Mathematik, Wissenschaft und Mystik

BLOG: Theologie im Dialog

Naturwissenschaften, Kultur und Religion
Theologie im Dialog

Wer fragt, ob es möglich, nötig oder auch wünschenswert ist, alle Wissenschaften zu mathematisieren, muss die Rückfrage erlauben, wie wissenschaftliches Wissen überhaupt zustande kommt. Untersucht man die Wissenschaftsgeschichte unter dieser Fragestellung und damit auch den unleugbar voranschreitenden Prozess der Mathematisierung der Wissenschaften, so ist nicht zu übersehen, dass mit der Verwissenschaftlichung der „Wirklichkeit“ eine entscheidende Umprägung zentraler Kategorien unserer Wirklichkeitserfassung einhergeht. Schlagwortartig möchte ich dies folgendermaßen formulieren: Naturwissenschaft ist die Transformation von qualitativer Wahrnehmung in quantitative Begriffe. Anhand einiger Beispiele möchte ich verdeutlichen, dass damit die wissenschaftliche Weltsicht in symbolischen Akten erzeugt wird. Wissenschaft ist also das Ergebnis eines schöpferischen Symbolbildungsprozesses. Sehen wir uns dazu verschiedene Formen quantitativer Wahrnehmung an.

 

Raumwahrnehmung: In frühen Formen der Raumwahrnehmung erscheint der Raum als ein Medium, das mit Qualitäten behaftet ist. Es gibt sakrale Räume, in denen sich die Epiphanie des Göttlichen ereignet. Ohne diese heilige Aufladung ist der Raum profan, also vor der Erscheinung (gr. Prophanum, phanein = erscheinen) des Heiligen. Ebenso ist die Richtung qualitativ aufgeladen. Aus der Religionsgeschichte ist bekannt, dass rechts das Rechte indiziert, während links (lat. sinister) auf das Dunkle, Sinistre hinweist. Um also die qualitative Raumwahrnehmung zu verwissenschaftlichen, müssen diese magischen Raumqualitäten eliminiert werden. Der naturwissenschaftliche, homogene, isotope und damit quantifizierbare Raum konnte erst entstehen, als die magische Raumwahrnehmung zurücktrat. Dazu hat die christliche Religionskritik an dieser magischen Raumwahrnehmung ebenso beigetragen wie die Entdeckung des dreidimensionalen Raumes seit der Kopernikanischen Wende. Nun kann der Raum zu einer Quantität werden.

Zeitwahrnehmung: Auch die Zeitwahrnehmung ist zunächst eine Wahrnehmung der Qualität. In der Religionsgeschichte gibt es die Qualität heiliger Zeiten, durch Tabus in ihrer Dignität gesichert. Aber auch die subjektive Wahrnehmung der Zeit ist, spätestens seit der von Augustinus in seinen Confessiones qualitativ. Dies gilt insbesondere für die Wahrnehmung des Verlaufscharakters der Zeit , d. h. ob sie schnell oder langsam verläuft. Für die Umwandlung dieser Zeitqualitäten in Zeitquantitäten braucht man abzählbare Einheiten. Diese liefert die Uhr, die im 13. Jahrhundert erfunden wurde und sich im 14. Jahrhundert explosionsartig in Europa verbreitet hat. Die Uhr ist der Inbegriff der Quantifizierung der Zeit.

Schnelligkeit/Geschwindigkeit: Ob sich etwas schnell oder langsam bewegt, ist eine Frage subjektiver qualitativer Wahrnehmung. Der quantitative Begriff ist der der Geschwindigkeit, der bereits auf einem quantitativen Raum- und Zeitbegriff aufbaut. Denn Geschwindigkeit (v = s/t) ist definiert als durcheilter Raum in gezählter Zeit.

Schwere/Gewicht Auch die Schwere eines Körpers ist eine Sache qualitativer Wahrnehmung. Für einen Gewichtheber ist ein Sack Kartoffel leicht, für einen Erstklässler nicht zu heben. Das Gewicht hingegen, genauer noch der Begriff der trägen und schweren Masse ist wiederum quantitativ, d. h. ein Maß des Widerstands gegen Bewegungsänderung. Er setzt die quantitativen Begriffe von Raum, Zeit und Geschwindigkeit voraus. Damit zeigt sich: Grundlegende wissenschaftliche Begriffe wie Raum, Zeit, Geschwindigkeit, Masse sind das Ergebnis eines Umformungsprozesses von qualitativer Wahrnehmung zu quantitativer exakter Begrifflichkeit.

Dieser grundlegende Prozess der Quantifizierung geht aber noch viel weiter. Dazu seinen weitere Beispiele von Wahrnehmungskategorien herangezogen.

Licht: Die Wahrnehmung von Licht ist zunächst ebenfalls eine rein qualitative, d. h. hell oder dunkel, grün oder blau, rot oder gelb. Mit Goethes Farbenlehre endet erfolglos der letzte Versuch, eine Wissenschaft auf qualitativer Wahrnehmung aufzubauen. Er scheitert angesichts des Erfolgs quantitativer Theorien des Lichts, sei es die Partikeltheorie, sie es die Wellentheorie oder sei es die Kombination beider in der modernen Quantenmechanik mit ihrem Welle-Teilchen Dualismus.

Wärme: Als letztes Beispiel sie die Wärme genannt. Wärme ist eine subjektive Erlebnisqualität. Ihre Transformation in wissenschaftliche Begrifflichkeit führt zum Konzept der Temperatur, das wiederum in der statistischen Wärmetheorie auf dem quantitativen Bewegungsbegriff aufbaut.  

Dies möge zur Veranschaulichung der These genügen, dass naturwissenschaftliche Arbeit in eben dieser schöpferischen Transformation von subjektiver qualitativer Wahrnehmung zu begrifflicher, objektiver Quantität besteht. Er erfordert vom Wissenschaftler eine erhebliche intellektuelle Anstrengung und ein beständiges Abstrahieren von subjektiven Wahrnehmungskategorien.

Was hat dies nun alles mit Mathematik zu tun? Nun, die Mathematik ist diejenige Sprache, in der sich Quantitäten in Gestalt von Funktionsgleichungen oder Strukturen ausdrücken lassen. Zwar ist Mathematik weit mehr als eine Wissenschaft von Quantitäten, sie schließt Logik, Beweistheorien, Strukturen usw. ein. Aber in ihrer Anwendung auf die Natur ist sie doch als einzige Sprache in der Lage, eine Quantität, also in der Regel eine Zahl, als Ergebnis eines wissenschaftlichen Verfahrens auszudrücken. Diese Quantifizierung der Weltwahrnehmung in der Wissenschaft mit Hilfe der Mathematik hat einerseits zu einem enormen Erfolg geführt, andererseits zur Verkümmerung des Wahrnehmungssinns geführt, real, weil er nicht mehr in der wissenschaftlichen Welt trainiert wird, aber auch wissenschaftstheoretisch, weil er eben „nur subjektiv“ ist. Und in der Tat ist ja über subjektive Wahrnehmungskategorien kein intersubjektiver Konsens zu erzielen. Dieser Konsens kann nur über intersubjektiv vermittelbare Quantitäten erzeugt werden. Es ist daher nur logisch, dass die zunehmende Verwissenschaftlichung letztlich auf die Elimination des Subjekts, also die Vernichtung des Ichs hinausläuft. Das gelingt allerdings nicht ganz. Zwar sind mathematisch gesehen die subjektunabhängigen Invarianzen in der Mathematik besonders interessant, insbesondere in der speziellen und allgemeinen Relativitätstheorie Einsteins als physikalischer Anwendung (also das ds2 und das gμν ), aber dennoch ist das mathematische Koordinatensystem als Bezugspunkt des beobachtenden Ich nicht dispensierbar. In genialer Hellsicht hat daher auch der Mathematiker Hermann Weyl gesagt: „Das Koordinatensystem ist das Residuum der Ichvernichtung.“

Und auch in der Hirnforschung behauptet sich mit ärgerlicher Penetranz ein kleines Residuum. Es sind die Qualia. Sie lassen sich einfach nicht intersubjektiv quantifizieren. Man sieht eben keine Wellenlängen, sondern gelb oder blau. Auch der Sinn einer Aussage ist nur sehr bedingt mit ihrem Informationsgehalt erkennbar. Trotz der enormen Erfolge bei Übersetzungscomputern sind es doch gerade ihre metaphorisch vermittelten Sinneinheiten, die sich dem quantifizierten Informationsbegriff entziehen. Oder gibt es eine sinngemäße Übersetzung des wunderbaren von Metaphern lebenden Gedichts von Joseph von Eichendorff?

Schläft ein Lied in allen Dingen

Die da träumen fort und fort

Und die Welt hebt an zu singen

Triffst du nur das Zauberwort.

Wer eine sinngemäße Übersetzung durch einen Computer kennt, melde sich bitte bei mir.

Trotz dieser offenbar bisher nicht geknackten Festungen, die sich bisher der Quantifizierung entzogen haben, des metaphorisch vermittelten Sinns wie auch die Qualia, bin ich nicht der Ansicht, dass man diesen mathematisierend quantifizierenden Verwissenschaftlichungsprozess abbrechen sollte. Im Gegenteil. Gerade gegen diese Festungen gilt es weiterhin anzurennen, schon allein, um herauszufinden, ob es sich um prinzipielle Grenzen handelt oder nicht. Er ist Teil unserer Kultur, aus der wir nicht aussteigen können. Diese Kultur ist aber bereits das Ergebnis einer Wertentscheidung, die im späten Mittelalter gefallen ist. Mit Wilhelm von Ockham begann der Weg in diese äußere symbolorientiert Wissenschaftlichkeit. Aber schon damals gab es eine Gegenbewegung, die Mystik. Sie setzte die Wahrnehmung an die erste Stelle: „Nimm din selbst war“, sagt der mittelalterliche Mystiker Meister Eckhart in seinen Reden der Unterweisung. Er war Zeitgenosse Ockhams und hat sich nicht durchgesetzt. Durchgesetzt haben sich Ockham und seine wissenschaftlichen Nachfolger. Subjektivität musste immer mehr im Dienste der Wissenschaft zurückgedrängt werden.  Allerdings muss man sich im Klaren sein, dass man mit der zunehmenden Zurückdrängung der „bloß subjektiven“ Wahrnehmungsfähigkeit einen hohen Preis zahlt. Indolenz und Mangel an Sensibilität nehmen in unserer Gesellschaft erschreckend zu. Es ist daher nicht verwunderlich, dass in vielen Bereichen kompensatorische Bewegungen entstehen, die auf geschulter Wahrnehmung aufbauen.

In der Komplementärmedizin, der der Psychologie, in der Wiederentdeckung der Meditation, in der Mystik der Religionen. Für mich ist die Frage interessant, ob sich eine Wissenschaft auf der Basis qualitativer Wahrnehmung aufbauen lässt. In den Religionen des Ostens gelten wahrnehmungsintensive Meditation und Yoga als Wissenschaften, die von unmittelbaren Wahrnehmungsqualitäten ausgehen im Gegensatz zum geschilderten Symbolbildungsprozess unserer westlichen Wissenschaft. Interessant ist aber, dass auch dieser Weg der inneren qualitativen Selbsttransformation der Mystik in einem gewissen Sinn zur Aufhebung des Ichs führen kann. In der Ichvernichtung zugunsten einer umfassenden Ganzheit der Mystik und der Ichvernichtung zugunsten intersubjektiver Symbolbildung reichen sich daher äußere Wissenschaft und innere Mystik die Hand. Der homo spiritualis der Zukunft wird beide Aspekte leben müssen. Wir werden die Zukunft nur meistern können, wenn sich innere Wahrnehmung und äußere Wissenschaftlichkeit ergänzen, Ockham und Eckhart müssen sich versöhnen!

Wolfgang Achtner 

 

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Wolfgang Achtner ist Professor für Systematische Theologie an der an der Justus Liebig Universität Giessen, sowie Gründer und Direktor der Transscientia Instituts für interdisziplinäre Wissenschaftsentwicklung, Philosophie und Religion. Prof. Dr. Wolfgang Achtner

11 Kommentare

  1. Oder so:

    Der Mystiker widmet sich so sehr dem Subjekt, daß er dieses überwindend endlich die höchste Objektivität schaut. Der Naturwissenschaftler widmet sich dagegen dem Objekt bis er als Betrachter in der Quantenphysik die letzte Subjektivität findet. So finden beide, was sie anfangs zu vermeiden suchten.

  2. @ Windrake

    GEILER (‘tschuldigung, rutschte so ‘raus) Gedanke!
    Woher?
    Und blicken nicht beide dann – ins Leere?

  3. @ H. Wicht

    Der Urheber des Gedankens heißt Michael Stelzner.
    Ob beide ins Leere gucken? Das hängt u.a. von ihrem jeweiligen Bedeutungsbewußtsein ab (s. Kommentar von Isadora). Derjenige, der wenig davon hat, blickt ins Leere, derjenige, der damit reich gesegnet ist, erkennt Gott, den Inbegriff absoluter Subjektivität und absoluter Objektivität.

  4. 2 Zitate

    Da kann man wohl festhalten: Ob mystisch oder maturwissenschaftlich fortschreitend: es führen viele Wege nach Rom.
    Das paßt gut zum Fest des Heiligen Geistes.
    Ernst Bloch: Was immer wahrhaft schöpferisch ist, hat als Subjekt den in uns sich ausgießenden – heiligen Geist.
    Hegel: Der Geist des Menschen, von Gott zu wissen, ist der Geist Gottes.
    Frohe Pfingsten!

  5. Ist denn nicht die reine Logik auch eine qualitative Wissenschaft? Zählen dürfen doch auch die qualitative Wissenschaftler?

  6. @ Achtner

    Ihr Plädoyer für eine Aufwertung spiritueller Bedürfnisse und Praktiken kann ich nur unterstützen, aber warum wollen Sie aus diesen unbedingt eine Wissenschaft machen? Zählt sonst denn alles nicht? Und muss man denn gleich eine Defizit auf der anderen Seite feststellen und behaupten, “innere Wahrnehmung und äußere Wissenschaftlichkeit” müssten sich ergänzen? Wieso ergänzen? Es sind ganz verschiedene Paar Schuhe: Das eine ist die Beschreibung der Welt, so wie sie unabhängig von uns ist, mit den adäquaten Methoden; das andere ist der Umgang mit dem Selbst, dem eigenen Bewusstsein. Das eine ist Wissenschaft, das andere eine Kunst oder wie immer Sie das nennen wollen. Wenn beide in irgendeiner, aber ganz verschiedener Weise mit dem “Ich” in Beziehung stehen, muss man ja nicht gleich davon sprechen, dass sie sich die “Hand reichen”. Als Poesie könnte ich das allenfalls akzeptieren.
    Noch ein paar Anmerkungen:
    – Was soll denn eine “äußere symbolorientierte Wissenschaftlichkeit” sein? Wissenschaft ist doch nicht ein Symbolbildungsprozess sondern eher ein Begriffsbildungsprozess. Die Symbole codieren ja nur die Begriffe. Die Geschichte der Physik z.B. ist ein Ringen um die adäquaten Begriffe.
    – Ich weiß nicht, welche Rolle Ockham da spielen soll. In den Naturwissenschaften kennt man von seinem Gedankengut nur das Sparsamkeitsprinzip. Galilei (17.Jhdt.!) war es, der nachweislich die quantitative Wissenschaft, die Verbindung von Mathematik und Experiment entdeckt hat. Wie immer kam das natürlich auch nicht aus heiterem Himmel, aber da wären noch viele andere eher als Vorläufer zu nennen.
    – Es ist ja nicht gleich “Ichvernichtung”, wenn ich annehme, dass die Welt da draußen unabhängig von mir existiert und dass ich sie auch so beschreiben können muss (auch wenn Hermann Weyl das Wort, vielleicht in einer Laune, benutzt hat). Dabei kann man die Notwendigkeit der Einführung eines Bezugspunktes nicht einmal als Relativierung dieser Forderung ansehen. Einen Bezugspunkt und ein Koordinatensystem muss ich wählen, wenn ich ein Gesetz der Natur für einen bestimmtem Fall anwenden will, die Gesetze müssen aber gerade so formuliert sein, dass sie unabhängig von der Wahl des Koordinatensystems und des Bezugspunktes sind. Auch hier wird der Beobachter also letztlich vollkommen eliminiert.
    – Meinen Sie wirklich, dass aus dem Erfolg der objektiven Wissenschaft folgt: zunehmende Zurückdrängung der „bloß subjektiven“ Wahrnehmungsfähigkeit und daraus Indolenz und Mangel an Sensibilität in unserer Gesellschaft? Und damit die Notwendigkeit für mehr innere Mystik? Oder haben Sie sich da nicht einfach einer Liebe zu dramaturgischen Effekten hingegeben, um Ihrem Anliegen mehr Nachdruck zu geben?
    Ihr Anliegen in allen Ehren – aber kann man es nicht aus der Sache selbst begründen.

  7. Alte Zeiten

    Früher war alles besser

    „Subjektivität musste immer mehr im Dienste der Wissenschaft zurückgedrängt werden. Allerdings muss man sich im Klaren sein, dass man mit der zunehmenden Zurückdrängung der „bloß subjektiven“ Wahrnehmungsfähigkeit einen hohen Preis zahlt. Indolenz und Mangel an Sensibilität nehmen in unserer Gesellschaft erschreckend zu.“

    Also das widerspricht meiner „subjektiven Wahrnehmung“ komplett. Könnten Sie mir auch objektiv nachvollziehbare (quantifizierbare?) Fakten nennen, dass Indolenz und Mangel an Sensibilität in unserer Gesellschaft erschreckend zunehmen? Seit wann? Und sind andere Gesellschaften wirklich sensibler?

    Wer hat an der Uhr gedreht?

    Ist die Qualität der heiligen Zeiten in der Religionsgeschichte nicht erst durch die Beobachtung und Einteilung natürlicher Rhythmen (Jahreszeiten, Erntezeiten, Sonne, Mond und Sterne) entstanden? Der Kalender ist der Inbegriff der Quantifizierung der Zeit. Und erst durch die Entdeckung der Zeitquantitäten wurde die Zeitwahrnehmung auch eine Wahrnehmung der Qualität.
    „Und Gott segnete den siebten Tag und erklärte ihn für heilig“

  8. Das kennzeichnende Merkmal naturwissenschaftlicher Wahrnehmung ist ja gerade das Messen, also das quantitative Erfassen der Phänomenwelt, und die Forderung nach intersubjektiver Verifizierbarkeit bzw. Falsifizierbarkeit naturwissenschaftlicher Aussagen lässt hierbei auch keine alternativen Vorgehensweisen zu. Die Mathematik wird dann aber zwangsläufig zum Bestandteil der Methodik, da sie die einzig vorstellbare Möglichkeit liefert, aus einem Haufen von quantitativen Messergebnissen signifikante Muster zu erhalten, die dann zur Grundlage einer theoretischen (und durchaus mit qualitativen Begriffen operierenden) Beschreibung des betrachteten Phänomens werden können. In der Forderung nach strikter Intersubjektivität von Wissenschaft liegt wohl schon der Grund dafür, warum sich naturwissenschaftliche Erkenntnis auf die messbaren, quantifizierbaren Bereiche der Welt beschränken muss.

    Aber ist ein Dualismus zwischen subjektiven und nicht-subjektiven Aspekten des Seins denn wirklich so tragisch? Man kann das doch auch als komplementäre Facetten ansehen, in denen sich für jedes Individuum seine eigene Einzigartigkeit einerseits und seine ganz spezifische Beziehung zur Aussenwelt andererseits manifestieren.

  9. hierzu

    Jostein Gaarder: Die Frau mit dem roten Tuch, München, 2010, Geschichte einer Liebe zwischen einem atheistischen Naturwissenschaftler und einer religiös-spiritellen Frau

  10. Honerkamp-Symbol etc.

    Komme erst jetzt dazu, zu antworten, weil ich die Kommentare nicht früher gelesen habe. Vielleicht ist es schon zu spät, aber trotzdem ein paar Anmerkungen zu den Anmerkungen.
    1. Symbolbildung-Begriffsbildung: Ich denke Ihre Anmerkung ist wichtig. Man muss zwischen Symbolbildung und wissenschaftlicher Begriffsbildung unterscheiden. Der Naturwissenschaft liegt natürlich die Begriffsbildung zu Grunde, die aber wiederum auf der Fähigkeit zur Symbolbildung aufruht. Der Symbolbegriff ist weiter und unspezifischer als der Begriff des Begriffs. Beim naturwissenschaftlichen Begriff gehört ja immer eine exakte Definition dazu (z.B. Arbeit ist Kraft mal Weg) und in der Regel auch ein Messverfahren. Und immer handelt es sich im Quantitäten, die gemessen werden können. Der Symbolbegriff ist weiter gefasst. Es kann sein, dass ein Symbol bildlicher, musikalischer Natur ist, oder auch in einer Abfolge von Beweungen besteht. Auf jeden Fall muss ein Symbol kein Begriff sein. Worauf ich aber hinweisein wollte mit der “Symbolfähigkeit” des Menschen, ist, dass die Begriffsfähigkeit des Menschen im engeren Sinne aufruht auf seiner Symbolfähigkeit im weiteren Sinne und der damit verbundenen Fähigkeit, die unmittelbare Weltwahrnehung in mittelbare, symbolisierte zu verwandeln. Anders gesagt: Symbolfähigkeit ist die Fähigkeit des Menschen, sich von seiner Unmittelbarkeit des Eindrucks zu distanzieren, und diesen Eindruck darzustellen. Die begriffliche Darstellung ist dabei die sicherlich am weitesten fortgeschrittene.
    2. Ockham: In der Tat stammt Ockhams Rasiermesser von ihm. Und das ist auch das Bekannteste, was als Methode in andere Wissenschaften übergegangen ist (entia non sunt multiplicanda sine necessitate, oder so ähnlich jedenfalls). Die Rolle Ockhams als Begründer des Nomialismus sehe ich auch weniger in der eines Naturwissenschaftler – er war Theologe und Philosoph – sondern darin, dass er in seiner Erkenntnistheorie den Weg bereitet hat dafür, dass Begriff kraft der Eigentätigkeit des menschlichen Verstandes bewusst geprägt werden können und müssen. In diesem Sinne hat er Pate gestanden für nachfolgende Theologen-Philosophen-Physiker des 14. Jahrhunderts, die diese Art der abstrakten Begriffsbildung weiterentwickelt haben (Mertonians in Oxford in der Bewegungstheorie, Johannes Buridan, Nikolaus Oresme). Übrigens gab es eine vorgalileische Impetustheorie, auf die Galilei auch wohl zurückgegriffen hat.
    3. Ichvernichtung: “Auch hier wird der Beobachter also letztlich vollkommen eliminiert.” Genau das meine ich ja!
    4. Indolenz: Ja, ein bischen dramatisieren macht doch auch Spaß. Trotzdem finde ich, es ist auch ein Körnchen Wahrheit drin: Wenn heute in den öffentlichen Fernsehanstalten ein Herr Bohlen (und andere) zu Superstars werden, dann finde ich das in Bezug auf Sensibilität schon sehr bedenklich…

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