Eine Doktorarbeit schreiben ist wie…

Das Badewannenmodell der Promotion

Heute auf Twitter sind mir gleich zwei schöne Analogien dafür begegnet, wie es ist, eine Doktorarbeit zu schreiben. Ich finde, sie verdienen weitere Verbreitung, und ich gebe sie gerne hier wieder.

Das Badewannenmodell der Promotion

Die erste Analogie stammt von der Astrophysikerin Victoria Grinberg, die eine Forschungsgruppe an der Universität Tübingen leitet. Auf Twitter ist sie als @vicgrinberg und postet dort unter anderem eine lesenswerte Liste deutschsprachiger Astrophysikerinnen, eine Fundgrube bei der Suche nach Presse-Ansprechpartnerinnen oder Vortragenden.

Hier ist ihre Sketchnote zur Promotion:

Das Badewannenmodell der Promotion

Es beginnt ganz links bei dem Tischchen mit Shampoo-Fläschchen und anderem Badewannen-Zubehör: Das ist das Interview für die Doktorandenstelle, und dort sieht alles noch cool und glänzend aus: Cooles Projektvorhaben für die Forschung, und natürlich ein glänzender Titel, den es zu erwerben gilt.

Aber dann geht es in die Badewanne – und da wird einem dann bewusst, dass das Wasser doch deutlich tiefer ist als gedacht, und durchaus kalt. Für viele Doktorand*innen eine überproportional große Badewanne, denn es folgt die lange Phase, während derer man sich am Ertrinken wähnt – in der Skizze nicht maßstabsgetreu dargestellt.

Grinberg ist dabei wichtig (in rot unterlegt): Das ist eine durchaus normale Phase. Passt auf, dass ihr nicht dem Impostor-Syndrom zum Opfer fallt. Das ist jene verzerrte Wahrnehmung, bei der man an sich selbst alle Zweifel und Sackgassen mitbekommt, von anderen Wissenschaftler*innen aber vor allem die beeindruckende “Sonnenseite” – also etwa Präsentationen bei Kolloquiumsvorträgen. Eine häufige Konsequenz, selbst bei sehr guten Wissenschaftler*innen: zu zweifeln, ob man dort überhaupt hingehört, wo doch die anderen augenscheinlich soviel besser sind; das Gefühl, man sei so etwas wie ein Betrüger, ein Imposter. Wenn man in diese Falle gefallen ist, sollte man sich Hilfe suchen: mit anderen Wissenschaftler*innen reden (und dabei nicht selten herausfinden, dass es denen ähnlich geht) oder mit dem/der eigenen Betreuer*in.

Das Landschaftsmodell der Promotion

Auf Grinbergs Tweet antwortete dann noch der Astronom Mark McCaughrean, seines Zeichens Chefberater für Wissenschaft und Erkundung bei der Europäischen Raumfahrtagentur ESA. Seine Analogie für eine Promotion ist eine Landschaft mit Mauer:

Wer das englische Original lesen möchte, klicke auf obigen Tweet von @markmccaughrean. Hier meine Übertragung ins Deutsche:

“Zu Beginn der Doktorarbeit wanderst du auf einer großen Wiese umher. Du bist vielleicht noch ein wenig orientierungslos, aber genießt die Blumen und den Sonnenschein. In der Ferne erblickst du etwas, das wie eine Mauer aussieht.

“Natürlich regnet es dabei auch dann und wann, darüber bist du dann nicht so glücklich. Aber dann kommt die Sonne wieder heraus und wärmt dich auf. Du entdeckst einige nette kleine Bäche und Wäldchen, die es zu erkunden gilt. Langsam aber sicher näherst du dich dabei der Mauer.

“Nach einer Weile bemerkst du, dass der Betreuer bzw. die Betreuerin deiner Doktorarbeit oben auf der Mauer steht und dich lächelnd zu sich winkt. Was aus der Ferne wie eine kleine Mauer aussah erscheint dir allerdings umso imposanter und abschreckender, je weiter du dich näherst.

“Der Regen kommt jetzt häufiger und wird stärker. Die Mauer verwandelt sich in einen massiven dunkelgrauen Block, der die dahinterliegende Landschaft verdeckt. Wenn du in diese Richtung blickst, siehst du nichts anderes mehr als die Mauer. Gelegentlich wirfst du noch einen Blick zurück zu den sonnigen Feldern. Aber dein*e Betreuer*in besteht darauf, nach wie vor freundlich lächelnd, dass du immer näher an die Mauer kommst.

Hin zur Mauer

“Je näher du der Mauer kommst, desto steiler und höher wird sie. Die Tangensfunktion zeigt sich da wirklich nicht von ihrer besten Seite. Als du schließlich beginnst, die Wand hinaufzuklettern, siehst du: Da oben steht nicht nur dein*e Betreuer*in, sondern da sind noch andere Menschen, die dir Dinge wie “Komm schon, es ist ganz einfach!” zurufen. Du fluchst still vor dich hin, denn einfach findest du das alles verdammt nochmal ganz und gar nicht.

“Dabei wird der Himmel immer dunkler. Es regnet in Strömen; das macht die Mauer rutschig und glatt. Während des Aufstiegs schläfst du Nacht für Nacht auf kalten, nassen Vorsprüngen. Die Mauer ist alles; die Mauer ist die Welt; die Mauer geht ewig weiter, fast senkrecht. Dein Leben ist wertlos.

“Schließlich, eines Morgens, erreichst du die Mauerkrone. Dein*e Betreuer*in reicht dir lächelnd die Hand und sagt: “Das war doch jetzt wirklich nicht so schwer, oder?” Du bist verwirrt. Ist es schon vorbei? Du schaust nach unten. Der Erdboden ist nicht annähernd so weit entfernt, wie es sich während all dieser Monate des Elends angefühlt hat.

“Du drehst dich wieder um. Das war überhaupt keine Mauer, sondern eher eine Art befestigter Stufe. Auf der anderen Seite geht es nicht hinunter, sondern da breitet sich ein weiteres sonniges Feld aus, mit Gras, Bächlein und Wäldchen. Eine ganze Menge anderer Menschen sind da, die umherwandern. Sie bewegen sich dabei langsam auf eine weitere Mauer zu, die man in der Ferne sehen kann. Diese Mauer ist beschriftet: ‘feste Stelle’ steht da.”

Schluss

Die Stufen einer wissenschaftlichen Karriere haben jeweils einen bestimmten Ernüchterungscharakter. Wer in der Schule in seinem Lieblingsfach noch alle Mitschüler*innen hinter sich ließ, findet sich an der Uni auf einmal unter lauter Menschen, denen es ähnlich ging – ist dort aber unter Umständen dann nur noch im Mittelfeld. Nach dem Studium ist die Doktorarbeit dann noch ein weiterer Schritt in die Selbstständigkeit – per Definition die erste selbstständige Forschung. Was das an Herausforderungen mit sich bringt, geben die beiden Similes recht gut wieder. Nicht für alle vermutlich, aber die Regel dürften solche Durststrecken schon sein. Wo dicke Bretter gebohrt werden, sollten Rückschläge und damit einhergehende Selbstzweifel keine Überraschung sein.

Dass es auch einer ganze Reihe derjenigen, die es geschafft haben und die im Anschluss erfolgreich in der Wissenschaft Karriere gemacht haben, so ging, sollte man als Ermutigung sehen – und wie Victoria Grinberg schrieb: Wichtig ist es eben, in diesen Phasen nicht einsam zu verzweifeln, sondern sich mit anderen auszutauschen – mit der/dem Betreuer*in ebenso wie mit weiteren Menschen, die in einer vergleichbaren Situation waren oder sind.

Wenigstens die folgende Analogie, die als Antwort auf Mark McCaughreans Geschichte kam, gehört in Zeiten, wo Lehrstühle nicht mehr nur alten weißen Männern vorbehalten sind, und wo die Betreuer*innen von Doktorarbeiten ihre Mentorenrolle ernst nehmen, hoffentlich der Vergangenheit an:

Eine Promotion ist dann hoffentlich nicht mehr wie “Herr der Ringe” – wo ein älterer Mann mit Bart kommt, unverständliche Anweisungen murmelt und dann wieder für lange Zeit verschwindet.

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Markus Pössel hatte bereits während des Physikstudiums an der Universität Hamburg gemerkt: Die Herausforderung, physikalische Themen so aufzuarbeiten und darzustellen, dass sie auch für Nichtphysiker verständlich werden, war für ihn mindestens ebenso interessant wie die eigentliche Forschungsarbeit. Nach seiner Promotion am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut) in Potsdam blieb er dem Institut als "Outreach scientist" erhalten, war während des Einsteinjahres 2005 an verschiedenen Ausstellungsprojekten beteiligt und schuf das Webportal Einstein Online. Ende 2007 wechselte er für ein Jahr zum World Science Festival in New York. Seit Anfang 2009 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg, wo er das Haus der Astronomie leitet, ein Zentrum für astronomische Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit, seit 2010 zudem Leiter der Öffentlichkeitsarbeit am Max-Planck-Institut für Astronomie und seit 2019 Direktor des am Haus der Astronomie ansässigen Office of Astronomy for Education der Internationalen Astronomischen Union. Jenseits seines "Day jobs" ist Pössel als Wissenschaftsautor sowie wissenschaftsjournalistisch unterwegs: hier auf den SciLogs, als Autor/Koautor mehrerer Bücher und vereinzelter Zeitungsartikel (zuletzt FAZ, Tagesspiegel) sowie mit Beiträgen für die Zeitschrift Sterne und Weltraum.

3 Kommentare

  1. Markus Pössel schrieb (04. Jul 2020):
    > […] da breitet sich ein weiteres sonniges Feld aus, mit Gras, Bächlein und Wäldchen. Eine ganze Menge anderer Menschen sind da, die umherwandern. […]

    Für die Schaffensphase nach dem ersten selbstständigen Erklimmen eines Wannenrandes bzw. einer befestigten Stufe gibt es ebenfalls mehrere Interpretationen; u.a. auch (und auch aus dem englischen Original übertragen):

    Vollende das Unmögliche, umgehend und schleunigst, mit dem falschen Werkzeug!
    Und wenn du schon mal dabei bist, schreib die Anleitung dazu!

  2. leider ist es heute immer noch so ,daß ein Mann mit weißem Bart dort steht einem irgendwelche Sachen zumurmelt und dann verschwindet…ich mache es gerade durch und es ist die Hölle wenn man keinen Ansprechpartner(Doktorvater) hat der einem mit Rat zur Seite steht und einen unterstützt..die Mauer ist für mich noch sehr steil und ich denke oft ans aufgeben…ich hoffe ich halte es durch ,um das der Schweiß,die Angst und die schlaflosen Nächte nicht umsonst gewesen sind.

    • Das sind dann in der Tat verschärfte Verhältnisse. Gibt es Kommilliton*innen oder Postdoktorand*innen, mit denen Sie sich da austauschen könnten? Irgendeine Art von Community! Ich wünsche Ihnen auf alle Fälle die jetzt nötige Stärke!

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