Supernovae und kosmische Gammablitze (Buchempfehlung)
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Heute zum Auftakt nach meiner Sommerpause eine Buchempfehlung: “Supernovae und kosmische Gammablitze” von Hans-Thomas Janka, erschienen 2011 bei Spektrum Akademischer Verlag. Ich finde das Buch nicht nur vom Thema her sehr interessant, sondern auch vom Anspruch und von der Zielgruppe her.
Populärwissenschaftliche Bücher einerseits und richtige Fachbücher andererseits gibt es nämlich viele. Die Zone dazwischen ist vergleichsweise dünn besiedelt. Warum das so ist, liegt auf der Hand: Für elementar allgemein verständliche Bücher gibt es einen großen Markt; die Menge der Menschen, die von Wissenschaft fasziniert sind, dazu gerne das ein oder andere spannende Buch lesen, sich aber nicht tiefer in die Materie einarbeiten möchten, ist offenbar groß. Für richtige Fachbücher gibt es den Markt der Studierenden und der Wissenschaftler selbst.
Zwischen Populär- und Fachpublikum gibt es aber noch eine, zugegebenermaßen deutlich kleinere, Menge von Menschen, die es gerne genauer wissen würden, die gerne mehr von den Zusammenhängen verstehen würden, vielleicht auch einige einfache Formeln und Herleitungen nachvollziehen, die aber kein Studium des betreffenden Faches absolvieren wollen oder können. Diese Menschen sitzen zwischen den Stühlen – populärwissenschaftliche Bücher bieten ihnen nicht genug, und Fachbücher setzen oft zuviel an Werkzeug voraus.
Zwischenliteratur
Den Bereich der “Zwischenliteratur”, der diese Lücke schließt, liegt mir schon seit einiger Zeit am Herzen. Insbesondere, wenn es um Themen aus meinen eigenen Fachgebieten (Relativitätstheorie, Astronomie, Astrophysik) geht.
Entsprechend aufmerksam verfolge ich, ob und wie Online-Angebote die Niveaulücke schließen können (mein eigenes Einstein verstehen ist ein Versuch in diese Richtung), und freue mich eben auch, wenn ich auf ein Buch wie “Supernovae und kosmische Gammablitze” stoße. Dieses Buch ist nämlich gerade das richtige für Leser, die es zu diesem Thema genauer wissen wollen – sprich, die keine elementare, mit Anekdoten angreicherte Erklärung der Grundlagen suchen, sondern wissen wollen: Was wissen Astrophysiker denn nun über Supernovae, sowohl die gewaltigen Explosionen am Lebensende schwerer Sterne als auch die thermonuklearen Supernovae vom Typ Ia?
Fachlich ist Thomas Janka dafür auf alle Fälle der richtige Ansprechpartner; Supernovae sind der rote Faden seiner wissenschaftlichen Karriere, und er ist bei der Forschung auf diesem Gebiet seit Jahren ganz vorne dabei. Das Buch zeigt, dass er nicht nur die fachwissenschaftlichen Aspekte souverän beherrscht, sondern sein Forschungsgebiet auch sehr gut erklären kann. Der Kompromiss, einerseits Substanz zu bieten und andererseits noch soweit allgemeinverständlich zu bleiben, wie es die Ausführlichkeit zulässt, ist Janka nämlich sehr gut gelungen. Einfache Formeln kommen vor, aber vor allem als Kurzschreibweise für die Zusammenhänge, um die es geht (z.B. die Abhängigkeit der Gravitationsenergie einer Kugel von Radius und Gesamtmasse oder Teilchen-Reaktionsgleichungen). Begriffe, die physik-erfahrenere Leser kennen, mit deren Erklärung sich der Haupttext aber (zu recht) nicht aufhält, sind fett gedruckt und im Glossar erklärt.
Inhalt/Aufbau
Auch den Aufbau des Buchs finde ich gelungen. Das Einführungskapitel ist mit seinen 25 Seiten bereits recht ausführlich; damit sind die Grundtypen der Supernovae und die grundlegenden Konzepte gut eingeführt. Das gibt Janka die Gelegenheit, anschließend erst einmal einen Schritt zurück zu treten: In Kapitel 2 geht es allgemein um die Entwicklung massereicher Sterne, um die Mechanismen, die einen Stern stabilisieren oder eben destabilisieren und um die kompakten Objekte, die als Sternen-Endstadium entstehen können; das im ersten Kapitel vorgestellte Grundwissen erlaubt es dem Leser dabei bereits, die dabei vorgestellte Physik weitgehend richtig einzuordnen. Mit dem Wissen um die im zweiten Kapitel vorgestellte Physik können sich die folgenden Kapitel dann in größerem Detail dem aktuellen Wissensstand zu Kollaps-Supernovae und thermonuklearen Supernovae widmen. Im letzten Kapitel geht es um “Boten aus dem Zentrum der Explosion”: um die schweren Elemente, deretwegen wir Supernovae auch unsere eigene Existenz verdanken (gibt es in Deutschland “Ich war eine Supernova”-T-Shirts?), sowie um die Neutrinos und Gravitationswellen, von denen man sich bei der nächsten zukünftigen hinreichend nahen Kernkollaps-Supernova direkte Nachrichten aus dem Zentrum des Geschehens erhofft.
Ich vermisse an diesem Buch nur zweierlei: Ein Stichwortverzeichnis und ein Literaturverzeichnis. Letzteres wäre insbesondere für diejenigen Leser von großem Interesse, die das Buch als Einstieg in eine noch weitergehende Beschäftigung mit dem Thema nutzen; entsprechend meine ich hier auch keine vollständige Liste der umfangreichen Originalliteratur: eine gute Auswahl von Review- und Originalartikeln sollte da vollauf genügen. Vielleicht ja online, auf einer ergänzenden Webseite zum Buch?
Wissen/Nichtwissen
Eine der größeren Schwierigkeiten, die ich aus meinen eigenen populärwissenschaftlichen Bemühungen kenne, ist es, einen zutreffenden Gesamteindruck zu vermitteln, was die Wissenschaftler über ein bestimmtes Themengebiet wissen und was sie nicht wissen. Oft ist es ja so, dass die Forschung einerseits in den vergangenen Jahren große Fortschritte gemacht hat, andererseits noch wichtige Fragen offen sind. Bei populärwissenschaftliche Darstellungen besteht immer die Gefahr, in eines der beiden Extreme abzugleiten – betont man die offenen Fragen zu sehr (im Extremfall ist man dann bei den “Rätseln der Wissenschaft” als beliebtem Topos der populistisch-wissenschaftlichen Literatur), bekommt der Leser den unzutreffenden Eindruck, es sei ja im Grunde genommen gar nichts über das Thema bekannt, alle wichtigen Fragen seien offen und alles sei grundlegend unsicher. Konzentriert man sich umgekehrt zu sehr auf das, was bereits herausgefunden wurde, kann der falsche Eindruck entstehen, es sei im wesentlichen alles geklärt.
Von meinem eigenen (ehemaligen) Forschungsgebiet, der Quantengravitation, kenne ich dieses Problem zu Genüge: Bei den letzten Büchern von Stephen Hawking (und in einigen Passagen des ersten Buches von Brian Greene) könnte der Leser auf die Idee kommen, als wüssten die Physiker bis auf ein paar Details bereits, wie die vereinheitlichte Theorie aller Kräfte aussieht. Bei einigen meiner eigenen öffentlichen Vorträge habe ich an den Rückfragen und in anschließenden Gesprächen mit den Zuhörern gemerkt, dass ich mit meinen Ausführungen dazu, was die Physiker zum Thema Quantengravitation alles noch nicht wissen, den ebenso falschen Eindruck erzeugt hatte, dass es auf diesem Forschungsgebiet überhaupt keine wesentlichen Fortschritte gäbe.
Hier die richtige Balance zu finden ist nicht leicht, aber das Buch von Janka zeigt auf, wie man vorgehen kann: Wenn man ein Forschungsgebiet so ausführlich darstellt wie in “Supernovae und kosmische Gammablitze”, dann erfährt der Leser eben nicht nur, wo es Schwierigkeiten gibt und welche Fortschritte gemacht wurden, sondern er lernt jeweils auch die Details kennen und gewinnt so bis zu einem gewissen Gerade ein eigenes Verständnis dafür, wo die Schwierigkeiten liegen. Auf dieser Grundlage kann man, so meine Überzeugung, dann auch zu einer guten, differenzierten Einschätzung des von den Forschern Erreichten und der noch offenen Fragen kommen, ohne in eines der beiden Extreme abzugleiten.
Einfach/Komplex
Entsprechend meiner Sozialisation als theoretischer Physiker im Forschungsgebiet Quantengravitation finde ich die Suche nach den grundlegenden Gesetzen unserer Welt besonders spannend. In der Populärwissenschaft wird daraus gerne die “Suche nach der Weltformel”, und ein einigermaßen weit verbreitetes Missverständnis besteht darin, anzunehmen, wenn wir die Weltformel gefunden hätten, dann wüssten die Physiker tatsächlich alles über die Welt (und, so lautet manchmal das extreme Korollar, müssten gar nicht mehr weiterforschen). Nun ist es nicht schwer, Gegenbeispiele für diese Art von naivem Reduktionismus zu finden. Gerne werden dazu die Lebenswissenschaften (von Leben an sich bis hin zum menschlichen Gehirn) angeführt, die sich, obwohl sie auf der Physik gründen, mit den grundlegenden physikalischen Begriffen ja nun wirklich nicht gut beschreiben lassen.
Was Janka über die Supernova-Forschung schreibt, ist ein schönes Beispiel dafür, dass wir gar nicht zu den Lebenswissenschaften gehen müssen, um zu erkennen, dass es selbst dann, wenn die Weltformel gefunden würde, reichlich Forschungsbedarf und spannende Forschungsthema geben würde. Supernovae sind, verglichen mit biologischen Systemen, in mehrerlei Hinsicht eher einfach. Ein Stern ist zunächst einmal ein Gasball; die Gleichungen für das Verhalten von Gas und Plasma sind bekannt (Hydrodynamik); sicher, Magnetfelder sind eine zusätzliche Komplikation, aber auch da kennen wir die Grundlagen, insbesondere die Maxwell’schen Gleichungen; dann haben wir da noch Kernreaktionen (inklusive solcher mit Neutrinos), und es werden Gravitationswellen erzeugt. Die Ausgangsfrage ist sogar noch einfacher: Setzen Sie einen strukturlosen Ball aus Gas und Staub in den leeren Raum. Was passiert?
Trotzdem ist es eine große Herausforderung, auf dieser Grundlage zu verstehen und zu simulieren, wie ein kollabierender massereicher Stern als Supernova explodiert. Da spielen Instabilitäten und Turbulenzen eine Rolle, die Schwierigkeiten, Vorgänge auf radikal unterschiedlichen Größenskalen zu simulieren, und obwohl sich ein wohl zutreffendes Gesamtbild herausgeschält hat, sind eine Reihe wichtiger Fragen noch offen bzw. harren darauf, von mehreren unabhängig voneinander arbeitenden Theoretikergruppen geprüft und bestätigt zu werden.
Und das ist für mich eines der schönsten Gegenbeispiele für Menschen, die nach populärwissenschaftlicher Lektüre den Eindruck haben, mit einer Weltformel könne man, wenn sie denn gefunden wäre, alles erklären. Dazu braucht es keine selbstorganisierenden oder sich reproduzierenden Systeme, keine komplexen Zellverbünde oder gar neuronalen Netze: Supernovae zeigen sehr schön, welcher Forschungsbedarf auch in der Physik auch dann noch besteht, wenn die Ausgangssituation einfach ist und die grundlegenden Gesetze bekannt sind.
Fazit
Wer sollte das Buch demnach lesen, und wer nicht? Dass es für “fortgeschritten allgemeinverständliche” Leser, die größeren Tiefgang und Einblick in die Zusammenhänge suchen, unbedingt zu empfehlen ist, hatte ich schon erwähnt. Auch für Astronomiestudenten und für Astronomen aus supernovafremden Forschungsgebieten, die wissen wollen, was die Kollegen Supernovaforscher da im einzelnen machen, ist es gut geeignet. Nach unten hin dürfte die Grenze bei denjenigen Lesern verlaufen, die einfach nur in Teilgebiete der Astrophysik hineinschnuppern und sich von dem, was da erforscht wird, faszinieren oder anregen lassen wollen, denen knapp 190 Seiten konzentrierte Lektüre für ein Teilgebiet der Astronomie dann aber bei weitem zuviel sind.
Ich wünsche dem Buch weite Verbreitung – und wünsche ihm insbesondere die Übersetzung in andere Sprachen, vor allem natürlich ins Englische!
Supernova 2011fe
Der Buchtipp passt hervorragend zur gerade entdeckten Supernova 2011fe ( http://de.wikipedia.org/wiki/SN_2011fe ).
@Stefan
Danke für den Hinweis!
Schleifen-Quantengravitation
Hallo Markus!
Kennst du vlt. auch brauchbare “Zwischenliteratur” über Schleifen-Quantengravitation?
Ich habe zwar schon einige Semester hinter mir, aber die Facharbeiten darüber sind doch eine Nummer zu groß für mich. Zudem will ich erst mal nur das Konzept und auch die mathematische Struktur dieser Hypothese kennen lernen.
Gruß
Maxim