Kick it like Einstein – Brasilien

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Gedanken eines Experimentalphysikers
Quantenwelt

Lehnen Sie sich einmal zurück und denken an Brasilien: Lange, weiße Sandstrände, Karneval in Rio, Zuckerrohr, Caipirinha, tropischer Regenwald im Amazonasgebiet, Nanotechnologie und Protein-Kristallographie.

Was, Sie denken bei Brasilien nicht an Nanotechnologie und Proteinkristallographie? Denken Sie um. In Campinas, nicht weit von der Metropole Sao Paolo befindet sich das LNLS, Brasiliens Synchrotronstrahlungsquelle. Das LNLS ist sicher nicht die beste Röntgenquelle der Welt, aber immerhin eine der wenigen Synchrotronstrahlungsquellen auf der Südhalbkugel. Nanotechnologie und Kristallographie sind zwei der Arbeitsbereiche, in denen man auf Forschung mit Synchrotronstrahlung heute nicht mehr verzichten kann. Speicherringe, wie das LNLS in Campinas, sind die Arbeitspferde für diese Art von Forschung.

Wer Portugiesisch versteht oder sich einfach von schönen Bildern vom Synchrotron und der dortigen Forschung inspirieren lassen möchte, dem sei das obige Video empfohlen, in dem sich das LNLS selbst vorstellt.

In der Kristallographie bewährt sich diese Strahlung aus zwei Gründen gut: Zum einen ist sie sehr Intensiv, so dass man in kurzer Zeit ein komplettes Beugungsbild aufnehmen kann und durch drehen des Kristalls in zwei Winkel ein komplettes 3D-Bild der Struktur erhalten kann. Natürlich ist es noch ein Schritt vom Beugungsbild zur tatsächlichen Struktur des Kristalls. Man muss über einen rechnerischen Schritt die Phasen der gebeugten Lichtwellen rekonstruieren um die tatsächliche atomare Struktur zu erhalten.

Es ist ebenfalls bekannt, dass kristallisierte Biomoleküle nicht in der selben Konfiguration vorliegen, wie sie in wässriger Lösung im Zellplasma oder in der 2D-flüssigkeit der Zellmembran vorliegen. Man bekommt also die chemische Struktur der Moleküle heraus und man bekommt eine Idee über die Faltung der Struktur. Um die tatsächliche Struktur in der lebenden Zelle zu rekonstruieren, ist eine ganze menge chemischen Wissens nötig und man verwendet mathematische Modelle um die optimale Struktur in Lösung zu reproduzieren.

Der Andere Vorteil der Synchrotronstrahlung ist, dass sie stark gerichtet ist. Dadurch lässt sich ein kleiner Punkt mit Röntgenstrahlung belichten und bereits kleine Kristalle reichen für eine Analyse aus. Überhaupt ist die Kristallisation der Biomoleküle die größte Hürde, die es in der Kristallographie zu überwinden gibt. Gerade die biologisch so wichtigen Membranproteine, die in der fettigen Zellmembran sitzen und zum Beispiel für den Hin- und Rücktransport von Stoffen zwischen dem wässrigen Zellplasma und dem ebenfalls wässrigen Außenraum sorgen oder die in der Immunabwehr wichtige Rollen spielen, mögen oft gar nicht gerne große Kristalle bilden. Die Möglichkeit, kleine Kristalle intensiv zu bestrahlen ist das eine willkommene Methode.

Auch die Erforschung der Nanowelt profitiert von Synchrotronstrahlung aufgrund ihrer hohen Brillanz. Brillanz ist die Größe, mit der sich Synchrotronquellen aller Welt vergleichen lassen müssen. Sie kombiniert Quellgröße (wie fein ist der Elektronenstrahl, der das Licht macht) mit der Intensität der Quelle und dem Raumwinkel, den sie ausleuchtet. Je höher die Brillanz einer Quelle ist, desto besser kann man die Röntgenstrahlung auf einen kleinen Punkt konzentrieren. Desto besser ist sie also als Quelle mit einem kleinen Brennpunkt und damit als Sonde für die Nanowelt geeignet.

Das LNLS gehört nicht zu den brillantesten Quellen der Welt. Es wurde 1997 in Betrieb genommen und gehört somit nicht mehr zur neusten Generation. Auf der Webseite kann man aber schon erkennen, dass erste Schritte unternommen wurden, im LNLS-2 ins Leben zu rufen. Eine Synchrotronquelle der neusten Generation wird in den nächsten Jahren in Brasilien entstehen. Ich bin gespannt, wie diese Maschine im Vergleich mit den neueren Maschinen nördlich des Äquators abschneiden wird. Zunächst aber sind wir wohl eher auf den Fußball der Brasilianischen Nationalmannschaft gespannt. Ich wünsche beiden viel Erfolg, den Brasilianischen Fußballern und den Brasilianischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern.

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Joachim Schulz ist Gruppenleiter für Probenumgebung an der European XFEL GmbH in Schenefeld bei Hamburg. Seine wissenschaftliche Laufbahn begann in der Quantenoptik, in der er die Wechselwirkung einzelner Atome mit Laserfeldern untersucht hat. Sie führte ihn unter anderem zur Atomphysik mit Synchrotronstrahlung und Clusterphysik mit Freie-Elektronen Lasern. Vier Jahre hat er am Centre for Free-Electron Laser Science (CFEL) in Hamburg Experimente zur kohärenten Röntgenbeugung an Biomolekülen geplant, aufgebaut und durchgeführt. In seiner Freizeit schreibt er zum Beispiel hier im Blog oder an seiner Homepage "Joachims Quantenwelt".

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