2020 – Das Jahr, in dem wir aufhörten, auf Konferenzen zu gehen

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Gedanken eines Experimentalphysikers
Quantenwelt

A year without conferences? How the coronavirus pandemic could change research. In einem Kommentar in der 16.-März-Ausgabe des Wissenschaftsmagazins Nature erläutert Giuliana Viglione die Vorteile von Online-Konferenzen.

Konferenzen sind ein wesentlicher Bestandteil wissenschaftlichen Arbeitens. Auf internationalen Fachkonferenzen treffen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eines Fachgebiets zusammen um die eigenen Ergebnisse der letzten Jahre zu präsentieren und sich einen Überblick über die Arbeiten anderer zur verschaffen.

In Plenarvorträgen tragen die Koryphäen des Fachgebiets über Themen vor, die von allgemeinem Interesse sind. In Parallelsitzungen bekommen auch jüngere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, oder Leute, die sich eher mit Randthemen beschäftigen, die Möglichkeit, ihre Ergebnisse zur Diskussion zu stellen. Schließlich gibt es Postersitzungen, in denen all die, die keinen mündlichen Vortrag halten können oder wollen, ihr Thema auf einem DIN A0 Poster zusammenfassen können.

Zudem gibt es auf den meisten Konferenzen, zumindest im experimentellen Bereich, Lieferantenausstellungen. Das sind kleine Fachmessen, die zumeist mit den Postersessions verknüpft sind. Hier können wir Experimentalphysiker Kontakte mit neuen und alten Lieferanten knüpfen und Anregungen geben, in welche Richtungen Produkte weiterzuentwickeln sind.

Alles auch online

All dies lässt sich natürlich auch online abbilden. Vorträge können live gestreamt oder gefilmt und on-demand zur Verfügung gestellt werden. Das Publikum kann Fragen schriftlich im Kommentarbereich oder live per Videokonferenz stellen, die der oder die Vortragende auf gleichem Weg beantwortet. Poster-Beiträge lassen sich leicht in Blog-Artikel verwandeln oder sogar in einer interaktiven Web-Präsenz realisieren. Auch hier ist ein Kommentarbereich leicht umsetzbar.

Auch die Lieferantenausstellung findet sich im Internet: Fast jeder Hersteller wissenschaftlicher Geräte und Verbrauchsmaterialien hat eine Webpräsenz, in der er seine Produkte bewirbt und Kontaktmöglichkeiten aufzeigt.

Die Konferenz könnte die Aufgabe übernehmen, die oben genannten Online-Angebote zu verknüpfen. Eine jährliche Fachkonferenz könnte also die Videovorträge, Webartikel und Produktneuheiten des vergangenen Jahres geordnet verlinken und Live-Streaming-Angebote koordinieren.

Dazu könnten die Konferenzen als Gate-Keeper agieren: Wenn nur registrierte Konferenzteilnehmende mit Institutsadresse kommentieren können, wird eine gewisse Qualität der Kommentare sichergestellt. Oder es könnte einen offenen und einen geschlossenen Kommentarbereich geben, so dass Leserinnen und Leser bei bedarf filtern können.

Die Online-Vorteile

Die Vorteile von Online-Konferenzen hat Giuliana Viglione im Artikel genannt: Online-Veranstaltungen sind barrierearm. Die Reise- und Übernachtungskosten entfallen, so dass auch Angestellte weniger wohlhabender Universitäten teilnehmen können. Menschen, die aufgrund von Krankheit oder Behinderung nicht reisen können oder wollen, sind nicht ausgeschlossen. Nicht zuletzt können Eltern teilnehmen, ohne sich um Betreuungsmöglichkeiten der Kinder sorgen zu machen. Jedenfalls nicht mehr als ohnehin schon.

Hinzu kommt, dass Online-Konferenzen helfen CO2 einzusparen. Die Flugreisen entfallen und alle Teilnehmenden können in ihren Büros bleiben. Wir würden Reisezeiten sparen und können zwischen den Konferenz-Veranstaltungen andere Pflichten wahrnehmen. Ach ja, und der Anlass des ganzen: Internationale Konferenzen tragen wesentlich zur Ausbreitung von Krankheitserregern bei. Online-Veranstaltungen schalten den direkten Kontakt aus und durchbrechen Übertragungswege.

Vorteile des Reisens

Was mir aber fehlen würde, sind die Zufallskontakte, die in Online-Konferenzen entfallen würden. Böse Zungen behaupten, das Wichtigste an einer Konferenz seien die Kaffepausen. Und da stekt ein Körnchen Wahrheit drin. In Kaffeepausen, beim Konferenzdinner und auch in den Postersessions kommen Menschen ins Gespräch, die sich sonst nicht getroffen hätten. Und zwischen alten Bekannten kommen Themen zur Sprache, die sie vorher gar nicht für wichtig hielten.

So können Wissenschaflerinnen und Wissenschaftler neue Bekanntschaften knüpfen und Kollaborationsmöglichkeiten finden, an die sonst vielleicht niemand gedacht hätte. Das persönliche Gespräch kann ich natürlich auch über Telefon oder Videokonferenz suchen. Aber erstens ist dazu mehr Planung nötig als sich einfach an einen Stehtisch zu stellen. Und zweitens werden wir nur Gespräche mit Leuten suchen, die wir bereits kennen oder die uns von anderen empfohlen wurden. Wir werden nur Videokonferenzen ansetzen, wenn uns der Gesprächsbedarf bewusst ist.

Viele Aspekte persönlicher Treffen können online simuliert werden, aber für die Zufallskontakte und -gespräche in der Kaffepause fällt mir kein Online-Analogon ein.

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Joachim Schulz ist Gruppenleiter für Probenumgebung an der European XFEL GmbH in Schenefeld bei Hamburg. Seine wissenschaftliche Laufbahn begann in der Quantenoptik, in der er die Wechselwirkung einzelner Atome mit Laserfeldern untersucht hat. Sie führte ihn unter anderem zur Atomphysik mit Synchrotronstrahlung und Clusterphysik mit Freie-Elektronen Lasern. Vier Jahre hat er am Centre for Free-Electron Laser Science (CFEL) in Hamburg Experimente zur kohärenten Röntgenbeugung an Biomolekülen geplant, aufgebaut und durchgeführt. In seiner Freizeit schreibt er zum Beispiel hier im Blog oder an seiner Homepage "Joachims Quantenwelt".

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