene Phänomene der Neurowissenschaften. Natürlich wird eine Theorie mit solch weitreichenden Implikationen (zurecht) mit gewisser Skepsis betrachtet. Wir sollten uns daher darüber im Klaren sein, dass es unmöglich ist, komplexe Phänomene wie die Schizophrenie, bei denen auch soziale Faktoren eine Rolle spielen, vollständig auf ein Modell zu reduzieren. Dennoch könnte das Predictive Coding vor allem eines bieten: Eine allgemeine Theorie, wie das Gehirn funktioniert.  

Veröffentlicht von

Ich habe Biologie in Tübingen und Leipzig studiert und promoviere an der Universität Leipzig in Kooperation mit dem Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften. In meiner Forschung untersuche ich, wie räumliches Hören auf neuronaler Ebene funktioniert. Ich halte räumliches Hören für ein interessantes Modell, anhand dessen wir besser verstehen können, wie unser Gehirn Sinnesinformation verarbeitet. Methodisch setzte ich dabei auf eine Kombination aus Verhaltensstudien, Hirnstrommessungen mittels EEG und statistischer Modellierung.

59 Kommentare

  1. 1) zur Vase/Gesicht-Wahrnehmung > Priming
    Der Zustand von Neuronen VOR der Wahrnehmung eines neuen Reizes – entscheidet darüber, wie dieser dann verarbeitet wird, Fachbegriff: Priming
    D.h. als Reaktion auf einen identischen(!) Reiz sind verschiedene Reaktionen möglich
    Dazu ist schon eine neuronale Schaltung bekannt
    DOI: 10.1016/j.cell.2015.02.018 Feedback from network states generate variability in a probalistic offactory circuit
    http://www.sciencedaily.com/releases/2015/03/150313110402.htm Free will? Analysis of worm neurons suggest how a single stimulus can trigger different responses

    2) predicitve coding ist in der Tat für uns sehr wichtig – denn dies ist unsere wichtigste Überlebensstrategie!
    Wenn wir einen neuen Reiz (eine neue Situation, einen neuen Gedanken) registrieren, dann reaktiviert unser Gehirn sofort eine möglichst vergleichbare ERFAHRUNG aus unserem Gedächtnis. Damit ist eine schnellste Reaktion möglich, denn eine ERFAHRUNG besteht in Kombination und in unterschielicher Intensität aus den Komponenten: a) Faktenwissen, b) Körper-Reaktion, c) Sinnes-Reaktion, d) Immunsystem-Reaktion und e) Emotionen.
    Diese Arbeitsweise unseres Gehirns hat nur den Zweck, eine schnellste Reaktion zu ermöglichen. Diese erste Reaktion kann daher auch falsch bzw. ein Vorurteil sein.
    Wenn wir nicht sofort reagieren müssen, haben wir Zeit die Situation zu überdenken – und kommen dann manchmal/oft zu einer anderen Entscheidung. (Dies ist ein Grund, warum man wichtige Entscheidungen überdenken – bzw. eine Nacht darüber schlafen sollte.)
    Prof. Kahnemann hat diese zwei unterschiedlichen Strategien der Reizverarbeitung mit der Bezeichnung ´thinking fast and slow – bzw. sytem 1/system 2´ beschrieben

    Der vorstehende Text beschreibt die Bedeutung von priming und predictive coding. Manchmal hat das Gehirn aber zu einem neu registierten Reiz keine passende Erfahrung im Gedächtnis gespeichert – dann arbeitet es anders: siehe den nächsten Textbeitrag

    • Danke für ihren Kommentar,
      Priming würde ich noch mal abgrenzen, das meint eigentlich, dass ein vorhergegangener Stimulus die Reaktion oder Wahrnehmung beeinflusst. Das ist beim Vase/Gesicht Bild allerdings nicht der Fall. Im Rahmen des Predictive Coding würde man eher von einem “Prior” sprechen – das ist ein Begriff aus der Baysschen Statistik. Der “Prior” symbolisiert so etwas wie die gesammelte Erwartung und kann auf verschiedenen Informationsquellen basieren (Umgebung, Emotionen etc.).
      Die neuronalen Schaltungen die Sie erwähnen sind sehr wichtig und können, wie in dem verlinkten Artikel, an Modellorganismen wie C.elegans untersucht werden, da wir dort jedes Neuron und jede einzelne Synapse kennen. Beim Menschen wird es wohl in absehbarer Zeit nicht möglich sein auf diesem Detaillevel zu arbeiten aber wir können versuchen Erkenntnisse aus dem Modell zu übertragen.

  2. Wenn das Gehirn zu einem neu wahrgenommenen Reiz keine passende Erfahrung aus dem Gedächtnis reaktivieren kann, dann ändert es seine Arbeitsstrategie und man kann nun den predictive -coding-Vorgang bewusst erleben!
    Das Gehirn konzentriert sich so stark auf die Verarbeitung des unverständlichen Reizes (der Fokus der Aufmerksamkeit ändert sich) – dass die Arbeitsweise des Gehirns nun der bewussten Wahrnehmung zugänglich wird: d.h. wir können nun bewusst erleben, wie das Gehirn arbeitet – eine NTE beginnt.

    Dabei sind zwei Arbeitsstrategien des Gehirns deutlich erkennbar:
    A) Das Gehirn vergleicht den unverständlichen Reiz der Reihe nach – Schritt-für-Schritt – mit im Gedächtnis gespeicherten Erfahrungen. Diese werden beim Reaktivieren der bewussten Wahrnehmung zugänglich- und zwar in Form eines rasch erinnerten Lebenslaufes ;
    ENTWEDER A1) in hierarchisch AUF-steigender Reihenfolge > ab dem 5. Schwangerschaftsmonat bis zum aktuellen Alter. Das ist das EPISODISCHE GEDÄCHTNIS.
    ODER A2) in hierarchisch AB-steigender Reihenfolge > vom aktuellen Alter bis hinab zum 2.-4. Lebensjahr. Dies ist das AUTOBIOGRAPHISCHE GEDÄCHTNIS – mit der Untergrenze des Erinnerns: INFANTILE AMNESIE

    (Alle Erfahrungen werden in der zeitlichen Gegenwartsform erlebt, im Gedächtnis gespeichert und so wieder reaktiviert. Die reaktivierten Erlebnisse können dabei verändert werden. Fachbegriff: state dependent retrieval)

    B) Manchmal erstellt das Gehirn eine gedankliche Simulation der aktuellen Situation, wobei man den eigenen Körper scheinbar aus einer Position ´sehenß kann – wo man von oben auf sich hinabblickt. Dies ist eine sogenannte ´AUSSERKÖRPERLICHE ERFAHRUNG (AKE)´. Eine AKE kann separat, am Anfang, zwischendurch oder am Ende eines Lebenslaufes (A) ) erlebt werden. (Dass es sich bei einer AKE nur um eine gedankliche Simulation handeln kann, ist daran erkennbar, dass wichtige Details nicht der Realität entsprechen.

    Wenn das Gehirn seine Aufmerksamkeit auf die Verarbeitung eines anderen Reizes richtet – dann ist die NTE vorbei!

    Bei der oben beschriebenen, bewusst erlebbaren Arbeitsweise des Gehirns handelt es sich um eine NTE (= Nahtod-Erfahrung). NTEs sind daran erkennbar, dass davon immer wieder die gleichen Muster/Strukturen berichtet werden. Dies muss so sein, da die Gehirne der Menschen nach den biologisch gleichen Mechanismen arbeiten.

    Literatur: per Google-suche [Kinseher NDERF denken_nte] = eine frei lesbare PDF. Das e-/Buch ´Kinseher Richard: Pfusch, Betrug, Nahtod-Erfahrung´ ist im Handel erhältlich

    • Predictive Coding bedeutet nicht zwingend, dass eine Erfahrung aus dem Gedächtnis aktiviert wird. In dem Beispiel vom ausgebliebenen Ton, der eine Reaktion auslöst, können wir zwar von Erfahrung reden, insofern es von vergangenen Ereignissen abhängt, aber das Gedächtnis hat damit nichts zu tun. Diese Art der Vorhersage findet nach allem, was wir wissen, auf sehr basaler Ebene statt, ohne dass irgendwelche kognitiven Mechanismen involviert sind. Ist eine Vorhersage nur sehr schwach oder nicht vorhanden, würde die Reaktion allein durch den Reiz bestimmt – das ist ein möglicher Erklärungsansatz für Schizophrenie

  3. @Bialas
    Wie Sie schreiben ist bei Schizophrenie der predictive coding Ablauf gestört – meine Beispiele sollen nur zeigen, wie wichtig predictive coding als normale Gehirnfunktion ist. Diese Beispiele sollen helfen, dass man den predictive coding Mechanismus noch besser verstehen kann.

    Das Thema NTE habe ich als konkretes Beispiel vorgestellt, weil man dabei gut verstehen/erkläen kann, wie das Gehirn einen einzelnen Reiz systematisch und strukturiert verarbeitet. Einen direkteren Zugang zur Arbeitsweise des Gehirns gibt es kaum.
    Außerdem kann man damit verstehen, dass die Qualität der Gehirnforschung noch extrem schlecht ist. Denn obwohl bei NTEs deutlich einheitliche Strukturen/Muster erkennbar sind – werden NTEs immer noch von der Forschung ignoriert. Dies bedeutet leider auch, dass man auch mögliche Lösungsansätze für psychische Erkrankungen/Probleme übersehen kann.

    (Etwa 5 % der Bevölkerung hatte eine NTE – zeigen Umfragen.
    Bei NTEs ist deulich erkennbar, dass dabei Erlebnisse ab dem 5. Schwangerschaftsmonat dem bewussten Erinnern zugänglich sind. Bisher gilt aber noch die Lehrmeinung ´infantile Amnesie´, wonach wir uns nicht an unsere frühesten Erlebnisse erinnern können. Dies bedeutet konkret, dass die Fachliteratur der Kognitionswissenschaft nachweisbar fehlerhaft ist und umgeschrieben werden muss. Oder in anderen Worten: Wenn in einem Wissenschaftsbereich wichtige Grundlagen nicht verstanden werden – kann dies zu Folgefehlern führen.)

    Noch ein Beispiel: slow motion perception / Zeitlupeneffekt
    Tennis- und Baseballspieler berichten manchmal, dass sie den heranfliegenden Ball wie in Zeitlupe gesehen haben – und dann besonders perfekt darauf reagieren konnten. Dieser Effekt lässt sich mit predictive coding gut verstehen:

    1) Wenn Sportler einen heranfliegenden Ball sehen – dann reaktiviert das Gehirn sofort eine zur Wahrnehmung passende Erfahrung (einschließlich Körperreaktion) aus dem Gedächtnis. Die Sportler ´sehen´ dadurch nicht den realen Ball, sondern den reaktivierten Ball aus dem Gedächtnis.
    2) Nun vergleicht das Gehirn den Ball aus dem Gedächtnis mit dem real heranfliegenden Ball. Dieser Vergleich schägt aber fehl – weil der heranfliegende Ball sich in der Zwischenzeit noch weiter angenähert hat.
    3) Deshalb reaktiviert das Gehirn nun eine neue Erfahrung aus dem Gedächtnis, die zur neuen Wahrnehmung/Position des heranfliegenden Balles passt.

    Die Ablaufzyklen 2)+3) werden solange wiederholt, bis die Sportler den Ball zurückschlagen.

    Weil jeder dieser Zyklen ca 1/8 Sekunde dauert (125 Millisekunden) empfinden/erleben die Sportler den Ballflug als Zeitlupenwahrnehmung

  4. Etwas realer,
    Sie joggen durch den Wald. Dabei achten Sie weniger auf die Bäume, sie laufen konzentriert, damit sie nicht in ein Loch fallen, nicht über einen Ast stolpern, noch an einem Ast hängen bleiben.

    Das läuft automatisch ab, im Grunde denken wir dabei nicht bewusst, wir reagieren bewusst.
    Abgespeichert wird auch der Weg. An den kann man sich erinnern.

    Bei zweiten mal joggen achten wir auf Kleinigkeiten, auf Pilze, auf Blaubeeren auf Geräusche der Vögel.

    Beim dritten Mal können wir uns schon den Gefühlen hingeben. Wir empfinden manche Wegabschnitte als angenehm, manche als gefährlich, manche als unangenehm.

    Die Erfahrung prägt also unser Erleben mit. Was ist neu an dieser Sichtweise ?

    • Das Beispiel im Wald sollte lediglich der Veranschaulichung dienen. Die Sichtweise an sich ist nicht neu, im Artikel erklären wir, dass ähnliche Ansichten z.B. bei Kant zu finden sind. Was Predictive Coding macht, ist diese Sichtweise in als quantitative wissenschaftliche Theorie zu formulieren mit der sich gemessene Ereignisse erklären und vorhersagen lassen.

  5. “In dem das Gehirn zukünftige Sinneseindrücke voraussagt…”
    Reduzieren war mal das Gehirn auf den “Geist”. Wenn sie diesen in der Achtsamkeit (Gewahrsein) beobachten besteht er aus einer endlosen Kette von Gedanken und Gefühlen die alle Produkte ehemaliger Bewertungen sind und die, da sie sich ständig wieder bewerten, immer in der Vergangenheit bzw. in der Zukunft stattfinden. Es werden also nicht Sinneseindrücke vorausgesagt sondern “geistige Konstrukte” aus unseren Wünschen, Belastungen und Problemen “geistig” durchgespielt, was zum großen Teil auch unterbewusst passiert. Unser Unterbewusstsein beschäftigt sich ständig, ohne das wir es wissen, mit der Lösung von solchen subjektiven Konstrukten .Schizophrenie oder Wahn scheinen mir geistige Zustände die das Ergebnis von falschen
    Wahr-Nehmungen sein können ,bedingt durch eine paranoide Bewertung der Wirklichkeit (hoher Arousal )
    Zu KRichard:
    Erfahrungen werden immer in der zeitlichen Gegenwartsform erlebt. Die Aufmerksamkeit auf einen Reiz bestimmt wohl nicht nur das bewusste “Gehirn” sondern die Gedanken die -aus dem Unterbewusstsein- ins Bewusstsein treten.
    Wie lange diese im Bewusstsein bleiben, bestimmt die Wertigkeit die wir ihnen zumessen. Solange wir keine Lösung haben wird der Geist sie immer wieder ins Bewusstsein stellen…

    • Ich stimme ihnen darin zu, dass sich die Theorie des Predictive Coding auch auf kognitive Prozesse anwenden lässt – allerdings ist es deutlich schwieriger, dort wissenschaftliche Vorhersagen zu treffen, die sich experimentell überprüfen lassen. Generell sollten wir nicht Vorhersagen mit Bewusstsein verwechseln – das Beispiel mit der Reaktion auf den Ton zeigt ja, dass diese Vorhersagemechanismen (auch) auf einer sehr basalen Ebene stattfinden – da würde ich nicht von einem “geistigen Konstrukt” sprechen.

    • Das haben Sie sehr schön beschrieben! Ich denke, dass auch wir (das ICH-Bewußtsein) nur “geistige Konstrukte” sind – Konzepte des Geistes über sich selbst.
      Die Gesamte subjektive Wirklichkeit, in der wir leben, besteht nur aus “geistigen Konstrukten”. Die Welt wie wir sie wahrnehmen, existiert nur in unseren Köpfen. Den Gedanken finde ich spannend…

  6. off topic: psychische Erkrankungen

    Aktuell werden viele Versuche gemacht, um Depression durch Gabe von psychedelischen Drogen zu behandeln. Dabei zeigt sich, dass Patienten mit einer leichteren Form von Depression – die auch mit herkömmlichen Methoden behandelbar ist – oft sehr positiv reagieren. Bei schwereren Depressionen verstärken psychedelische Drogen aber leider die Krankheitsbilder.

    Interessant dabei ist, dass viele Erfahrungen welche nach einer Gabe von psychedelischen Drogen erlebt/berichtet werden – identisch sind mit solchen Erinnerungen, die im Rahmen von ´Nahtod-Erfahrungen´(NTEs) eindeutig als Erlebnisse aus der frühesten Kindheit identifizierbar sind.
    Dies bedeutet nichts anderes, als dass psychedelische Drogen Erlebnis-Zustände der frühesten Kindheit reaktivieren. In anderen Worten: es wird ein gedanklicher RESET durchgeführt, wo sich der Patient wieder in einem Zeitraum erlebt, wo er noch gesund und noch nicht an der Depression erkrankt war.

    Dies ist ein Beispiel, welches zeigt, dass durch das Ignorieren von NTEs leider mögliche Therapieansätze für die Behandlung von Depression nicht untersucht werden.
    DOI: 10.1371/journal.pone.0214377 Survey of subjective ´God encounter experiences´: Comparison among naturally occurring experiences and those occasioned by the classic psychedelics psilocybin, LSD, Ayahuasca or DMT

    http://www.sciencedaily.com/releases/2019/04/190423145511.htm Experiences of ´ultimate reality´ or ´god´ confer lasting benefits to mental health

      • @Bialas
        ich habe mir die verlinkte Arbeit angesehen – und konnte mir das Schmunzeln nicht verkneifen.
        Auf S. 2911 werden z.B. ´ego death´, ´ego loss´ und ´oneness´ erwähnt.
        Das ist genau, worauf ich in meinem Beitrag hingewiesen habe:
        Unsere ICH-Identität entsteht erst ab dem 2. Lebensjahr wenn wir lernen uns mit Sprache auszudrücken und uns als eigenständige ICH-Persönlichkeit von unserer Umwelt abzugrenzen. Wenn die Versuchspersonen also von ´ego loss + ego death´-Erlebnissen berichten, dann haben sie dabei Erlebnisse aus der frühesten Kindheit reaktiviert/erinnert – also aus der Zeit bevor sie eine ICH-Identität entwickelten.
        Der Eindruck von ´oneness´ (= der Eindruck von Einssein mit dem ganzen Universum) hat die gleiche Ursache – hier sind Erlebnisse reaktiviert worden; aus einer Zeit bevor man lernte sich als eigenständige Persönlichkeit von der Umwelt abzugrenzen

        Solche Beispiele zeigen, wieso es von Interesse wäre, wenn sich die Kognitionswissenschaft endlich mit dem Thema NTE befassen würde: Man kann über NTEs viel über die Arbeit unseres Gehirns lernen und das ganz ohne Drogen.

        • Ein sehr interessantes Thema! Eine Schwierigkeit für das Neurowissenschaftliche Studium der NTE wäre vermutlich, dass sich dieser Zustand nicht zuverlässig Experimentell reproduzieren lässt.

        • @Bialas
          Bei neurowissenschaftlichen Experimenten arbeitet man meist mit der Untersuchung von neuronalen Aktivitäten (EEG, PEG, N-IR fMRT, optisch modifizierte Neuronen). Bei NTEs kann/muss man aber Inhalte bewusster Erlebnisse analysieren – weil die Arbeitsweise des Gehirns dabei der bewussten Wahrnehmung zugänglich ist.
          Dies ist ein anderer und bisher von der Kognitionswissenschaft ignorierter Zugang zum Verständnis der Arbeitsweise des Gehirns.
          Es gibt Bibliotheken (NDERF IANDS) mit mehreren tausenden NTEs, wo immer wieder die gleichen Inhalte, Strukturen, Muster beschrieben werden – welche man als Grundlage für Analysen verwenden könnte. D.h. Aussagekräftige Forschung ist über die Analyse dieser Daten möglich.
          Wie Sie in meinem vorherigen Beitrag lesen können . konnte ich dadurch Erklärungen für die Phänomene ´ego death, ego loss, oneness´ vorstellen, die in der von Ihnen verlinkten Arbeit noch nicht einmal als Idee in die Diskussion einbezogen wurden.

          Ich habe an anderer Stelle geschrieben, dass bei NTEs Erlebnisse ab dem 5. Schwangerschaftsmonat dem bewussten Erinnern zugänglich sind (dabei ist sogar die Reihenfolge deutlich erkennbar – wie sich die physikalischen Sinne beim Foetus entwickeln. tastsinn(Hautkontakt) > Hörsinn > Sehsinn > Geburt(indirekt) > … Korrelation = 1). Dies ist in der Literatur der Kognitionswissenschaft bisher nirgendwo erwähnt – d.h. es muss die gesamte Fachliteratur umgeschrieben werden!

          Zur Reproduktion eines Teilbereichs von NTEs:
          Es gibt eine Frau, die beliebig oft ´Außerkörperliche Erfahrung´ haben kann und deshalb per fMRT untersucht werden konnte:
          DOI: 10.3389/fnhum.2014.00070 Voluntary out-of-body experience: an fMRT study
          https://abcnews.go.com/health/woman-body-experiences/story?id=22825927

  7. Predictive Coding scheint es bei Säugetieren auf allen Ebenen zu geben. Angefangen von der sensorischen bis hinauf zur Ebene der Entscheidungsfindung und der Anpassung an neue Umgebungen.

    Mismatch negativity (MMN) ist ein Beispiel für predictive coding auf der Wahrnehungsebene. Mit Mismatch Negativity, zu deutsch Nichtübereinstimmungsnegativität oder Fehlanpassungsfeld meint man die automatische Reaktion auf ein abweichendes Signal in einer Serie von lauter gleichen Signalen. Die Signale können dabei auditorisch oder visuell sein und die Reaktion auf das aus dem Takt fallende Signal lässt sich im EEG feststellen. Dass dies automatisch geschieht lässt sich etwa daran fesstellen, dass eine Folge von gleichen Tönen unterbrochen von einem abweichenden Ton selbst dann zu einem EEG-Signal führt, wenn die Versuchsperson gleichzeitig ein stummes Video anschaut.
    Bei Personen, die später an Schizophrenie erkranken ist die Mismatch Negativity oft deutlich schwächer als bei anderen.

    Allgemein scheint predictive encoding ein Vorhersageprozess zu sein, der korrigiert wird durch Wahrnehmungen/Feststellungen, die der Vorhersage widersprechen – und das auf allen Ebenen. Also auf der Wahrnehmungsebene wo die innere Annahme etwas sei blau durch die tatsächliche Wahrnehmung eines leichten Grüntons korrigiert wird oder die Annahme, der andere wolle einem helfen durch die Beobachtung korrigiert wird, dass der andere einem schadet. Predictive Encoding ist damit die erste universelle Erklärung für viele Wahrnehmungs- und viele geistige Prozesse.

    Ein gestörtes Predictive Encoding kann dann auch Wahnwahrnehmungen in der Schizophrenie erklären, denn Falschwahrnehmungen passieren uns allen, aber sie werden im Prozess des Predictive Encoding fast unmittelbar wieder korrigiert, weil ein Fehlersignal die Falschwahrnehmung unterdrückt. Nicht so beim Psychotiker. Im Artikel Decision-making in schizophrenia: A predictive-coding perspective liest man dazu:

    Dysfunktionale Entscheidungsfindung wird mit den positiven und negativen Symptomen der Schizophrenie in Verbindung gebracht. Die Entscheidungsfindung kann im Rahmen der hierarchischen prädiktiven Codierung als Ergebnis eines Bayesschen Inferenzprozesses konzeptualisiert werden, der vorherige Überzeugungen verwendet, um Zustände der Welt abzuleiten. Nach dieser Idee werden frühere Überzeugungen, die auf höheren Ebenen im Gehirn codiert sind, als prädiktive Signale auf niedrigere Ebenen zurückgekoppelt. Immer wenn diese Vorhersagen durch die eingehenden sensorischen Daten verletzt werden, wird ein Vorhersagefehler erzeugt und weitergeleitet, um auf höheren Ebenen codierte Überzeugungen zu aktualisieren. Gut dokumentierte Beeinträchtigungen der kognitiven Entscheidungsfindung stützen die Ansicht, dass diese neuronalen Inferenzmechanismen bei Schizophrenie verändert sind. Es gibt auch umfangreiche Beweise, die die Symptome der Schizophrenie mit abweichenden Signalisierungen von Vorhersagefehlern in Verbindung bringen, insbesondere im Bereich der belohnungs- und wertbasierten Entscheidungsfindung. Darüber hinaus wird die Idee einer veränderten prädiktiven Kodierung durch Hinweise auf beeinträchtigte sensorische Mechanismen und motorische Prozesse auf niedriger Ebene gestützt. Wir überprüfen verhaltens- und neuronale Erkenntnisse aus diesen Forschungsbereichen und bieten eine integrierte Sichtweise, die darauf hindeutet, dass Schizophrenie mit einer allgegenwärtigen Veränderung der prädiktiven Kodierung auf mehreren hierarchischen Ebenen, einschließlich kognitiver und wertebasierter Entscheidungsfindungsprozesse sowie sensorischer und motorischer Systeme, zusammenhängen könnte . Wir beziehen diese Ergebnisse auf Entscheidungsprozesse und schlagen vor, dass unterschiedliche Grade von Beeinträchtigungen in den betroffenen Hirnarealen zu der Vielfalt psychotischer Erfahrungen beitragen.

    Eigene Vermutung: Wenn predictive encoding so eine entscheidende Rolle in unserem Hirn spielt, wie von immer mehr Fachleuten angenommen, dann ist jede Störung dieses Prozesses schwerwiegend. Ursachen für eine Störung des predictive encoding kann es wohl so viele geben wie es Ursachen für Schizophrenie gibt.

    • Die MMN ist neben der im Artikel beschriebenen Omission-Response (die Antwort auf den ausgelassenen Ton) das wichtigste neuronale Phänomen für die Untersuchung prädiktiver Prozesse. Aus Platzgründen hatten wir uns entschieden, sie wegzulassen. Schön, das Sie diesen Teil jetzt in den Kommentaren nachgereicht haben 🙂

  8. Daher ist es zum Beispiel unmöglich, sich selbst zu kitzeln.

    Das wird zwar immer behauptet, aber ich behaupte mal, dass ich kein Weltwunder bin, auch wenn es mir ( selten ) schon gelungen ist, eine dem Kitzeln vergleichbare Reaktion selber erzeugt zu haben.

    Als ich das erste mal von Predictive Coding gehört habe, habe ich das so verstanden:
    Aus dem momentanen Input sämtlicher Körpersensoren ( einschließlich Augen, Ohr und Drucksensoren der Haut ) und der geplanten/stattfindenden Aktion berechnet das Gehirn einen voraussichtlichen Zustand ( für die in den Sensoren einlaufenden Daten ) in 3/10 Sekunden in der Zukunft.
    Wenn nun die Sensordaten mit der Vorhersage verrechnet ( = rechnerisch subtrahiert ) werden und das Ergebnis “0” ist, ist für die weitere Zukunft alles “in Ordnung”, es sit sozusagen “alles im Plan”, ist hingegen das Ergebnis ≠ Null, muss ausgehend von den aktuellen Inputs eine andere/neue Zukunft berechnet werden – wir sind verblüfft und zögern etwas.
    Der Abgleich auf Null war mir sofort verständlich, denn in der Technik ist das eine bewährte Methode, da man häufig das Quadrat ( von irgendwas, Einzelheiten sind mir entfallen ) misst, sind auch die negativen Werte mit positiven Messergebnissen verbunden, der Nullpunkt hingegen ist eindeutig messbar. Dazu ist der Durchgang durch Null meist exakter zu bestimmen als der Durchgang durch das Maximum.

    • Es gibt Versuche bei denen die Probanden sich mithilfe einer Roboterhand selbst kitzelten, je verzögerter die Reaktion der Hand, desto eher gelang es sich selbst zu kitzeln. Daraus lässt sich ableiten, dass die Vorhersagen eine gewisse Halbwertszeit haben. Allerdings bezweifel ich, dass das ist, was sie getan haben 🙂
      Im letzten Teil ihrer Antwort machen Sie einen sehr guten Punkt: Es ist effektiver die Änderung (also den Vorhersagefehler) als den absoluten Wert zu codieren.

      • Ole Bialas
        17.12.2021, 09:13 Uhr

        Nein, ich habe keine Roboterprothese genutzt und es gelingt auch nur ganz selten in einem Zustand bewusster Aufmerksamkeit und es unterscheidet sich vom normalen gekitzelt werden in der taktilen Art der Aktion.
        Aber das Thema fasziniert mich schon lange:
        Das Gehirn als Überlebensmaschine, eingeschlossen in seinem Gehäuse, “erfährt” nur über die Sensorsignale etwas von der Außenwelt und muss sich daraus ein “Bild” von der Lage machen, in wieweit die zukünftige Lage dem Überleben zu- oder abträglich ist, ob der zum Gehirn gehörende Körper Speise kriegt oder selbst zur Speise wird. Mein Eindruck ist, dass wir diese Leistung häufig insofern falsch einschätzen, da wir gerne von uns glauben, etwas zu tun oder zu lassen, also die Ist-Lage quasi ab initio aus sich/aus den Informationen heraus zu erfassen und zu bewerten und einen solchen Vorgang nehmen wir zufrieden als “so ist es” einfach hin.
        Dazu müssten wir aber ( im Gehirn ) jedes Mal die Welt um uns herum aus den Sensordaten neu modellieren und bis wir die Situation komplett bewertet hätten, wären wir sicher schon aufgegessen worden, das Verhalten wäre dann wohl so, wie das Sprichwort “vom Ochsen vor dem neuen Tor” sagt.
        Insofern ist die Vorstellung des Predictive Coding eine gute Erklärung dafür, wie das Gehirn überhaupt und dazu so schnell entscheiden kann. Und wenn eben eine Situation ( der Sensordatensatz dazu ) neu ist, stocken wir eben und suchen nach Modellen, die diese Lage – das neue Tor – beschreiben können .
        Ich weiß auch nicht, ob die Roboter-KI dieses Konzept nutzt, aber vielleicht fehlt dazu einfach die nötige Rechenleistung.

  9. Etwas Ähnliches kann man durch Selbstbeobachtung feststellen – indem man sich selbst sehr aufmerksam in den Kopf guckt (ich hab in meinem einen Verstand gesucht, bislang ohne Erfolg). Dabei stellt man immer wieder fest, dass ein Muster vorhanden ist, das immer wiederholt werden will, und ein Großteil des Gehirns damit beschäftigt ist, es an die Umgebung anzupassen, um es ihm zu ermöglichen.

    Sie haben also einen Algorithmus für „Tür öffnen“, mit dem sie jede Tür zu öffnen versuchen. Dabei gibt’s bereits Unterprogramme für verschiedene Ihnen bekannten Tür-Typen. Aus denen entwickeln sich weitere Unterprogramme, zum Beispiel wissen Sie, dass in Ihrer Haustür der Schlüssel klemmt und wie sie ihn feinmotorisch drehen müssen (falls Sie sich jetzt denken: Woher weiß der das? – das Gleiche denkt sich gerade die Hälfte der Leser). Das Ganze ist vielfach verlinkt, zu Programmen für Hand bewegen, Muskel kontrahieren, um Hand zu bewegen, Augeninformation auswerten, jedes Programm zerfällt einerseits in viele andere, andererseits wird es mit anderen kombiniert. Wenn man die Programme zu den Basics hinab analysiert, können sie sehr einfach sein – das Komplexe und schwer Verständliche liegt in der Vielfalt und Choreografie.

    Ähnlich scheinen auch Persönlichkeitsmerkmale auf neuralen Tonbändern zu beruhen, die in Dauerschleife abgespielt werden. Dem Depressiven quatscht halt ständig einer dazwischen, „du bist nichts wert“, die Idee wird in jeden Denkprozess integriert, und weil die Neuronen bereits erwarten, dass er kommt, passen sie sich an – man kann ja auch im städtischen Verkehr die Straßenbahn nicht ignorieren, die ständig im Kreis hin und her fährt. Durch diese Anpassung verhärten sich auch andere Gedankenmuster und werden Teil des Tonbands, die Depri wächst wie ein Tumor. Das Hirn ist ein Kapitalist, wer hat, dem wird gegeben, der stärkste Neuronenkonzern frisst und wächst, dadurch kann er noch mehr fressen und wachsen und macht sich andere untertan, weil die etwas von dem Futter abzwacken wollen, das er an sich saugt. Das heißt, es ist einfaches Üben, Skinner in der Black Box, Belohnen durch glatte Abläufe und Futter, Bestrafen durch Karambolagen – im Grunde ein normaler Lernprozess. Als ich es das erste Mal bemerkte, unterschied ich zwischen einem „gefrorenen“ Hirnteil, der sich nicht mehr ändert und einem „flüssigen“, der sich der Umgebung anpasst, da war ich noch in der Schule. Aus aktuellerem Anlass frage ich mich, welche Rolle Kalk beim „gefrieren“, also Lernen, spielt.

    Wir sind also bei den materiellen Grundlagen, der Elektronik hinter dem, was Freud Komplexe nannte. Einen Komplex herauszufordern, kann gefährlich sein – ich wurde von Kindheit an von völlig unsinnigen Schuldgefühlen geplagt, und als ich mich endlich daran machte, die zu überwinden, schuf ich mir einen handfesten Grund, mich schuldig zu fühlen. Im Grunde sind solche Netzwerke so was wie Hirn im Hirn, ein Lebewesen im Lebewesen, für das Hirn und Körper genauso Teil der Umwelt sind, wie Wohnung und Sterne. Wenn man es töten will, reagiert es rabiat und kämpft mit Zähnen und Klauen ums Überleben – es war nicht ganz falsch von unseren Vorfahren, ähnliche Phänomene als dämonische Besessenheit zu deuten. Und es ist auch der Grund, warum ich eine Psychiaterin mal Neurosendompteuse genannt habe.

    Die Grenze zwischen Innen und Außen, Organismus und Umwelt, ist also höchst relativ – beide gehen fließend ineinander über, Umwelt und Körper sind, streng genommen, Bestandteil des Gehirns, die ganze Welt ist eine einzige selbstorganisierende Maschine, der es ziemlich egal ist, was wie funktioniert, solange es funktioniert und seine Rolle im Getriebe erfüllt. Für jede Ihrer Zellen sind Sie bereits Umwelt, und werden dementsprechend behandelt. Umgekehrt agieren Staaten nach Außen hin als einzelne Organismen, und können dementsprechend nach Charakter und Überlebensstrategien beschrieben werden, die nur im Kollektiv zutage treten, aber bei Individuen verschwinden. Anders gesagt, viele nette, sympathische, moralische und recht schlaue Leute ergeben zusammen ein kollektives Raubtier, das an eine geistig zurückgebliebene Amöbe mit widerlichen Manieren erinnert.

    Das Gehirn kann man als Zoo sehen, als eine Verschaltung von Schaltkreisen, als ein von Druck bestimmtes System mit Schleusen, Kanälen, Sammelbecken, aber auch als Staat. Viele Vorgänge darin basieren auf sehr allgemeinen physikalischen Grundlagen, die sich auch in vielen anderen Strukturen wiederfinden, zum Beispiel in der Gesellschaft. Wir haben dort Regierungen, Allianzen und Klüngel, eine Wirtschaft, eine Bevölkerung, die immer das tut, wofür sie mit Drogen und Futter belohnt wird und das meidet, wofür sie bestraft wird, und eine Guerilla im Unterbewussten, die immer wieder zuschlägt. Die Realität funktioniert halt genau wie ein Gehirn: Wenige starre Grundmuster, Tonbänder, die sich stets wiederholen, die nennen wir Naturgesetze. Die werden dann neu kombiniert und an die Umwelt angepasst, die sie gemeinsam schaffen, indem sie sich immer wieder neu kombinieren. Und weil die Welt dadurch voller Wiederholungen ist, ist Ihr Hirn eine Kristallkugel, die jeden Tag aufs Neue prophezeien kann, wo der Bus halten wird, der Sie zur Arbeit fährt.

    Unsere Weltanschauungen sind auch Wahnvorstellungen, die nicht mehr als nötig der Wirklichkeit angepasst werden. Der Gehirnstaat dient, wie jeder andere auch, vielen Meistern und dmuss Kompromisse schließen, und die Wirklichkeit rangiert da unter „ferner liefen“ – man nimmt sie nur ernst, wenn sie Brötchen verweigert oder einem mit dem Stock auf den Kopf haut, ansonsten nehmen wir sie kaum wahr und sind vornehmlich mit uns selbst beschäftigt – sowohl im Hirnkasten-Intranet, wie auch im gesellschaftlichen Internet der Hirne, leben wir auf dem Holodeck, in der Matrix, einer Simulation, einem Wolkenkuckuckheim, das alles tut, um nicht aus allen Wolken auf den harten Boden der Tatsachen stürzen zu müssen. Man sieht’s zum Beispiel an der Religion, der Affe in uns besteht darauf, dass er immer noch auf Bäumen lebt: Wir haben ein gottgleiches Alphamännchen, Engelskrieger aus den stärksten Männchen, die Dämonen der Dschungelhölle, wir haben sich in vielen Religionen wiederholende Bilder, die uns einiges über die Art verraten, wie ein Tier die Welt wahrnimmt, starke, mystische Emotionen, ein offenbartes Wissen, das gleich als Wahrheit erkannt wird und als Handlungsimpuls dient, ohne von einem Verstand hinterfragt oder erklärt zu werden. Ich nehme an, jede Schimpansenhorde hält sich für die Herrenrasse, Krone der Schöpfung und einzige Spezies mit Seele, das Bedürfnis haben wir halt geerbt.

    Wie viele Leute mit fragiler Psyche, verträgt auch die Gesellschaft es nicht besonders gut, wenn ihre Fantasiewelt von der Wirklichkeit einfach mal überfahren wird. Wir reagieren mit psychotischen Symptomen, Paranoia, Wahnvorstellungen und Fieberträumen von Echsenmenschen und Verschwörungen, jede Gesellschaft, in der die Dämonisierung von Sexualität in der Erziehung als gesund und vernünftig gilt, buddelt ihre Kindheitstraumata aus und streut Kindesmissbrauch darunter. Es wimmelt von Fluchtreaktionen aller Art, etablierte Angststarre, populistischer Größenwahn, Regression, Verherrlichung alter Zeiten, ob’s jetzt das Reichsbürger-Kaiserreich ist, Trumps MAGA oder Bidens Kalter Krieg. Es gibt ein unbestimmtes Gespür dafür, dass sich die Standard-Massenpsychose ändern muss, dass das Gefrorene aufgetaut und in neuer Form gefroren werden muss, die an die veränderte Wirklichkeit angepasst ist, der Tresor der Gewissheiten wird per das in solchen Fällen übliche „Sesam öffne dich“ beschworen: Irgend jemand ruft was von Erwachen und Erwecken, ganz viele Leute marschieren im Kreis in eine neue Zukunft und stoßen dabei mit den Köpfchen aneinander – ich würde ein paar weiche Gummiwände vorschlagen, bevor einer der Napoleons mit dem Cäsar Zoff kriegt, in dieser Anstalt gibt’s weder Pfleger noch Ärzte, die Geisteskranken verwalten sich selbst.

    Auch hier sehen Sie, dass prädiktive Prozesse versagen: Sie sind einfach nicht vorhanden. Pandemie bekämpfen wir, indem wir uns an den Zahlen von gestern orientieren und werden jedes Mal aufs Neue davon überrascht, wenn sie ansteigen, wenn wir alle Vorsicht fallen lassen, oder dass selbst das mutationsfaulste Virus immer eine passende Mutante bereit haben wird, um all unsere Mühen zu torpedieren, wenn wir ihm Abermillionen Petrischalen zur Verfügung stellen. Der Unterschied zwischen einer Amöbe und einer menschlichen Gesellschaft ist, eine Amöbe soll über Gedächtnis verfügen und aus ihren Fehlern lernen können – also aufgrund der Vergangenheit die Zukunft voraussagen. Bei der Menschheit ist diese Fähigkeit bislang nur im absoluten Mindestmaß nachgewiesen worden: Wir erinnern uns, wie es immer läuft, läuft es mal anders, sind wir orientierungslos. Wenn sich die Welt, die wir kennen, nicht in Dauerschleife wiederholt, existiert sie nicht mehr, das Universum ist futsch, wir sind taub, blind, verloren im Nichts. Wir können keine Korrekturen vornehmen, weder aus dem Gedächtnis aufrufen, noch mit dem Verstand erlernen; wir sind allein in unserer Matrix, unsere Wahnvorstellungen spielen Autisten-Fisch auf dem Trockenen – wiederholen immer wieder die alten Programme, die Dauerschleifen rasen immer wilder und verzweifelter, weil keine neuen entstehen können, auch wenn’s ohne die passende Umwelt nichts nützt – wir verfallen in psychotisches Verhalten. Bis das System vor Erschöpfung kollabiert.

    Wenn Sie möchten, können Sie also gern das Standardhandbuch für psychische Störungen nehmen, der Menschheit Diagnosen stellen und die Zukunft der Weltgeschichte prognostizieren, komplett mit typischem Krankheitsverlauf und Therapieoptionen. Umgekehrt können Sie neurologische Vorgänge, für deren Untersuchung die Methoden und Werkzeuge der Hirnforscher noch nicht ausgereift genug sind, ganz einfach mit bloßem Auge an der Gesellschaft studieren. Analogien funktionieren nicht immer, aber es lohnt sich, es zu wagen.

    • @Paul S
      Predictive coding beschreibt eigentlich nur die erste, schnellste Reaktion auf einen neuen Reiz, eine neue Situation, einen neuen Gedanken.
      Durch das Reaktivieren von passenden Erfahrungen können wir sofort reagieren – deshalb ist predictive coding unsere wichtigste Überlebensstrategie.

      Müssen wir aber nicht sofort reagieren, dann haben wir Zeit, uns eine zum neuen Reiz passende Reaktion zu überlegen. Wir können mehrere Szenarien gedanklich durchspielen und uns für diejenige entscheiden, welche uns dann am sinnvollsten/nützlichsten erscheint. Aus diesem Grund kann eine überlegte Reaktion völlig anders ausfallen – als eine erste/schnellste Reaktion.

      Für das Abwägen verschiedener möglicher Reaktionen auf eine Situation spielt es aber eine große Rolle – welche/s Erfahrungen/Wissen wir im Gedächtnis gespeichert haben und wie unser Gehirn funktioniert. Es lohnt sich daher, viel Wissen durch Lernen und Sozialkontakte zu erwerben – denn damit haben wir eine reichere Auswahl von Erfahrungen welche wir für unsere Entscheidungen verwenden können.
      (Z.B. haben Autisten oft große Probleme damit, Emotionen anderer Menschen richtig zu verstehen, weil ihnen der Zugang und damit die Erfahrungen dazu fehlen.)

      off topic
      Die guten alten Kinofilme sind aus Einzelfotos aufgebaut, welche rasch nacheinander im Kino gezeigt werden. Wenn wir Menschen dabei Bewegungen sehen, dann ist diese Wahrnehmung also zu 100 % falsch. 100 % Fehler – mehr geht nicht.
      Wir wissen dies und stören uns nicht daran.
      Mit diesem Beispiel will ich zeigen, dass unser Gehirn gar nicht immer perfekt arbeiten muss. 100 % Fehler stören uns nicht beim Kinovergnügen

  10. Super schöner Artikel! Ein wahre Bereicherung.

    Letztendlich führen mich solche Artikel immer zu der philosophischen Frage: was sind wir, oder besser was ist das ICH? Sind wir ein Errgeungsmuster, dessen subjektive Wahrnehmung die Folge von überlagerten Erregungszuständen (und Auslöschung) ist? Oder haben wir einen speziellen Ort? (Sind wir Hardware oder Software?, Teil der Simulation/Haluzination oder deren Betrachter?). Zumindest die Persönlichkeit scheint “Software” zu sein, also ein Konstrukt des Geistes. (Diesen Schluss ziehe ich aus dem Phänomen der Persönlichekitsspaltung).

    Wenn wir innere Dialoge mit uns selbst führen, ist es dasselbe “Subjekt”, das nur unter verschiedenen Perspektiven “wahrnimmt”. Oder besitzt das Unterbewußtsein mehrere “intelligente bzw. bewußte” Instanzen, die miteinander “reden”?
    Wenn ich es richtig herunter breche, dann besitzt das Gehirn also eine Art Regelkreis, bei dem von außen erzeugte Reize durch innere überlagert werden. Letztere sind die Folge von Erwartungshaltungen, entweder durch konkrete vorhergehende neuronale Erregungs oder durch Erfahrungen/Erwartungen. Wobei Erfahrungen eigentlich auch nur “ältere, konsolidierte” neuronale Erregungsmuster sind?

    • Vielen Dank für die Blumen! Sie sprechen eine der großen Debatten der Philosophie und Hirnforschung an. Wenn, wie Sie schreiben, Erfahrungen auch nur ältere Erregungsmuster sind, basieren unsere Erwartungen nur auf äußeren Ereignissen. Andererseits erleben wir uns selbst ja als Subjekte mit freiem Willen. Zu diesen Konflikten wurde schon viel geschrieben – dem könnten wir in der Zukunft mal einen Artikel widmen.

    • @Statist
      Lesen Sie meinen Beitrag vom 16.12. 14:39 durch und achten Sie auf die Zeit-Unterschiede zwischen episodischem und autobiographischen Gedächtnis.

      Wir lernen in den ersten beiden Lebensjahren uns mit Sprache auszudrücken und lernen außerdem uns als eigenständige Ich-Identität/-Person von unserer Umwelt abzugrenzen. Sobald wir diese Entgrenzung gelernt haben, werden unsere Erlebnisse immer ICH-codiert. Dies ist auch der Grund, warum unser autobiographisches ICH-Gedächtnis nur bis hinab zum 2.-4. Lebensjahr geht – mit der unteren Grenze des Erinnerns ´infantile Amnesie´.

      Eine ICH-Identität ist also nur das Ergebnis von Lernerfahrungen. Eine wichtige Rolle dabei spielt die Erziehung. Bei uns in Europa werden die Kinder sehr stark dazu ermuntert, von EIGENEn Erfahrungen mit EIGENEN Worten zu erzählen. Dies fördert eine frühere Ausbildung einer ICH-Identität als in Ostasien; wo die Kleinkinder weniger Ich-bezogen sondern eher als Mitglied einer Gemeinschaft herangezogen werden (wo ICH-Wünsche weniger wichtig sind). Aus diesem Grund zeigen Untersuchungen, dass Europäer sich an frühere Erlebnisse erinnern können als Ostasiaten. die untere Grenze für infantile Amnesie liegt für Europäer bei 3,5 Jahren, für Ostasiaten beim 6. Lebensjahr
      DOI: 10.1080/09658210050156822 Cross-cultural and gender differences in childhood amnesia

      genauere Untersuchungen zeigen, dass die Untergrenze für das Erinnern autobiographischer ICH-Erfahrungen beim 2,5.ten Lebensjahr liegt.
      DOI: 10.1080/09658211.2021.1918174 What is your earliest memory? It depends

    • @Statist. Ergänzung
      Dass eine ICH-Identität nur das Ergebnis von Lernerfahrungen ist (mit denen wir uns etwa ab dem 2. Lebensjahr von der Umwelt als eigenständliche Persönlichkeit abgrenzen) kann man auch sehr gut daran erkennen, dass diese ICH-Wahrnehmung bei Menschen mit schwerer Demenz verschwindet.
      Der biologische Körper ist dann zwar noch funktionsfähig – aber die ICH-Persönlichkeit ist verloschen; weil man keinen Zugang zu den dazu gehörigen ICH-Erfahrungen mehr hat.

      Übrigens geht die buddhistische Philosophie seit über 2 Jahrtausenden davon aus, dass unser ICH-Bewusstsein keine Dauer hat und nur eine Illusion/Täuschung ist, die sich aus der Arbeitsweise des Gehirns ergibt: Es entsteht dadurch, dass wir in rascher Abfolge neue Sinneseindrücke verarbeiten und Gedächtnisinhalte dazu reaktivieren – aus der kontinuierlichen Abfolge dieser Eindrücke entsteht dadurch die Illusion eines zusammenhängenden Bewusstseins. (Ähnlich wie beim Kinofilm, der nur aus Fotos besteht – aber wenn diese rasch nacheinander gezeigt werden, entsteht die Illusion von wahrgenommener Bewegung.)

  11. Ich habe einige Anmerkungen aus der Sicht der Elektronik, die um rund 1960 ein ähnliches Konzept der elektronischen Informationsverarbeitung verfolgt hat, wie es McCulloch auch zur Erklärung für die elektrische Informationsverarbeitung im Gehirn vorgeschlagen hat. Dieses Konzept wurde in der Elektronik/Informatik vom Prozessorkonzept abgelöst.

    Elektroniker haben, eher zum Spaß, „verrückt gewordene Elektronik“ mit ähnlichen Begriffen („hysterisch“, „schizophren“, ….) belegt wie die Psychologen/Psychiater.

    Allerdings hatten sie den Vorteil, die Fehler die sich in den von ihnen selbst gebauten Systemen „eingeschlichen“ haben, relativ einfach zu erkennen.

    Derartiges übertrage ich kurzerhand auf McCullochs Gattersysteme, wobei ich berücksichtige, dass sowohl der Aufbau der Neuronen, der Neuronentyp, der Zeitpunkt und die Entwicklung samt der Verbände von der Genexpression, vom Input und der Prozessumgebung gesteuert erfolgt und daher eine wichtige Problemursache sein kann.

    An sich dürfte es sich ungefähr so verhalten wie Sie es erklärt haben. Allerdings sollte man es etwas weiter gehend betrachten um auch die von Ihnen beklagten Probleme (z.B. psychische Krankheiten, „Hysterie“, oder Formen der „Schizophrenie“) ohne Widersprüche erklären zu können.

    Ich würde naheliegendes, aber wissenschaftlich vermutlich nicht oder unzureichend erforschbares zunächst einmal „unterstellen“.

    Es ist die Behauptung, dass in die von Ihnen aufgezeigten neuronalen Strukturen nicht nur eine „mathematische Abbildung“ der Inputmuster erfolgt, sondern auch eine Auswertung gemäß der die Auswerteprozesse (Denkprozesse) steuernden neuronalen Strukturen.

    Diese Strukturen dürften von so etwas wie „Zwischenergebnisse“ des Denkens (z.B. flächigen Bewusstsein generierenden “Zwischenschichten” zwischen Hirnorganen) ausgehende Signale über die Gatterstrukturen in die die Input/Reaktionsmuster abbildenden Strukturen einbinden. Es dürfte auch so etwas wie eine Rückkoppelung erfolgen.

    Dabei können „Denkpfade“, die in Ihrem Beispiel Gesichter, oder eine Vase abbilden, aktiviert werden.

    Allerdings kann es natürlich auch zu fehlerhaften Einkoppelungen (Stimmen hören, falsche Handlungen), beruhend auf „fehlerhafte“ Strukturen, kommen.

    Ich würde behaupten, dass es darauf ankommt, dass die gebildeten Neuronen genau zum passenden Zeitpunkt, die jeweils erforderlichen Eigenschaften aufweisen müssen die für korrekte Funktionen erforderlich sind.

    Eine Funktion wäre z.B. die „Ansprechempfindlichkeit“ für das Triggern eines Neurons. Ist es zu „empfindlich“ reagiert es „hysterisch“ oder allenfalls überhaupt nicht.

    Die Fehler sind naheliegend, wie es auch naheliegend wäre, wenn angenommen, die Dendriten oder Axone zu einem bestimmten Zeitpunkt der Strukturbildung z.B. „zu lang“ sind und in unerwünschte Bereiche „hineinragen“ und so Fehlkoppelungen bewirken. Wären sie zum erforderlichen Zeitpunkt gar nicht vorhanden oder zu kurz, könnten sie die geforderten Wirkungen nicht erzielen.

    Bedeutet, es könnten im Extremfall sogar genau die richtigen Neuronentypen gebildet worden sein, aber zum falschen Zeitpunkt. Entweder direkt genetisch gesteuert, oder durch andere Umstände verursacht.

    Derartiges kann offensichtlich geschehen, aber wegen der Vielzahl der Neuronen und der praktischen „Unzugänglichkeit“ kaum gemessen und auch nicht wissenschaftlich, außer eventuell durch Simulationen, nachgewiesen werden. Selbst die Bezeichnung, ob man in diesem Fall von „Störung“ sprechen kann ist unsicher, weil es einfach an einer sozusagen problematischen z.B. „genetischen Software“ liegen könnte.

    In meinen Beiträgen in “scilogs” bin ich auf Unterschiede, aber besonders auch auf Ähnlichkeiten mit Systemen der Elektronik eingegangen.

    • Danke für diesen interessanten Exkurs! Ich denke nicht, dass es möglich ist, psychische Erkrankungen restlos im Rahmen des Predictive Processing verstehen können (darauf wird zu Ende des Artikels ja auch hingewiesen. Vielmehr bietet es eine Reihe von Werkzeugen, um das physiologische Substrat der Erkrankungen zu verstehen. Ihren letzten Punkt bezüglich des Begriffs der Störung finde ich sehr wichtig, denn in dieser Benennung liegt immer auch eine normative Wertung.

  12. Betrifft : WAHRNEHMUNG als Produkt unserer Einbildungskraft
    Ich nehme etwas WAHR was ich für WAHR halte. So gesehen ist diesem Wahrnehmungsprozess bereits eine Bewertung vorangegangen, nämlich eine Erfahrung/Erkenntnis. Wenn zum Bsp. ein Reh einen Wolf wahrnimmt, dann ist in seinem Unterbewusstsein bereits die Erfahrung des Wolfes mit Gefahr konditioniert, sei es aus früheren Begegnungen oder Prägungen durch die Mutter. Die Wahrnehmungen bei Menschen sind entsprechend durch eigene Erfahrungen bzw. gesellschaftliche Werte “geprägt”. Warum nehmen viele Obdachlose am Straßenrand wahr und andere nicht ? Die Einen wie die Anderen haben ihre Sinneswahrnehmungen. Im Buddhismus gibt es als sechste Sinneswahrnehmung die GEDANKEN. Wenn unsere Gedanken durch das eigene EGO bzw. durch die Umwelt manipuliert sind, werden wir nur das wahr -nehmen, was an Werten in unserem Gehirn manipulativ eingegeben wurde., also den Obdachlosen übersehen. Die Wahrnehmung ist also auch ein von außen geprägter Wert und aktiviert die Einbildungskraft nur wenn diese Werte emotional angesprochen werden. Die richtige oder falsche !”Wahrnehmung” muss also-wie im Falle des Rehes – gelernt werden. Letzteres sind wiederum Werte der jeweiligen Gesellschaft deren Sinn man hinterfragen kann, also auch
    schizophrene oder Wahn- Werte.

    • Grundsätzlich sollte man zwischen “Realität” und “Wirklichkeit” unterscheiden. Realität ist das, was “da draußen” ist, aber nicht direkt wahrnehmbar. Mit unseren Gehirnen und Sinnen rekonstruieren wir nur unsere Landkarte der Realität, die ich “Wirklichkeit” nenne. Wahrnehmung ist dann, wie Sie richtig sagen, das, was ich für wahr halte, also was (vermeintlich) wirklich ist bzw passiert ist.
      Ich nehme also etwas wahr, dass ich mit meinen Sinnen empfinde und das – vor meiner Wahrnehmung – durch den Geist und dessen Konzepte gefiltert und verändert wurde.

      “Wenn zum Bsp. ein Reh einen Wolf wahrnimmt, dann ist in seinem Unterbewusstsein bereits die Erfahrung des Wolfes mit Gefahr konditioniert, sei es aus früheren Begegnungen oder Prägungen durch die Mutter.”

      Ich denke, es beschränkt sich nicht notwendigerweise nur auf persönliche Erfahrungen des Subjektes. Vielmehr gibt es auch vererbte Konzepte und Erwartungshaltungen. Ich meine das wird durch das Konzept der “Archetypen” recht gut beschrieben.

  13. Ole Bialas
    Wenn ich das recht verstehe, dann ist die wissenschaftliche Forschung bemüht ein Modell zu kreieren:“ mit der sich gemessene Ereignisse erklären und vorhersagen lassen. „

    Die Werbewirtschaft tut das seit langem, die überlässt nämlich die Einführung neuer Produkte nicht dem Zufall. Das Verhalten des Kunden wird analysiert und man kann statistisch voraussagen , wie der Kunde sich verhalten wird.
    Profiler bei der analysieren das Verhalten von Serientätern und können sie so leichter dingfest machen.
    Bei psychisch Kranken verstehe ich jetzt nicht, wie hier Einfluss genommen werden soll.

    • Predictive Processing könnte dabei die neuronalen Prozesse zu verstehen, die mit psychischen Erkrankungen zusammenhängen. Wenn sich diese Prozesse non-invasiv messen lassen, könnte man dies als Marker für die Effektivität bestimmter Therapien heranziehen. außerdem könnte man mit einem Verständnis der zellulären Ursachen neue Medikamente entwickeln (die dürfen natürlich immer nur einen Teil der Therapie ausmachen).

  14. Was ist ein neuronaler Prozess, ganz konkret.
    Also, jemand hat Angst, deswegen steigt sein Blutdruck oder er fängt an zu zittern. Ist das ein neuronaler Prozess. ?

    wenn das so ist, dann könnte man ihm ein Medikament geben, das das Zittern verringert und damit auch die Angst . Ist das damit gemeint?

    So machen das auch die Menschen, die ihre Gefühle kontrollieren. Sie zwingen sich ruhig dazustehen und dadurch verringern sie auch ihre Angst.

    • Ein Beispiel eines solchen Prozesses ist die im Artikel erwähnte Omission Response: Nervenzellen reagieren auf einen erwarteten, aber nicht Vorhandenen Ton. Dieser und vergleichbare Prozesse sind bei Schizophrenen gestört, was mit der Krankheitssymptomatik in Verbindung gebracht wird. Wenn wir die physiologischen Ursachen dafür (z. B. Veränderung der NMDA-Rezeptoren) identifizieren, könnte man basierend auf diesem Wissen medizinisch intervenieren

  15. Ich werde nun zwei konkrete Beispiele von predictive coding vorstellen, die häufig berichtet aber von Kognitionswissenschaftlern immer noch ignoriert werden. D.h. diese ´Wissenschaftler´ verzichten durch dieses Ignorieren auf eine wichtige Chance, die Arbeitsweise unseres Gehirns gut zu verstehen. Dadurch entsteht eine Forschungs- und Erklärungslücke.

    Beispiel 1: Der Fachbegriff ´context dependent retrieval´ beschreibt eine Arbeitsweise von predictive coding: Das was wir im Gedächtnis abspeichern und wie gut wir etwas Erinnern hängt vom Kontext in dem wir dieses Ereignis erlebten und erinnern. je mehr Details übereinstimmen, um so besser kann man sich erinnern.
    Nachtodkontakt (siehe bei Wikipedia) / After Death Communication: Wenn Menschen sehr lange als Partner in gleicher Umgebung zusammenlebten und eine Person stirbt, dann passiert es sehr häufig, dass die hinterbliebene Person den verstorbenen Menschen in der gemeinsamen Wohnung danach wochen-monatelang noch wie als lebensecht anwesend erlebt. Dabei sind sogar richtige gedankliche ´Gespräche´ erlebbar.

    Bei solchen Erlebnissen ist man nicht verrückt, sondern man kann hier predictive coding live erleben. Bei älteren Menschen sind es um bzw. über 50 %, die solche Erlebnisse berichten.

    Der Grund dafür ist einfach: Wenn man lange mit einem anderen Menschen in einer gemeinsamen Wohnung zusammenlebte, dann werden Erlebnisse mit dieser Person im Kontext zusammen mit der Umgebung (Wohnungseinrichtung, Gerüche) als Erfahrung im Gedächtnis abgespeichert. Betritt man nach dem Tod von Partner/-in die Wohnung wieder, dann wird die verstorbene Person zusammen mit dem Kontext der Umgebung per predicitve coding als wahrnehmbares Erlebnis reaktiviert. Das Wahrnehmen der Umgebung, als Teil von im Gedächtnis gespeicherter Erfahrung, reicht aus, damit die ganze Erfahrung reaktiviert wird.
    Dieses Wahrnehmung der verstorbenen Person verschwindet nach einiger Zeit, wenn man gelernt hat, dass dieser Mensch nicht mehr im Kontext der Umgebung existiert. Wird die Wohnung nach dem Todesfall umgeräumt und somit der Kontext verändert oder wenn man in eine andere Wohnung umzieht – dann unterbleibt solch ein Nachtodkontakt meist

  16. Beispiel 2) zu predictive coding
    Der Fachbegriff ´state dependent retrieval / zustandsabhängiges Erinnern´ hat mehrere Bedeutungen. z.B.
    Das WAS/WIE wir erinnern hängt immer von zwei Zuständen ab:
    a) unseren körperlichen, intellektuellen und emotionalen Fahigkeiten zu dem Zeitpunkt wo wir ein Ereignis erleben und im Gedächtnis abspeichern.
    b) unseren körperlichen, intellektuellen und emotionalen Fähigkeiten zu dem Zeitpunkt wo wir eine im Gedächtnis gespeicherte Erfahrung wieder reaktivieren/erinnern.
    D.h. beim Erinnern kann es sein, dass eine Erfahrung umgedeutet und im Sinn verändert wird. Diese Vorgehensweise ist z.B. ein Grund warum wir uns immer als die gleiche identische Person empfinden obwohl wir uns dauernd verändern. Und dies ist auch der Mechanismus, wie wir ALTE Erfahrungen in NEUES Wissen umwandeln und lebenslang verwenden können

    Das ´Gehen ins Licht´ ist eine der schönsten Erfahrungen, die im Rahmen von einer Nahtod-Erfahrung´(NTE) immer wieder berichtet werden:
    1a) Man befindet sich in einem dunklen Tunnel und bewegt sich (oft begleitet von Geräuschen) auf ein rasch größer werdendes Licht zu
    1b) plötzlich wechselt die Lichtwahrnehmung von matt zu leuchtend hell und man
    1c) befindet sich in der Gegenwart eines liebevollen (oft als göttlich erlebten) Lichtwesens von dem man sich grenzenlos/bedingungslos geliebt und angenommen empfindet. Eine Kommunikation mit dem Licht ist möglich und man hat auch oft das Gefühl des Einsseins mit dem Universum und von grenzenlosem Wissen.

    Dieses Erleben ist das Ergebnis von predictive coding wobei man bewusst erlebt, wie das Gehirn Inhalte des Gedächtnisses in hierarchischer Reihenfolge reaktiviert
    zu 1a) Die erlebte Bewegung in einem dunklen Tunnel auf ein rasch größer werdendes Licht ist das rasche Wiedererinnern von einzelnen Erlebnissen zur stufenweisen Entwicklung unseres Sehsinnes. Diese Erfahrungen werden so rasch nacheinander reaktiviert, dass man die Illusion (optische Täuschung) einer zusammenhängenden Bewegung erlebt. Weil sich beim Fetus der Gehörsinn vorher entwickelte, hat man auch begleitende Geräusche
    zu 1b) Der Wechsel von matter zu leuchtend heller Lichtwahrnehmung entspricht der erinnerten Lichtwahrnehmung vor(matt) und nach der Geburt(leuchtend hell). D.h. die Geburt ist nur indirekt über die veränderte Lichtwahrnehmung erkennbar. (Diese Lichtwahrnehmung wird in gleicher Weise von Menschen berichtet, die normal bzw. per Kaiserschnitt geboren wurden)
    zu 1c) Ein Baby ist nach der Geburt fast blind aber alle Sinne funktionieren. D.h. wenn sich die Eltern liebevoll um das Baby kümmern – kann es alles erleben aber kaum etwas optisch erkennen. Beim Erinnern dieser Erlebnisse werden die Eltern dann zu Lichtwesen umgedeutet.
    Das Gefühl des Einsseins entsteht, weil das Baby sich noch nicht als eigenständige Ich-Persönlichkeit von der Umwelt abzugrenzen erlernte (dies geschieht erst ab dem 2. Lebensjahr)

    Alle diese beschriebenen Ereignisse werden als lebensecht erlebt – der Grund dafür ist: Alle unsere Erfahrungen werden in der zeitlichen Gegenwartsform erlebt, im Gedächtnis abgespeichert und genau so wieder erinnert
    (Solche Erlebnisse 1-3) wie sie bei NTEs berichtet werden, entstehen oft nach Einnahme psychedelischer Drogen. Dies deutet darauf hin, dass diese Drogen unseren Erinnerungsmechanismus beeinflussen.)

    Zu den hier vorgestellten predictive coding Beispielen (Nachtodkontakt, Gehen ins Licht) gibt es viele konkrete Erfahrungsberichte – das einzig erstaunliche und verblüffende dabei ist aber nur, dass diese Berichte von der Kognitionswissenschaft immer noch nicht systematisch erforscht sondern ignoriert werden.

  17. @Bialas+Brega: Zusatzinfo
    In Ihrer Arbeitsgruppe um Prof. Schönwiesner beschäftigen Sie sich damit, wie Geräusche/Laute verarbeitet werden.
    Dass/Wie man sich im RAhmen von NTEs lebenslang an Geräusche aus der Fötus-Zeit erinnern kann, bedeutet dass die dazu notwendigen neuronalen Strukturen LEBENSLANG unverändert vorhanden sein müssen.

    • Könnte es sich bei der Erinnerung auch um einen Trugschluss handeln? Es wäre doch denkbar dass jemand während einer NTE versucht, die dort erlebten Sinneswahrnehmungen zu erklären, und dabei auf bekannte Narrative zurückgreift. Danke für ihre Email!

    • @Bialas
      Wenn ein Mensch von bestimmten Erfahrungen berichtet, dann kann solch ein Bericht subjektiv sein und hat somit wenig Aussagekraft.
      Wenn aber sehr viele Menschen aus völlig unterschiedlichsten Kulturen von gleichartigen Erlebnissen berichten, die sich in Inhalten/Struktur ähneln, dann deutet dies drauf hin, dass hierbei ein biologischer Mechanismus wirksam ist – der für die Gehirn-/Gedächtnisforschung von Interesse ist.
      Z.B. sollten Sie in der Literatur nachlesen – was darin über unsere frühesten Erlebnisse/Erinnerungen geschrieben steht: nichts.
      Als ich verstanden habe, dass man sich im Rahmen von NTEs an Erlebnisse ab dem 5. Schwangerschaftsmonat erinnert war mit klar, dass diese Erkenntnis ein ´missing link´ für die Kognitionswissenschaft ist. Seine Bedeutung für die Gedächtnisforschung ist vergeichbar wichtig wie es die Entdeckung der Doppelhelix-Struktur für die Genetik war

  18. @Bialas off topic
    Ich habe Ihnen gerade eine Mail mit mehreren Texten geschickt. Darin ist das Phänomen Nahtod-erfahrung als Ergebnis eines einfachen, strukturierten Erinnerungsvorgangs beschrieben.
    Im langen Text sind über 50 wissenschaftliche Arbeiten als Beleg enthalten. Sie können diese Texte für Ihre Arbeit nutzen und dürfen diese gerne auch weitergeben

  19. Ole Bialas,
    Das Beispiel mit dem ausbleibendem Ton ist anschaulich. Da ich mich mit Schizophrenie nicht auskenne klinke ich mich hier aus.
    Bleiben Sie gesund und Frohe Weihnachten .

  20. Nette Idee, aber bei aller Euphorie und Plausibilität: Predictive coding reduziert das Hirn auf eine Bayesianische Maschine. Darauf eine allgemeine Theorie des Gehirns aufzubauen, halte ich für gewagt, ebenso die Erklärung von Schizophrenie mit dem Etikett ‘Vorhersagefehler’. Im Hirn arbeiten unzählige neuronale Netze in verschiedenen Arealen, die sich überlagern, von Vitalfunktionen bis zur abstrakten Sprache. Schließlich strukturiert das Gehirn Daten aus chaotischen internen und externen Reizen – ganz im Gegensatz zu Maschinen, die mit bereits strukturierten Daten gefüttert werden. Was will man hier mit dem Begriff ‘Vorhersage’ anfangen. Es ist ein kategoriales Konstrukt mit geringer analytischer Kraft aber hohem Trendindex.

    • Predictive Coding ja wird auch die “baysian brain” Hypothese genannt denn die Grundthese ist, dass das Gehirn versucht die Menge an Überraschung (das ist in diesem Fall ein mathematisch strikt definierter Term) zu reduzieren. Ich würde nicht sagen, dass die Theorie das Gehirn darauf reduziert, sondern in der Vorhersage die grundlegende Triebkraft sieht. Vielleicht könnte es in diesem Sinne mit dem Begriff der Fittness in der Evolutionstheorie vergleichen.

  21. @Bialas 19.12. 20:58

    “Dieser und vergleichbare Prozesse sind bei Schizophrenen gestört, was mit der Krankheitssymptomatik in Verbindung gebracht wird. Wenn wir die physiologischen Ursachen dafür (z. B. Veränderung der NMDA-Rezeptoren) identifizieren, könnte man basierend auf diesem Wissen medizinisch intervenieren.”

    Ich denke mal, dass akute Psychosen ein Dauerstresseffekt sind. Dabei geht vieles im System daneben, das Gehirn kommt nicht mehr hinterher, die aktuelle Wirklichkeit eindeutig zu identifizieren. Das mag auch schon in ganz grundlegende Stufen der Wahrnehmung hineinreichen. Medikamente können aber keinen Durchblick erzeugen, und genau der fehlt hier.

    Aber wer weiß, vielleicht kann man doch neue Medikamente auf dieser Basis entwickeln, die dem Psychotiker helfen, die Wirklichkeit wiederzufinden.

    Insgesamt finde ich das Thema Vorhersagesystem spannend. Mir fällt dazu ein, das Leben nicht nur Überleben bedeutet, sondern auch eine eigene Qualität mit sich bringt. Die Innere Erlebniswelt ist ein Zielgebiet für die ganze Veranstaltung des Lebens auf diesem Planeten. Der ständige Abgleich von Innen und Außen bildet die Grundlage für ein Dabeisein, das auch sehr lebenswert ist. Ich glaube nicht, dass wir reine Überlebensmaschinen sind. Das steckt bestimmt noch mehr dahinter.

    Überhaupt stellt sich auch bei diesem modernen Modell mit Vorhersagefehlerverarbeitung immer noch die alte Frage: Auf welcher nerventechnischen Grundlage werden hier ausgesuchte Teile des gesamten neurologischen Geschehens zu einer nach innen durchsichtigen Welt zusammengefasst? Mir fällt dazu wirklich überhaupt keine Lösung für ein, außer dass ein wesentlicher Teil der Inneren Erlebniswelt in einen Geistesraum abgebildet wird, der spirituelle Anteile hat, und in der Folge nicht ganz von dieser Welt sein kann.

    Hiermit bekommen dann Spiritualität und auch religiöse Konzepte wieder eine Dimension, die in vorwissenschaftlicher Zeit die Regel war. Das Projekt Wissenschaft sucht nach Alternativen, und findet auch welche. Aber deshalb muss nicht die ganze Welt rein physikalisch und naturgesetzlich funktionieren. Die unmittelbare Lebenserfahrung als eigene Existenz kann man als gesonderte Kategorie des Seins auffassen, die eben eine andere ist, als die schnöde Physik des Materiellen.

    • Das Hypothetische Medikament sollte lediglich der Veranschaulichung dienen. Ich gebe Ihnen Recht, dass sich psychische Krankheiten nicht einfach durch eine Pille heilen lassen. Predictive Processing kann zwar nicht die individuelle Lebenserfahrung erklären, hilft uns aber, den Apparat mit dem wir diese Erfahrung sammeln zu verstehen. Sie haben natürlich auch damit recht, dass der Zusammenhang zwischen zellulären Mechanismen und kognitiven Prozessen sehr komplex ist. Doch gerade hier das Paradigma des Predictive Processing vielversprechend, da es sich auf verschiedenen Ebenen anwenden lässt.

    • “Aber deshalb muss nicht die ganze Welt rein physikalisch und naturgesetzlich funktionieren.”
      Die gesamte ERFAHREBARE Welt ist rein spirituell. Über die Außenwelt (objektive Realität) können wir kaum gesicherte Aussagen treffen. Unsere subjektive Wirklichkeit hat eine ganz andere Qualität (damit meine ich ist anders beschaffen) als die objektive Realität. So wie in einem PC-Spiel, in dem wir gemeinsam z.B. eine Stadt erleben, die es gar nicht gibt. Die wahre Beschaffenheit dieser digitalen Stadt (Einsen und Nullen) unterscheidet sich dramatisch von unserer Wahrnehmung. Genau wie die objektive Realität und die subjektive Wirklichkeit (wahrscheinlich). Diese (unbewussten) Vorstellungen über das Selbst, aber auch über die Realität sind spekulativ und werden vom Verstand empirisch entwickelt. Genau wie Bors Atommodell mögen unsere Konzepte gut geeignet sein, mit ihnen zu arbeiten, aber sie bilden die Realität nicht unbedingt – und auch sehr unwahrscheinlich – korrekt ab. Grundsätzlich sollte man zwischen “Realität” und “Wirklichkeit” unterscheiden. Realität ist das, was “da draußen” ist, aber nicht direkt wahrnehmbar. Mit unseren Gehirnen und Sinnen rekonstruieren wir nur unsere Landkarte der Realität, die ich “Wirklichkeit” nenne. Aber “die Landkarte ist nicht die Landschaft”.
      Tatsächlich bin ich schon seit langem von den Parallelen zwischen (Teilaspekten) der Religion und Psychologie fasziniert. Ich vermute es handelt sich um (teilweise unbewusste) Projektion impliziter Erkenntnisse.
      Nun könnte man Gott, den Schöpfer der (subjektiven) Welt, als den Schöpfer von unserer individuellen, persönlichen Welt (Wirklichkeit) verstehen, als den Geist, der eine abstrakte Projektion von Realität aus unseren Sinnen rekonstruiert. Diese so geschaffene “Wirklichkeit”, jeder von uns mit seiner individuellen, ist reiner Geist, Illusion, Maya, Gedanken, Zahlen – wie auch immer man es nennen will, und unterscheidet sich von der tatsächlichen Realität so sehr wie eine Landkarte von der Landschaft. ALLES, was wir wahrnehmen, befindet sich im Bereich der “Wirklichkeit”, befindet sich in der Welt (unseres persönlichen) Gottes und des Realitätsbegriffs, den wir gemeinsam geschaffen haben. Zuerst war nur der Geist der Schöpfer (Eden, die ersten Grundbegriffe, vielleicht auch das, was wir heute unter Archetypen verstehen). Später dann, nach der Vertreibung aus dem Paradies, als wir wie die Götter Begriffe wie Gut und Böse bilden konnten, veränderten wir nun nach den Regeln des Alten Herrn die Welt nach unserem Gusto. Dies gilt sowohl für die Entwicklung des Geistes als Ganzes als auch für jeden einzelnen Geist in der frühkindlichen Entwicklung. Man denke nur an optische Täuschungen und welche unglaublichen, unbewussten Leistungen des Verstandes hier zum Vorschein kommen: Er, “Gott” mit seinen Konzepten, ist sicherlich noch derjenige, der die Kontrolle hat. Alles sind mentale Konzepte. Es gibt keinen intrinsischen Sinn oder Zweck, den wir für sicher halten können. Gut, böse, richtig, falsch sind alles nur menschliche Konzepte, die nur für uns und in unserer Welt eine Bedeutung haben.
      Jesus, der Sohn Gottes (Geist), ist eigentlich das Bewusstsein und damit die Selbsterkenntnis, die aus einem immer komplexer werdenden selbstorganisierten System (Geist, Gott) hervorgeht. Der Geist versucht grundsätzlich, durch Erkenntnis, Begriffe und Vergleiche zu Einsichten zu kommen, wozu er von sich aus nicht fähig ist. Zu diesem Zweck erschafft er uns: Das Ich ist ein – beliebig austauschbares – Konzept unseres Verstandes über sich selbst und zugleich eine Methode der Abgrenzung. Im Sinne der Hegelschen Dialektik sind wir als Vermittler zwischen Ego und Über-Ich platziert. Zwischen empirisch entwickelten Trieben und konzeptionellen Idealen. Die Evolution des Geistes besteht in einem kollektiven “Testen” und Anpassen dieser Konzepte. Außerdem wäre es aus evolutionärer Sicht nicht unbedingt so, dass “Überleben” und eine “korrekte Repräsentation der Realität” sich zwangsläufig gegenseitig bedingen. Das heißt, dass der Verstand mit einem falschen Realitätskonzept vielleicht sogar Vorteile bei der Fortpflanzung haben könnte? Das heißt, evolutionär gesehen geht es um den Nutzen, den das Bewusstsein für das Überleben bietet. Weniger um seine Exaktheit.
      Natürlich wird man in verschiedenen Positionen und Kontexten feststellen, dass Gott eine andere Bedeutung hat, wie Macht, Zeitgeist, Paradigma und mehr. Es könnte also mehrere Bedeutungen haben, so wie Religion mit verschiedenen Dingen zu tun hat, wie z.B. mit der Konzeption der arbeitsteiligen Gesellschaft, der Psychoanalyse, dem Geldsystem, dem Kalender und so weiter. Bei vielen Gelegenheiten werden Sie feststellen, dass Jesus (der auf dem Wasser geht) die Sonne ist.
      Luzifer ist der Intellekt und Satan, der gefallene Engel, ist das Unterbewusstsein, ein Teil oder eine Art Werkzeug des “ES” oder schließlich sogar das “ES” selbst. Satan braucht Luzifer, um ins Dasein zu kommen, so wie es eine absichtliche (bewusste) Absicht braucht, jemandem zu schaden, um etwas wirklich Böses (Satanisches) zu tun.

  22. @Bialas 20.12. 14:09

    “Doch gerade hier das Paradigma des Predictive Processing vielversprechend, da es sich auf verschiedenen Ebenen anwenden lässt.”

    Auch in der KI könnte man dieses wohl anwenden. Wenn etwa selbstfahrende Autos damit arbeiten, könnten die mit mehr schwierigen Verkehrssituationen klar kommen. Und z.B. einen Fußgänger am Straßenrand so prognostizieren, dass er da stehen bleibt und wartet, bis die Straße frei wird. Und sobald der Fußgänger sich anschickt, sich doch über die Straße zu bewegen, könnte die KI dann sofort reagieren und bremsen.

    Wir könnten es hier mit einem Grundprinzip zu tun haben, das sowohl künstliche wie biologische Intelligenz erst möglich macht.

  23. @ KRichard 19.12.2021, 05:20 Uhr

    Ich schicke voraus, dass ich vieles in sachlicher Hinsicht wie Sie sehe. Die Gehirn Prozesse sind nicht nur mit der „Gatterlogik“ im Sinne von McCulloch erklärbar, sondern auch die Psychologen kommen mit „harmlosen Experimenten“ zu entsprechenden Schlüssen. Was Sie z.B. mit „Nachtodkontakt“ bezeichnen ist allgemein bekannt.

    Mir ist auch klar, dass früher die Psychologen praktisch alle ihre Erkenntnisse die auch direkte Eingriffe im Gehirn erfordern würden, salopp formuliert, von Untersuchungen an „Kopfschüsslern“ (im wahrsten Sinne des Wortes, z.B. das “berühmte” Balint Syndrom) beruhen und letztlich auf Wahrnehmungen von Chirurgen die in den Weltkriegen an der Front gearbeitet haben, zurückgehen. Vieles auf Prozesse beruht, die praktisch nur in „Todesnähe“ beobachtet werden konnten. Die Experimente konnten aus ethischen Gründen nicht planmäßig durchgeführt werden und man musste sich mit dem begnügen, was den Chirurgen „so untergekommen“ ist.

    Allerdings begründet dieses „wühlen im zufälligen Abfall“ auch das „Elend“ der psychologischen- und der Hirnforschung. Dieser „Background“ ist irgendwie „tabu“ und mich wundert, warum Sie ausgerechnet diesen Aspekt (NTE) so in den Vordergrund stellen und danach das mangelnde „Echo“ beklagen?

    Ich gebe es zu, ich persönlich lese auch gerne („unter der Decke“ sozusagen) was ehemalige Hirnchirurgen so „hinterlassen“ haben. Mir ist natürlich klar, dass der Vergleich mit elektronischen „Gatterlogiken“ noch „verrückter“ erscheint. McCulloch, Turing, …. ist es nicht gut bekommen und Freud, der auch etwas hinsichtlich der „elektrischen Gattertechnik infiziert“ gewesen sein soll, musste sozusagen Hals über Kopf widerrufen, vermutlich weil er sich nicht selbst ruinieren wollte.

  24. @Elektroniker
    Das Blogthema hier ist ´predictive coding´ und meine Beiträge sind deshalb auch nur zu diesem Thema. Um das Phänomen ´Nahtod-Erfahrung´(NTE) komplett erklären zu können, braucht man nur die beiden Fachbegriffe ´PREDICTIVE CODING + state dependent retrieval´ konsequent in iher Bedeutung verwenden. Mehr braucht man dazu nicht.

    NTEs haben nichts mit ´Todesnähe´ zu zun – auch wenn dieser Blödsinn immer wieder suggeriert wird – sondern sind nur Ergebnis eines einfachen, bewusst wahrnehmbaren, strukturierten Erinnerungsvorgangs.
    (Der biologische Tod ist nicht reversibel. D.h. alle Menschen die von einer NTE berichten, waren zum Erlebniszeitraum lebendig = ohne ´Todesnähe´. D.h. der Begriff ´Todesnähe´ ist ein Unsinn, mehr nicht! )

    Bei NTEs ist deutlich erkennbar, dass/wie dabei Erlebnisse ab dem 5. Schwangerschaftsmonat lebenslang dem bewussten Erinnern zugänglich sind. Dies wird bisher in der Fachliteratur nirgendwo beschrieben! D.h.diese Literatur der Kognitionswissenschaft ist damit unvollständig bzw. falsch.
    Wenn ich hier bei SciLogs klar und deutlich auf einen wissenschaftlichen Fehler hinweise, dafür gibt es einen einfachen Grund: Lesen Sie nach, welche Ansprüche SciLogs an sich selbst stellt.

    off topic: Dass Sie trotz vieler Hinweise noch immer nicht verstanden haben, dass elektronische Schaltungen und die Funktionsweise des Gehirns nicht vergleichbar sind – ist peinlich für Sie.

    • @Bialas
      Ich bemühe mich immer, sachlich zu sein.

      In den letzten Monaten gab es mehrere Berichte von Menschen die bei einer schweren Corona-Erkrankung eine Nahtod-Erfahrung hatten – und seitdem deswegen unter schweren posttraumatischen psychischen Folgen leiden; weil sie mit diesem Erlebnis nicht zurecht kommen.
      Diesen Leute kann durch Ärzte/Betreuer nicht optimal geholfen werden – weil das Thema NTE bisher von der Wissenschaft nicht ernst genommen wird.

  25. @ Elektroniker: Nachtrag

    Die Überschrift hier ist ´SciLogs – Wissenschaftsblogs´ – und unter ´ueber SciLogs´ kann man mehr dazu lesen.

    In der Wissenschaft gilt der Qualitätsstandard ´Gute wissenschaftliche Praxis´. Dazu gehört u.a. die Selbstverpflichtung von Wissenschaftlern dass man aktiv wird, wenn man von wissenschaftlichen Fehlern Kenntnis bekommt – und diesen Hinweisen nachgeht.

    Dass man meinen Hinweisen hier bisher nicht ernsthaft nachgegangen ist oder sich sogar darüber lustig gemacht hat – ist bedauerlich. Aber das ist nicht mein Fehler! Offenbar gerate ich nur an Leute, welche es mit der Selbstverpflichtung nicht sehr ernst nehmen.

  26. @Statist 20.12. 14:13

    „Unsere subjektive Wirklichkeit hat eine ganz andere Qualität (damit meine ich ist anders beschaffen) als die objektive Realität.“

    Auf jeden Fall, und das grundlegend. Jetzt macht es aber noch einen Unterschied, ob wir allein eine Art Nervensystemsubstrat sind, oder doch auch mit wahren Geisteswelten gesegnet sind. Insbesondere können Geisteswesen direkt miteinander in Kontakt treten.

    Wenn wir im Park spazieren gehen, laufen da noch mehr Menschen herum, die mit uns zusammen in ihren Innenwelten am Park teilhaben, und im Prinzip müssen die Tiere und die Bäume dort auch in ihrer eigenen inneren Präsenz dort gegenwärtig sein. Wenn wir es hier mit Geisteswelten zu tun haben, die nicht ganz von dieser Welt sind, dann können die auch eine übergreifende Gesamtheit bilden, wovon jedes beteiligte Individuum ein Teil ist, das teilhaben kann.

    Eine gewisse Geborgenheit wäre dann feststellbar, und auch ein echter Kontakt möglich, als das Gegenteil von persönlicher Einsamkeit.

    „Aber “die Landkarte ist nicht die Landschaft”.“

    Die Landkarte korrespondiert stark mit der Landschaft, und ist dann auch Teil einer eigenen Landkartenwelt.

    „Es gibt keinen intrinsischen Sinn oder Zweck, den wir für sicher halten können.“

    Die konkrete gelebte Qualität von Innenwelten könnte allgemein als Sinn herhalten. Zumindest ist dies genau das, das es sich zu suchen lohnt.

  27. Die jüngeren Neurowissenschaftler „wachsen“ heutzutage sozusagen bereits im Kinderzimmer, im Gymnasium, mit „Algorithmen“, ihrer mathematischen Formulierung und im praktischen Umgang damit auf.

    Sie haben keine Probleme damit, auch das neuronale System als Plattform für die „Verarbeitung“ von abstrakten Informationen zu verstehen.

    Ältere, auch höchst gebildete, materialistisch gesinnte Menschen, bestreiten grundsätzlich die Möglichkeit Information von ihrem jeweiligen Träger „abzutrennen“, mathematisch „abzubilden“, praktisch nach Belieben zu übertragen, zu verarbeiten, damit Prozesse zu steuern, oder andere Träger damit zu modulieren. Derartiges womöglich auch noch hinter biologischen Systemen auch nur zu vermuten, ist für sie völlig undenkbar.

    Das „Predictive Coding“ geht zwar von Informatikern aus, die es wiederum von der „neurologischen Plattform“ abgeschaut haben dürften, aber die „neuzeitlichen“ Neurowissenschaftler können das Konzept problemlos in ihr Wissensgebiet „einbinden“ und auch weiter entwickeln.

    Als ehemaliger Elektroniker finde ich den „N400-Effekt“ interessant. Wenn die elektrische Aktivität etwa 400 Millisekunden nach der Entdeckung, z.B. eines „unpassenden Worts“ (z.B. „Ich nehme einen Kaffee mit Milch und Hund“), einen Höchststand erreicht.

    Der Effekt könnte dann auftreten, wenn sich sozusagen die Ladungsträger „stauen“, weil sie nicht geordnet über das neuronale Netz, sozusagen wie normalerweise gewohnt, „abgeführt“ werden können.

    Das dürfte einerseits eine besondere Aufmerksamkeit bewirken, andernfalls könnte es zu so etwas wie Aktivierungen „falscher Strukturen“ führen, z.B. zur Ausführung schizophrener Handlungen.

    „Synästhesie“ könnte auf ähnlichen Mechanismen beruhen, jedoch fallen Menschen kaum auf, weil sie normalerweise schnell lernen, dass man derartige Empfindungen nicht gerade an die „große Glocke“ hängt.

    Umgekehrt könnten bei sehr vielen Aktivierungen Ladungsträger sozusagen „abgesaugt“ werden und sozusagen in bestimmten Bereichen für einige Zeit „verschwinden“, wie Sie es eigentlich im folgenden Zitat ausgeführt haben.

    Zitat: „Messen wir die Aktivität einer Nervenzelle des Hörsystems, während immer wieder der gleiche Ton in einem festen Rhythmus gespielt wird, sehen wir, dass die Antwort der Nervenzelle von Mal zu Mal geringer ausfällt. Bleibt der Ton dann plötzlich aus, führt sein Fehlen zu einem negativen Potential in der Zelle.“

    Ich würde meinen, spätestens am nächsten Tag, nach einem „gesunden Schlaf“ (Ladungsausgleich) sozusagen, könnte das „Spiel“ wieder von vorne beginnen….

    Derartige Effekte treten in elektronischen Systemen bei der Entwicklung häufig auf und die Elektroniker tun alles um ihre Systeme möglichst dauerhaft stabil zu halten.

    Ich wollte mit meinen Texten eigentlich nur begründen, dass die neuronale UND Funktion (die allerdings nur so etwas wie eine „statistisch qualifizierte“ UND Funktion ist) eine Brücke zur Boolschen Schaltalgebra, zur Mathematik und damit zur „richtigen Wissenschaft“ ist (McCulloch, Turing,…).

    Die „UND Funktion“ ist absolut wichtig, nicht nur aus theoretischen Gründen (neben der „NICHT Funktion“, A. Turing). „Vergleiche“ sind auch für das „Predictive Coding“ unabdingbar.

    Auch dass die Musterabbildung hauptsächlich baumartig und „vermascht“, aber kaum sequentiell (wie in der Genetik) erfolgt, war mir ein Anliegen. Wie auch, dass die Muster über besondere „gelernte“ Strukturen (Hebbsche Regel, E. Kandel,…) durch das System verschoben werden und an (flächigen Stellen, wie z.B. der Netzhaut, Zwischenschichten,…) wo ein „örtlicher und gleichzeitiger“ Zusammenhang der einzelnen Information abbildenden Signale besteht, „Bewusstseinseffekte“ (als so etwas wie „Ergebnisse oder Zwischenergebnisse“) auftreten dürften. Wobei wiederum die entstehenden „Empfindungseffekte“ komplex zusammengefasst werden.

    Empfindungen dürften auftreten, wenn Ladungsträger (Elektronen, Löcher, Ionen,…) aus ihren „Umlaufbahnen geworfen“ werden. Eventuell spielen dabei wechselweise „komplementäre“ Prozesse eine Rolle.

  28. @Elektroniker
    beim N400-Effekt´ scheint es sich um ein statistisches Auswerteproblem zu handeln. Denn wenn man die verwendeten Messdaten nicht mittelt, sondern einzeln auswertet, ist dieser Effekt nicht mehr belegbar
    DOI: 10.1016/j.neurobiorev.2016.06.023 Catching the waves – slow cortical potentials as moderator of voluntary action

    Genauere Untersuchungen dieses Effekts deuten sogar darauf hin, das er wohl nur Nebeneffekt körperlicher Aktivität (z.B. Atmung) ist
    DOI: 10.1038/s41467-019-139679 Breathing is coupled with voluntary action and the cortical readiness potential

    @all: SCHÖNE FEIERTAGE

  29. @ Bialas, KRichard

    Es ist grundsätzlich interessant, wenn KRichard von statistischen Auswerteproblemen spricht, wenn man davon ausgeht, dass man Messdaten sowohl statistisch mitteln als auch einzeln auswerten kann.

    Genau das ist der Unterschied zwischen biologisch neuronalen und den üblichen elektronischen „Gattersystemen“.

    Die Gemeinsamkeit ist, dass in beiden Systemen für die Informationsverarbeitung elektrische Ladungsträgerverschiebungen in komplexen (stark verzweigten) Netzstrukturen relevant sind. Damit beschäftigt sich in der Technik traditionell und auch systematisch die Elektronik.

    Die Boolsche Schaltalgebra ermöglicht eine mathematische Abbildung der auftretenden Prozesse.
    Jedoch kommt es in der Elektronik exakt, (anders als in der Biologie) auf jedes einzelne Signal an.

    Das logische „UND“ ist genau dann und nur dann, erfüllt wenn z.B. definiert 10 auf einzelnen Leitungen auftretenden Signale den gleichen „High Pegel“, z. B. 5 Volt haben. Fehlt auch nur ein 5 Volt Pegel ist die „UND Bedingung“ eben nicht erfüllt. Dadurch wird wesentlich erreicht, dass alle Schaltungen die das gleiche Konzept nutzen, immer die gleichen Ergebnisse abliefern. Es wäre völlig abwegig, würden elektronische Systeme (Computer) sozusagen „quer denken“ und zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen.

    Genau das kann bei biologischen Systemen geschehen. „Querdenken“ wird übrigens dadurch stark gefördert, weil die Google Algorithmen den Nutzer letztlich mit jeweils von ihm „selbst gewünschten“ Suchergebnissen „überschütten“ und z.B. Blödsinn beim Suchenden immer mehr kumuliert. Das ist auf eine uralte Verkaufsstrategie (in der die Amis „Meister“ sind) zurückzuführen, wenn der Verkäufer den Kunden auf keinem Fall widerspricht (sonst ist er weg….) sondern in seiner „Kundenmeinung“ verstärkt um ihm schnellstens eine Ware andrehen zu können….

    Biologische Systeme können vermutlich die nötigen Anforderungen besser erfüllen als die „streng logisch“ arbeitenden technischen Systeme, sind aber z.B. anfällig für „Querdenkereien“. Es verhält sich deswegen so, weil stets nur „qualifizierte UND Bedingungen“ erfüllt sein müssen. Ein Neuron, als ein derartiges „qualifiziertes UND Gatter“, triggert dann, wenn auf möglichst vielen Eingängen möglichst gleichzeitig ein „Signalspike“ ansteht.

    Hier geht es sehr wohl um Statistik. Wenn beim „Querdenker“ immer mehr (blödsinnige) „Denkbahnen“ synaptisch „angelegt“ werden, so denkt er eben Blödsinn. Normalerweise übt man „möglichst richtige“ Information ausreichend oft ein um eine „normale Denke“ zu erzielen, allenfalls eine „Hirnwäsche“ durchzuführen.

    Der Unterschied in der genutzten Technik („exaktes UND“, „qualifiziertes UND“, „Empfindungsfähigkeit“) erklärt genau den Unterschied zwischen „Computerdenke“ und „Menschendenke“.

    Die Frage ist höchstens noch, was ist „quer“, was ist „normal“, was ist „egal“, oder was „weiß man einfach nicht“. Die Grenzen sind fließend und vielen Menschen hängen die (auch eigennützigen) Manipulationen der „Meinungsführer“ zum Hals heraus….

    Dass die Atmung, als auch der Herzschlag, oder sonstige eigens im System erzeugte oder von der Natur abgeleitete Zyklen (z.B. Tag, Nacht, Schlaf….) einen Einfluss auf die dynamischen Ladungsträgerverschiebungen nehmen ist klar. Sie „treiben“ erst so richtig die von den Rezeptoren, (Sensorik) gelieferten Information abbildenden Signalmuster mittels auch individueller gelernter „Nachdenkmuster“ (die natürlich auch auf neuronalen Strukturen abgebildet und gelernt werden und eng mit den von den Rezeptoren ausgehenden Strukturen verknüpft sind) durch das neuronale System.

    Selbstverständlich spielt auch die „Energieversorgung“ wie beim Laptopakku eine Rolle.
    Es kann zur Ansammlung von Ladungsträgern kommen, wenn sozusagen der „Abfluss“ verstopft ist, weil im N400 Beispiel die „Hund“ abbildenden Strukturen nicht vorhanden sind. Hätte man z.B. mit „Milch und Zucker“ formuliert, wären die Ladungen über die den Begriff „Zucker“ abbildenden Strukturen, sozusagen „abgeflossen“.

    Herr Bialas hatte aber auch ein Beispiel dafür, dass wenn immer wieder der gleiche Ton in einem festen Rhythmus gespielt wird, dass die Antwort der Nervenzelle von Mal zu Mal geringer ausfällt. Vermutlich deswegen, weil einfach die Ladungsträger „abgesaugt“ werden und nichts mehr für die Messung übrig bleibt. Das ist irgendwie der „gegenteilige“ (inverse) Effekt des „Epilepsie Effektes“.

    McCulloch hat auch entdeckt, dass ein Neuron nach dem Triggern einige Zeit der “Erholung“ braucht, um erneut triggern zu können. (Stichwort: „Refraktärzeit“).

    Auf diesem Effekt beruht vermutlich auch die heilende Funktion des „Hirnschrittmachers“ z.B. bei Epilepsie. Bei der Krankheit kann es zu „Aufschaukelungen“ kommen. Man führt einfach kurze Zeit bevor bestimmte Neuronen falsch Triggern würden, Signalimpulse zu, so dass Neuronen vorzeitig triggern, dass System „außer Tritt“ gerät und die „Aufschaukelung“ endet. Wie Soldaten nicht „im Gleichschritt“ über Brücken marschieren dürfen, weil wegen der Resonazeffekte die Brücke einstürzen könnte.

    So wie in der Technik praktisch alle Fehlfunktionen (was man halt darunter so versteht) eine reale Ursache haben, verhält es sich offenbar auch bei neuronalen Systemen. Allerdings können diese Fehler, einerseits wegen der extremen Komplexität, andererseits wegen der fehlenden oder sehr gefährlichen Messmöglichkeiten (Eingriff ins Gehirn) nicht mit Sicherheit ermittelt werden.

    Man kann höchstens aus alltäglichen Analogien wie sie in der Elektronik auftreten lernen, was ich mit diesen Textbeiträgen versuche zu vermitteln.

  30. @ Bialas, KRichard

    Ich habe vor Weihnachten eine Antwort auch an KRichard verfasst, in dem ich eher dezent auf die heutzutage immens wichtige Frage der „Querdenkereien“ eingegangen bin. Dies ist insofern von Bedeutung weil sich in den Gehirnen von Menschen zunehmend „inkompatible Denkmuster“ festsetzen die ein Zusammenleben der Menschen erschweren.

    Früher wurde, auch gewaltsam, dafür gesorgt, dass nur kompatible Denkmuster in der Gesellschaft „zirkulierten“. Heutzutage ist es verwerflich, in der Öffentlichkeit seinen kleinen Kindern, die mitunter „originelle Ideen“ entwickeln, zu widersprechen….

    Die „Denkmuster“ die letztlich den Input abbilden, entstehen auch gemäß des „Predictive Coding“ und der Hebbschen Regel, wobei „qualifizierte UND Funktionen“ aus informationstechnischer Sicht eine bedeutende Rolle spielen.

    Dies, obwohl es aus Sicht der Logik/Philosophie natürlich so nicht möglich ist, zumal die UND Funktion entweder ganz genau voll erfüllt oder eben nicht erfüllt werden muss. Ein nur teilweise, „schlampig“, oder vornehm, ein „qualifiziert erfülltes UND“ wäre natürlich keine „richtige UND Funktion“. Sie erfüllt nicht die Anforderungen der Logik, der Mathematiker (außer den Statistikern), oder der Wissenschaftler.

    Allerdings „scherte“ sich die Evolution nicht um die Regeln die sich die Wissenschaft ausgedacht hat. Die Evolution ist auf die neuronale Funktion „gestoßen“ und hat sie zu immer besseren leistungsfähigen Systemen optimiert (Darwin), zumal es (statistisch) reichen dürfte, wenn stets nur „qualifizierte UND Bedingungen“ erfüllt sind. Ein Neuron, als ein derartiges „qualifiziertes UND Gatter“, triggert dann, wenn auf möglichst vielen Eingängen möglichst gleichzeitig „Signalspikes“ an einer relevanten Stelle (des Neuronenkörpers) anstehen, bis das Triggerniveau erreicht wird. (Ich würde mich übrigens freuen, wenn jemand sachlich diesen Aussagen widersprechen würde).

    Allerdings reagieren neuronale Systeme gemäß ihrer jeweils gemachten „Erfahrungen“ und daher unterschiedlich, weil die Erfahrungen eben normalerweise unterschiedlich sind.

    Im nächsten Beitrag wiederhole ich, leicht geändert und etwas verkürzt, meinen früheren, während der Feiertage (noch??) nicht freigegebenen Beitrag.

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